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Starbucks Madonna

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04.04.2008
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Starbucks Madonna

Starbucks-Madonna


Mein Leben ähnelt der Stadt, in der ich wohne. Es ist überschaubar, ordentlich und verlässlich. Das darf ich auch für meine Mitmenschen sagen, denn bei uns wird noch gute Nachbarschaft gelebt.
Vor Überraschungen waren wir hier sicher. Manchmal ging ich seufzend in mein Büro am Marktplatz und stellte mir vor wie es wäre, wenn heute etwas völlig Unvorhergesehenes geschähe. Doch meine Fantasie reichte lediglich aus, mir ab und zu eine gewagt bunte Krawatte zu kaufen, deren leuchtende Farben mit meinem dunkelblauen Büroanzug kontrastierten.
Seit über zwanzig Jahren steht mein Schreibtisch unter dem Panoramafenster. Drehe ich den Kopf nach rechts, nur ein wenig, überblicke ich den Marktplatz mit dem sprudelnden Neptunbrunnen in der Mitte. Ein knappes Dutzend Häuser bilden einen Kreis um den Platz herum, lediglich von der holperigen Zufahrtsstraße unterbrochen, die dafür sorgt, dass er überhaupt gefunden werden kann, der Mittelpunkt unseres verschlafenen Provinzfleckens. Fremde kommen selten. Unsere Stadt ist nicht für Touristen gemacht. Wir haben nichts zu bieten. Hier wohnen Menschen, die so leben wie ich, und der Gedanke liegt nahe, dass die Überschaubarkeit des Städtchens unseren angestaubten Alltag behütet und bedingt. Zu unserer Ehrenrettung sei gesagt, dass wir einander kennen, freundlich miteinander umgehen, und die jungen Menschen noch ungeschminkt und höflich sind. Und so bearbeite ich täglich die Anträge, bewillige oder lehne ab und setze den Dienststempel in die untere rechte Ecke.

Vor einer Woche, auf den Tag genau, geschah es dann plötzlich, das Unerhörte, Unerwartete, und es hatte eine Dimension, die ich in meinen kühnsten Träumen nie voraus gesehen hätte.
Der Morgen hatte mit einer trüben Schwüle begonnen, ein sicheres Zeichen für bevorstehende Hitze. Es erschien uns viel zu früh im Jahr für solche Temperaturen, da waren wir uns einig in der Stadt. Ich betrat mein Büro und hängte meine hellgraue Sommerjacke an den Türhaken, im Kopf ging mir herum, dass ich heute sicher einige Anträge ablehnen würde, schließlich ging es um eine ausgewogene Bearbeitung, Ausgewogenheit gibt mir ein Gefühl von Zufriedenheit und das Abendbier schmeckt einfach besser.
In meinem Aktenschrank bewahrte ich einen alten Ventilator auf, den ich gerade vorsorglich auf den Schreibtisch stellen wollte, als mir auffiel, dass die Helligkeit etwas ungewohnt Silbriges hatte. Ich blieb einige Schritte vor dem Schreibtisch stehen und betrachtete den breiten Lichtstreifen, der seine Quelle nicht oben am Himmel, sondern unten auf der Erde haben musste.
Etwas strahlte kraftvoll zu mir hinauf.
Die wenigen Möbelstücke in meinem Büro schienen glanzvoll beleuchtet, alles wirkte entblößt und auf eine anrührende Art weniger schäbig. Zögernd näherte ich mich der Schreibtischkante und sah aus dem Fenster.

Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Neptunbrunnen kniete eine Madonna.
Unbeweglich, in ein weites, paillettenbesetztes Gewand gehüllt, mit gefalteten Händen, kniete sie dort und hielt den schmalen Kopf mit den geschlossenen Augen leicht zur Seite geneigt.
Vor ihr, auf dem holperigen Pflaster, stand ein Becher.
Ich zog mich an der Schreibtischkante entlang zu meinem Stuhl, presste die Stirn gegen die Scheibe und erwartete, dass sich das Bild jeden Moment auflösen würde.
Noch war der Marktplatz unbelebt, doch in fünf Minuten wird die Bäckersfrau den Laden öffnen, Herr Knorr seinen Frisiersalon aufschließen und Herr Leberecht mit der Aktenmappe um die Ecke kommen. Er ist der Redakteur unserer kleinen Zeitung, die jeden Tag über die Ereignisse in unserem Ort berichtet und dabei streng auf journalistische Unparteilichkeit achtet. Herr Leberecht lobt regelmäßig die Rechtschaffenheit unserer Bürger, die, so verkündet er gerne, wohl durch die Vertrautheit des Zusammenlebens seit Jahrzehnten gefestigt worden ist.
Ich sah auf die Uhr und dachte an die Schulkinder, die jeden Moment quer über den Marktplatz zum Schulgebäude gehen. Mir war ein wenig übel. Noch einen Blick warf ich auf das beunruhigende Wesen, mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen, dann rappelte ich mich hoch und kochte mir einen Kamillentee. Mit dem Rücken zum Fenster war ich mir sicher, gleich die gewohnten Geräusche zu hören: Ein freundliches ‚Hallo, Herr Knorr, viel zu warm heute für eine Dauerwelle’, oder das sonore ‚Guten Morgen Frau Gilde, einen Zimtwecken bitte’, des Redakteurs.
Dann wäre alles wieder in der gewohnten Ordnung und ich könnte mich daran machen, meine Anträge zu stempeln. Die frühe Hitze spielte meinem Gehirn einfach einen Streich. So einleuchtend der Gedanke auch war, überdeckte er doch nicht die Unruhe, die mich mein pulsierendes Blut in den Adern spüren ließ.
Ich hantierte schon länger als nötig an der Teekanne herum und lauschte angestrengt, als sich plötzlich ein empörter Ausruf in tiefster Basslage zu mir hinauf schwang. „Ja, was ist denn das?“ Herr Leberecht war also da.
Ungeschickt stellte ich die Kanne auf den Schreibtisch und bemerkte kaum, dass mir etwas heißer Kamillentee über die Finger floss. Ich öffnete das Fenster einen Spalt und sofort erfüllte ein angespanntes Summen die Luft, wie die singenden Drähte einer Stromleitung.
Herr Leberecht hatte seine Aktenmappe an den Brunnenrand gelehnt und ging langsam um die Madonna herum, einen kleinen Notizblock in der linken, einen gezückten Kugelschreiber in der rechten Hand. Natürlich, sicher ergäbe das eine hübsche Geschichte für unsere Zeitung.
Doch was tat er denn jetzt?
Als prüfe er einen Gegenstand auf Echtheit oder Haltbarkeit, trat er dicht an die Madonna heran und zupfte an ihrem Gewand. Er berührte den Schleier mit den Fingerspitzen, tippte gegen die schimmernden Pailletten, und ein feines Klimpern tanzte in der Luft.
Die Madonna rührte sich nicht, ihre Augen blieben geschlossen, die betenden Hände zeigten in meine Richtung. Herr Leberecht trat einen Schritt zurück und stieß dabei den Becher um. Er schien es gar nicht zu bemerken, denn sein Stift flog über den Notizzettel.
Gerade zog Frau Gilde die Jalousien vor dem Auslagenfenster hoch, und von links betraten die Schulkinder den Marktplatz. Fast gleichzeitig trafen sie sich vor dem Brunnen. Frau Gilde eilte, so rasch es ihre Körperfülle und die steif gestärkte Schürze gestatteten, über das Kopfsteinpflaster, stemmte die Hände in die Hüften und tuschelte mit dem eifrig nickenden Redakteur. Die Schulkinder bildeten einen ordentlichen Halbkreis und einige steckten vor Verlegenheit den Daumen in den Mund. Nun trat Frau Gilde entschlossen vor. „Wer bist du?“, herrschte sie mit überschnappender Stimme die Madonna an. Sie beugte sich vor und ich sah von oben die große Schleife ihrer Schürze über dem ausladenden Hinterteil wippen.
„Kannst du nicht reden? Was willst du hier?“
Sie kreischte so empört, dass es mir in den Ohren wehtat
Von rechts eilte nun auch der schlanke, tadellos frisierte Herr Knorr herbei, ein Kamm schaute vorwitzig aus dem kurzen Frisörkittel heraus. „Sie bettelt, sie bettelt“, flötete er schon von weitem, „ich kenne das aus der Stadt.“ Er bückte sich und hob mit spitzen Fingern den Becher auf, der schon ziemlich eingeknickt aussah. Triumphierend hielt er ihn in die Höhe, mit zwei Fingern, damit er sich nicht beschmutzte. „Da steht es: ‚Starbucks coffee’! Das ist ein Kaffeebecher aus der Stadt, ich erkenne ihn wieder.“ Herr Leberecht nahm den Becher in Augenschein. „Tatsächlich. Doch was will sie mit dem Becher denn hier?“ Er recherchierte wie gewohnt sehr gründlich und Herr Knorr schien ein kompetenter Informant zu sein.
„Na, sie will, dass wir Geld hineintun. In der Stadt wimmelt es nur so von Starbucks Madonnen.“ Frau Gilde schlug mit der Hand auf den Brunnenrand und die Schulkinder rückten erschreckt zusammen. „So, da schwappt das Bettelvolk also schon zu uns herüber.“
Zornesbebend trat sie einen Schritt auf die Madonna zu. Auch Herr Knorr tänzelte leichtfüßig heran und prüfte ein Stück des Gewandes mit feingliedrigen Fingern. „Tand, billiger Tand ist das, weiter nichts“, lautete seine höhnische Bewertung, und Herr Leberecht zerdrückte langsam den Kaffeebecher, die knackenden Geräusche schmerzten in meinen Ohren. Frau Gilde scheuchte die Schulkinder auf. „Was gibt es noch zu gaffen? Ihr habt es doch gehört: Eine unverschämte Bettlerin ist das, weiter nichts! Und jetzt ab mit euch, los, los!“ Dabei walzte sie auf die Kinder zu und wedelte mit den Händen, als wolle sie Hühner in den Stall jagen. Bis auf ein blondbezopftes Mädchen wichen die Kinder erschreckt zurück, die Kleine starrte jedoch mit weit aufgerissenen Augen auf die Kniende und rief mit bebendem Stimmchen: „Aber sie schaut aus wie die Muttergottes in der Kirche!“

