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Sternstunde
Planet Hyperion, Sitz der (objektiv betrachtet) Allen-anderen-technologisch-weit-überlegenen-
außerirdischen-Intelligenz, 1997
Die Vorbereitungen waren abgeschlossen; dreißig Jahre, nachdem riesige Radioteleskope den Beweis erbracht hatten: In den wahrscheinlich unendlichen und unendlich unwahrscheinlichen Weiten des beinahe wahrscheinlichen Universums waren die Hyperioner nicht allein – es gab noch einen Planeten, der bewohnt war. Er hieß Erde.
„Wir müssen uns gründlich auf einen solchen Kontakt vorbereiten“, hatte der Chef des Hyperion-Rats, Quackquu-Wuckler, damals, vor dreißig Jahren, empfohlen. „Und wir müssen alle uns verfügbaren Energien dafür verfügbar machen, diese Begegnung zu einer galaktischen Sternstunde zu machen. Ohne dass zum Schluss wieder ein blutiger Vernichtungskrieg dabei herauskommt, wie es üblich ist, wenn zwei fremde Kulturen, die einander fremd sind, sich kennenlernen. Wir müssen ihre Sitten und Verhaltensweisen studieren und ihre Sprachen kennen, bevor wir zu ihnen fliegen, um ihnen den Gruß des Lebens zu überbringen. Wir dürfen nicht voreilig sein!“
In der Folgezeit waren die Vorbereitungen zum Besuch der Erde von heftigen Diskussionen begleitet worden. Die zwei kontroversesten Debatten betrafen die Fragen nach der Intelligenz in dem neu entdeckten Sonnensystem: Erstens, gab es Intelligenz auf diesem Planeten namens Erde und zweitens, wenn ja: wo genau?
Die ersten Radiowellen hatten den Hyperionern die Fernsehübertragung eines neunzigminütigen Boxkampfes übermittelt, an dessen Ende einer der beiden Protagonisten (mit einem zu Blutbrei geschlagenen Gesicht) zum ‹Sieger› ernannt wurde, während man den anderen (den sie später ‹Vizemeister› nannten) auf einer Bahre hinausschaffte.
Hyperionischen Übersetzern hatte man anfangs nicht geglaubt, dass die Erdlinge das zum Vergnügen taten, dass es ein Sport war und kein grausames religiöses Opferritual. Nach vielen zehntausend Jahren Entwicklung des Homo sapiens sapiens-Großhirns im Laufe der irdischen Evolution war es offensichtlich Ziel der Akteure dieser Sportart, einander so lange gegen die Rübe zu dreschen, bis in einem der beteiligten Schädel die Neuronenzellen abkackten. Während die Zuschauer außen herum dies bejubelten und Fähnchen schwenkten.
Die restlichen über Radioteleskope empfangenen Sendungen waren kein Anlass zu Hoffnung: Die Hauptbeschäftigung auf der Erde war es, sich mit allen Mitteln die Freizeit zu vergällen, indem man sich gegenseitig haute, würgte, erschoss, totschlug, aufschlitzte, zu Krüppeln fuhr oder in die Luft jagte. Es lief fast nichts anderes im Fernsehen.
Hyperionische Sprachforscher warnten, dass es auf der Erde zwar nur wenige Synonyme für das Wort ‹lieben› gebe, aber Hunderte Synonyme für ‹töten›: umnieten, umwuchten, auslöschen, plattmachen, kaputt treten, Licht ausblasen, über den Jordan schicken, die Birne wegpusten, einen Engel machen und endlos so weiter. Einzig das Vorhandensein vielfältigen Bild- und Tonmaterials im so bezeichneten Internet, das millionenfach alle Arten der Fortpflanzung thematisierte und in Lehrvideos alle diesbezüglichen Möglichkeiten darstellte, wies darauf hin, dass auch liebevolle Bindungen nicht zur Gänze ohne Bedeutung für die Planetenbewohner waren.
Dennoch, Erdenmenschen schauten sich nichts lieber an als das Unglück anderer Erdenmenschen, sie konnten nicht genug davon bekommen. Trotz der beständigen Existenz von gleichzeitig mindestens einem Dutzend Kriegs- und Terrorschauplätzen auf fast allen Kontinenten war Filmmaterial mit Mord- und Totschlag offensichtlich immer noch nicht in ausreichender Menge vorhanden, sodass zusätzlich fiktives Material hinzugefügt werden musste, ‹Actionfilme› genannt. Die Menschen wunderten sich darüber hinaus, dass trotz allen sonstigen Fortschritts die Gewalttätigkeiten ungebremst weitergingen.
