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04.10.2008
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Herr Dr. Knappert. Steuerberater. Ort: München. Adresse: k.A. Telefonnummer: zu ermitteln. Kontaktart: Messe. Kategorie: C, ggf. Interesse an Seminar.
Herr Walter Tropsch. Winzer. Persönlicher Kontakt von Erwin Wagner (Intern). Kategorie B, Unterlagen zuschicken.
Herr Andreas Sommer. Auch ein Anwalt? Nein. Wo war die verdammte Visitenkarte? Marion machte eine Pause. Es war bereits 17 Uhr. Sie hatte noch etwa fünfzig Adressen, die eingepflegt werden mussten. Jede Adresse dauerte mit Recherche etwa zehn Minuten. Das wären sechs Adressen in der Stunde. Sie müsste es also vor zwei Uhr nachts schaffen. Doch was sollte das jetzt überhaupt noch?
Es war Mittwoch und Marion wusste nicht, ob es nicht vielleicht ihr letzter Arbeitstag in diesem Unternehmen war. Und auch an diesem vielleicht letzten Arbeitstag regnete es. Wenn sie durch das Fenster sah, konnte sie es an der Außenbeleuchtung des gegenüberliegenden Gebäudes sehen – dünne Streifen in einem spitz zulaufenden Lichtkegel.

Das Telefon klingelte, es war Roman.
„Na, du bist noch da?“, sagte er mit gespielter Verwunderung.
„Na, was denkst du denn? Ich muss meine Adressen-Sache ja noch beenden.“
„Oh ja stimmt, ja.“ Er machte eine kurze Pause in der Marion ihn sich schmunzelnd vorstellte. Und dann sagte er, den Chef nachahmend: „Diese für unser Unternehmen essenziell wichtige Aufgabe, Frau Schönberger, nicht wahr?“
„Genau diese“, seufzte Marion.
„Na dann will ich gar nicht lange stören. Ich vermute mal, das wird noch länger dauern?“
„Ja, aber vorher habe ich auch noch mein Monatsgespräch – also eher mein Abschlussgespräch, oder so.“
„Ach so, mit Herrn Graber. Was meinst du wird das ergeben?“
„Ich weiß es auch nicht. Aber ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass die mich einfach so gehen lassen. Es ist ja auch nicht so, dass sie so eine riesige Auswahl hätten. Die brauchen ja Leute, also mal sehen. Bist du um sechs noch da?“
„Ja, ich muss noch die verreckte Lohnabrechnig mache – auch deine übrigens. Kannst mich ja wieder alütte, ich meine anrufen.“ Roman war Schweizer und kam aus der Gegend. Mit den Deutschen im Unternehmen wurde meist Hochdeutsch gesprochen – was die Schweizer sichtlich anstrengte. Doch Roman schien es nichts auszumachen, wenn er mit Marion sprach.

Marion legte auf und sah dabei zu, wie Romans Name wieder vom Telefondisplay verschwand. Nein, das konnte nicht sein, so einfach würden sie sie nicht gehen lassen.
Sie pflegte weitere Namen ein. Jemand hatte die Straße angegeben in der auch das Büro der Firma war. Als sie vor drei Jahren in dieser Straße zum ersten Mal einen Parkplatz gesucht hatte, war ihr aufgefallen, dass die Schweiz eigenartige Farben benutzte um diese zu markieren – was im Anschluss zu einem unerhört teuren Strafzettel geführt hatte.
Damals war Marc noch mitgekommen. Eigentlich hatte die Beziehung mit ihm schon aufgehört zu funktionieren, als sie für Marions Wohnung ein Bett kauften: Ein eigenes Bett für ihr Zimmer in der Schweiz. Dabei hatten sie sich doch beide erst daran gewöhnt zusammen zu wohnen, gemeinsam Freunde zum Essen einzuladen und in einem Bett – und nicht in zwei Betten - zu schlafen. Ein Doppelbett für die kleine Wohnung, in dem sie beide genug Platz gehabt hätten, würde sich nicht lohnen, hatte Marc dann auch gesagt – und wie Recht er doch hatte. Kurz nachdem Schluss war, hatte er schon wieder eine Neue – was Marion natürlich nicht von ihm selbst, sondern brühwarm und nicht ohne Genugtuung von seiner Schwester erfuhr.

