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Stenzler - Aura des Abgründigen

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12.08.2006
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Stenzler - Aura des Abgründigen

Oh Düsternis mein Freund!

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Die altehrwürdigen Mauern des Konrad-Stenzler-Hauses liegen weitab der Zivilisation. Es herrschen Winde und wirklich schlimme Wetter vor, Regen, graue Schleifwolken. Das Tönen und Brausen der bewegten Luft klingt krank, und über dem Orte scheint, bedeckend wie ein schwarzes Leichentuch, ewige Dunkelheit zu lagern. Es ist ein Landstrich, der gemieden wird, denn er bietet dem Auge nichts Spendendes. Eine Gegend von Gram & Bekümmerung. Alles wirkt nicht nur ausgestorben & tot - nein: Dem verhält sich tatsächlich dergestalt. Der verirrte Wanderer, der durch unpassende Umstände seinen Fuß hinsetzt, macht nur noch, dass er schnellstens weiterkommt. Stenzler aber existiert hier, wie gesagt. Er tut es nicht gern, aber auch nicht ungern.

Stenzler setzt Schritt um Schritt, um zum verlassenen Totenacker zu gelangen, der ganz in der Nähe - beunruhigend einladend. Der grauhaarige Mann mit dem schiefen, langen Gesicht, trägt wie so oft seinen Skizzenblock, in Miniaturformat, am Manne, dazu zwei oder drei gut gespitzte Bleistifte. Der Mann wirft in letzter Zeit häufig schnelle Zeichnungen auf das Papier, arbeitend in Demut vor Land und Natur. Und der Friedhof ist erreicht, fast im völlig Finsteren. Er entschließt sich, nicht zu skizzieren, sondern nur ruhig Eindrücke zu sammeln. Ein stilles Nachdenken stimmt friedlich, fast glücklich. Zum ganzen Glücke aber fehlt, seiner Ansicht nach, noch das Weib an der Seite. Die Freundin, Beraterin, Geliebte. Der nächstliegende Außenteil im Leben, doch wohl auch nur zu einem verurteilt - dem Geheimnis Tod.

Konrad Stenzler geht um einige verwitterte Skulpturen herum, diese stellen Frauen dar. Tote Frauen in ausladenden, offenen Särgen. Er lächelt das Bild an, lächelt eigentlich diesen steinernen Frauen zu. Über seinem Kopfe ziehen tief die Wolkenberge dahin, gemächlich, ohne Eile. Doch ihn hält heute nichts auf dem Acker - kein Wolkenschauspiel, keine Gedanken an neue Motiv-Ideen für den Block in der Innentasche der schwarzen Anzugsjacke. “Warum bin ich überhaupt hier?”, fragt Stenzler sich selbo. “Ich wollte eigentlich dorthin, wo es Frauenzimmer gibt, die nicht aus Granit sind.”

Schon innerhalb der nächsten Stunde erreicht der Mann zu Fuß das Dorf, und hier sind Kneipen, gibt es einen Tanzsaal. Glück? Nein! Vielleicht ein kleines, trügerisches Glück - doch das große, das perfekte Glück, kann wohl auch mit Weib nicht aufkommen. Doch eventuell hinter dem Vorhang, hinter dem Tore.

Ein kleiner, behaglicher Tanzsaal wird von Stenzler betreten. Er setzt sich hin in eine Ecke, hat ein zierliches Fenster neben sich. Der Raum mit Steinfußboden, gewölbeähnlich aufgebaut, wartet mit der einen oder anderen interessanten Dame auf. Der männliche Gast ist aus auf leicht hässliche Weibsbilder, denn er weiß mit Übersicherheit, dass alle Schönheit - ALLE! - zum Scheitern verurteilt ist. Spätestens der Grabwurm vernichtet schönes Fleisch in hübscher Hauthülle. Eine hässliche Frau geht auch über in Verwesung, freilich, doch hier gibt es nicht den großen Abfall von Schönheit zu verwester Materie, die ja pure Unschönheit. Das Hässliche geht ins andere Hässliche über, mehr nicht. Und wenn es den Geist, die Seele gibt, so ist wohl eine Einteilung in Schwarz und Weiß spätestens hier nicht mehr möglich.

