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Steirerhut
(Die Geschichte erschien 2000 im Buch Daniel Krieg, Glasbruch, Middelhauve Literatur)
Steirerhut
© Daniel Krieg
Mein Büro liegt im achtunddreißigsten Stockwerk. Kommt gelegentlich vor, dass die protzige Mahagoni-Doppeltür nicht abgeschlossen ist, wenn ich so gegen zehn Uhr morgens eintreffe. Weil Frau Bhamroyal gerade Kippen beiseite räumt. Oder die Unterschriftenmappe bereitlegt. Frau Bhamroyal ist meine Sekretärin und heißt tatsächlich so: Nicole Bhamroyal.
Hab mir deshalb nicht groß den Kopf zerbrochen, als mein Schlüssel nutzlos im Schließzylinder klickte. Legte einfach meinen Aktenkoffer auf die Konsole, knipste den Monitor ein, verfügte mich auf diesen fabelhaften Chefsessel mit seinem einstellbaren Kippelgelenk und legte die Füße auf den Schreibtisch. Montag ist nie viel los. Was daran liegt, dass am Wochenende überhaupt nichts los ist. Montags tragen fleißige Assistenten die Einschaltquoten der Vortage zusammen, die wir dienstags im Vorstand als farbenfrohe Overhead-Projektion bewundern dürfen.
Unauffällig, alles in allem. Der Parkettboden verströmte seinen betörenden Geruch nach Essigsäure und Schmierseife. Nicht, dass mir ein Teppichbelag lieber gewesen wäre. Staubmilben oder Bohnerwachs, die Summe der Ärgernisse bleibt sowieso gleich.
Ich steckte mir die Morgenzigarette an. In der Mittagspause würde ich die Bhamroyal in den Spielwarenladen schicken, damit sie mir schnell dieses Venedig-Puzzle besorgte. Die Piazza San Marco, 2000 Teile. Im Grunde hasse ich Puzzles. Hatte am Samstag aus schierer Langeweile damit angefangen und am Sonntagmorgen 1999 Teile nahtlos aneinandergefügt. Den Rest des Tages und die halbe Nacht nahm die Suche nach dem letzten Teil ein. Fehlanzeige. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich ein hochgeachteter Vorstand dermaßen aufregen kann. Wegen eines gottverdammten Puzzle-Stücks, das sich in Luft aufgelöst hat. Blieb mir nichts übrig, als noch einmal von vorn anzufangen. Und wenn die Bhamroyal die Teilchen vorher eigenhändig durchzählen musste, um mir eine ähnliche Schmach künftig zu ersparen.
Das hatte Zeit bis zum Abend. Inzwischen starrte ich auf das Sauwetter draußen und auf den Verladebahnhof im Norden, den man gerade noch so erkennen konnte. Durch meine raumhohen, bronzegetönten Fensterscheiben, die allem Inventar einen narkotisierenden Goldglanz verleihen. In dieser Firma scheint immer die Sonne. Ganz egal, ob drum herum ein Wolkenbruch die nächste Sintflut vorbereitet.
Das Neonobjekt von Mack flackerte immer noch. Ich bin nicht übermäßig zwanghaft. Dergleichen macht mich nur schlichtweg irrsinnig. Gegenstände, die ohne die geringste Not von einem geordneten Zustand ins Chaos springen. Freitag hatte ich den Mangel bei der Hausverwaltung zur Sprache gebracht. Damit die den Innenarchitekten alarmierten. Oder den Künstler. Irgendwas, jedenfalls. Aber natürlich war nicht das Geringste geschehen. Heinz Mack, ein allmählich in Vergessenheit geratender Vertreter der räumlichen Lichtkunst. Dieser Innenarchitekt hatte ihn als unverbindlich genug eingeschätzt, die Wände einer internationalen Medienholding zu schmücken. Nur, dass diese Neonröhren gelegentlich verrückt spielten: die postmoderne Mutation von Lichtkenetik zum Blitzlicht einer Radarfalle.