Die meisten Menschen nesteln an ihren Haaren oder Ohren herum oder sie kauen an ihren Fingernägeln, wenn sie nervös sind. Marion dagegen drehte den silbernen Ring, den Marc ihr – nicht als Verlobungsring, vielmehr als eine Art „irgendwann Verlobungsring“ geschenkt hatte. Marion hätte sich niemals mit Marc verlobt und auch der Ring hatte eher Misstrauen in ihr geweckt als etwa Vorfreude - weshalb sie ihn dann auch nie trug. Erst als sie in die Schweiz ging, hatte sie Gefallen daran gefunden – letztendlich auch deshalb, weil sie die schlimmsten Werber in der neuen Arbeit damit leichter auf Abstand halten konnte. Der Ring war durchzogen mit goldfarbenen Linien, die sich wie Schlingpflanzen um den Finger wickelten. Manchmal betrachtete sie den Ring, doch meistens drehte sie einfach nur an ihm, als würde sie ein mechanisches Uhrwerk aufziehen. So saß Marion an ihrem Platz mit müden Augen und drehte ihren Ring, bis ihr Computer sie mit der Terminerinnerung aufschreckte.

Marion verließ ihren Platz und ging vorbei an leeren Büros zum Fahrstuhl. Alle Büros hatten Glastüren ohne Schlösser: Das war Teil der offenen Politik des Unternehmens.
Die Firma hatte das nagelneue Gebäude erst vor zwei Monaten bezogen. Ein Funktionsbau mit zwölf Etagen plus zwei Etagen Tiefgarage. Sie drückte die Sieben. Der gleiche Gang, der gleiche neu verlegte schwarze Nadelfilzboden. Der einzige Unterschied war die große weiße Tafel an der Wand auf der die Abteilungen aufgedruckt waren. Und: Hier hatte man offenbar schon angefangen die Mitarbeiter des siebten Stocks mit Name und Bild einzeln neben die Tafel zu hängen. Das Unternehmen sollte persönlicher werden; allein von Marion wurde bisher noch kein Bild angefertigt.
Am Ende des Gangs war das Büro von Herrn Graber; durch die Glastür schien Licht. Er sah von Unterlagen zu ihr auf, als sie vor der Tür erschien.

Das Gespräch war lange Zeit um die Arbeit gekreist, die Marion aktuell verrichtete. Er hatte – wie Roman am Telefon – den Chef nachgeahmt und etwas vom Efficiency-Target erzählt, das es nötig mache, dass irgendjemand die gesamte Kunden-Datenbank und alle Kontakte zu potentiellen Kunden in die neue Form, in das neue System übertrage – jemand, der das zuverlässig konnte. Er hatte ja mit Marions Aufgabe nur indirekt etwas zu tun, daher schmunzelte er als er sagte: „Also das ist ja durchaus eine wichtige Arbeit, auch wenn vielleicht nicht unbedingt die interessanteste. Ich weiß, dass Sie sich als Projektleiter eigentlich etwas anderes vorstellen.“
Marion hörte nur halb zu - sie hatten das schon so oft besprochen. Sie drehte ein wenig an ihrem Ring und beobachtete aus den Augenwinkeln die Sekretärin, die Herr Graber um einen Kaffee und für Marion um ein Wasser gebeten hatte. Marion hatte bisher niemanden gekannt, der sich von seiner Sekretärin den Kaffee bringen ließ. Regula, die Sekretärin, war eine offene, lebenslustige und selbstbestimmte Frau in den besten Jahren – es wirkte komisch gekünstelt, wie sie ihn da so bediente. Herr Graber handhabte das bestimmt seit 35 Jahren so und mit Sicherheit wusste er auch nicht, wie der Kaffeevollautomat am Gang überhaupt funktionierte. Marion musste an einen höfischen Knaben denken, vielleicht der junge Mozart (Herr Graber war Österreicher, was man ihm auch anhörte), der vielleicht 14-jährige Mozart also mit Rüschenhemd und Pailletten an der Veste wie er mit Piepsstimme zu seiner eigenen Mutter sagt: „Sie können uns nun den Tee servieren, Maman.“
Herr Graber machte eine Pause in seinen Ausführungen, was Marion dazu veranlasste wieder aufzuhorchen. „Dass ihr Kollege Hr. Beckmann die Stelle bekommen hat, liegt nicht daran, dass er ein Mann ist.“
Marions Mundwinkel zuckten kurz, ohne aber, dass sie etwas erwiderte.