Er beobachtet das Treiben im Tanzsaal, ein Amusement immer wieder! Er liebt nichts so sehr wie die schmutzige alte Vettel vor der verschmierten Kaffeetasse, allerdings ist hier der Grad der optischen Widerwärtigkeit auch einem Stenzler zu hoch; er hat Freude an den Frauen, die kurz unterhalb der Liga des ausseherischen Mittelmaßes liegen. Und heute Abend zählt er derer fünf! Fünf Mal lächelt der Mann verstohlen in sich hinein. Und in der Tat setzt sich eine der Auserkorenen an seinen Platz! Stenzler bestellt schnell zwei alkoholfreie Getränke und lächelt die ganze Zeit dabei. Er bleckt die leicht vergilbten Zähne.

“Könnten Sie sich vorstellen, ein ganzes restliches Leben mit mir zu verbringen, Elfriede?”, fragt Stenzler jäh. Die Dame ist verblüfft und bringt zunächst kein Wort heraus, dann aber betont sie, nicht Elfriede zu heißen, sondern Barbara.

“Oh!”, säuselt Stenzler. “Noch besser, noch viel besser! Bisher war Elfriede mein Lieblingsname, nun aber Barbara! Wir sollten zusammen leben, lieben, alles tun, was das Leben an schönen Seiten bereit hält, und damit meine ich die Schattenseiten.”

Die Worte wandern hin und her, Konrad hat das Interesse erweckt. Die Frau betont, dass ER etwas besonderes sei, und das Geheimnis ziehe an und stoße ab zugleich. Konrad lächelt immerzu, lässt wieder einmal beiläufig die Blicke schweifen im Saale. Ja ja, die anderen vier sind eigentlich zu schön, Barbara ist schon genau die Richtige. Und er meint, diesmal mit ernstem Gesichtsausdruck, SIE - Barbara - nur zu gerne innerhalb der geborstenen Mauern seines einsamen Hauses begrüßen zu dürfen. Und kurzum: Sie steht auf, geht mit ihm los. Nicht zum ersten Male schafft Stenzler dies, fürwahr nicht! Da hat es schon viele Frauenzimmer gegeben…

Hat es gegeben! Dies ist der wichtige Punkt. Denn Konrad berichtet und erzählt, und die entsprechende Dame fühlt sich immer unwohler in seiner Nähe. Selbstverständlich verhält es sich auch mit dieser Barbara nicht anders; nach knapp zwei Stunden bereits verabschiedet sie sich entsetzt und verlässt fast fluchtartig den Dunstkreis Stenzler´s.

´Ich bin der Damenwelt zu fremdartig, vielleicht zu dunkel sowie zu sprunghaft.´, denkt sich der Mann, wieder allein in der Wohnung. ´Sie wissen immer weniger, was sie von mir halten sollen. Doch ich kann nicht anders.´

Trotz alledem - schon wenige Tage später versucht es Konrad wieder, erneut im Tanzsaal. Er wird bekannt mit Brigitte, und auch Brigitte geht mit. Ein recht langweilig ausschauendes Weib, eine wahre Graumaus.

“Ich liebe das Düstere!”, spricht Stenzler. “Die schwarzen Möbelstücke um mich herum sind wie ein Lebens-Elixier. Der Anblick der einzeln dastehenden Baumleiche beim Spaziergang: Ein reiner Genuss! Das Geseufze des ewigen Windes hier, das Studium meiner Bücher: Fantastisch! Ich besitze eine Sammlung von berühmten Grabreden, alle gehüllt in edle Buchdeckel. Ich kann nichts mehr missen, was mit Schwarz zu tun hat. Farben würden mich zu Grunde richten!”

Auch Brigitte verabschiedet sich.

Mit den Weibern, mit den Weibern, ach. Es läuft einfach nicht. Woran liegt es denn? Stenzler geht den Kompromiss nicht ein, dies ist schon wahr. Er redet und tut und schwätzt, doch er verschlimmert alles, die gute Ausgangsposition, selbst geschaffen, geht unwiederbringlich verloren. Doch wie erwähnt: Zur Änderung der Lage ist er nicht fähig.

Und wieder der Tanzsaal, wieder drei Frauen, fast hässlich, ganz so, wie der Mann sie mag. An Stenzlers Tisch setzt sich Eva.

Verwelkte Haut, älter als er, strähniges Haar, ein hängender winziger Busen unter dem schlecht gewählten Kleid. Mann und Frau mustern sich, er redet, sie redet, ein sogar recht gutes Gespräch ist im Gange. Sie schildert Lieblingsschriftsteller. Darunter fast ausschließlich Schreiber von Schauerromanen. Sie spricht von der Liebe zur Einsamkeit, vom Genuss, einen alleingelassenen, kargen Landstrich zu betrachten. Er nickt mit Kennermiene, ja er verliebt sich in die Frau, in diese Eva, die so ähnlich ist wie er selbo, erstaunlicherweise.