Auf einmal hörte ich ein Geraschel, das allem Anschein nach aus meiner angeschlossenen, ganz privaten Nasszelle drang. Die Bhamroyal, dacht’ ich noch. Arrangiert den montäglichen Blumenstrauß. Überprüft die Handtücher. Drückt einen Pickel aus, schlimmstenfalls. Und freut sich schon darauf, Puzzle-Teile durchzuzählen. Sowas in der Art.
Im nächsten Augenblick fiel mir ein, dass diese Vermutung nicht stimmen konnte. Die Bhamroyal war ab heute für drei Wochen auf Kur, weil sie sich laut eigener Aussage nicht ordentlich in der Hüfte abknicken konnte. Was immer daraus folgen mochte. Und dies unmittelbar, nachdem das fleißige Lieschen just zum Wochenende seine Hongkong-Grippe auskuriert hatte. Der Arbeitseifer in diesem Laden verschlägt mir gelegentlich den Atem.
Nicht in diesem Moment. Denn da trat ganz selbstverständlich ein Männlein im Steirerhut aus der Tür zur Nasszelle.
"Guten Morgen, Herr Direktor", sagte er. "Die Neonröhre flackert - ist Ihnen das schon aufgefallen?"
Eine geraume Weile blieb ich sprachlos. Stand dieser Gebirgssepp, kaum länger als einen Meter sechzig, mitten in meinem streng abgeschirmten Büro. Angetan mit einem hellgrauen Lodenmantel samt Hirschhornknöpfen und - genau: einem Steirerhut. Inklusive Gamsbart. Oder was immer das puderquastige Zeug ist, mit dem sich derartige Alpenöhis herausputzen. Aber das war's ja gar nicht. Was mich wirklich fertig machte, war die Bemerkung mit der Neonröhre.
"Wie kommen Sie hier rein?“, fragte ich. "Und was wollen Sie hier, zum Teufel?"
"Kann am Leuchtmittel liegen", sagte er und begutachtete den defekten Mack in aller Seelenruhe. "Kann allerdings auch der Zünder sein. Koreanische Billigware, man kennt das."
Ich nahm die Schuhe vom Tisch und drückte die Zigarette aus. Von hinten sah der Kerl fast quadratisch aus. Ein hellgraues Lodenquadrat mit Bergstiefeln drunter und einem Steirerhut oben drauf, über dem der Gamsbart zitterte. Und dahinter flackerte diese verdammte Neonröhre. Um ein Haar wäre ich aufgestanden und hätte mich neben ihn gestellt. Aber ich war immer noch zu schockiert.
Ich muss was dazu erzählen. Einmal hat mich mein Freund Friedensreich im Büro besucht und lange den Mack angeguckt. Damals war das Teil noch in Ordnung: im Wesentlichen ein großer, geschlossener Kasten, dessen Hinterwand ein normaler und dessen Vorderwand ein halbdurchlässiger Spiegel bildet. Dazwischen steckt senkrecht eine Neonröhre, deren Abbild zwischen diesen beiden Spiegeln ins Unendliche wieder und wieder reflektiert wird. Aus irgendeinem Grund sind die Ebenen der beiden Spiegel geringfügig verkantet. Wenn man von vorne auf das Machwerk sieht, hat man den Eindruck, ein endloser Gang aus Neonröhren drehe sich sanft nach rechts oben und verschwinde schließlich in Nebel und Düsternis. Nicht völlig ohne Reiz. Zugegeben.
Also, mein Freund Friedensreich stand vor dem Mack und glotzte den imaginären Neongang hinauf. Ist ja nicht so ganz der Stil von Friedensreich, also hat mich das Interesse doch erstaunt. Wir hatten uns wegen einer Talkshow verabredet. Ich erinnere mich genau, dass ich ein wenig nervös geworden war, weil die Planung schon fortgeschritten war. Und Friedensreich gab sich immer noch unentschlossen. Egal. Schließlich fragte ich ihn sanft, was es denn so besonderes zu begutachten gäbe.
"Geh hörn’s, dös is eine Frage der Geduld", sagte Friedensreich in seinem himmlischen Österreichisch. "Wenn man lang gnug reinschaugt, kommt a kleiner Mann mit Steirerhut heraus und bellt 'Guten Morgen, Herr Direktor'."