Ihr kam ihre Personalakte in den Sinn - Roman hatte sie ihr ausgehändigt mit den Worten: „Das wird dich vielleicht interessieren.“ Sie hatte erst nicht verstanden, was an ihrer alten Bewerbung und an ein paar Zeugnissen so interessant sein könnte, bis sie auf eine einzelne Beurteilungseintragung gestoßen war, die sich auf ihre ersten drei Monate bei der Firma bezog. Es handelte sich um einen Schriftverkehr zwischen dem Ober-Boss und Georg Beckmann, der damals noch ihr fachlich vorgesetzter Betreuer war – oder wie man hier lieber sagte: Ihr Mentor.

Georg hatte geschrieben: „Frau Schönberger fehlt die Bereitschaft sich der Sache in vollem Maße zu widmen. Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass Frau Schönberger die geeigneten Qualifikationen für dieses Amt“ – er hatte wirklich „Amt“ geschrieben – „vorweisen kann.“
Und dann die Antwort, die sie wirklich schockiert hatte vom Boss: „Lieber Herr Beckmann, ich stimme Ihnen in Ihrer Beurteilung voll und ganz zu.“
Voll und ganz zu? Er hatte Marion nicht ein einziges Mal persönlich gesehen und stimmt voll und ganz zu?
Und Herr Beckmann: „Da Kundenkontakt erforderlich ist, ist ein gewisses »Standing « und auch eine progressive Hemdsärmeligkeit sicher von Vorteil. Auch das sehe ich bei Frau Schönberger nicht gegeben, unabhängig davon, dass sie ja eine Frau ist.“ Und der Boss: „...stimme Ihnen voll und ganz zu.“

Da Marion nur mit den Mundwinkeln zuckte und nicht antwortete, sprach Herr Graber schließlich weiter: „Sie hatten ja kein Interesse an der internen Aufgabe der Kontakteverwaltung, was ich verstehe und ich denke ja auch, dass das nichts für sie wäre. Und Herr Beckmann hat sicherlich für alles länger gebraucht, aber es ist halt“, er blickte nach oben, um nach dem passenden Wort zu suchen. Als er es fand musste er darüber fast lachen. „Ja, es ist halt wie ein - Wettkampf, wissen sie? Und Herr Beckmann hat sich in diesem Wettkampf einfach besser durchgesetzt.“