Und dann geschah das Wunder.
Der Satz der Kleinen lag noch in der Luft, da breitete die Madonna langsam ihre Arme aus. Der weiße Stoff floss auf den Boden hinab, unzählige Pailletten glitzerten blendend in der Sonne, als sie ihre betenden Hände öffnete und in einer allumfassenden Geste der Demut die Honoratioren unseres Städtchens in staunendes Schweigen versetzte.
Das kleine Mädchen fiel weinend auf die Knie und nach und nach taten es die anderen Kinder ihr gleich.
Gerade jetzt trat die Sonne endgültig in den Kreis über unseren Markt und ich sah, wie eine überirdisch schöne, gleißende Aura die Madonna umgab. Tränen flossen über meine Wangen, eine große Dankbarkeit erfüllte mein Herz, ich fühlte mich getröstet und reich beschenkt. Es ist möglich, dass ich sogar ein Gebet sprach, doch daran erinnere ich mich nicht mehr so genau.
Mit ausgebreiteten Armen kniete sie da, einladend, großzügig und verzeihend.
Herr Leberecht bemühte sich beschämt, den Becher wieder auszubeulen. Sein Block lag auf dem Boden, er schaute irritiert von den Kindern zu der Madonna und zurück. Herr Knorr wischte sich ein imaginäres Stäubchen von seinem Kittel und lächelte geziert. Frau Gilde trat von einem Bein auf das andere und schaukelte dabei bedenklich.
Ich klebte an der Fensterscheibe und konnte meinen Blick nicht von der lichtumflorten Gestalt abwenden. Eine solch tiefe Ergriffenheit, die mein Innerstes erschütterte, hatte ich seit Jahren nicht mehr gespürt. Dieser Tag würde mein Leben verändern, das war gewiss. Ich kannte weder die Richtung noch das Ausmaß, es war mir auch völlig egal, denn hier geschah etwas, dem ich mich einfach überlassen musste. Ich wäre so gerne einen Moment mit ihr allein gewesen, denn ich war mir sicher, dass sie dann die Augen geöffnet und vielleicht sogar die Arme schützend um mich gelegt hätte.
Die Tränen strömten über mein Gesicht und mein Blick verschleierte sich. Schemenhaft sah ich, dass das kleine Mädchen aufstand und in seine Rocktasche griff. Es förderte ein paar Münzen zutage und ließ sie klirrend in den Becher fallen. Anschließend bekreuzigte sie sich und trat einen Schritt zurück. Die anderen Kinder wurden plötzlich ebenfalls geschäftig und das Klimpern hörte sich an wie eine kleine Melodie.
Diese guten Kinder! Sie opferten ihr Kakaogeld mit Freuden der Madonna. Wie beschämend das für die Erwachsenen war! Jetzt stürzte sich Herr Leberecht auf seine Aktentasche, entnahm ihr die Geldbörse und ich sah, dass er einen zerknitterten Geldschein herauszog, den er gut sichtbar durch die Luft schwenkte, bevor er ihn im Becher versenkte.
„Werdet wie die Kinder und ihr werdet in das Himmelreich eingehen!“, rief er mit volltönender Stimme und betupfte sich die Augen mit einem blütenweißen Taschentuch.
Herr Knorr, der immer Kleingeld in seiner Kitteltasche hatte, nahm nun eine Handvoll Münzen heraus und ließ sie wie eine Kaskade in den Becher hinabfallen. Er vollführte eine elegante Verbeugung vor der Madonna und fuhr sich dann mit dem Kamm durch das Haar.
„Was ihr dem geringsten meiner Brüder tut…“, flötete er, legte die rechte Hand auf sein Herz schaute erwartungsvoll auf Frau Gilde, die noch immer schaukelte, doch nun einen Schluchzer aus ihrer gewaltigen Brust gen Himmel schickte und das Zitat vollendete: “…das habt ihr mir getan!“ Dann eilte sie in die Bäckerei und kam kurz danach mit einem riesigen Tablett voller frischer Zimtwecken zurück. Mit einer einladenden Geste bat sie die Anwesenden, deren Zahl sich beträchtlich vermehrt hatte, denn die Hausfrauen waren schon mit ihren Einkaufstaschen unterwegs, sich zu bedienen, während sie stöhnend vor der Madonna auf die Knie ging, einen Geldschein aus den Tiefen ihres Ausschnitts zog und den Becher weiter füllte.
Mittlerweile erkannte ich auch unseren Pfarrer unter den Menschen. In seiner schwarzen Soutane bahnte er sich den Weg zu Herrn Leberecht, ließ sich offensichtlich informieren, denn sie steckten die Köpfe zusammen und beide nickten hin und wieder, und der Herr Pfarrer strich sich nachdenklich ab und an über seinen grauen Bart.
Dann ging er gemessenen Schrittes zur Madonna, machte einen Kniefall und bekreuzigte sich. Als er sich danach zu den Menschen auf dem Marktplatz umdrehte, lud er alle mit bewegter Stimme zu einem Gottesdienst in die Kirche ein. Wie schön es doch wäre, jetzt gemeinsam dem Herrn Jesus dafür zu danken, dass er uns dieses strahlende Zeichen geschickt hat, (dabei hielt er seine Hand kurz über den Kopf der Madonna), damit wir uns wieder an Güte und Nächstenliebe erinnern und denen geben, die bedürftig sind.
Die Hausfrauen drängten sich alle noch nach vorn, wollten unbedingt ihr Scherflein los werden, es entstand ein kleiner Tumult, den die Madonna unbeweglich und strahlend überstand, und nach kurzer Zeit war der Marktplatz wie leer gefegt.
Jetzt war meine Gelegenheit gekommen! Ich stürzte zum Waschbecken, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, sah in den blinden Spiegel und dachte, dass es die Madonna sicher nicht störte, wenn sie meine verweinten Augen sähe. Aus meiner Geldbörse nahm ich noch rasch einen Schein, dann eilte ich Treppe hinunter, so schnell meine zittrigen Beine mich trugen. Die Kirchenglocken hatten zu läuten begonnen.

