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Staubsaugerrohr

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05.11.2005
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Staubsaugerrohr

„Ich hab beim Jugendamt angerufen…“
Es war eher kalt als warm, eher Nacht als Tag, es war alles ziemlich… mittel… undefinierbar, nicht allzu fein, eher schlecht, es passte nicht. Wir liefen an hübschen Neureichenbauten vorbei durch die Viktoriastraße und ich machte mir bereits zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken mehr darüber, was genau uns eigentlich hier hinlaufen lassen hatte. Mary wollte mit mir reden, allerdings nur weil ich mal mit ihr hatte reden wollen, prinzipiell war genau das der Grund dafür, dass mir alles ziemlich gegensätzlich vorkam: Das Wetter passte ja eh nicht. Genauso wenig wie die komplette Situation.
„Und?“
„Was und?“
„Du hast gesagt, du hast beim Jugendamt angerufen…“
Es passte nicht zu ihr, mir zu helfen, vor allem passte es nicht zu ihr, mir auf eine Weise zu helfen, die mir was bringen würde. Sie guckte mich an und ich fiel in ihre ekelhaft hellblauen Augen, ohne dass ich mich irgendwo festkrallen konnte um mir noch den letzten kleinen Funken unseres normalen Verhältnisses aufzuheben. Eingepackt in rosa Geschenkband, hinter 10zentimeter dickem Stahl, sodass niemand außer uns beiden drankam. Sie war spießig und klein und teilweise ein bisschen dumm, dümmer als ich und das, obwohl ich rein theoretisch 5 Jahre jünger war. Mir ging’s nicht gut, mir ging’s so scheiße, dass ich nicht mal mehr weinen konnte.
„Die helfen nur richtigen Härtefällen, Drogenmenschen und so.“, sagte sie dann irgendwann. Und zwar so, dass ich feststellte, dass sie definitiv zu dumm war für alles.
„Und was heißt das?“
„Das heißt, dass dein Papa dich behalten kann wenn er das Sorgerecht kriegt.“
„Ich komm nicht klar mit ihm.“.
„Aber das kann das Jugendamt nich finanzieren Ida, das geht nicht, da musst du selbst schaffen, es kommen so viele nicht klar mit ihren Eltern.“
„Ich hab keine eltern mehr.“
„Du hast noch nen Vater.“
„Und was soll ich machen jetzt bitte machen?“
Wir blieben vor einer kleinen, süßen Bank stehen, einer von denen, die in Neureichenbautenbezirken ja unendlich oft anzutreffen sind, Mary wusste nicht genau ob es ok war sich hinzusetzen, ich sah es in ihrem Gesicht, sie kannte mich zu wenig um irgendwas einfach so zu machen. Wir guckten uns an und wussten, dass der Andere genau das Gleiche dachte, dass sich der Andere genau wie man selbst fragte, wie es denn jetzt eigentlich weitergehen sollte. Ich ließ sie den Anfang machen mit dem Hinsetzen, ich war schließlich das kleine Blag, dem geholfen werden musste, und sollte somit nicht unbedingt ein Problem damit haben, Mary entscheiden zu lassen, was zu tun war. Es war ein so kleines unelementares Ding und dauerte ungefähr 2 Sekunden, 2 Sekunden zu viel, 2 Sekunden die zeigten, dass sie die Falsche war.
Immerhin, es hatte gestern angefangen zu regnen und es regnete IMMER NOCH. Nicht schon wieder, sondern immer noch, es war aber so ein schlimmer Fisselregen, bei dem man nicht genau weiß, was er eigentlich soll; es war grau, aber hellgrau. Nicht richtig abgrundtief schlechtes Wetter, aber eher zum Schlechten hintendierend, was ja sowieso das Schlimmste ist. Ekelhaft. Insofern passte es also irgendwie doch. „Mh.“ Sie guckte mich an, ich wich ihrem Blick aus, das MH, das sie macht in Situationen, in denen sie keinen Bock hat was anderes zu sagen, hört sich immer so abweisend und unbeholfen an und gibt einem das Gefühl, dass man in einer Situation ohne Ausweg steckt.
„Ich weiß es nicht.“
Der Fisselregen wurd mir langsam egal...
„Ich weiß es ehrlich nicht, Ida. Vielleicht musst du zu ner Therapie oder so, die Leute da sind für so was ja ausgebildet.“
… Der Eimer Wasser, der soeben über meinem Kopf ausgeschüttet wurde, nicht.
„Du weißt nicht was du da redest, Mary…“
„Oh doch, und ich glaube, es ist das Beste für dich.“
Für so was wie mich. Nicht so halbherzig. Du verstehst nichts. Du verstehst nicht, dass ich nicht die Treppe runter gefallen bin und du verstehst nicht, dass Psychologen arbeiten anstatt zu helfen.