Ich hatte damals keine Ahnung, ob ich lachen oder heulen sollte. Bei Malern ist man nie so sicher, was sie meinen.
Während dieser Erinnerung, die mehr oder minder auf ein kompliziertes Déjà entendu hinauszulaufen schien, hatte der wirkliche kleine Mann im Steirerhut den Mack mehrmals aus- und wieder eingeschaltet. Die heilsame Wirkung war gleich Null.
"Das können Sie sich sparen", sagte ich. "Das Ding ist hin."
"Kann man im Handumdrehen reparieren", murmelte der Zwerg. Und fing allen Ernstes an, in seiner Hosentasche herumzufummeln.
Hoffentlich kramt der jetzt nicht nach einer Gemsenflinte, dachte ich. Vorstand fällt Attentat zum Opfer, bevor er Markusplatz in zweitausend Teilen vollendet. Täter verschafft sich Zugang aus der Tiefe eines defekten Kunstwerks.
Meine Alarmtaste auf der Telefonanlage war direkt mit dem Sekretariat verbunden. Und folglich nutzlos. Zum Teufel mit Frau Bhamroyal und ihrer Hüftknick-Kur.
Ganz so dramatisch wurde es nicht. Der Mann im Steirerhut hatte bloß ein Schweizer Offiziersmesser aus der Tasche gezogen. Ich traute mir durchaus zu, einem möglichen Angriff gegen derlei Kriegsgerät standzuhalten. Die Reichweitenvorteile sprachen für mich.
Trotzdem überlegte ich, ob es etwas bringen mochte, den allgemeinen Knopf zur Telefonzentrale zu drücken. Aber die Mädels würden sich über den Lautsprecher meiner Anlage melden. Und was sollte ich dann sagen? Dass ich von einem kleinen Mann im Steirerhut bedroht wurde, dessen Herkunft und Biotop ich in einem lichtkinetischen Gang vermuten musste? Lächerlich.
Der potentielle Attentäter hatte derweil ein schraubenzieherartiges Werkzeug aus seinem Schweizermesser geklappt und machte sich in unguter Weise an den Seitenwänden des Mack zu schaffen.
"Moment mal!“, sagte ich und richtete mich auf. "Was glauben Sie, dass Sie hier tun?"
"Schraub' rasch mal den Kasten auf", murmelte er unbeeindruckt. "Vielleicht ist's ja nur ein Wackelkontakt."
"Unterstehen Sie sich", sagte ich. "Da könnte ja jeder kommen."
"Ist nicht mein Stil, unerledigte Probleme zurückzulassen, Herr Direktor", grunzte er unbeeindruckt.
"Aber das ist Kunst, Mann", sagte ich sanft. "Kunst. Keine defekte Klospülung oder ein tropfender Wasserhahn. Sondern Kunst."
"Da kann man geteilter Meinung sein", meinte der Kerl. Machte sich nicht mal die Mühe, mich anzusehen. "Für mich sieht's wie ein paar Kreuzschlitzschrauben aus. Nicht mal aus Edelstahl, wenn Sie mich fragen. Korrosionsspuren."
Jetzt riss mir doch die Geduld. Ich stand auf und trat neben ihn. Von oben sah der Gamsbart geradezu putzig aus. Bei jedem Blitzen der Neonröhre strahlten die Haarspitzen pfirsichfarben auf. Ungefähr wie eine dieser geschmacksverirrten Fernsehleuchten aus Glasfaserbündeln.
"Hören Sie sofort damit auf", sagte ich. "Sie dürfen keine Kreuzschlitzschraube anrühren, wenn sie Bestandteil eines Kunstwerks ist. Eine Kreuzschlitz an einem Kunstwerk ist keine einfache Kreuzschlitz mehr, sondern ebenfalls Kunst. Das liegt doch wohl auf der Hand."
"Ein defektes Kunstwerk ist defekt", murmelte er verstockt. "Und keine Kunst."