Der Marktplatz war leer.
Ungläubig starrte ich auf den Fleck am Brunnen, wo sie doch eben noch gekniet hatte und dessen Steine mir immer noch matt zu schimmern schienen.
Neptun sah lächelnd auf mich herab und die Fische zu seinen Füßen spien fröhlich ihre Wasserfontänen. Ich ging um den Brunnen herum, meine Augen suchten noch einmal den gesamten Marktplatz ab und entdeckten schließlich, in einer Mulde zwischen zwei Pflastersteinen, den Becher. Vorsichtig hob ich ihn auf und entdeckte auf seinem Grund noch eine Kupfermünze.
Sie hatte mir etwas zurück gelassen! Diese kleine Münze könnte ein Vermächtnis sein…an mich. Sollte ich ihren Auftrag, großzügig und liebevoll zu sein, fortsetzen? Sollte ich dafür sorgen, dass meine Mitmenschen nicht nur heute daran erinnert wurden, sondern immer und immer wieder, Tag für Tag?
Ich schaute auf das Bild, das kreisrund auf den Becher gedruckt war. Eine lächelnde Frau mit einer Krone auf dem Kopf, und der Schriftzug ‚starbucks coffee’ erschien mir wie eine weltliche Tarnung für einen höheren Auftrag.
Ich hatte das Zeichen erkannt. Dankbar schaute ich hinauf in den strahlendblauen Himmel und trug den Becher wie ein Kleinod in mein Büro.
Den Bürgern meiner Stadt habe ich erzählt, dass ich gesehen hätte, wie die Madonna in den Himmel entschwebt ist, und ich glaube fest, dass es genau so geschah, als ich gerade die Treppen hinab lief. Der Becher mit dem Konterfei der gekrönten Frau, symbolisiert ihren Auftrag an mich.
Mein Ansehen, das auch vorher kein geringes war, ist gewaltig gestiegen. Herr Leberecht hat noch am gleichen Tag ein Interview mit mir gemacht und die Geschichte dann am nächsten Tag in die Zeitung gebracht. Der Titel lautete: „Unser gewissenhafter Beamter verwaltet ein Vermächtnis der Vorsehung“. Die Auflage war im Nu vergriffen und es mussten tausend Zeitungen nachgedruckt werden. Der Redakteur war mehr als zufrieden.
Frau Gilde verkauft in diesen Tagen so viele Zimtwecken wie noch nie, denn ihre Bäckerei wurde zum Treff der Madonnenanhänger und man herzt und umarmt sich zur täglichen Begrüßung. Auch der Pfarrer freut sich über eine gut gefüllte Kirche, den kräftigen Gesang der Marienlieder und den vollen Opferstock.
Herr Knorr kreierte eine neue Frisur: Die Damen unserer Gemeinde tragen nun fast alle einen Mittelscheitel und lassen ihr Haar wachsen. Bis es lang ist, muss Herr Knorr es regelmäßig nachschneiden und mit einem besonderen Haarlack sorgt er für den himmlischen Glanz.
Was mich betrifft, so steht der Becher auf einer gehäkelten Unterlage auf meinem Schreibtisch. Wenn jemand kommt, um über seinen Antrag Auskunft zu erhalten, fällt nicht selten ein Geldstück hinein. Natürlich bin ich gewissenhaft und unbestechlich wie immer, doch es hat sich etwas Liebliches, Herzwarmes in mein Gemüt geschlichen und meine Sichtweise ein wenig verändert. So mag es sein, dass der eine oder andere Antrag aus dieser neuen Perspektive gesehen und beschieden wird. Meist ist es so, dass das Geld erst nach sanftmütiger Darlegung meiner Begründung, als dankbare Spende, im Madonnenbecher klimpert.
Eine gewagte Überlegung lässt mein Herz heute schneller schlagen: Vielleicht fahre ich in die Stadt, wenn der Becher voll ist. Ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, dass ich sie vielleicht wiedertreffen könnte, ja, eigentlich bin ich mir sicher, dass eine von ihnen dort auf mich wartet.

 

Hallo Jutta,

Es ist überschaubar, ordentlich und vorhersehbar.
Da fehlt die Pointe, das ist eine klassische Geschichteneinleitung. Ein erster „Jetzt kommt was“-Satz und dann die Präzisierung.
Also: Am liebsten würde ich meine Mutter erwürgen, aber dazu müsste ich sie ja anfassen.
Oder: Ich hätte ihn schon am Sonntag erschossen, aber ich wollte ihm den Tag des Herren nicht verderben.
Bei dir fehlt der zweite Teil.
Und das doppelte „bar“ ist auch nicht sehr schön.

Ausgewogenheit gibt mir ein Gefühl von Zufriedenheit und das Abendbier schmeckt einfach besser.
Man wird mich wieder beschimpfen, aber: Weiblicher Autorenname – Weibliche Ich-Erzählerin! Wenn nicht, dann sofort klarstellen! Nicht nach zwei Absätzen Zweifel säen! Furchtbare Angewohnheit! Gilt für Männer genau so.
Ich hör schon wieder alle schreien: Aber, aber die Gleichberechtigung. Wurscht, Leseverhalten zählt.

seltsame Unruhe, eine unbekannte Erwartung, die mich mein pulsierendes Blut
Bisschen auf Adjektive aufpassen, die ersten beiden Standard-Dinger sind überflüssig und rauben dem „pulsieren“ jede Kraft.

gut sichtbar durch die Luft schwenkte, bevor er ihn im Becher versenkte.
Sehr gut.