Bald gab es auf Hyperion zwei Gruppierungen, die sich darüber stritten, welche Lebensform auf der Erde die am weitesten fortgeschrittene sei. Die Gruppierung der Paziquakus nämlich behauptete, dass die fortgeschrittenste Intelligenz am ‹friedvollsten Verhalten› erkannt werden könne. Demnach seien auf der Erde Getränkeautomaten die fortgeschrittenste Intelligenz, die am fortgeschrittensten sei. Während Menschen ständig gegen Getränkeautomaten träten, reagierten diese ihrerseits auf die Provokation ausschließlich mit Gelassenheit. Es konnte nicht eine Szene ausfindig gemacht werden, in der ein Getränkeautomat fluchte, blutige Rache schwor und mit einer Maschinenpistole herumballerte.
Den Paziquakus wurde von den Anhängern Quackquu-Wucklers widersprochen, welcher darlegte, dass Getränkeautomaten weder selbstständig Dreck und Müll produzieren noch auf sonstige Weise den Planeten vergiften und verseuchen – und also deswegen nicht intelligent sein können. Die unverzichtbaren Eigenschaften jeder intelligenten Spezies seien, so Quackquu-Wuckler, dass diese permanent die Lebensbedingungen verschlechtere, sei es durch Stress, Druck, Hektik, Lärm, Ausbeutung im alltäglichen Leben des Alltags oder durch Vergiftung und Verschmutzung des Bodens, des Wassers und der Luft – oder (im Optimalfall) beides; Getränkeautomaten schieden deshalb aus. Sie standen die meiste Zeit herum und es war nahezu unmöglich, dauerhaft Krieg gegen sie zu führen.
Eindeutig seien die Menschen die Könige des Planeten. Die Paziquakus argumentierten hingegen, dass der Mensch die einzige Spezies sei, die damit angefangen hatte, Land zu besitzen, indem einige wenige von ihnen außen rum einen Zaun aufstellten und im Anschluss alle anderen dafür zahlen ließen, dass sie auf ihrem eigenen Heimatplaneten wohnen durften – was jene auch ohne zu murren taten. Keine andere Lebensform auf der Erde war ähnlich dämlich.
Aber die Quackquu-Wuckler hatten sich schon entschieden und setzten sich durch; die Spitze der Evolution waren die Menschen, und von diesen waren wiederum die Nordamerikaner zuoberst die Spitze der Spitze der Evolution; jene 'Amis' gab es in dem so bezeichneten 'USA'. Ziel der Expedition musste demnach ‹USA› sein.
Das Raumschiff, die ‹Botin der Freude›, startete Richtung Erde, ausgerüstet mit dem vierzig Trillionen teuren Gigl-Gugl-Antrieb zu seiner zweijährigen Reise durch die Tiefen des Alls, mitsamt der gesamten politischen, technischen, wissenschaftlichen und ethischen Elite des Planeten Hyperion an Bord …
Planet Erde, Washington, Weißes Haus, Oval Office, 1999, 14.39 Uhr
Der Präsident beugte sich zur Praktikantin vor. „Es ist sicher eine Ehre für Sie, hier Praktikum machen zu können“, er lächelte, „sozusagen im Zentrum der Macht, Sonja.“
„Oh, Mr. President, ich bin so glücklich!“
„Aber wissen Sie auch genau, was ein solches Praktikum bedeutet?“, er lächelte erneut, „was genau genommen ein Praktikum ist?“
„Oh, Mr. President!“
„Viele Dinge“, sagte der Präsident, „scheinen etwas zu sein, obwohl sie etwas anderes sind, verstehen Sie, Sonja? Und das ist auch gut so, denn wir leben in einer offenen Gesellschaft, in der jeder glauben soll, was er will, aber … nun, Ihnen möchte ich sagen, dass die Dinge viel bedeutender sind, als Sie es sich bislang vorstellten, Sonja.“
„Oh, aber Mr. President!“
„Sehen Sie, die Menschen hier glauben, Sie leben in einer Demokratie. Das allein ist schon Unfug, denn wir leben in einer parlamentarischen Demokratie – was übrigens hieße, dass das Volk bestimmt, wer bestimmen soll, Sonja, weshalb diese Leute Volksvertreter heißen“, wieder lächelte er, „aber ich benutzte den Konjunktiv – falls Sie wissen, was ein Konjunktiv ist – weil das natürlich ebenfalls Unfug ist – denn diese Leute, jene Volksvertreter, bestimmen zum Glück gar nichts, sondern heben die Hand, wenn sie sollen, oder lassen sie unten, wenn sie nicht sollen, und darüber entscheidet die Partei, der sie jeweils angehören. Ich sehe, Sie verstehen kein Wort, und das ist schon in Ordnung“, sagte er.