"Himmel noch mal", sagte ich. "Kunst ist Kunst. Ganz gleich, ob sie nun defekt ist oder nicht. Ein Tiepolo, der renoviert werden muss, bleibt ein Tiepolo. Verstanden?"
Der kleine Mann im Steirerhut ließ zögernd die Hand mit dem Schweizermesser sinken. Man konnte fast sehen, wie sein Großhirn schier durchdrehte auf der Jagd nach einem Tiepolo. Dann trat ein schlauer Ausdruck in seine Züge.
"Und wenn Ihr Tiepolo nun von einem Stümper übermalt wäre?“, fragte er triumphierend. Auf Mitte fünfzig schätzte ich den Kerl. Sonnenverwittert. Fraglos ein wildgewordener Bergfex, dem man gut zureden musste.
"In diesem Fall ist es immer noch ein übermalter Tiepolo", erklärte ich.
"Auch, wenn’s keiner weiß, dass Ihr Tiepolo drunter versteckt ist?“, fragte er. "Und wenn der, der drübergepinselt hat, ein vollkommener Schwachkopf ist?"
"Spielt überhaupt keine Rolle", sagte ich entschieden. "Jetzt stecken Sie schon Ihr Mordwerkzeug ein und setzen sich da auf das Sofa. Wer sind Sie überhaupt?"
Er drehte das Schweizermesser unentschlossen hin und her. Stapfte dann aber doch zur Sitzgruppe und hockte sich auf den äußersten Rand meiner Bauhaus-Liege. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals ein lachhafteres Ensemble gesehen zu haben: diese perlweise Corbusier-Liege samt einem Mann im Steirerhut darauf. Und dahinter die narkotika-goldenen Scheiben, die den Blick eröffneten auf eine goldfarbengetränkte Sintflut.
"Steidle, Hans", sagte er. "Das ist mein Name."
"Ach", sagte ich. Für einen Augenblick übermannte mich nackte Verzweiflung. Der Montag, an dem nichts los war, Frau Bhamroyals Hüftprobleme. Und dieser kleine Mann mit Steirerhut in meinem Büro im achtunddreißigsten Stock, von dem ich nicht wusste, was ich mit ihm anfangen sollte. Steidle Hans. Irgendwie aussichtslos. Ich setzte mich auf den Sessel gegenüber.
"Also darf wirklich niemand den Kasten aufschrauben, um die Röhre zu wechseln?“, fragte Steidle Hans.
"Niemand außer dem Künstler", bestätigte ich. "Da könnte ja jeder Heimwerker daherkommen und mit seinen Wurstfingern irgendwelche Kunstwerke bearbeiten. Ich setze doch auch keinen Kfz-Schweißer an einen durchrosteten Calder, oder?"
Der Kerl machte sich gar nicht erst die Mühe, seine mutmaßlich bescheidenen Erinnerungen nach einem Calder zu durchforsten.
"Das Ding ist kaputt", sagte er stattdessen. "Die ganze Idee, die dahinter steckt, ist ruiniert. Wenn überhaupt was dahinter steckt. Ist ja nicht mein Fachgebiet, wissen Sie. Aber ich denke, wenn wir das Ding repariert haben, ist es immer noch mehr Kunst als jetzt."
"Nein", sagte ich entschieden. "Es gehört der Firma, und damit basta. Hände weg."
Nach diesem harschen Bescheid meinerseits entstand eine Pause, die ich normalerweise als drückend empfunden hätte. Tat's aber nicht. War eher in der Stimmung, dem Alpensepp einen Kaffee anzubieten. Woher auch immer er gekommen sein mochte. Der gespiegelte Neongang blieb die erste Wahl, ohne Frage. Friedensreich hatte gewusst, wovon er sprach.
"Meine Sekretärin ist auf Kur", sagte ich. "Einen Sherry hätt' ich anzudienen. Nein, halt - einen 'Obstler'? Ist das korrekt? Obstler für Birnenschnaps?"
"Ich bin nicht hier, um mit Ihnen anzustoßen", sagte Steidle Hans mit unbehaglichem Gesichtsausdruck. "Ich wollte meine Arbeit zu Ende bringen, nicht mehr."
