Stille
Ich habe sie noch nie so gesehen.
Ihr Blick lief ins Leere, ihre Wimperntusche an ihren Wangen hinunter. Das schwarze, lockige Haar fiel ihr völlig zerzaust ins Gesicht. Sie saß auf dem kalten, nassen Stein, ihre Hände hatte sie in ihrem Schoß gefaltet und den Kopf ließ sie hängen. Von Anfang an herrschte Stille, die ab und zu von ihrem mitleiderregenden Schluchzen unterbrochen wurde. Ich saß knappe 30 Zentimeter neben ihr, lehnte mich mit der einen Hand am Stein ab und mit der anderen hielt ich die Zigarette während ich mit dem gleichen leeren Blick auf die Stadt unter mir sah. Mir liefen keine Tränen die Wangen hinab nur kalte Schauer den Rücken runter.
Ich fühlte mich unbehaglich. Ich wollte weg von hier, wollte es endgültig beenden. Ich hielt diese Stille nicht mehr aus.
„Hör mal, ich muss langsam nach Hause. Soll ich dich fahren?“
Sie gab keine Antwort, sie stand einfach auf und ging zum Auto. Ich schnippte meine Kippe Richtung Stadt und folgte ihr. Sie saß auf dem Beifahrersitz genauso, wie sie auf dem Stein gesessen hatte. Bevor ich den Motor startete, sah ich sie eine Zeit lang an und wünschte mir, dass sie irgendetwas sagen würde. Völlig egal was.
„Willst du mir nichts sagen? Willst du das jetzt wirklich wortlos beenden?“
Sie gab keine Antwort.
Ich seufzte, startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr los. Mich irritierte ihr Schweigen, ich wäre mit Beleidigungen klar gekommen, mit Geschrei, wahrscheinlich auch mit Schlägen. Aber diese Stille bohrte sich in meinen Kopf, klammerte sich fest und ging nicht mehr raus.
Die Straßen waren noch nass vom Regen und Lichter spiegelten sich im schwarzen Asphalt. Mein Blick sprang von einer Reflektion zur anderen. Ich ignorierte den Verkehr völlig und konzentrierte mich eher auf meinen Kopf, auf die Leere darin, die Stille.
Wir waren fast ein Jahr zusammen gewesen. Ich weiß nicht warum. Sie hatte sich von Anfang an unsterblich in mich verliebt, mich vergöttert. Doch ich merkte schnell, dass sie mir nicht annäherd so viel bedeutete, wie ich ihr. Sie war ein hübsches Mädchen, das allemal. Sie war auch ein toller Mensch, nur liebte ich sie schlicht nicht. Sie fand keinen Platz mehr in meinem Herzen, deshalb versuchte ich schon nach einem Monat mit ihr Schluss zu machen. Ich erzählte ihr irgendeine Lüge, das übliche. Es liegt nicht an mir, ich wäre nicht bereit für eine Beziehung und so weiter.
Sie brach in Tränen aus. Sie weinte nicht nur, sie heulte sich die Seele aus dem Leib. Sie bettelte mich an sie nicht zu verlassen. Ich sagte ihr, ich müsse. Und dann drohte sie mir.
Sie sagte, sie wüsste nicht wie sie ohne mich weiterleben könne. Ich wurde nervös. Nach zwei Stunden der Tränen und der Diskussion, hatte sie mich überredet. Wir blieben ein Paar.
Eine Hupe hinter mir riss mich aus den Gedanken. Ich hatte vergessen bei Grün zu fahren, also entschuldigte ich mich bei meinem Hintermann und fuhr bei der nächsten Grünphase los.
Es blieb nicht bei einem Trennungsversuch, insgesamt versuchte ich es im laufe des Jahres 4 mal. Ohne Heute. Jedes mal blieb ich bei ihr, weil ich Angst um sie hatte. Sie deutete immer an, dass sie sich weh tun würde und dass sie auch nicht vor Selbstmord zurück schreckt. Beim der dritten Trennung verletzte sie sich wirklich. Nach viertägiger Trennung hatte sie mich wieder. Und heute hatte ich es endgültig beendet.
Ich hatte sie angerufen, abgeholt und war mit ihr zum Aussichtsturm gefahren. Dort hatte ich ihr alles erklärt, ich hätte sie von Anfang an nicht wirklich geliebt. Wäre nur bei ihr geblieben, weil ich um sie fürchtete. Ich redete für locker 10 Minuten, sie sagte kein Wort. Sie weinte nicht mal heftig.
Ich sah sie wieder an, sie hatte sich nicht bewegt. Sie schluchzte immer noch, der Mascara lief weiter.
„Komm schon, sag doch bitte was? Tu mir das nicht an...“
Kein Wort
„Was hätte ich den Tun sollen? Dich weiter belügen? Weiterhin aus Mitleid mit dir zusammen sein?“
Sie schwieg. Ich atmete tief ein.
„Du bist ein toller Mensch, einmalig bist du. Ich weiß wie behindert das klingt und dass ich das schon mal gesagt habe, aber es liegt wirklich nicht an dir. Du hast nichts falsch gemacht, nichts verbockt. Ich weiß nicht, eigentlich wars ja mein Fehler. Ich hätte nie was mit dir Anfangen sollen. Ich hatte doch da schon gewusst wie ich fühle. Ich will dich nicht weiter belügen, weil du mir als Person was bedeutest. Aber ich liebe dich nicht und du hast jemanden verdient, der dich liebt. Es tut mir so Leid.“
Ich sah sie mit traurigen Augen an, sie rührte ihren Kopf kein Stück. Sie sagte kein Wort.
Ich wagte einen kurzen Blick auf die Straße, wir waren fast bei ihr angekommen. Ich seufzte und setzte nochmal zum Sprechen an:
„Ehrlich, es tut mir wirklich Leid. Ich weiß nicht, wie ich dir das klar machen soll. Ich fühle mich unglaublich mies. Und das du kein Wort sagst, macht es nicht einfacher. Ich hätte dich nicht belügen dürfen. Doch du hast mir immer gedroht. Ich hatte Angst, dass du dir Was antust. Ich meine, das eine Mal haste dir ja wirklich weh getan. Was hätte ich denn denken sollen? Ich hatte Angst um dich“
Wir standen vor ihrer Einfahrt, ich blickte sie an, wartete endlich auf Antwort. Sie starrte weiter durch den Boden und blieb still.
„Jetzt sag doch was. Sag doch irgendwas. Schrei mich an, beleidige mich. Irgendwas!“
Meine Augen klebten erwartungsvoll an ihren Lippen, doch die blieben verschlossen. Ich kniff die Backen zusammen und ballte die Fäuste. Ich sah sie noch kurz an, dann schrie ich ihr ins Gesicht:
„GOTTVERDAMMT NOCHMAL! REIß DEIN MAUL ENDLICH AUF! DIESE GOTTVERDAMMTE STILLE, ICH HALTS NICHT AUS!“
Sie sah mich an.
Sie sagte kein Wort.
Sie öffnete die Tür und stieg aus.
Ihre nasse Hose hatte einen Fleck auf dem Sitz hinterlassen, auf meinem war wohl auch einer. Ich beugte mich hinüber, schloss die Türe. Blieb noch kurz da stehen, zündete mir eine Zigarette an und fuhr dann los.
Wie gerne hätte ich sie geliebt.