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Sterbenslangweilig
Gibt es – gibt’s in Gilead Balsam? – sag’s mir- sag mir, bitt’ dich sehr!
Es klingelt, eigentlich läutet es sogar. Ich schlage das Buch zu, stehe vom Sofa auf und gehe zur Tür. Es wundert mich etwas, dass es klingelt, vielmehr läutet. Denn ich habe keine Klingel. Und schon gar keine Glocken, die läuten können. Und auch dass ich lese, kommt eher selten vor.
Ich stehe also vom Sofa auf und gehe durch den kleinen Vorflur, in dem Gäste, die ohnehin nie kommen, ihre Schuhe ausziehen sollen und sehe durch das Milchglas der Haustür eine Gestalt. Ich öffne die Tür und bin ziemlich baff.
Denn da steht eine junge Frau, gut und gerne zwei Meter groß, die einen Knirps-Regenschirm in ihrer rechten Hand hält. Vor ihrem Gesicht stehen Regentropfen starr in der Luft. Wirklich starr. Also ich kann die Tropfenform sehen. Man sagt ja immer, dass in entscheidenden Situationen der Film im Kopf langsamer abläuft, aber er läuft nicht langsamer ab, er steht einfach still, genau wie die Regentropfen. Kann ich reinkommen, fragt die Frau mit dem Knirps-Regenschirm.
Ich stoße mit dem Zeigefinger gegen einen der Wasserkörper und er gibt elastisch nach, so als würde ich meinen Finger in einen dieser Gummisitzbälle drücken.
Sie räuspert sich und fragt, ob sie reinkommen könne. Bedaure, sage ich, wüsste nicht, wieso. Mira Sorvino, sagt sie und ich frage, Mira wer und sie sagt Sorvino und ich sage Ach, obwohl ich noch nie von einer Mira Sorvino gehört habe. Sie nimmt ihren ockerfarbenen Knirps-Regenschirm herunter und faltet ihn zusammen.
Ich finde das ziemlich seltsam und frage sie, ob sie denn Basketball spiele. Bei der Größe. Natürlich eine ziemlich dumme Frage. Nein, sagt sie, Schach. Man habe da gewisse Verpflichtungen. Ja, sage ich, das kenne ich. Sie fragt, ob sie nun reinkommen könne. Sie sei auch bereit, ihre Schuhe auszuziehen. Ich schaue auf ihre Füße und sie hat froschgrüne Flipflops an und darin stecken sehr schöne Zehen. Dann sehe ich von den Zehen langsam nach oben, von der Sohle zum Scheitel mäßig und sie ist wirklich riesig, also wirklich, wirklich riesig. Die Beine sind in so einem Hosenrock. Und oben rum trägt sie eine weiße Bluse.
Ich gebe die Tür frei und sage, sie könne die Schuhe ruhig anlassen. Nicht, dass sie sich den Tod hole. Mit den nackten Füßen auf dem kalten Steinboden.
Nein, sagt sie, den Tod wolle sie sich nicht holen und behält die Flipflops an.
Ich gehe rückwärts aus dem Vorflur, dem mit den Schuhen, in den richtigen Flur. Und sage Mira, ein schöner Name. Nein, sagt sie, das ist nicht mein Name, ich dachte nur, Sie hätten den Film gesehen. Eigentlich bin ich der Tod.
Ich schlage die zweite Tür vor ihrer viel zu großen Nase zu. Das heißt, ich versuche, sie zuzuschlagen, aber sie bringt den Knirps-Regenschirm irgendwie zwischen Tür und Angel. Sozusagen. Normalerweise schiebt man ja einen Fuß dazwischen, aber das will sie wahrscheinlich nicht. Wegen der Flipflops.
Ich drücke mich also mit allem Gewicht gegen die Tür und der Knirpsschirm fuchtelt wie wild neben meinem Kopf in der Luft herum. Und ich bin schon ein wenig in Panik, wegen der Sache mit dem Tod und auf einmal geht der ockerfarbene Schirm auf und eines dieser Stahlstäbchen, die sie in den Schirm einnähen, trifft mich unter dem Auge und ich taumele zurück und sie schiebt sich durch die Tür und sagt, Tut mir leid, aber das haben Sie sich wohl selbst zuzuschreiben.
Es müsse sich um einen Irrtum handeln, sage ich. Ich sei mir da ziemlich sicher. Sie solle mich doch mal genau anschauen. Quicklebendig. Von Tod könne da wirklich keine Rede sein. Und überhaupt, ob sie sich denn ausweisen könne.
Nein, sagt sie. Aber schauen Sie sich mal die Regentropfen an.
Ja, sage ich. Das sei schon recht beeindruckend, aber trotzdem. Woran sei ich denn gestorben? Und sie sagt, Aneurisma. Und ich frage, Und wann? Und sie sagt, vor zwei Tagen, seitdem sei ich im Limbo und ich frage, Limbo? Und sie sagt, Limbo.
Sie verstehe ja, dass das für mich alles ziemlich aufregend sei, aber für sie sei es nun mal Routine. Ein wenig wie ein Besuch beim Friseur. Für einen selbst schon irgendwie wichtig, weil man das nur vier Mal im Jahr macht, aber für den Friseur Alltag.
Friseur, sage ich. Vielleicht kein gutes Beispiel, sagt sie. Jedenfalls nicht bei einem Mann.
Ich träume wohl, sage ich. Ach, Sie sind ein Träumer, sagt sie, dafür hätte ich Sie gar nicht gehalten, ich dachte Sie sind mehr ein Spieler oder, und da will ich Ihnen nicht zu nahe treten, ein Bettler.