Er lächelte Marion etwas schief an. Dann lehnte er sich ungewohnt entspannt zurück, setzte seine Brille ab, legte sie auf den Tisch und rieb sich die Augen. „Wissen Sie, auch ich war einmal arbeitslos. Und es war eine Zeit, in der ich viel über mich selbst gelernt habe. Sehen sie es also durchaus als Chance für sich.“
Marion begriff, dass es das nun wirklich war. Sie war raus aus dem Spiel. Nach drei Jahren, unzähligen Aufträgen, unzähligen Dienstreisen und Hotelaufenthalten. Drei Jahre in denen sie ihre Eltern nur noch zu Weihnachten gesehen hatte und ihre Freunde per E-Mail abgespeist hatte.
Sie merkte, dass sie unaufhörlich und immer schneller ihren Ring drehte, Marcs Ring. Vor zwei Wochen hatte er ihr am Telefon gesagt, dass er vorhabe jetzt zu heiraten. „Kenne ich sie?“, hatte sie scherzhaft gesagt, und darauf angespielt, dass er ihr nie persönlich gesagt hatte, dass er eine Neue hatte. Doch der Scherz war albern und Marc fand es gar nicht lustig. Irgendwie hatte Marion die Sache nicht besonders ernst genommen, so wie wenn jemand sagt: Irgendwann habe ich mal einen Bauernhof und zehn Kinder. Doch jetzt, in diesem Moment begriff sie es plötzlich: Marc würde heiraten.

Die Verabschiedung von Herrn Graber war kurz und sachlich. Beim Zurückgehen hallten ihre Schritte dumpf an den Glaswänden. Marion hatte auf ein Angebot gewartet. Sie hatte darauf gewartet, dass die Firma einsehe, wozu sie Marion noch brauchen würden. Zurück in ihrem Büro wählte sie Romans Nummer.
„Hallo Marion!“ meldete sich Roman gleich. „Und wie war´s?“
„Ganz ok.“
„Bist sicher? Klingst gar net so.“ Roman sagte das ganz ernst und fürsorglich.
„Doch. Alles ok. Ich bin raus.“ Marion holte tief Luft und presste sie mit einem kurzen Seufzer wieder raus.
„Ah, ok. Ich verstehe. Dann setze ich heute als deinen letzten Arbeitstag fest und zahle dir den übrigen Urlaub als Resturlaub aus. Dann kriegst du mehr Geld, als wenn du einfach nur Urlaub nimmst.“
„Das ist gut, danke“, sagte Marion und versuchte begeistert zu wirken. Sie verstand erst nicht, was er meinte, wollte aber seinen Eifer nicht kränken. Es war ja nett von ihm, sich zu kümmern – er hätte es ja nicht machen müssen.
„Und es gab keine Möglichkeiten mehr für dich?“
„Er hat es so gesagt. Obwohl ich mir das immer noch nicht vorstellen kann. Es kann doch gar nicht sein! Sie brauchen mich doch, ich bin doch voll eingearbeitet und alles.“ Marion bemühte sich, nicht zu aufgeregt zu sprechen. „Kannst du dir das vorstellen?“
Doch Roman konnte nicht. Er bekam von diesen Personalentscheidungen nichts mit – und wollte es auch gar nicht. Das Gespräch endete schließlich mit dem Gruß und dem ehrlich gemeinten Wunsch: Dir alles Gute!

Was soll man schon sagen, wenn man sich nie wieder sieht? Leb wohl? Das wäre doch zu pathetisch. Marion begann wieder damit Namen einzutippen. Während sie das tat, fühlte sich alles an wie vorher. Sie hatte ihre Aufgabe, sie hatte ihren Job. Die Stille vom Gang strömte gegen ihr Büro doch sie tippte unbeirrt weiter. Sie würde diese Aufgabe meistern. Eines nach dem anderen würde sie die Bruchstücke wieder zusammenfügen. Erst würde sie diese Aufgabe beenden und sich dann darum kümmern, wie es weiter gehen würde. Sie erhöhte also das Tempo und verstärkte ihren Einsatz. Es musste fertig werden – sie hatte schon zu viel Zeit verloren.
Andreas Sommer, sie suchte im Stapel – den hatte sie doch schon gesehen, doch wo – und das schrie sie nun plötzlich: „Wo ist jetzt die Scheiß Visitenkarte?“
Panik stieg in ihr auf. Doch nein, da war sie – und sie hatte den Namen bereits eingegeben. Sie warf die Karte auf den ‚Erledigt’ Stapel und trank einen Schluck Wasser. Dann suchte sie den nächsten Namen heraus.
Sie hackte die Namen ein. Anwälte, Doktoren, Professoren, Magistraten, Wesen geadelt durch ihre Gediegenheit, Erfahrung, Macht und durch ihr Geschlecht: männlich. Keine der Namen und keine der Adressen kamen ihr bekannt vor, alle wirkten fremd und weit entfernt. Und dann doch: Marc mit „c“ geschrieben, nicht mit „k“, und nicht Markus sondern Marc, Marc – den Rest konnte sie nicht mehr lesen, denn plötzlich liefen die Tränen. Und sie liefen völlig unkontrolliert: Sie schaffte es nicht einmal mehr rechtzeitig ein Taschentuch hinzuhalten, bevor sich schon alles auf ihrer Tastatur verteilt hatte. Sie beruhigte sich kurz doch dann kam schon der nächste Schub, der ihr völlig den Halt nahm. Sie glitt von ihrem Bürosessel auf den Boden, umklammerte ihre zitternden Beine, senkte den Kopf auf die Knie und benetzte ihre Stoffhose mit dem Ergebnis ihres Lebens.