„Werdet wie die Kinder und ihr werdet in das Himmelreich eingehen!“, rief er mit volltönender Stimme und betupfte sich die Augen mit einem blütenweißen Taschentuch.
Herr Knorr, der immer Kleingeld in seiner Kitteltasche hatte, nahm nun eine Handvoll Münzen heraus und ließ sie wie eine Kaskade in den Becher hinabfallen. Er vollführte eine elegante Verbeugung vor der Madonna und fuhr sich dann mit dem Kamm durch das Haar.
„Was ihr dem geringsten meiner Brüder tut…“, flötete er, legte die rechte Hand auf sein Herz schaute erwartungsvoll auf Frau Gilde, die noch immer schaukelte, doch nun einen Schluchzer aus ihrer gewaltigen Brust gen Himmel schickte und das Zitat vollendete: “…das habt ihr mir getan!“ Dann eilte sie in die Bäckerei und kam kurz danach mit einem riesigen Tablett voller frischer Zimtwecken zurück.
Das ist alles richtig Klasse.

Der Anfang ist furchtbar zäh, da schmierst du razige Butter aufs Brot, noch und nöcher. Ja, es ist tranig. Ja, es ist harmonisch. Ja, es ist irgendwie mittelalterlich. Das kriegt man mit, auch in der Hälfte der Zeilen. Man kann doch auch mal Langeweile spannend zeigen.
Bis es dann zu dieser CSU-Bigotterie am Ende kommt, dann macht das natürlich Spaß. Wie da jeder bekehrt wird, die Unschuld des Kindes! Hach, und jeder profitiert natürlich noch davon. Dafür hat sich die Geschichte dann gelohnt, auch weil halt jeder die Parabel sehen kann und die Geschichte so tief lesen kann, wie er denn möchte.
Ob Starbucks und die Madonna nicht vielleicht doch nur zwei Seiten einer Medaille namens „Sehnsucht“ sind. Ob die ganze Scharade ein PR-Gag ist. Ob die Verwebung von Kirche und Staat nicht doch eine Anspielung auf die CSU ist. ;)
Also die heilige Dreifaltigkeit hier, Lehrerin, Reporter, Pfarrer macht schon Spaß, mit dem Beamten als Evangelisten dann praktisch.
War schon eine schöne Geschichte, nur den Anfang … bitte, kürzen oder spannender machen.
Klasse Titel übrigens.

Quinn

 

Danke Quinn,
habe ein bisschen gekürzt, Adjektive entsorgt und den P. kenntlich gemacht. Schön, dass das Angestaubte, Anachronistische spürbar wird. 'Spannender machen' ist bei dem gekürzten Anfang wohl nicht mehr so nötig, ich denke, es macht die Geschichte auch aus, dass sie nicht direkt mit einem Knaller anfängt. Ist eben ein langweiliges Provinznest. Freue mich auch über deine ganzen Assoziationen, da kann schon was dran sein...
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta Ouwens,

aufs erste Lesen hats mir wunderbar gefallen, auch aufs zweite und dritte ... Sauerei, das diese Geschichte mit einer Antwort nach unten rutscht!

Das Gesicht auf den Starbucks-Bechern hatte ich immer für eine Meerjungfrau gehalten. So schnell wird aus der Starbucks-Sirene eine Starbucks-Madonna, da mag man fast an Maria Magdalena denken :D.

Einziger Absinthtropfen: die Personen.

Sie wirken auf mich klischeehaft, wegen Sätzen wie dieser:

Doch meine Fantasie reichte lediglich aus, mir ab und zu eine gewagt bunte Krawatte zu kaufen, deren leuchtende Farben mit meinem dunkelblauen Büroabzug kontrastierten.
Ist eine derart fantasielose Person zu solcher Selbstreflexion fähig? Aber gut, dazwischen lag das Madonnenwunder ;).
und die jungen Menschen noch ungeschminkt und höflich sind
und dabei streng auf journalistische Unparteilichkeit achtet. Herr Leberecht lobt regelmäßig die Rechtschaffenheit unserer Bürger, die, so verkündet er gerne
Lebe-recht verkündet rechtschaffenes Leben - na schön.
Frau Gilde eilte, so rasch es ihre Körperfülle und die steif gestärkte Schürze gestatteten
Wenigstens keine Kittelschürze.

Dazu die penetrante Betonung von "der Stadt" als dem sündhaften Babel, Brutstätte der Verwerflichkit und Quelle von Bettlern und Pappbechern, mit der man selten genug zu tun hat, um stolz darauf verweisen zu können, mal dort gewesen zu sein.

Ich bin mir nicht ganz schlüssig, hier ein missglückter Versuch vorliegt, provinzielles Denken widerzugeben, oder ob Du die Personen bewusst überzeichnet hast. Dann würde ich den Text mehr als eine Satire auf eine moderne Marienbettlerhimmelsköniginnenerscheinung ansehen, und fände die entsprechende Rubrik passender.

Aber das ist nur meine pesönliche Meinung, zudem, das einzige Wimperchen, das ich in der Gulaschkanone gefunden habe.

