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Sternschnuppe
Die Sonne hatte ihr goldenes Ballkleid angezogen, tanzte einsam am Horizont und warf ihre Falten über das gefrorene Land. Vielleicht würde sie heute etwas länger aufbleiben. Vielleicht uns ein wenig Wärme gönnen. Vielleicht uns aber auch nur versprechen, morgen wiederzukommen. Sie vergisst es nicht. Ganz bestimmt.
Viel zu früh bricht die Nacht herein, eine schwarze Flut, die Sterne an den Himmel schwemmt. Schau!, dort oben, die Küste der gestrandeten Seelen, sie warten auf unsere Heimkehr. Meine Hand stochert in die Dunkelheit, probiert, einen kleinen Stern zu fangen, um ihn dir zu schenken. Aber sie verstecken sich hinter den Wolken.
Hast du denn schon Heimweh? Du strampelst, als möchtest du dich wehren. Kämpfe nur, kämpfe, mein Kleines. Für das Leben. Ich streichle über meinen Bauch. ›So nah wie jetzt‹, überlegt ein Teil von mir, ›werden wir uns nie wieder sein.‹ Und doch scheinen wir getrennt.
Draußen ist der Mond aufgegangen. Ernst blickt er auf uns hinab. Du schlummerst ruhig, und das macht mir Angst. Ich weine, und mit den Tränen male ich dir meine Welt auf den Bauch. Kannst du sie sehen? Nein. Du spürst nur, wie kalt und finster sie ist.
Über dem Eingang hängen die Eiszapfen immer tiefer. Sie drängen zur Erde, weil das Meer aus Flocken sie lockt. Der Schnee glänzt silbrig im Mondschein, und blendet mich. Nur wir, gehüllt in graue Felle, wirken wie etwas Unreines, das hier nicht hingehört.
Durch die Ritzen des Iglus schlägt der Wind, rüttelt an den Wänden unseres Eisgefängnisses. Einreißen will er es nicht, das wäre viel zu einfach. Stattdessen spielt er mit unserer Angst, harrt darauf, dass wir uns der Kälte ergeben. Wie Tausende von Dornen reibt er an meiner Haut. Sie ist schon völlig weich und blau.
Die Flamme der steinernen Tranlampe wirkt abwesend. Sie spendet uns kaum genug Wärme. Ihr Licht birgt keine Hoffnung mehr, sondern macht mich wütend. Du drehst dich um, und willst von alledem nichts wissen. Nicht die richtige Zeit, und schon gar nicht der richtige Ort.
Die Stille rieselt herein, und legt sich wie Reif auf meine Lider. Dass sie geschlossen bleiben. Den Schmerz nicht hinauslassen, damit er im Inneren versickert. Ich hoffe, du fühlst ihn nicht. Mit Mühe verzehre ich den letzten Brotkanten. Du wirst Kraft brauchen.
Es herrscht Windstille, als du dich entschließt, meine Welt zu betreten. Endlich. Ich beuge mich über die Kuhle im Schnee, die deine eiskalte Wiege sein wird. Mein Bauch krampft sich zusammen, möchte dich festhalten. Die Schmerzen breiten sich wie ein Gewittersturm in mir aus. Hier zuckt, dort dröhnt es. Und irgendwo hat es ein gleißendes Feuer in mir entbrannt.
Da liegst du nun, starrst mich an. Dein stumpfer Blick prallt an mir ab, zersplittert wie Eis. Sie glänzen, deine Augen, stumm zwar, aber voller Sehnsucht nach dem Leben, das deinem eisigzarten Körper entströmt. In Wölkchen, die nicht anders können, als in den Himmel aufzusteigen. Klein, weiß wie deine Wangen und ganz weich.
Keine Regung verlässt dein Inneres. Du hast aufgegeben, nach Luft zu ringen. Es lohnt sich nicht. Deine Lungen, zart wie Pergament, dein Herz, zu klein für solch einen tapferen Jungen. Du folgtest diesem wunderschönen Traum, der dich fortlockte, der dich entführte in deine wahre Heimat. Wirst du mir später von ihm erzählen?
Ich gehe hinaus. Hinein in die schweigende Nacht. Der Sturm hat die Wolken auseinander gerissen, die jetzt wie Klippen am Firmament prangen. Der Mond fehlt, und hat seinen Schein den Sternen anvertraut. Sie funkeln herrlich. Wie winzige Leuchttürme, welche in der dunklen Brandung dafür sorgen, dass die Seelen nicht untergehen.
Das Polarlicht flimmert über mir. Gottes Atem. Eine Sternschnuppe blitzt aus der Ferne auf. Du bist es. Deutlich sehe ich dich in der leuchtenden Schleppe. Kurz darauf strandet sie im schwarzen Nachthimmel. Du nistest dich als Stern ein, und sendest mir fortan dein goldenes Lächeln.