*****​

Sie tranken den Kräuterschnaps, den Roman mitgebracht hatte. Es war in der Tat gut, dass er sowas immer in seinem Schränkchen hatte. Als er Marion am Boden sitzend vorfand, hatte er ihn schon dabei – er wollte ja doch noch ihren Ausstand begießen. Die meiste Zeit hatte er sie dann einfach nur im Arm gehalten. Zwischendurch hatte sie schluchzend Dinge von sich gegeben wie: „…ich möchte auch mal ein Haus haben, einen Hund und Familie“ oder „wieso habe ich mir so lange Zeit nur etwas vorgemacht“ und „…ich möchte mal wieder einfach nur tanzen gehen und fröhlich sein.“

„Das wirst du“, hatte er dann jeweils gesagt. Und schniefend mit rot unterlaufenen Augen sah sie ihn dann von untern her an und versicherte sich bei Roman, ihrem Ex-Arbeitskollegen: „Wirklich?“
„Ganz sicher, ich versprechs!“ Woraufhin Marion jedes Mal wieder zu schluchzen begann.

„Geht’s besser?“, fragte er, als sie sich schließlich beruhigt hatte.
„Ich glaube schon. Es tut mir leid.“ Roman war aufgestanden und hatte für sie beide Schnaps eingegossen. So saßen sie sich nun beide am Boden sitzend gegenüber, Marion spürte aber noch immer seine Umarmung nachwirken.
„Ich habe diese hässlichen Büros noch nie von hier unten betrachtet.“, sagte Roman amüsiert.
„Ja, das stimmt. Sie sind hässlich.“ Marion putzte sich die Nase.
„Unglaublich hässlich!“, sagte Roman als sei ihm das gerade jetzt erst so richtig bewusst geworden. Marion musste lachen.
„Was ist das nur für ein widerliches Zeug?“ fragte Marion und hielt ihm den leeren Plastikbecher hin damit er auffülle.
„Widerlich?“, sagte er und goss nach. „Das ist ein Nationalgetränk hier! Ein Appenzeller. Aber ja, ziemlich widerlich auch.“
„Aber genau das Richtige jetzt für mich“.
„Ich erzähl dir jetzt mal was“, sagte Roman und goß sich selbst den Becher randvoll mit dem braunen Sirup. „Ich höre in zwei Wochen auf hier. Ich habe gekündigt.“
„Was, aber wieso?“, Marion war überrascht.
„Es gibt keinen bestimmten Grund. Das Geld war scho guat. Und der Graber ist als Chef auch nicht verkehrt. Die Arbeit, na ja, das war eigentlich auch nicht so schlecht.“ Er nahm einen großen Schluck Nationalgetränk und sah Marion an. Seine Augen wirkten sonst eher matt und schläfrig, doch nun glänzten sie plötzlich und überhaupt strahlte sein ganzer Anblick – Roman war durchaus nicht unansehnlich. Und seine Umarmung hatte Marion das ganz leise wieder in Erinnerung gerufen.
„Ich wusste, dass ich es nicht mehr haben mochte, also hab ich gekündigt.“
„Und was willst du jetzt machen?“
„Hm“, sagte Roman nur während er den Rest seines Bechers leerte. „Wie wäre es, wenn wir erstmal Georg Beckmann töten?“