„Ich glaub bestimmt nicht, dass es das Beste für mich ist.“
Sie könnten mir Weinen beibringen, damit du siehst wie schlecht es mir geht. Damit DU mir hilfst.
„Ist auch egal, du musst dich darum nicht kümmern.“
„Doch, das muss ich, ich kenn dich jetzt schon relativ lange und ich will nicht sehen wies weiter bergab geht mit dir… Ich bin deine Trainerin und ich bin verpflichtet dazu.“
„Aber es bringt doch nichts.“
„Warum hast du geweint vorgestern?“
Die Frage erinnerte mich an zwei Dinge: Daran, dass ich doch noch weinen konnte. Und daran, dass ich wollte, dass sie sich um mich kümmert.
„Ist nicht so wichtig.“
„Wegen deiner Mama?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Hattet ihr Streit?“
Mein Vater und ich? Ja. Ich schüttelte den Kopf.
„War es wegen deinem Arm?“
Vielleicht hat sie es doch verstanden. Ich schüttelte den Kopf.
„Ist irgendwas passiert?“
Viel. Kopfschütteln.
„Mh...Mh mh mh…Du musst sagen was los ist, sonst kann ich dir doch nicht helfen.“
Ich wusste nicht, wie sie mir überhaupt helfen konnte, einfach, indem sie jemand war, dem ich wichtig war, Genaueres war schwer zu erklären bzw. überhaupt nicht auch nur ansatzweise in Worte zu fassen, mir fehlte was. Es tut weh, Sachen zu vermissen und genau zu wissen, dass sie nie wiederkommen, nie, auf keinen Fall, sie sind einfach weg und mit ihnen all das hübsche Zeug das man mit ihnen in Verbindung bringt. Vermissen tut weh, egal was, Menschen zu vermissen ist jedoch am schlimmsten. Der Tod von Anderen ist grausamer als der Eigene. Ich wusste, dass ich sie nie wieder sehen würde und um bei dem Gedanken nicht verrückt zu werden, wollte ich einfach nur, dass mich jemand festhält.
„Ida. Du hast gesagt, du bist nicht die Treppe runter gefallen.“
Der Fisselregen entwickelte sich so langsam zu einem kleinen, feinen Regensturm und ich musste an einen 80000jahrealten Echt-Song denken, an den mit dem Typ, der nicht weiß ob der Tropfen auf der Nase seiner Freundin eine Träne oder bloß ganz banaler Regen ist. „Nein. Ich bin nicht die Treppe runter gefallen.“ „So, dann sag jetzt mal bitte was wirklich passiert ist…“ Sie wollte es nicht wissen, das war mir irgendwie klar, sie wollte bloß so schnell wie möglich was machen um nicht mehr diejenige zu sein, die alles erfahren muss.
„Es ist egal.“
„Hör auf, das ist nicht egal, erzähl es bitte! Warum sonst ist dein Arm so blau? Hat dein Papa irgendwas mit dir gemacht oder was?“
Ja.
„Nein.“
„Und was ist dann das Problem? Ich sag doch, Psychologen sind ausgebildet für so was…“…für so was…“Die helfen dir besser klar zu kommen mit deinem Vater.“
„Wenn’s nur psychisch wär…“
„Du hast doch gesagt, er hat dir nichts getan.“
Stille. 3 Seiten lang. Es schien ein bisschen dunkler zu werden. Und das erinnerte mich an was. Daran, wie es ist, den ganzen Tag im Bett zu liegen, weil man Angst vorm Aufstehen hat, davor, was einen erwartet wenn man als achtjähriges Mädchen in die Küche stapft um sich Kakao zu machen. Deswegen den ganzen Tag hellwach im bett zu liegen und nach draußen zugucken, um mitzukriegen, wann es endlich dunkel wird, wann der Tag endlich vorbeigeht und man in Sicherheit ist. Noch einmal schlafen und sie ist wieder normal. Dann tut sie nichts mehr, dann tut sie dir nicht mehr weh, sie hat dich ja lieb.
Mir war das lieber als der ganze Scheiß, der im Moment ablief. Mir war SIE lieber als ER, und mir waren Ohrfeigen lieber als Staubsaugerrohre. Sie war tot und er war da, sie war ihm egal, ich nicht, ich lebte noch, sie nicht mehr. Wut auf zwei an einem einzigen Menschen auslassen. Vielleicht so gar Wut auf achtzig. So war es mir vorgekommen, als er das erste Mal ausgeholt hatte. Und es war dunkel. Ich hatte es nur gespürt. Ich spürte es immer noch, immer wenn ich daran dachte, immer wenn ich mich anguckte und immer wenn mich andere anguckten, um sich dann letztendlich doch nur mit der Treppengeschichte zufrieden zu geben.
„Ach Ida…“
„Wieviel Uhr ist es?“
„Spät. Sollen wir mal langsam gehen?“ Hübsche Idee, eventuell so gar bester Weg um sich aus der Situation raus zu schleichen.
„Ja.“
„Okay.“
Mir wurd ein bisschen schlecht.
„Ich bring dich dann nach Hause"

