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Stand by Me

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12.06.2007
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Stand by Me

Leise begann die Melodie und nach 6 Takten setzte Ben E. Kings Stimme ein: „When The Night has Come/And the Land is Dark/And the Moon ist the only Light/We’ll see“ Die Nacht war schon lange gekommen, die ganze Stadt war stockfinster und einzig der helle Vollmond am Sternenhimmel beleuchtete die Welt. Doch ich bekam nichts davon mit, ich saß im Lokal – rauchte Eine und nippte an meinem Kaffee. Der Tag war für mich vorbei, ich wollte ihn nur noch ausklingen lassen. Und deshalb saß ich an meinem Kaffe und meiner Zigarette alleine, ohne Begleitung. Ich hatte die Einsamkeit gesucht und dieser Laden war für seine Einsamkeit bekannt. Doch völlig ohne Publikum war ich nicht. Denn bis auf die Bedienungen waren noch zwei Frauen und zwei Männer im Café, die in zwei Pärchen zusammen saßen. Ihr Abstand betrug nur einen Tisch, doch die Entfernung hätte nicht größer sein können. Die Vier saßen zu meiner Rechten, aufgeteilt in Haarfarben: Links die Blonden, Rechts die Brünetten. Ich versuchte nicht zu starren, doch ich konnte nicht umhin wenigstens zu stieren, ich wollte wissen, wie es meinen Vieren ging, wollte wissen was sie nachts beschäftigte, was ihnen ihren Schlaf raubte. Ich war ein Voyeur, und ich beobachtete ihre Gefühle.

Meine zwei Blonden saßen sich anfänglich schweigend gegenüber. Sie sagten nichts, sie taten nichts, sie sahen sich nur verstohlen an. Beide glaubten ihren Gegenüber unbemerkt zu beobachten, aber selbst wenn der Gegenüber nichts von den sehnsüchtigen, hungrigen und leidvollen Blicken mitbekam, tat ich es. Ich sah jeden Augenaufschlag, jeden Atemzug, jedes Zucken der Lippen. Ich sah alles und ich wusste alles, ich wusste um ihre Gefühle, kannte ich die doch nur zu gut. Er saß an einem Weißbier, sie versank in einem Eistee. Mit gesenktem Blick rührte sie in ihrem Eistee, unfähig ihre Gedanken in Worte zu fassen. Und doch war sie es, die als erstes das Wort ergriff. Ich konnte nicht hören was sie sagte, aber es war belanglos. Er reagierte mit einem aufgesetzten Lächeln, sie trieben Smalltalk, beide wussten, dass dies der falsche Moment für Smalltalk war. Aber trotzdem zeigte das inhaltslose Geplapper seine Wirkung, denn das Eis brach und ein wahrer Wasserfall von Worten ergoss sich über die Beiden. Nun sahen sie sich direkt in die Augen, doch ihre Blicken waren immer noch erfüllt von Sehnsucht, Hunger und Leid. Ihre Hände fanden regelmäßig die Berührung, und gaben sich trotzdem nicht zufrieden mit dem flüchtigen Kontakt. Die Beiden redeten und vergaßen ihre Getränke und die Welt, ihre eigene kleine Welt war im Begriff zu entstehen. Wozu hätten sie sich noch mit der realen abgeben sollen? Also tauchten sie in den Ozean ihrer Worte ab und wollten nicht mehr auftauchen.
Ich wusste nicht was er sagte, aber als er es sagte, ertrank sie in seinen Worten. Sie starb in den Tiefen seines Mundes, ohne die Möglichkeit zu haben, wieder nach Luft zu schnappen. Und als sie starb und aufstand, starb auch er. Er starb weil er wusste, dass er sie hatte ertrinken lassen. Und wieder sagten sie nichts und wieder sahen sie sich nicht an. Er richtete seine Augen auf den Boden und sie fixierte die Wand über seinem Kopf. Sie verabschiedete sich von ihm, drehte sich um und war gegangen, gestorben, ertrunken. Er blieb zurück und versank mit seinem Kopf in seinen Händen.

Meine Zigarette war schon bis zum Filter abgebrannt und der Kaffe schon länger kalt. Und eigentlich müsste ich auch schon zu Hause sein und im Bett, doch es war mir noch ein Paar übrig geblieben. Es waren noch die zwei Brünetten im Lokal und ich wollte an ihren Seelen saugen.