*****​

Es war gespenstisch nachts um elf durch die leeren Etagen zu gehen. Hie und da schien immer noch Licht aus den Büros. Den Hammer hatte Roman aus einer Kiste genommen vom zweiten Stock – hier waren immer noch Bauarbeiten im Gange. Danach waren sie Stockwerk für Stockwerk abgegangen auf der Suche nach ihm - ohne den Lift zu benutzen. Marion dachte an ihre Kundenliste, die unfertig auf Erledigung wartete. Ab Stockwerk acht dachte sie dann nicht mehr daran – dort hatten sie den letzten Rest des Kräuterschnapses getrunken. Marion hatte jetzt ein anderes Ziel.
Auf Stockwerk zehn war es dann so weit: Roman überreichte ihr den Hammer. Sie drehte ihn, um mit der Spitzen Seite zuschlagen zu können. Sie hätte gedacht, dass sie zögern würde, es vielleicht doch nicht tun könnte. Doch der Hammer traf ihn hart und auch noch genau zwischen die Augen. Das Bild von Georg Beckmann – und mit ihm sein süffisantes Grinsen – zerbarst in tausend Stücke. Wäre etwas übrig geblieben, hätte sie wahrscheinlich noch weiter draufgeschlagen, doch so schrie sie einfach nur laut: „Du Schwein! Wie gefällt dir das, hä?“

Roman hatte ihr amüsiert zugesehen und sie dann aber zügig vom Tatort entfernt. Über einen Notausgang gelangten sie vom 12. Stock auf das Dach des Gebäudes. Es hatte aufgehört zu regnen und ein klarer Sternenhimmel umgab die Wolkenfelder am Himmel, eine glitzernde Seenlandschaft, die kühl über ihren Köpfen lag.
Sie saßen angelehnt an einen Lüftungsschacht. Roman hielt Marion seine offene Handfläche hin: „Den Hammer nehm ich dir mal besser wieder ab.“
Marion gab ihn lächelnd zurück. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das wirklich mache – aber es tat echt gut.“ Marions Augen blitzen als sie das sagte.
„Aber ich werde es wohl bezahlen müssen?“
Roman lachte: „Jeden Tag gehen Dinge hier kaputt - und um sie wieder zu reparieren geht man in die Arbeit.“ Roman nahm Marion in den Arm und sie ließ es bereitwillig geschehen.
„Manche Dinge kann man nicht reparieren.“, sagte Marion. Es wehte kaum ein Wind und dennoch zogen die Wolkenfelder rasch vorüber.

„Was wird nun?“, fragte Marion nach einiger Zeit. „Und was wird mit dir?“
„Ich folge dir – wenn du willst.“
Marion lächelte und stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite.
„Naja, wahrscheinlich habe ich gekündigt, weil ich ja wusste, dass du vielleicht auch gehst. Das hast du vielleicht nicht so gemerkt – also du hast sicher nichts gemerkt, aber ch'ha di scho ga"rn.“ Er wollte noch was sagen, brach aber ab und sah einfach nur nach oben in den Himmel.
„Wie viele Namen dort oben die Sterne haben“, sagte Marion daraufhin nur. „Orion, Pegasus, die Milchstraße – ist das nicht schön?“ Marion war schläfrig geworden. Sie küsste Roman auf die Backe und drängte sich ganz nah an ihn. „Wie viel schöner wäre es, wenn unsere Firma diese Namen sammeln würde“, die letzen Worte konnte Roman kaum noch verstehen, weil Marion eingeschlafen war. Ein Gegenstand machte plötzlich ein helles Geräusch, wie wenn ein Geldstück auf den Boden fällt und dann noch wegkullert. Es war Marions Ring, der auf den steilen Abgrund zurollte und mit einem letzten „Ping“ vom Dach flog.