In stiller Vorfreude auf mehr Ouwens,

Pardus

 

Hallo Pardus,
danke für deine Antwort. Gesehen habe ich eine solche "Madonna" mitten in Bremen, mit einem Starbucks Becher. Mir kam dann die Idee, das Ganze in eine verschnarchte Provinz zu verlegen, Vorurteile und Aberglaube gegeneinander antreten zu lassen, gemischt mit einem Schuß Bauernschläue. Vielleicht wäre die Rubrik Satire besser gewesen, obwohl sich doch jeder auch so seine Meinung machen kann.
LG,
Jutta

 

Hi Jutta,

den Einstieg in die Geschichte fand ich auch etwas schwerfällig, da hätte ich mir mehr von der leichtfüßigen Ironie des zweiten Teils gewünscht. Ansonsten allgemein erdig, narrativ geschrieben, angenehm. Auf die Auflösung zum Schluss hätte ich gern verzichtet - das wurde zum Einen schon angedeutet, zum Andern "macht" sie den Schluss "zu". Möglich wäre noch, dass Touristen kommen - der Aspekt fehlt mir, dass sich die Stadt dann als Wallfahrtsort verkauft.

Als prüfe er einen Gegenstand auf Echtheit oder Haltbarkeit, trat er dicht an die Madonna heran und zupfte an ihrem Gewand.
Das tut er doch, oder? Weglassen.

Gruß
Kasimir

 

hallo Kasimir,
dabei hast Du schon den geänderten Anfang gelesen, nachdem Quinn den ersten Anfang mit "ranziger Butter" verglichen hatte!! Tja, den Schluß könnte ich natürlich vielfältig verändern, dabei ist das Klischee mit dem Wallfahrtsort schon echt abgegriffen, wie ich meine. Offensichtlich ist aber meine Absicht, die Bauernschläue des Erzählers zu verdeutlichen, nicht rübergekommen. Irgendwie hat es was mit dem Transportieren von Ironie zu tun, das merke ich gerade. Dir vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
LG,
Jutta

Hallo, Are-Efen,
bin gespannt, was Du meinst. Habe eine winzige Ahnung. aber mehr noch nicht.
Vielen Dank!
LG,
Jutta

 

"Tränen flossen über meine Wangen, eine große Dankbarkeit erfüllte mein Herz, ich fühlte mich getröstet und reich beschenkt. Es ist möglich, dass ich sogar ein Gebet sprach, doch daran erinnere ich mich nicht mehr so genau", aber ich.

Hallo Jutta,

mir gefällt's und der Text zeigt Mechanismen auf, wie bekloppt nicht nur die Leute des beschriebenen Ortes sind. Und weil ich auch Kleinbürger mit einer Kleinkrämerseele bin, einige kleinere Anmerkungen:

Du deregulierst die Grammatik, indem "ß" und doppel-"s" gelegentlich richtig, aber zu Anfang nicht gerade abenteuerlich (widerspräche auch dem beschriebenen Geschehen), aber immerhin verwegen verwendet werden z. B.

"verläßlich" und "Zufahrtsstrasse".

Dann ein Flüchtigkeitsfehler "mit meinem dunkelblauen Büroabzug", wo ich eher zu einem "Anzug" neige und - eigentlich - erwarte.

Am Ende des ersten Drittels herrscht Frau Gilde die Madonna an "wer bist du?" und vergisst ein Komma in all ihrer Ordentlichkeit, und ebenfalls vergisst sie den Artikel " ... eilte ich Treppe hinunter ...", eher den bestimmten als dem unbestimmten, denn einige Zeilen später ist er da.

Dann sind zwo "e"s entbehrlich: zum einen in dem Ausdruck "Knieende", wodurch nämlich ein Ende des Knies entsteht (Knie-Ende) und kurz vor Schluss sah Neptun lächelnd herab "und die Fische zu seinen Füßen spieen fröhlich ..." Sie spien einfach.

Der Gebrauch der "würde"-Konstruktionen fällt mir auf (könnt's anders sein?):

"Ich betrat mein Büro und hängte meine hellgraue Sommerjacke an den Türhaken, im Kopf ging mir herum, dass ich heute sicher einige Anträge ablehnen würde, schließlich ging es um eine ausgewogene Bearbeitung,
..." Warum Konjunktiv und nicht einfach "werde", er ist sich doch sicher, - dass er nachher milde und wohltätig gestimmt ist, weiß er ja noch gar nicht. Erst dadurch kämen, ähm, kommen Zweifel auf. Ähnliches gilt für die folgende Passage: ""Noch war der Marktplatz unbelebt, doch in fünf Minuten würde die Bäckersfrau den Laden öffnen, Herr Knorr seinen Frisiersalon aufschließen und Herr Leberecht mit der Aktenmappe um die Ecke kommen." Und: ""Dieser Tag würde mein Leben verändern, das war gewiss." Trotz geringen Zweifels: hat der Tag ihn nicht schon verändert?

"Ich zog mich an der Schreibtischkante entlang zu meinem Stuhl, presste die Stirn gegen die Scheibe und erwartete, dass sich das Bild jeden Moment auflösen würde." "...auflöste" ist vielleicht besser.

Eine gelungene Geschichte ist das, zu der man nur gratulieren kann und Sätze hängen in der Luft, beginnen zu tanzen.

"Ausgewogenheit gibt mir ein Gefühl von Zufriedenheit und das Abendbier schmeckt einfach besser." Darauf werd ich mir ein' trinken, nicht ohne meine Neugier kundzutun, was Are entdecken wird.