“Wir leben und lieben, doch wofür?”

“Für das Grab.”

“Ja, für das persönliche Grab und die Dinge danach, so muss es wohl sein.”

“Wie können wir es anstellen, das Leben durchzustehen? Es ist oft so hell, so lichtreich, und daher oberflächlich! Was erzeugt die Freude am dunklen Einzelgedanken?”

“Ja, Fragen über Fragen…”

“Das Tote um uns herum, wenn es denn da ist - weswegen schafft es eine nicht zu sättigende Lust am Geheimnis des Moders, des Verfalls? Warum glaubt man, eine schimmernde Säule durch einen Menschenkadaver hindurch scheinen zu sehen?”

“Fragen, deren Antworten nicht zwingend richtig sein müssen. Oder aber: Es gibt zu viele Antworten darauf, was wir wohl nicht möchten.”

“O ja, der Finsterling liebt die Eindeutigkeit…”

“Die Freude am Garten der Medusa.”

“Oh, wenn sie dem Menschen die Versteinerung schenkt - welch´ ein Genuss an der Sage, am Mythos!”

“Medusentum, Vampirismus, das Problem des Werwolf´s - alles Belange, über welche ein letztes Wort noch nicht gesprochen ist. Ganz zu schweigen beim Phänomen der Dämonen.”

“Jaja, die schwarze Magie, das gefährlichste Geheimwissen, welches einem kleinen Menschenteil bekannt.”

“Eva - ich liebe Dich!”

“Oh Konrad - ich kann Dich nicht lieben…”

Es stellt sich heraus, dass der doch recht lichtscheuen Eva ihr Gegenüber nicht attraktiv genug ist; sie erläutert, einen schönen Jüngling der Düsternis ihr Eigen nennen zu wollen, sonst wirklich niemanden. Nun gut, Stenzler muss dies wieder einmal einsehen, und er versteht es auch. Der 83. Versuch fehlgeschlagen, wie ihm seine genaue Buchführung verrät. Er ist nicht der Schönste, in der Tat. Nun gut, dann muss diese Eva eben weitersuchen. Sein Herz hängt aber immer noch ein wenig an dieser Dame.

Wieder einmal hält sich der Mann im Tanzsaal auf, diesmal muss er einen anderen Tisch nehmen, sein Lieblingsplatz ist besetzt. Eine kurze Umschau erfolgt, eine Gewohnheit mit Kennerblick, stetig ausgereifter und perfektionierter. Diesmal entsprechen zwei Weiber seinen Vorstellungen. Er bittet eine davon zum Tanze, ein langsamer Schleicher wird aufgeführt. Anschließend kommt man ungezwungen mit Marta ins Gespräch. Man ist allerdings mitnichten auf einem gemeinsamen Dampfer. Stenzler macht sich an Dame Nummer 2 heran. Mechthild.

Mechthild scheint an ihm interessiert; die Unterhaltung offenbart bei ihr eine Liebe zur unheimlichen Malerei, auch zum Schauerroman. ´Ein lebhafter Abend!´, denkt sich Stenzler. Es dauert aber recht lange, bis er sagt, dass er auf der Suche ist, auf der Suche nach dem Weib für´s Leben. Er meint ungeschminkt zu ahnen, dass es Mechthild ist. Diese aber lacht schallend auf, bemerkt, ihn noch vor einer Stunde mit jener anderen Frau, Marta nämlich, eng umschlungen beim Tanze beobachtet zu haben. Die Frage ertönt: “Nehmen Sie sich Ihre diversen Auserwählten immer in beliebiger Holterdipolder-Reihenfolge vor?”

Stenzler steht entschlossen vom Stuhle auf, verlässt das Gebäude, allein. Angekommen am Rande jeden Verständnisses, hoffnungslos, erhängt er sich in seiner kleinen Küche an einem Querbalken.

___

23. Januar 1929, einige Wochen nach dem Freitode Stenzlers: Das einsame Haus schält sich aus dem Nebel heraus. Es ist still, lediglich Wind faucht und zieselt. Wenn man das Haus betreten würde, dann die Küche besuchen, dann würde man den Leichnam hängen sehen. Verwesung, dürre knochige trockene Hände mit etwas längeren Nägeln, schlaff zum Fußboden hinzeigend. Der Blick des Toten ist leer, der Mund grotesk verzerrt und schief - fast kann man meinen, er lache…

15. Märzius 1931: Haus Stenzler, leer stehend. In der Küche: Zu Boden gefallen der skelettierte Verblichene. Im ganzen Haus Stille und Schmutz. Nicht einmal spielende Kinder haben bisher hierher gefunden.