"Aber den Mantel könnten Sie doch ablegen", sagte ich. "Und diesen Steirerhut."
"Soviel Zeit ist nicht", murmelte er. Sein blödes Schweizermesser knetete der Kerl immer noch in den Händen. Vollkommen durchgedreht, kein Zweifel. Aber neugierig machte mich das trotzdem.
"Was gibt's denn so Dringendes?“, fragte ich. "Den Mack können Sie vergessen, das habe ich Ihnen hoffentlich klargemacht."
Er schwieg. Steckte das Messer endlich in die Tasche und nahm den Steirerhut vom Kopf. Eine verblüffend helle Halbglatze mit merkwürdigen Wülsten. Wurde dem Sonnenlicht eher selten ausgesetzt, allem Anschein nach. Der Hut wanderte derweil zwischen den Fingern rund und rund. Als suchten die Hände gewohnte Beschäftigung, während das Hirn ziellos durch die Ödnis einer intellektuellen Wüste irrte.
"Es ist nicht so, wie Sie meinen", brach es schließlich aus Steidle Hans hervor. "Das ist mir schon klar, mit der Kunst. Dass es was Besonderes ist. Ich bin irgendwie selber eine Art Künstler, verstehen Sie? Ich schnitze in meiner Freizeit."
Ich lächelte milde. Der ganze Montag-Morgen-Zauber schien flugs verflogen. Getönte Scheiben mit einem Verladebahnhof dahinter, das Zischen der Klimaanlage, der flackernde Mack. Ein Irrer mit madenweißer Halbglatze im Büro, der sich offenbar verlaufen hatte. Ein Steirerhut ohne tiefere Bedeutung. Lebensgeschichten. Die bestenfalls dauerten, bis ich den Sicherheitsdienst alarmierte.
"Holz", sagte ich nachsichtig. "Kruzifixe, nicht wahr?"
"Polygone", sagte Steidle Hans. "Vielecke, Sie verstehen? Spezielle Vielecke. Vielecke, mit denen sich eine unendliche Ebene ohne irgendwelche Lücken oder Überlappungen ausfüttern lässt."
Das gab mir einen Augenblick zu denken. Weil es dermaßen anspruchsvoll klang. Als zitiere ein Müllmann den Hamlet. Dabei redete er wahrscheinlich übers Fliesenlegen. Der Knabe hatte wahrhaftig Talent, einer Latenight-Talkshow mit Troglodyten Gewicht zu verleihen.
"Mit anderen Worten: Sie legen Parkette", sagte ich amüsiert. "Ihr Kunstverständnis bezieht sich auf Parkette. Sie reparieren Parkettböden wie diesen hier. Wundert mich nicht, dass Sie Probleme mit dem Mack haben."
"Weil das keine Kunst ist", sagte Steidle Hans. "Zwei Spiegel und ein einziges Element, das sich immer und immer wiederholt. Das ist nicht besser als eine Parkettierung mit einem rechteckigen Klötzchen. Oder mit einem gleichseitigen Dreieck. Langweilig."
"Ich verstehe kein Wort", sagte ich. Es wurde höchste Zeit, dass sich unsere Wege trennten.
"Man muss unterschiedliche Elemente nehmen", erklärte der Kerl. "Unregelmäßige Elemente. Wie ein Puzzlespiel. Aber es dürfen nur eine Handvoll Elemente sein. Höchstens sechs verschiedene, würd’ ich mal sagen. Besser sind nur zwei. Und trotzdem sollte sich das Parkettierungsmuster niemals wiederholen. Die Kunst beginnt im Grunde erst an einem Punkt, wo sie mit ganz wenigen Mustern eine Ebene nicht-periodisch parkettieren."
Ich hatte die Nase voll von dieser Komödie. Stand entschlossen auf und fragte von oben herab:
"Und sonst? Was haben Sie überhaupt hier zu suchen?"
"Sehen Sie, Herr Direktor", sagte der kleine Mann mit Steirerhut. "Sie haben das doch höchstpersönlich angeordnet. Vorgezogener Ruhestand. Ich wollte bloß alles in bester Ordnung verlassen."