 

Hallo Tanzkind, ich habe deine Geschichte gelesen und finde sie sehr authentisch. Mir gefällt besonders die Verbindung von Stimmung und Wetter. Ist dir gut gelungen, Kompliment.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tanzkind,

du quälst uns mit der Ambivalenz deiner Protagonistin ähnlich, wie diese es mit ihrer Trainerin tut.
Das meine ich positiv, denn das Spannungsfeld zwischen Hilfe wollen und nicht vertrauen können machst du damit sehr authentisch klar.
Die Trainerin müsste schon hellsehen können, wenn sie der Prot Ida die Hilfe geben sollte, die diese erwartet. So lässt deine Prot ihr keine Chance und macht ihr das auch noch zum Vorwurf. Leider ein übliches und nur allzu verständliches Verhalten traumatisierter Kinder.
Ich musste deine Geschichte mehrmals lesen, da ich in der Erzählstruktur aus Dialog, aus den gegenteiligen Gedanken der Prot dazu und Handlungsfortschritten oft durch einander gekommen bin. Da wäre es sicherlich hilfreich gewesen, wenn du die Gedanken kursiv gesetzt hättest.
Weitere Details:

"Ich hab beim Jugendamt angerufen…"
angerufen ... (Leerzeichen, das gilt für alle dieser Auslassungspunkte, auch wenn die RS von Word das anders sagt)
Sie guckte mich an und ich fiel in ihre ekelhaft hellblauen Augen, ohne dass ich mich irgendwo festkrallen konnte um mir noch den letzten kleinen Funken unseres normalen Verhältnisses aufzuheben.
zweites Komma nach "konnte"
Eingepackt in rosa Geschenkband, hinter 10zentimeter dickem Stahl, sodass niemand außer uns beiden drankam.
zehn Zentimeter (und selbst wenn du die Zehn ausschreibst, was man in Belletristik nicht tut, wenigstens ein Leerzeichen)
Drogenmenschen und so.", sagte sie dann irgendwann.
Punkt nach "so" weg
"Das heißt, dass dein Papa dich behalten kann wenn er das Sorgerecht kriegt."
Komma nach kann
"Aber das kann das Jugendamt nich finanzieren Ida
auch, wenn es wörtliche Rede ist, würde ich hier nicht schreiben, es sei denn, du lässt bei der Icherzählerin immer die verschluckten Endsilben in der wörtlichen Rede weg. Das wäre eine charakterliche Konsequenz.
"Ich hab keine eltern mehr."
Eltern
Wir blieben vor einer kleinen, süßen Bank stehen, einer von denen, die in Neureichenbautenbezirken ja unendlich oft anzutreffen sind. Mary wusste nicht genau, ob es ok war sich hinzusetzen, ich sah es in ihrem Gesicht. Sie kannte mich zu wenig, um irgendwas einfach so zu machen.
- Wenn du das laut liest, merkst du, dass du ein paar Punkte statt Kommas machen kannst, ohne die Sätze zu verändern. Ich habe es dir oben mal fett verändert.
- nach genau ein Komma
- o.k. oder okay
und es regnete IMMER NOCH.
das betont man im Kopf schon auch richtig, wenn du es nicht in Grobuchstaben schreist.