Gruß

Friedel

 

Hallo Friedel,
was für ein Elend mit der Rechtschreibung!!! Mit ß und ss und den Knien; aber der Büroabug war doch echt gut, oder? (Habe ich natürlich extra gemacht...) Ich danke Dir herzlich für die genaue Lesart und jetzt, wo alles hoffentlich ausgewogen ist, zisch Dir mal noch ein Bierchen...
LG,
Jutta
P.S. Hast wohl wieder einen eigenen Netzzugang, gelle?

 

Hallo Jutta!

Ja, die Leute wissen nicht, sollen sie ihren langweiligen Alltag mit Empörung oder mit Wunderglauben aufpeppen. Es ist auf jeden Fall eine Satire, da passen auch die klischeehaften Figuren gut dazu. Ein bisschen bieder erzählt ist es schon. Da und dort hätte das etwas gebrochen werden sollen, selbst wenn es aus der Perspektive des braven Beamten erzählt wird. Es hätte der Wahnsinn und die Fragilität dieser wohlgeordneten Welt ein wenig mehr akzentuiert werden können. Es gibt aber auch einen riesigen Haken bei der Geschichte, und zwar der Aufbruch in die Kirche. Es ist absolut unglaubwürdig, dass die diese Madonna allein gelassen hätten. Aber du brauchst das natürlich, denn eine Madonna, die ihren Becher nimmt und ganz normal weggeht, würde sich natürlich schnell selbst entlarven. ;)

Aber im Ganzen war es natürlich eine nette, unterhaltsame Geschichte! :)

ordentlich und verläßlich
einen hab ich noch: verlässlich ;)
und stellte mir vor wie es wäre
Komma: vor, wie ...
doch in fünf Minuten wird die Bäckersfrau den Laden öffnen,
Konjunktiv: würde
die jeden Moment quer über den Marktplatz zum Schulgebäude gehen
gehen würden

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea,
ja, der Kirchgang ist nötig, damit die madonna verschwinden und ihre Magie bestehen bleiben kann. Ich hatte mir erst überlegt, den Beamten alles beobachten zu lassen, doch dann hätte m.M. die Überzeichnung gelitten, allerdings werde ich für folgende Geschichten noch einmal das "Biedere" überdenken. Die Konjunktive hatte ich extra rausgenommen, da der P. genau weiß, dass die Bäckersfrau den Laden öffnen wird und die Kinder über den Platz gehen werden. Danke Dir herzlich,
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

nix zu danken. Das mit der Rechtschreibung ist doch ganz normal bei einem Text dieses Formats. Schwächen der genannten Art werden durch Stärken anderer Art aufgehoben, dass sie an sich zu vernachlässigen wären (darum hat vorher sich auch keiner so recht getraut ...)

Bierchen noch am gleichen Tach bei einem vorgezogenen Dinner 4 1 gezischt (Einbecker, Urbock, dunkel, 'n bisschen stärker als üblicherweise). Und um auch noch die letzte Frage implizit zu beantworten

Gruß aus'm Internetcafe

Friedel

 

Hallo Jutta,

die Geschichte ist ausgezeichnet geschrieben, die Figuren wirken auf liebevolle Weise satirisch, fast ein wenig altmodisch, als wären sie aus einem älteren Film. Es macht Spaß, deinen Ausführungen zu folgen, hinter dem das Augenzwinkern wie eine Sonne aufgeht und einem zum Lächeln bringt, über so viel Mensch. Gern gelesen und verdientermaßen empfohlen!

Rick

 

Liebe Jutta,
wieder eine Geschichte zum Dahinschmelzen. Schön, dass Rick sie aus den Tiefen hervorgeholt und "belohnt" hat. Herzlichen Glückwunsch!

Man taucht ein in das kleinbürgerliche Spießertum einer kleinen Stadt mit ihren herrlich schrulligen Bewohnern. Ich finde die Überzeichnung der Charaktere hinreißend schön.
Deine Frau Gilde hat mich irgendwie an Frau Waas aus Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer erinnert, die pummelige Übermutter der Gemeinde.

Die Idee, am Ende aus der miefigen Kleinstadt einen Madonnen-Wallfahrtsort zu machen, finde ich übrigens super. Das wäre ein glänzender Abschluss, aber natürlich Deine Entscheidung. Mir hat's auch so gefallen.

LG
Giraffe.

 

Hallo Jutta

... für ein Märchen war es zu "absichtlich" romantisch - es dauert und dauert und fast jede Kameraeinstellung wird ordentlich "ausgewalzt". Das ermüdet und killt die Phantasie des Lesers, zumindst die meine. Dann wird jeder Absatz, jede Episode so detailiert mit Phrasen und Metaphern bedient, dass sich die Geschichte immer mehr zu einer Ansammlung kurioser Satzhülsen entwickelt. Schulkinder - heutzutage so "artig"? Der Sinneswandel der "Gaffer" - sie treten an mit Gespött und Abneigung und plötzlich ändern sie sich in vorbildliche Christen? Ein echter Schenkelklopfer.
Ich lese zwischen den Zeilen; was Du sagen willst, aber die Verpackung irritiert! Beispiel:
Eine solch tiefe Ergriffenheit, die mein Innerstes erschütterte, hatte ich seit Jahren nicht mehr gespürt.
... und steht am Fenster und gafft und kommt dann noch zu spät - aber dann überschlägt sich Dein Eifer:
Ich hatte das Zeichen erkannt. Dankbar schaute ich hinauf in den strahlendblauen Himmel und trug den Becher wie ein Kleinod in mein Büro.
Den Bürgern meiner Stadt habe ich erzählt, dass ich gesehen hätte, wie die Madonna in den Himmel entschwebt ist, und ich glaube fest, dass es genau so geschah, als ich gerade die Treppen hinab lief. Der Becher mit dem Konterfei der gekrönten Frau, symbolisiert ihren Auftrag an mich.
Mein Ansehen, das auch vorher kein geringes war, ist gewaltig gestiegen. Herr Leberecht hat noch am gleichen Tag ein Interview mit mir gemacht und die Geschichte dann am nächsten Tag in die Zeitung gebracht. Der Titel lautete: „Unser gewissenhafter Beamter verwaltet ein Vermächtnis der Vorsehung“. Die Auflage war im Nu vergriffen und es mussten tausend Zeitungen nachgedruckt werden. Der Redakteur war mehr als zufrieden.

