Steeplechase von Pardubice
Die Lautsprecherdurchsage dröhnt in meinen Ohren. Die grellbunten Trikotfarben der Jockeys stechen unangenehm in den Augen. Die Nervosität steigt von Minute zu Minute, bis es fast unerträglich ist.
Wie lange dauert es denn noch?
Ich bin eingesperrt in eine enge Box mit Gittertür, durch die ich die Bahn schon sehen kann. Die Tribünen. Menschen, überall Menschen. Lärm. Der Geruch von Angstschweiß. Nervöses Schnauben und Hufestampfen aus den Boxen neben mir, ein schrilles Wiehern.
Heute ist es wieder soweit.
Ein Knall - und die Gittertür vor mir fliegt zur Seite!
Mein Reiter bohrt mir die Stiefel in die Flanken. Ich schieße mit einem gewaltigen Satz aus der Box. Fünf anderen ist der Start besser geglückt, sie liegen sofort in Führung und nähern sich der ersten Hürde. Doch schon hole ich auf. Der Boden unter mir scheint zu beben.
Der erste Sprung! Ich drücke mich kraftvoll vom Boden ab und fliege hinüber.
Weiter! Hinter mir höre ich das Feld herannahen. Ich versuche, meine Galoppsprünge noch zu verlängern, doch ein unangenehmer Schmerz im Maul hält mich zurück. Offenbar will mein Reiter noch nicht, dass ich schneller werde.
Aber ich will!
Ich kämpfe gegen den Zügel, aber dadurch erhöht sich der Druck nur noch mehr. Doch schon kommt das nächste Hindernis. Eingekeilt zwischen zwei anderen jage ich weiter. Der Boden ist sehr tief, das Galoppieren ist so anstrengend, dass mein rasender Herzschlag fast den Brustkorb sprengt.
Wie lange kann ich das durchhalten?
Die nächste Hürde. Hinter mir höre ich ein lautes Krachen und einen panischen Schrei, aber ich kann mich nicht umsehen. Weiter! Nach vorn!
Vor mir laufen noch drei Pferde. Sie nähern sich dem neuen Hindernis.
Da! Einer hat es schon überflogen, der zweite setzt zum Sprung an.
Aber er springt nicht hoch genug, bleibt mit dem Hinterbein hängen - und stürzt. Sein Nachfolger ist zu dicht hinter ihm. Er kracht ungebremst in den gestürzten Vordermann.
Panik steigt in mir hoch, Erinnerungen werden wach.
Nein! Ich will da nicht rüberspringen!
Ich versuche, meine Galoppsprünge zu verlangsamen, aber mein Reiter knallt mir erbarmungslos die Peitsche auf den Rücken, zwingt mich, den Sprung weiter rechts von der Unglücksstelle zu nehmen. Ich strecke mich, so hoch ich nur kann, und – geschafft!
Doch weiter! Keine Sekunde Pause! Die nächste Hürde!
Sie ist noch höher als die anderen.
Das schaffe ich nicht! Nein! Ich will nicht springen!
Doch ich muß springen, um den Peitschenhieben zu entkommen. Beim Aufkommen knicke ich leicht mit dem Vorderbein ein, der Boden ist zu weich. Ein stechender Schmerz betäubt kurz meine Sinne. Doch ich fange mich wieder und galoppiere weiter.
Nicht anhalten! Nicht langsamer werden!
Vor mir ist nur noch ein Pferd. Der Druck in meinem Maul ist endlich weg, ich habe den Kopf frei. Ich gebe alles, kämpfe mich immer näher an meinen Vordermann heran, bis wir Kopf an Kopf in die Zielgerade einbiegen.
Doch kurz vor dem Ziel ist noch ein letztes Hindernis. Eine dichte Hecke.
Fast ist es geschafft!
Ich sammle noch mal alle Kräfte, stoße mich ab – und sehe plötzlich unter mir nur noch Wasser:
Hinter der Hecke ist ein Wassergraben verborgen.
Dieser Graben ist zu breit, einfach zu breit.
Ich habe nicht genug Schwung. Ich versuche noch, mich über dem Hindernis zu strecken, so weit es nur geht, aber – ich schaffe es nicht!
Meine Hufe landen im Wasser, die Beine brechen unter mir weg. Der Schmerz im Vorderbein wird unerträglich. Ich stürze kopfüber in den Graben, sehe meinen Reiter im Wasser, den Himmel über mir, höre laute entsetzte Schreie -
„Das Pferd ist tot“ stellt der Rennbahntierarzt fest, „Genickbruch.“
„Verdammt!“ flucht der Jockey „ausgerechnet am letzten Hindernis! Ich hatte den Sieg schon so gut wie in der Tasche!“