das MH, das sie macht in Situationen, in denen sie keinen Bock hat was anderes zu sagen
- setz "mh" hier besser in Anführungszeichen. Ich habe etwas gebraucht, um zu sehen, dass es nicht ne Abkürzung für etwas ist, sondern sich auf die Aussage vorher bezieht. Ist also verwirrend.
- ich würde auch das doppelte "das" weglassen. Das "Mh" macht sie ständig in Situationen ...
Der Fisselregen wurd mir langsam egal...
Der Fisselregen wurde mir langsam egal ...
und du verstehst nicht, dass Psychologen arbeiten anstatt zu helfen.
arbeiten, anstatt
Der Wechsel der Perspektive irritiert hier ein bisschen, da die Erzählerin sonst nicht von Mary in der zweiten Person spricht. (Aber ich glaube, ich würde das auch so lassen ;))
damit du siehst wie schlecht es mir geht.
siehst, wie
Die Frage erinnerte mich an zwei Dinge: Daran, dass ich doch noch weinen konnte.
daran
"Mh...Mh mh mh…Du musst sagen was los ist, sonst kann ich dir doch nicht helfen."
sagen, was
und mit ihnen all das hübsche Zeug das man mit ihnen in Verbindung bringt.
Zeug, das
und ich musste an einen 80000jahrealten Echt-Song denken
80000 Jahre alten Echt-Song
an den mit dem Typ, der nicht weiß ob der Tropfen auf der Nase seiner Freundin eine Träne oder bloß ganz banaler Regen ist.
Komma nach weiß
So, dann sag jetzt mal bitte was wirklich passiert ist…
bitte, was
sie wollte bloß so schnell wie möglich was machen um nicht mehr diejenige zu sein, die alles erfahren muss.
machen, um
Deswegen den ganzen Tag hellwach im bett zu liegen
im Bett
Mir war SIE lieber als ER, und mir waren Ohrfeigen lieber als Staubsaugerrohre.
kein Komma nach ER
"Wieviel Uhr ist es?"
Wie viel
eventuell so gar bester Weg um sich aus der Situation raus zu schleichen.
steht ja schon in "aus"
Mir wurd ein bisschen schlecht.
wurde
"Du weißt nicht was du da redest, Mary…"
nicht, was

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Tanzkind,
deine Geschichte hat mich berührt. Besonders gut gefallen hat mir

„Hattet ihr Streit?“
Mein Vater und ich? Ja. Ich schüttelte den Kopf.
„War es wegen deinem Arm?“
Vielleicht hat sie es doch verstanden. Ich schüttelte den Kopf.
„Ist irgendwas passiert?“
Viel. Kopfschütteln.
Quälend vielsagend ist der Schluss
„Ich bring dich dann nach Hause"
Gruß, Elisha

 

Hui danke für die Antworten :)
@sim: Fehler werden auch noch korrigiert, das ist ein mehr oder weniger unddurchgeguckter text der im wahn geschrieben und so schnell wie möglich hier rein gestellt wurde hihi. freu mich echt dass die geschichte ihr Ziel, die situation von Ida und teilweise auch die von ihrer Trainerin zu beschreiben, einigermaßen erreicht hat.
Liebste Grüßlis
Tanzkind

 

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