Sterne
Ich habe sie seitdem nie wieder gesehen. Und auch andere Dinge sind fort, unwiderruflich, auf ewig. Spürbare Abwesenheit geistert durch die Nacht und erschreckt streunende Katzen, deren stilles Miauen verharrt, irgendwo zwischen dem großen Wagen und den Sternen, die wir zu unseren Lebzeiten nie sehen werden.
I. Play.
Warmer Regen begleitet meine Fahrradfahrt vom Anfang des Anfangs bis in ein Krankenhaus außerhalb der Stadt. Hinter mir eine Gitarre auf den Rücken geschnallt und vor mir die Ungewissheit, wie ein Film, vielleicht, dessen Ende man nicht kennt.
Du lächelst mich an, als ich ins Zimmer komme.
Die Kiefern vor dem Fenster schmelzen in der honigfarbenen Abendsonne.
„Ich wünschte, ich könnte noch etwas hier bleiben.“
„Komm morgen wieder, ok?“
II. Pause.
Zum ersten Mal spüren, was wirkliches Glück ist. Das ist wie ein kleines knisterndes Lagerfeuer, zirpende Grillen, Sterne oder Katzenaugen oder Glühwürmchen, die im See baden und tanzen, konzentrisch, kontrolliert, vibrierend, umhüllt vom warmen Nachtwind, einem zarten Hauch, wie das Flüstern eines Geistes. Das alles zusammen, zu exakt derselben Sekunde, die sich so stark ausdehnt, bis sie sich irgendwo in der Unendlichkeit verliert und der Moment zu einem Stillleben wird. So, als drücke man Pause auf der Fernbedienung. Und wir, im Gras liegend, Kopf an Kopf, mittendrin.
„Weißt du, was ich mir schon immer gewünscht habe? Das hier...genau das.“
III. Stop.
Worte und Zeit. Zeit in Worte packen, einwickeln, zuschnüren, abschicken, als Einschreiben ausgeschrieben. Was ist los? Sag’s mir, ehrlich, unverblümt, ins Gesicht, geschrieen oder mit Tränen, ganz egal.
Etwas ist anders, ein Farbklecks zu wenig oder zu viel, irgendwo an einer Wolke über unseren Köpfen, vielleicht.
„Es ist alles ok, wirklich.“
„Meldest du dich, wenn du wieder Zeit hast?“
Es fühlt sich nicht richtig an. Doch irgendwo ein Farbklecks, dort oben? Unscheinbar, wie deine sichtbare Unsicherheit. Das ist das Ende der Gedanken, weit abseits der letzten Worte, die sterbend ihre letzten Atemzüge hauchen. Gestrandet auf einer Sandbank aus Stille, diesem großen, leeren Nichts. Ein letzter Gedanke, eins noch, drei Worte, vierzehn Buchstaben, bevor die Unendlichkeit anklopft: Ich vertraue dir.
IV. Rewind.
Und alles doch nur ein Film. Am Ende: Die Plotauflösung, mit Fragen zu den Antworten, die ich die ganze Zeit schon hatte.
Genau jetzt landet ein roter Schmetterling auf einer violetten Rose im Garten nebenan.
Die Ampel an der Kreuzung schaltet auf blau.
An der Küste zieht sich das Wasser zurück, ganz langsam.
Und die Uhr an der Wand gegenüber nimmt sich Zeit und bleibt stehen.
„Ich werde dann losfahren.“
Warum bin ich nicht glücklich?
„War schön, dich mal wieder zu sehen.“
Warum?
„Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder…“
Nur ein Film.
„…dann können wir einen ganzen Tag lang etwas zusammen unternehmen…“
Plotauflösung.
„…so wie früher.“
Die Antwort Ja auf einem Kärtchen in meiner Hosentasche zur Frage: Ende?
Mehr Fragen, als Kärtchen. Mehr Gedanken, als Worte. Und alle Wünsche fort, bis auf einen: Zurückspulen, zum Anfang, dich noch einmal fragen, noch einmal dieselben Antworten kriegen, noch einmal nicht verstehen. Noch einmal glücklich sein.
Die Sterne: Ich habe sie seitdem nie wieder gesehen. Und auch andere Dinge sind fort, unwiderruflich, auf ewig. Spürbare Abwesenheit geistert durch die Nacht und erschreckt streunende Katzen, deren stilles Miauen verharrt, irgendwo zwischen dem großen Wagen und den Sternen, die wir zu unseren Lebzeiten nie sehen werden.