Bettler, sage ich. Bettler, sagt sie, Sie wissen schon. Nein, nein, bitte nicht, ich bin noch so jung, ich gebe ihnen Geld, alles, was Sie wollen, jetzt wo ich weiß, dass ich bald sterbe, werde ich noch mal richtig leben. Und sie macht, während sie das sagt, richtig den Eindruck, dass sie das ernst meint. Also sie weint fast und klingt richtig verzweifelt. Und dann ist sie damit fertig und hat wieder gar keinen Gesichtsausdruck.
Und ich sage, Verstehe, Bettler.
Bringt es denn was, frage ich. Nein, sagt sie. Sei auch ziemlich nervig. Brad Pitt habe da viel vermasselt. Mit diesem Joe Black-Film. Ich nicke und sage, Ja, Brad Pitt. Früher, sagt sie, wollten sie alle Schach spielen, das sei amüsanter gewesen. Und auch besser, weil die Leute dann geglaubt hatten, eine Chance zu haben. Das hätte ihnen auch den Abschied leichter gemacht. Ob sie denn Lust auf Schach habe, frage ich. Haben Sie denn ein Brett da, fragt sie. Nein, sage ich. Und sie sagt, Na, dann nicht.
Schöne Flipflops, sage ich. Danke, sagt sie. Und wir schweigen einander an und es ist mir ziemlich peinlich, weil ich auf einmal merke, dass wir immer noch im Flur stehen.
Tut mir leid, dass ich Sie so lange aufhalte, sage ich. Kein Problem, sagt sie. Wir haben alle Zeit der Welt.
Und, frage ich. Was meinen Sie, fragt sie. Und ich sage, Weiß nicht. Was passiert denn jetzt? Und sie fragt, Was glauben Sie denn, was passiert? Und ich sage, Weiß nicht. Und sie sagt, Oh. Ich meine, dass will man ja wirklich nicht hören. Oh. Und sie sieht auch ein bisschen enttäuscht aus. Wiedergeburt, frage ich. Sind Sie denn Hindu, fragt sie. Nein, sage ich. Dann nicht, sagt sie.
Hindus, sage ich. Die haben also Recht. Na ja, sagt sie. So könne man das auch nicht sagen. Und ich schaue auf meine Schuhspitzen. Und sie sagt, Schönes Haus und ich sage, Danke.
Und wir schweigen einander an und ich denke, dass es schon komisch ist, dass ich hier in meinen Lieblingsturnschuhen stehe, denn die habe ich ja eigentlich bei einem Umzug vor fünf Jahren verloren.
Ist bestimmt schwer, in Ihrer Größe so schöne Anziehsachen zu finden, sage ich und schäme mich ein bisschen dafür, dass ich Anziehsachen gesagt habe und nicht Kleidung und sie sagt, Danke. Ich sei sehr nett.
Aneurisma, sage ich. Aneurisma, sagt sie. Im Kopf, frage ich. Ja, sagt sie. Im Kopf. Wie es mir jetzt gehe, fragt sie. Gut, sage ich. Obwohl ich mir da gar nicht so sicher bin. Sind Sie denn mit ihrem Leben zufrieden, fragt sie. Ja, sage ich. Schön, sagt sie, das hört man gerne.
Und ist wieder still und ich auch und es ist mir ganz schrecklich peinlich, weil ich gar nicht weiß, was ich noch sagen soll.
Sie glauben nicht an mich, sagt sie. Und ich sage, Nein, eigentlich nicht. Und sie sagt, Ja, das sei sie schon gewöhnt. Anstrengender Beruf, frage ich. Und sie sagt, Nein, eigentlich nicht.
Vielleicht sei es ja ganz gut, dass ich sterbe, sage ich. Warum, fragt sie. Wegen der Wirtschaftskrise, sage ich und sie nickt und sagt, Ja.
Es sei ja schon fast eine Depression, sage ich. Und sie sagt, Ja, das könne man fast schon sagen. Und ich sage, ich war es sowieso ein wenig leid. Und sie fragt, Was denn? Und ich sage, Na ja, jeden Tag dasselbe. Aufstehen, Anziehen, Leben und dann all die Wehwehchen. Gerade im Alter, davor hätte ich ohnehin immer Angst gehabt. Ja, sagt sie, das gehe vielen so.
Haben Sie denn noch etwas zu erledigen, fragt sie. Und ich frage, Könnte ich es denn noch erledigen und sie sagt, Nein und spannt ihren Schirm auf und wieder zu und reibt mit der Sohle ihres rechten Flipflops über ihren linken Fußrücken. Und dann streckt sie die Finger ihrer rechten Hand aus und hält sie sich vor die Augen und mustert ihre Fingernägel und dreht die Hand und schaut sich auch ihre Handinnenfläche an.
Sie sind nicht verheiratet, frage ich, weil mir auffällt, dass sie keinen Ring am Finger trägt. Und sie sagt, Nein. Nicht den Richtigen gefunden, frage ich. Und sie sagt, Nein. Und ich komme mir ziemlich blöd vor.
Und ich frage, ob wir jetzt gehen können. Und sie sagt, Gerne, wenn ich denn bereit sei. Und ich frage, ist denn je jemand bereit und sie sagt, das müsse ich schon selbst wissen. Sie habe in all den Jahren gelernt, dass es am Besten sei, so vorzugehen, wie sie jetzt vorgehe. Und ich sage, Gut, dann bin ich bereit. Und wir gehen.