 
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Hallo MLasar,

Drei Themen - eine Geschichte: Kündigung, Zerstörung und Romanze.
Es scheint, als wolltest Du es hier ein ganzes Heer an Spannung/ Handlung auffahren :).

Für meinen Geschmack verlierst Du Deine Prots darunter. Den Hammerschlag mag ich den beiden einfach nicht abkaufen. Dazu sind sie zu real, zu lieb irgendwie. Auch dass sie danach gleich auf Romantik machen, passt nicht so recht ins Bild von den beiden. Da müssten sie schon etwas schräger daherkommen und nicht so "normal". Ein bischen Alkohol will mir da nicht reichen.

Du beschreibst alles sehr ausführlich. Das hatte für mich stellenweise Längen, die ich beim Lesen ermüdend empfand.

Du merkst schon, so richtig warm geworden bin ich nicht wirklich. Sorry.

Beste Grüße Fliege

 
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Hallo Fliege,

vielen Dank für Deinen Kommentar. ja man verliert sich leicht - und dann reicht es andererseits doch wieder nicht. Ich hätte es sicher noch straffer anlegen müssen

Dass sie zuhauen, da hast Du Recht: Alkohol genügt nicht ganz, es ist vielleicht auch zu offen und zu mechanisch.

Trotzdem danke!

 

Hallo MLasar,

Deine Geschichte hat mir gefallen, weil sie flüssig geschrieben ist und sowohl die Atmosphäre in der Firma als auch die Stimmung der Protagonistin gut rübergebracht werden.

Kurzzeitig kommt unerwartet Spannung auf, wenn die beiden nachts um elf mordlüstern durch das Gebäude schleichen; nach der Antiklimax ist die Welt dann wieder in Ordnung – ich hätte den beiden auch keinen richtigen Mord zugetraut.

Ein paar Kürzungen würden der Geschichte sicher guttun; da stimme ich Fliege zu.

Ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

Kotaktart: Messe.
Was für ein Akt?

Es war Mittwoch und Marion wusste nicht, ob es nicht vielleicht ihr letzter Arbeitstag in diesem Unternehmen war.
Komma nach „Mittwoch“?

Und dann sagte er den Chef nachahmend:...
Komma nach „er“?

Roman war Schweizer und kam aus der Gegend. Mit den Deutschen im Unternehmen musste man meist Hochdeutsch sprechen – was sichtlich anstrengte. Doch Roman schien es nichts auszumachen, wenn er mit Marion sprach.
Der Wechsel in der Perspektive irritiert etwas. Bisher war alles aus des Sicht von Marion, der Deutschen, geschrieben, und im Anschluß geht es auch wieder aus Marions Sicht weiter.

Als sie vor drei Jahren in dieser Straße zum ersten Mal einen Parkplatz gesucht hatte, war ihr aufgefallen, dass die Schweiz völlig andere Farben benutzte um diese zu markieren – was im Anschluss zu einem unerhört teuren Strafzettel geführt hatte.
War es nicht eher umgekehrt: Erst durch den Strafzettel geht ihr ein Licht auf; wenn es ihr vorher aufgefallen wäre, hätte sie ihr Fahrzeug sicher korrekt „parkiert“?

Das Unternehmen sollte persönlicher werden, allein von Marion wurde bisher noch kein Bild angefertigt.
Semikolon?

Beim zurückgehen hallten ihre Schritte dumpf an den Glaswänden.
Zurückgehen groß

Gruß
Engelhard

 

Hallo Engelhard,

vielen Dank für die Anmerkungen, ich habe sie gleich eingearbeitet.
Die Länge des Textes ist sicher ein Problem - man trennt sich halt so ungern von seinem Spielzeug...
Danke natürlich auch für das positive Feedback!

Viele Grüße

MLasar

 

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