Die zwei unterhielten sich jetzt schon länger ganz entspannt, es schien als ob nichts mehr passieren würde. Sie schienen sich gut zu verstehen, waren vielleicht schon länger zusammen, waren zufrieden, unter Umständen sogar glücklich. Sie unterhielten sich wahrscheinlich über dies und das, über jenes und jene. Aber wie auf einem Schlag änderte sich der Gesichtsausdruck der Frau, sie ließ seine Hand los, lehnte sich zurück und fragte ihn etwas. Er sah auf seinen Cappuccino, er wich ihren Blicken aus. Sie wiederholte die Frage, diesmal mit Nachdruck. Er setzte mehrmals zur Antwort an, brachte aber letztendlich kein Wort heraus, dafür fand sie umso mehr die Worte. Und sie warf ihm die Worte um die Ohren wie Steine. Eine ganze Lawine aus Lauten und Silben brach über ihn, erdrückte ihn schier. Aus Steinen wurden Felsen und aus Felsen wurden Berge, Berge die sie ihm entgegen warf. Und sie traf ihn mit jedem Wurf. Doch nun war sie fertig, sie hatte nichts zu werfen mehr. Und sie begann zu weinen, ganz leise und ganz still, für sich allein weinte sie. Erst jetzt blickte er auf, sah ihr ins Gesicht und entschuldigte sich. Ich hörte ihn nicht, aber ich könnte schwören, ich habe noch nie solch eine ehrliche Entschuldigung gesehen. Die ersten Tränen kullerten auch über seinem Gesicht, liefen an seinen Wangen entlang und in seinen Cappuccino. Meine zwei sahen sich in die Augen und er nahm ihre Hand. Er beugte sich vor und wischte die Tränen von ihren Backen. Er näherte sich ihrem Gesicht und küsste sie. Sie zahlten, standen auf und gingen. Hand in Hand.

Das Lokal war leer, ich hatte keinen Grund mehr hier zu bleiben. Ich rief den Kellner, zahlte, gab Trinkgeld und stand auf. Ich verließ das Cafe und stand in der Nacht, mit ihrem leuchtenden Vollmond. Es war spät, ich hätte schon lange Zuhause sein müssen. Ich ging nach Hause.

 

Hallo Montana,

Ja, interessante... Beobachtungen. Geschichte möchte ich es nicht nennen, so ansprechend du die kleine Szene auch gestaltet hast, denn mir fehlt die Handlung. Eine Pointe gibt es nicht und auch die entstehende Spannung verliert sich in der vagen Ungewissheit des Protagonisten.
Stilistisch ist das Ganze gut umgesetzt, es gelingt dir, eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Einzig diese Versinken-Ertrinken-Metaphorik übertreibst du in meinen Augen ein wenig.
Also: Als Eindruck hat es mir gefallen.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Montana
und ein willkomen auf kg.de

mir ging es beim Lesen deines Textes ähnlich wie abdul. Wo ist die Geshcichte? Deine Beobachtungen mögen ganz ansprechend eingefangen sein, hängen aber rahmenlos im Raum.
Es wird mir nicht ersichtlich, warum dein Prot in die Bar gegangen ist. Zunächst heißt es er sucht die EInsamkeit, dann stellt sich heraus er ist ein Voyeuer und über alle dem steht, dass er eigentlich zuhause sein sollte.
Deinen Prot solltest du noch etwas besser herausarbeiten, so dass sich eine Rahmenhandlung ergibt.
Vielleicht sucht er etwas, das ihm fehlt? Der Titel ließe ja darauf schließen, aber du gehst nicht weiter darauf ein. Vielleicht ist es ein zwanghaftes verhalten? Irgendetwas sollte den Rahmen noch füllen. So sind es einfach nur Beobachtungen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Erstmal danke fürs Willkommen heißen und die gute Aufnahme in die Community.

Ich freue mich über eure beiden Kommentare, und jede Kritik ist hilfreich.

@abdul
Nun, du hast wohl recht, eine Rahmenhandlung gibt es nicht. Es ist ein herausgegriffener Moment, eben möglichst dicht erzählt. Und vielleicht kann man es nicht gerade Geschichte nennen, aber mir ging es eher um die Verdichtung der Atmosphäre. Insoweit, bin ich über deinen Kommentar erfreut, da mir das anscheinend gelungen ist. Danke nochmals.

@weltenläufer
Wie oben schon erwähnt, sind es nur einige Minuten im leben des prot, die ich umschreibe. Dabei war es mir nicht wichtig zu erzählen woher er kommt, und wohin er geht. Oder welche Motive ihn treiben. Wobei ich geschrieben habe, dass er den Abend ausklingen lassen will. Ob er jetzt in einer disco war, oder in einer Kneipe ist egal. Und dass er eben jetzt in dem cafe sitzt und den Paaren zusieht, ist wohl eher Zufall. Der Prot braucht - meiner Meinung nach keine Identität, denn das lenkt die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Hauptdarsteller ab: Dem Moment an sich.
Und das mit dem Voyeurismus, war nicht wörtlich gemeint. :D
Und auch dir danke ich nochmals.

Gruß
Montana

 

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