„Oh, Mr. President!“
„Wenn unsere Gegner ein Land überfallen, es politisch, wirtschaftlich oder militärisch massakrieren, ist das Terror, meine Liebe. Und wenn wir das tun, ist das der Kampf gegen den Terror. Wir tun es, weil es erforderlich ist und unsere internationale Verantwortung dies verlangt. Sehen Sie? Dinge sind nicht gleich Dinge. Und Praktikum ist nicht gleich Praktikum, Sonja. Und jetzt komm her und mach mir die Hose auf!“
Interplanetarisches Raumschiff ‹Botin der Freude› des Planeten Hyperion, 1999, beim Erreichen der geostationären Umlaufbahn
Ansprache des Kapitäns: „Wir haben uns zweiunddreißig Jahre lang auf diesen Moment vorbereitet, unzählige Opfer in Kauf genommen, die Opfer waren, Trillionen an Geld ausgegeben und stehen in diesem Augenblick vor dem größten Moment in der Geschichte der Galaxis! Uns erwartet eine Zivilisation, wie sie fortschrittlicher kaum sein könnte; nicht in technischer Hinsicht, nicht wegen ihres Fernsehens oder ihres Verhaltens – doch hinsichtlich ihrer Philosophie, ihrer Erkenntnisse und Einsichten. Denn das können wir mit sicherer Sicherheit behaupten: Nichts ist den Bewohnern dort wichtiger als der Wert allen Lebens, die Würde jedes Einzelnen, der Erhalt des Friedens, die gleichmäßige und gerechte Verteilung aller Güter sowie die gesamt-planetarische Gleichheit der Chancen auf ein gutes Leben – unabhängig von Geschlecht, Rasse und Herkunft.
Denn in allen Büchern und politischen Reden, die wir analytisch analysierten, waren dies die zentralen Anliegen der Herrschenden für ihre Untertanen. Habt keine Angst wegen der Boxkämpfe und Gewalttätigkeiten. Die Paziquakus haben all das falsch interpretiert. In Wirklichkeit opfern diese Boxermenschen aufopferungsvoll ihre Gesundheit, um den Kindern zu zeigen, wie übel und gefährlich es ist, sich gegen die Köpfe zu schlagen – und wie wenig geeignet diese Methode ist, um Konflikte zu lösen. Und die Kriege … welchen anderen Sinn könnte diese Verschleuderung von Ressourcen und Leben haben als den der abschreckenden Abschreckung? Die Sapiens-Menschen haben große Gehirne. Sie führen allein deshalb Krieg, um in Erinnerung zu behalten, wie schrecklich Krieg ist; sie führen Krieg, um Kriege zu verhindern.
In wenigen Minuten werden wir an diesem herrlichen Ort landen und Kontakt zu dieser geistig und seelisch hochstehenden Zivilisation aufnehmen … und ich bin überzeugt, sie werden mit Freude unseren Gruß des Lebens mit dem ihren erwidern!
Unser erstes Ziel: Wir landen direkt im Präsidentenbüro des Weißen Hauses, dort, wo der am höchsten entwickelte Führer der freien Menschen seine Residenz hat und seinen Geschäften nachgeht. Wie das möglich ist? – Die Analyse der letzten Daten zeigte, dass unser Raumschiff in Erddimensionen nicht größer ist als eine gewöhnliche irdische Fruchtfliege. Wir sind in ihren Augen winzig. Deshalb können wir vom Radar nicht erfasst werden und brauchen keinerlei Abwehrmaßnahmen zu befürchten; wir brauchen allerdings auch nicht zu befürchten, dass sie uns für gefährlich halten könnten.
Es erwartet uns eine Sternstunde der Begegnung! Und jetzt: Energie!“
Die ‹Botin der Freude› drang in die Atmosphäre des gigantischen blauen Planeten ein und flog summend durch die Stratosphäre nach unten in Bodennähe. Sie wich einem Schwarm gefährlicher irdischer Flugraubsaurier aus, die laut Datenbank ‹Zaunkönige› genannt wurden, und erreichte den Ort ihrer Bestimmung. Das kleine Schiff umkreiste zweimal den riesigen Palast, bevor es Kurs nahm auf ein offenstehendes Fenster und ...
Planet Erde, Washington, Weißes Haus, Oval Office, 1999, dreißig Sekunden später
„Oh-ah, mach nur weiter!“, stammelte der Präsident begeistert, „Du machst es … gut … oje, ich kann nicht mehr!“ Und er verschoss die erste Fontäne und …
Interplanetarisches Raumschiff ‹Botin der Freude› des Planeten Hyperion, 1999, beim Anflug auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
„Käptn, ein weißer … Plasmastrahl kommt auf uns zu!“, rief der Pilot.
„Ausweichmanöver, sofort!“ Die Stimme des Kommandanten überschlug sich.
„Zu spät!“, schrie jemand, und gleich darauf stürzten im Kommandoraum alle durcheinander wie in einem Würfelbecher; die ‹Botin der Freude› war getroffen und stürzte verkleistert in weitem Bogen in die Tiefe, wo sie in einer Gruß-des-Lebens-Pfütze liegen blieb.
„Das hat wirklich gut getan, Sonja“, sagte der Präsident. „Du hast schnell verstanden, was ein Praktikum ist. So, vielleicht wischst du das hier noch auf und spülst es im Klo runter, wir wollen doch keine Sauerei zurücklassen, stimmts?“, sagte er, grinste und knöpfte sich stolz die Hose zu.