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St. Marvin

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27.03.2008
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St. Marvin

St. Marvin

Er hatte sich nach einem anstrengenden Tag nur mal hinsetzen und nichts tun wollen. Einfach nur die Bank in der Bahnhofstraße benutzen, denn dazu hat man sie schließlich gebaut.
Später sollte er noch darüber fluchen, was für eine Frechheit es ist, dass Menschen mitten in der Stadt Bänke bauen und so andere Menschen dazu verführen sich hinzusetzen, damit sie gezwungen sind die Welt, die sie eigentlich nur durchqueren wollen, anzuschauen, um auf dumme Gedanken zu kommen
Aber noch saß Marvin nur da und ahnte nichts, während die Dinge ihren Lauf nahmen.
„Es gibt wohl zwei Arten von Menschen“, dachte er, nachdem er da schon eine Stunde saß, den obdachlosen, ausländischen Jungen beobachtete, der von seiner Mutter dazu angetrieben wird, den ganzen Tag immer das eine Lied auf der Mundharmonika zu spielen, um Geld zu erbetteln und freute sich über seine eigene Auffassungsgabe: „Vorbeigeher, die vorbeigehen und Stehenbleiber, an denen die Vorbeigeher vorbeigehen..“ Marvin war von seiner plötzlichen Eingebung so fasziniert, dass er beschloss den Gedanken weiterzuspinnen:
„Vorbeigeher müssen weg, weil sie keine Zeit haben, Geld verdienen oder ausgeben müssen und einfach am falschen Ort sind und genau wissen, wo der richtige Ort ist, an dem sie dann wahrscheinlich wieder falsch sind...
Vorbeigeher können außerdem nur in eine Richtung gucken und kriegen nichts von dem mit, was um sie rum passiert. Sie laufen oft wochenlang rum, ohne einen Menschen zu treffen, einen Baum gesehen zu haben oder weitergekommen zu sein.
Dafür haben sie, wenn sie nach Hause kommen, Geld verdient oder ausgegeben und in Erfahrung gebracht, welche Orte alle nicht richtig sind.
Stehenbleiber, werden entweder nicht ernst- oder nicht wahrgenommen, weil sie in die falsche Richtung gucken oder überhaupt gucken und keine Ahnung haben, wo sie hinwollen.
Aber wenn ein Stehenbleiber nach Hause kommt, hat er viele Bäume gesehen und viele Menschen getroffen und dem obdachlosen Jungen, der von seiner Mutter dazu angetrieben wird, den ganzen Tag immer das eine Lied auf der Mundharmonika zu spielen, um Geld zu erbetteln, Geld gegeben.“
Als Marvin so dasaß und nachdachte, wurde ihm klar, was das alles zu bedeuten hatte und in ihm keimte der beschämende Gedanke auf, dass er auch nur ein ignoranter Vorbeigeher sei, weil er nur rumsaß und nichts machte. Aber Marvin war kein Vorbeigeher! Marvin war besser! Marvin stand auf und schritt auf den Jungen zu. Seine Brust war weit rausgestreckt, sein Körper stramm aufgebaut und er fühlte sich wie der verdammte Sankt Martin auf seinem verdammten hohen Ross, als er seine 2€ Münze von dem hohen Turm seiner Großzügigkeit herunterfallen ließ. Die Münze schlug laut auf, und brachte die anderen Münzen im Hut zum klimpern. Das war der Klang der Gottesdienstglocken, welche die Zeremonie einläuten sollten, die aus Marvin einen verdammten Sankt Marvin machte, der sein einziges 2€ Stück in den Hut dieses armen, bedürftigen Jungen fallen ließ.
Der Junge blickte kurz auf, schenkte seinem Gönner ein unscheinbares Lächeln und senkte sein Haupt wieder in Richtung Boden.
„Das ist alles?“, dachte Marvin, der nicht verstand, dass der Junge nur wieder nach unten sah, weil seine Mutter ihn über die Tatsache ausschimpfen würde, dass er die Mundharmonika abgesetzt hatte, um ihm zuzulächeln.
„Sieht der denn nicht, dass ich einer von den Guten bin? Einer von den Stehenbleibern? Warum krieg ich grad mal ein bisschen mehr Beachtung als diese Vorbeigeher-Ärsche?
Ich weiß! Weil es egal ist! Es ist einfach egal, ob du gut oder schlecht bist, ob du stehen bleibst oder weitergehst, weil diese Welt schlecht ist und keine Platz hat für gute Menschen wie mich! JAHAAA, aber das hab ich jetzt kapiert und ich werde nie wieder stehen bleiben. Ich geh von jetzt an immer vorbei und werde alle Stehenbleiber warnen, dass sie ihre Zeit mit Menschen und Bäumen und obdachlosen, ausländischen, mundharmonikaspielenden Kindern verschwenden!“ Frustriert und wütend wandte Marvin sich einer älteren Dame zu, die den Anschein machte, als wolle sie dem Jungen auch Geld geben und hielt ihr einen langen Vortrag über Stehenbleiber, darüber wie schlecht diese Welt sei und dass Vorbeigeher die einzigen sein, die kapiert hätten, worauf es im Leben ankäme....
Die überraschte ältere Dame, wartete bis Marvin sich beruhigt hatte und sagte dann mit fester Stimme: „Junger Mann! Warum sind Sie eigentlich so zornig? Ich hatte weder vor, stehen zu bleiben, noch wollte ich vorbei gehen.“ Daraufhin nahm sie eine Mundharmonika aus der Tasche und setzte sich zu dem Jungen. „Ich bin nur hier, um mit einem netten Jungen aus der Nachbarschaft Musik zu machen!“
Marvin schwieg, schluckte und schländerte davon.
„Es gibt wohl doch drei Arten von Menschen: Vorbeigeher, Stehenbleiber und Dazusetzer“
Auf seinem Nachhauseweg ging Marvin an zwei Panflötisten, einem Gitarristen und vier Trommlern vorbei.