17. August 1931: Es ist alles ruhig im Haus. Für wie lange noch?

25. Dezember 1932: Wenn man im Hause Stenzler befindlich, verspürt man Undefinierbares. Da liegen die Knochen in der zerfallenen Küche. Haben sie etwas damit zu tun? Sicherlich! Das Thema ist nicht sehr kompliziert.

1. Februar 1933: Es klappt keine Türe von allein, es knistert oder poltert nichts, doch trotzdem: Da ist noch immer dieses beengende Gefühl. Vibriert nicht leicht der Boden? Nein? Ja?

4. November 1946: Das Haus sieht nicht mehr gut aus, ist fast zugewuchert. Irgendwelche Landstreicher haben es aufgesucht und Unrat hinterlassen. Jetzt ist das Haus allerdings wieder beängstigend leer. Wenn man sich darinnen aufhält, dann…

13. Mai 1947: Das Haus verfällt zusehends durch die Naturkraft. Wenn man sich nun aber im Inneren aufhält, dann hört man ein leises Ächzen. Wie von einem alten Manne, der über den Gang schleicht unter Welt- und Körperschmerz. Es ist sehr leise, man muss genau lauschen. Ab und an schabt es in einer Zimmerecke. Doch Mäuse sind dies nicht.

13. August 1947: Durch das Haus wandelt ein schwächliches Lichtgebilde. Dreidimensional, etwa Oberkörpergroß. Das Phänomen gleitet Treppen auf und ab. Weiterhin hört man nachts Laute, welche oben schon beschrieben wurden.

13. Oktober 1947: Es ist eindeutig - Stenzler spukt.

13. Oktober 4230: Es existiert kein Fleischleben mehr auf der Erde. Längst ist auch Haus Stenzler verschwunden. Die verwilderte, sturmgepeitschte Gegend, wo das Gebäude einst stand, ist ab und an gesegnet mit dem Lichtgebilde, dem Gespenste…

ENDE

(Leichnam, original Aug. 2002)

 

Tach Leichnam.

Also, irgendwas hast Du an Dir ... Warum antwortet denn niemand auf Deine Geschichten? Na egal, bin ich halt der Erste bei dieser hier ...

Aber ach, leicht fällt es mir wahrlich nicht, das Gelesene mit wiesen Worten zu bedenken. Wisse, daß meino Wenigkeit der Mär nichts Wesentliches hat abgewinnen können. Andererseits ist meino Wenigkeit auch ein Idiot, welcher "Das Parfüm" von Patrick Süskind nicht leiden mag. Vielleicht verhält es sich bei Deiner Geschichte genauso, aber ich frage mich nach der Lektüre: "Hm, ja ... und nu?" Alter Mann mit Hang zum Morbiden kriegt keine Schnitte ab, knüpft sich auf und spukt rum. Wenn es sich bei der Geschichte um eine Allegorie handelt, dann hab ich was verpaßt. Wenn nicht - dann ist da einfach zu wenig Geschichte, zu wenig Pointe, was auch immer.

Wie gesagt, es fällt mir schwer, was Konstruktives zu sagen - tut mir leid.

Deswegen noch ein paar Augenfälligkeiten:

Gram & Bekümmerung
So könnte man ein Begräbnisinstitut nennen - hier im Text solltest Du das "und" aber ausschreiben.

Ein kleiner, behaglicher Tanzsaal wird von Stenzler betreten.
Auch wenn's eine ausgelutschte Regel ist - ich würde sie dennoch beherzigen: So wenig Passives wie irgend möglich. -> Stenzler betritt einen kleinen, behaglichen Tanzsaal.

das Problem des Werwolf´s
Apostroph weg. Aber schnell! :)

Also, ich hätte gerne mehr gesagt, aber ... ich weiß nicht was. :)

Bis denne!

 

Dann mal Danke für die Rückmeldung, Fischstäbchen!

Eigentlich sollte diese Story Todtraurigkeit ausdrücken, Hoffnungslosigkeit, nicht einmal "richtig" sterben können... Wenn man da dann wahrhaft drüber nachdenkt, vielleicht gar grübelt, wird es tief mit den Gedanken...

Apostroph war immer so ein Ding bei mir - wann setzen, wann nicht? Habe das immer gefühlsmäßig gemacht...

Passiv muss ich auch weiterhin in jähen Sätzen schreiben. (Ab und an.) Das mach ich seit Jahren so falsch - es wäre ansonsten kein echter leichnam mehr... ;)

Grüße Karsten

 

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