"Sie sind der Hausmeister", stellte ich erleichtert fest. "Tut mir leid, dass wir nie miteinander geredet haben. Dann wünsche ich Ihnen alles Gute, nicht wahr?"
Steidle Hans stand auf und starrte unbehaglich auf den Mack.
"Und Sie sind sicher, dass ich die Röhre nicht in Ordnung bringen soll?“, fragte er.
"Ganz sicher", sagte ich. Mein Telefon summte und ich nahm ab. Wegrich und Partner, die sich erkundigten, ob ich das Fax schon angesehen hatte. Hatte ich nicht. Das Ding moderte vermutlich seit Freitag im Sekretariat der Bhamroyal. Ich versprach, mir's gleich vorzunehmen. Und legte auf.
Erst in diesem Moment fiel mir das seltsame Holzklötzchen auf, das auf dem Glastisch vor der Sitzgruppe prangte. Eine Art verzerrte Raute, aus deren Kanten unregelmäßig dreieckige Spitzen herauswuchsen oder in sie hereinragten. Wurzelholz, mit Liebe poliert.
Der kleine Mann mit Steirerhut hatte meinen Blick verfolgt und räusperte sich.
"Das ist so ein Element", sagte er langsam. "Zusammen mit einem zweiten erzeugt es nur nicht-periodische Parkettierungen. Kann das ganze Universum fugenlos ausfüttern, ohne dass sich das Muster jemals wiederholen wird. Seltsam, nicht wahr?"
"Hören Sie, guter Mann", sagte ich. "Ich hab jetzt zu tun. Hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen."
Ich schloss die Tür zum Sekretariat auf, um das verdammte Fax mit den Lizenzvereinbarungen zu suchen. Ich entdeckte es praktisch sofort. Kann nicht länger als eine Minute gedauert haben, bis ich zurück im Büro war. Der kleine Mann mit Steirerhut hatte sich aus dem Staub gemacht. Nur sein krank aussehendes Parkettierungselement aus poliertem Wurzelholz lag jetzt mitten auf meinem Schreibtisch, um mich in den Wahnsinn zu führen.
Himmel nochmal, was sollte ich mit dem verdammten Teil anfangen? Ich meine, ohne das fehlende zweite Element war der Klotz doch vollkommen witzlos. Nicht-periodische Parkettierung des Universums, lächerlich. Wozu konnte das schon gut sein. Davon mal ganz abgesehen, dass dieser Irre mir ja auch etwas vorgeflunkert haben konnte. Womöglich gab es dieses zweite Element überhaupt nicht. Dann konnte ich mir den Rest meiner Tage den Kopf darüber zermartern.
Ich starrte in die Tiefe des defekten Mack und wollte mir schier die Haare ausraufen. Wenn ich die Reparatur erlaubt hätte, wäre der Kerl samt seinem Schweizermesser noch am Machen. Und könnte mir das fehlende Element vorführen. Oder eingestehen, dass es gar nicht existierte. Wie, zum Teufel, sollte ich die Personalabteilung davon überzeugen, dass ich die Anschrift eines Frührentners benötigte? Jetzt? Sofort? Es war zum Kotzen. Schlimmer: vollkommen trostlos.
Ich meine, der Markusplatz ist eine Sache. Markusplatz-Puzzles finden sich in jedem Kaufhaus dieser Welt, in der einen oder anderen Form. Tausend Teile, zweitausend, meinethalben fünftausend. Wen juckte das noch, wenn irgendein hergelaufener Alpensepp imstande war, die ganze Welt mit nur zwei Sorten Steinen auszulegen? Und in einer Weise, dass sich das Muster niemals wiederholte?
Ich hab später Friedensreich angerufen, aber der hatte die ganze Geschichte mit dem kleinen Mann im Steirerhut längst vergessen. Stellte sogar in Abrede, jemals in meinem Büro Lichtkinetik bewundert zu haben. Kein Wunder, Mack ist nicht so der Stil von Friedensreich.