 

Hallo Pilipp,

herzlich willkommen in unserer literarischen Selbsthilfegruppe. Fangen wir nach Art des Hauses erst mal mit einer gehörigen Portion Textarbeit an:

Später sollte er noch darüber fluchen, was für eine Frechheit es ist, dass Menschen mitten in der Stadt Bänke bauen und so andere Menschen dazu verführen sich hinzusetzen, damit sie gezwungen sind die Welt, die sie eigentlich nur durchqueren wollen, anzuschauen, um auf dumme Gedanken zu kommen

Da fehlt ein Punkt. ANsonsten ist der Satz mit seiner Struktur ein geschickt platzierter Abschrecker, sich den weiteren Text zu sparen.

„Vorbeigeher, die vorbeigehen und Stehenbleiber, an denen die Vorbeigeher vorbeigehen..“

Ein Punkt, oder drei?

... und er fühlte sich wie der verdammte Sankt Martin auf seinem verdammten hohen Ross
Die (selbst)Ironie finde ich an diesem Punkt unangebracht bzw. im Widerspruch zum eben Gesagten.

„Sieht der denn nicht, dass ich einer von den Guten bin? Einer von den Stehenbleibern? Warum krieg ich grad mal ein bisschen mehr Beachtung als diese Vorbeigeher-Ärsche?

Für mich der Höhepunkt der Geschichte ...

Frustriert und wütend wandte Marvin sich einer älteren Dame zu, die den Anschein machte, als wolle sie dem Jungen auch Geld geben und hielt ihr einen langen Vortrag über Stehenbleiber, darüber wie schlecht diese Welt sei und dass Vorbeigeher die einzigen sein, die kapiert hätten, worauf es im Leben ankäme....

Mit Punkten und deren Anzahl hast Du es offensichtlich / nicht.

Marvin schwieg, schluckte und schländerte davon.

Schlendern.

Zum Inhalt: Du liebst selbstreflexive Sätze. Und Wiederholungen. Da das ganze sichtlich mit Absicht gemacht ist, einen naiven St. Marvin karikiert, der vom Sitzenbleiber zum Stehenbleiber und Weiterzieher mutiert, der in all seinen wiederholten WIederholungen ingesamt ganz passabel beschrieben ist, kann man Dir ein gewisses Talent nicht abstreiten.

Auch kommt die Gesellschaftskritik nicht mit dem Holzhammer daher, der Junge mit der Mundharmonika wird bezüglich Mitleid nicht ausgebeutet, was ich als angenehm empfinde. Mit etwas Feinschliff durchaus ein lesenswertes Stück Text.

Lieben Gruß,

AE

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo AE,

vielen Dank für die Kritik und die Verbesserungsvorschläge, die ich mir zu Herzen nehmen, und bei Zeiten in eine Korrektur einfließen lassen werde.
Im Nachhinein, finde ich diese Geschichte garnicht mehr gelungen, da ich es wohl nicht richtig verstanden hab meine eigentliche Aussageintention zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass die eigentliche Notsituation, in der sich der Junge befindet, nicht aus seiner Armut sondern seiner Demütigung resultiert. Daher ist das "Dazusetzen" der Dame auch eine wirkliche Hilfe, was man von Marvins Almose, die mehr der Selbstinszenierung dient, nicht sagen kann.
Hm, naja ich üb ja noch und da darf man ein paar Fehler machen..... ;)
Vielen Dank aber für die Aufmerksamkeit und ich würde mich sehr freuen, wenn du dir meine andere Geschichte (Die Würde des Menschen) durchliest, die mir glaub ich besser gelungen ist. Wahrscheinlich, weil sie auf einer wahren Begebenheit beruht und nicht so an den Haaren herbeigezogen ist.
Schönen Gruß,
Pilipp

 

Tja Pilipp,

das mit der Autorenintention ist so eine Sache. Du wirst - solltest Du die nötige Zähigkeit besitzen, eine Weile lang hier durchzuhalten - feststellen, dass bei der Leserschaft alles mögliche ankommt, nur nicht unbedingt genau das, was der Autor vermitteln wollte.

Das halte ich aber nicht für schlimm, vielmehr für ein Qualitätsmerkmal einer Geschichte, wenn jeder Kritiker etwas anderes entdecken kann und die "Message nicht mit dem Holzhammer herüber kommt".

Ansonsten kann ich Dir nur raten, Korrekturvorschläge zeitnah einzuarbeiten. Im Falle Deiner anderen von Dir empfohlenen Geschichte stört es zum Beispiel, über Dinge zu stolpern, die andere schon längst angemerkt haben.

Lieben Gruß und nicht unterkriegen lassen,

AE

 

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