... der Beamte hat´s einfach nicht geschnallt - übertreibt, dichtet der Wahrheit etwas hinzu und das Ansehen und die Auflage steigen brustgeschwellt. Soll hier auf die Fehlbarkeit des Christentums hingewiesen oder einfach nur eine menschliche Schwäche aufgezeigt werden? Wenn es nicht so antiquiert daher käme, wäre dem eine komische Seite abzugewinnen. Aber die Komik lebt wieder von einer anderen Feder und war hier nicht zu erkennen.
Tut mir Leid, dass ich so harsch bin, aber eine Geschichte, die empfohlen wird, muss andere Parameter aushalten können; aber das tut sie nicht - wie gesagt: nach meinem Empfinden ist es ein etwas "verstaubtes" Märchen mit Satire-Touch, einem seltsam verbogenen Ende, aber einem gelungenen Titel. Und wenn das jetzt Schule macht mit den Starbucks-Bechern?
Liebe Grüße
Detlev

 

Hallo Rick,
vielen dank fürs Hervorholen und die schöne Rückmeldung, habe mich sehr gefreut.
LG, Jutta

Hallo Giraffe,
ebenfalls ein Dankeschön, besonders für den Vergleich mit Jim Knopf und Frau Waas. Allerdings sind meine Prots ja nicht so durch und durch menschen freundlich...
LG,
Jutta

Hallo Detlev,
klar, ich kann deine Argumente gut nachvollziehen. Die Geschichte war als ironischer Seitenhieb auf die Heilsgläubigkeit gedacht. Die, die glauben (wollen), und die, die daran verdienen. Die altmodische Szenerie habe ich schon bewusst gewählt. Jetzt habe ich mich seit längerer Zeit gar nicht mehr mit der Geschichte beschäftigt, werde mir deine Argumente auf jeden Fall noch einmal genauer ansehen. Herzlichen Dank für deine Anregungen.
LG,
Jutta

 

Diese Story kommt erstmal auf meine Liste zum Ausdrucken, wenn ich die Gelegenheit habe. Am Bildschirm lesen geht gar nicht.

 

Hallo Quinn,
ich finde deine Kritik "Da fehlt die Pointe, das ist eine klassische Geschichteneinleitung. Ein erster „Jetzt kommt was“-Satz und dann die Präzisierung.
Also: Am liebsten würde ich meine Mutter erwürgen, aber dazu müsste ich sie ja anfassen." völlig unberechtigt. Nicht jede Geschichte fängt mit einem Versprechen auf einen Knaller an. Im Gegenteil, durch den besinnlichen Anfang wird die Spannung und Atmosphäre erst so richtig schön aufgebaut, so nach dem Motto: "was soll in dieser miefigen Kleinstadt denn schon passieren?" das ist ja auch direkt thematisiert. Ich stimme mit dir überein, dass die Passage mit der heiligen Wandlung der unheiligen Kleinbürger durch die Unschuld der Kinder und den ganzen Bibelzitaten sehr genial ist, "klasse" eben. Überhaupt finde ich die Idee der Geschichte super. Ich habe sie gern und mit Spannung gelesen, und ich würde sie so lassen, wie sie ist, ohne den Ort noch zum wallfahrtsort zu stilisieren. Die Wandlung des beamten zB ist ja so tiefgreifend, dass er sogar überlegt "in die Stadt" zu fahren! Wenn das nicht eine Wandlung ist! dieses offene Ende liebe ich natürlich wieder...

Gratulation, Jutta, zu dieser wirklich schönen, gelungenen Geschichte!

LG venusBonn

 

Hallo Leif,
wir sprechen uns dann hoffnetlich noch mal nach dem Ausdrucken, gelle?
LG, Jutta

Hallo venusBonn,
vielen Dank für den wohlwollenden Kommentar. Ist es nicht spannend, wie unterschiedlich Texte wahrgenommen und verstanden werden? Ich freue mich über die verschiedenen Lesarten, die neuen Impulse. Gruß nach Bonn,
Jutta

 

Hallo Jutta!
Eine Geschichte, so ganz anders als ich sie schreibe, aber wunderschön. Zunächst fragte ich mich, ob mir die Handlung gefällt, doch dann rutschte ich irgendwie in sie hinein, war mittendrin, sah das alles, roch es, die Provinz, das kleingeistige Spießertum, die Intoleranz. Kann sein, dass die Figuren einem Klischee entsprechen, aber hat nicht jedes Klischee seine Berechtigung? Insofern ist es mir egal. Ich fand es treffend. Und es ist so wie du schreibst. Man trifft sie überall, die Madonnen. Man muss nur die Augen offen halten, die Augen und das Herz.
Gruß machaczek

 

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