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"Stirb langsam"
"Stirb langsam" (überarbeitet)
„Stirb langsam“
Ich lag zu Hause in meinem Krankenbett. Ich hatte schon seit einigen Jahren Krebs. Meine Leber war stark befallen. Jedoch wurde die Krankheit nicht früh genug festgestellt, sodass jede Hilfe zu spät kam. Der Krebs hatte gestreut und die umliegenden Organe waren nun auch befallen.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, an den schlimmsten Tag meines Lebens, als ich erfuhr dass ich Krebs habe. „Herr Warler, es tut mir leid Ihnen diese schlechte Nachricht überbringen zu müssen...sie haben Krebs. Es sieht gar nicht gut aus.“, teilte mir Dr. Lahrami, ein schmächtiger, netter Arzt, mit. „Wie lange hab ich noch Doc?“ „Ich würde sagen, knapp ein Jahr.“ Ein heftiger Schock durchfuhr meinen Körper und ließ mein Herz rasen. Gestern war die Welt noch in Ordnung und heute muss ich erfahren, dass ich nur noch ein Jahr zu Leben hatte.
Seit einigen Wochen ging es mir gravierend schlechter. Seit drei Tagen durfte ich nur noch liegen, hatte nicht mehr die Kraft auszustehen. Ich spürte wie mein Leben sich langsam dem Ende zuneigte. Ich fühlte mich leer, mein Körper schien tot. Alles Leben schien entwichen, er vegetierte nur noch vor sich hin. Ich wartete darauf, endlich erlöst zu werden.
Immer wieder musste ich mir die Frage stellen: „Warum ich?“. Ich war doch schließlich noch recht jung. In vier Monaten wäre ich 39 geworden – ein gutes Alter. Jedoch nicht zum sterben. Ich wollte noch so viel im Leben erreichen…ich hatte mich gerade mit einem kleinen Laden, ich verkaufte Musikinstrumente, selbstständig gemacht. Ja ich war ein leidenschaftlicher Musiker gewesen. Musik füllte mein Leben. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich noch immer keine Frau hatte. Ich war ein absoluter Musikfreak.
Als es soweit sein sollte, schlief ich gerade. Ich wachte mitten in der Nacht auf. Mir war sehr kalt. Es war dunkel um mich herum, ich war allein.
Ich schaute an die Decke und sah das schwache Licht, welches die Straßenlaterne vor dem Haus durch die Ritze des Rollladens an die Decke warf. Es sah aus wie ein Tor: das Tor zum Himmel.
Mir wurde immer kälter. Ich spürte dass die Kälte nicht wie sonst von außen kam, nein sie kam von innen. Von ganz tief in mir drin. Ich glaubte zu spüren, wie die Temperatur meiner Blutes von Minute zu Minute sank: 37°C…36,5°C…36°C…35,5°C…
Zum ersten Mal schien ich den Krebs in mir drin zu spüren und zwar klar und deutlich. Das Gefühl, welches ich verspürte, ist schwer zu beschreiben. Es war als würde man von innen aufgefressen werden. Viele kleine Stiche durchzuckten den Innenraum meines Bauches. Wie viele kleine Bisse.
Ich sammelte meine restliche Kraft, hob meine Hand, schob sie unter die Bettdecke und presste sie auf meinen schmerzenden Bauch. Sie war eiskalt. Das Stechen ließ für einige Sekunden nach, kam aber schon bald zurück.
Ich wollte an etwas schönes Denken, doch mir viel einfach nichts ein. Doch dann schoss mir mein Lieblingslied durch den Kopf: Yersterday von den Beatles. Das war einfach ein tolles Lied. Hätte ich die Kraft dazu gehabt, hätte ich laut vor mich her gesungen. Ich brachte es jedoch nur zu einem leisen Summen.
Ich spürte wie mein Herz in der Brust zu rasen begann, wie es das kalte Blut nun in Höchstgeschwindigkeit durch die Adern in meinem ganzen Körper pumpte.
Meine Schläfen pochten vor sich hin. Ich konnte meinen Puls regelrecht hören. Auch er raste.
Langsam wurde meine Haut feucht. Schweißtropfen liefen mir das Gesicht hinunter.
Ein stechender Schmerz, der vom Bauch ausging, durchfuhr meinen ganzen Körper. Ich verkrampfte und krümmte mich vor Schmerz. Wieso konnte es noch nicht vorbei sein? Wieso hätte ich nicht einfach im Schlaf sterben können, einfach für immer einschlafen?
Ich begann zu zittern. Kalter Schweiß sammelte dich auf meinem Betttuch und ließ mich noch mehr frieren.
Mir fiel ein dämlicher Satz ein, den ich mal irgendwo aufgeschnappt hatte: Stirb langsam, damit du was davon hast! , darauf konnte ich jetzt gut verzichten.
Mein Herz raste noch immer, doch plötzlich schien es still zu stehen. Es schien nicht nur so: es stand still. Angst wurde ausgelöst. Doch dann kam mir der Gedanke, dass es nun endlich vorbei sein würde. Erinnerungen kamen zum Vorschein. Ich musste an meine Familie denken. Meine Mutter war schon vor fünfzehn Jahren gestorben – an Krebs. Ob sie dasselbe hat durchmachen müssen?
Mir viel der Tag ein, an dem ich meine erste Gitarre bekommen hatte. Ich war damals sechs. Es war einer der glücklichsten Tage meines Lebens.
Die Lichtstreifen an der Decke sahen nun wie Gitter aus, Gitter eines Käfigs. Ein letzter Schmerz durchzuckte meinen Körper. Er war so stark, das meine Augen aus ihren Höhlen hervor quollen. Mein Körper verkrampfte sich und wurde steif. Ich spürte wie etwas Kaltes aus meinem Mund lief und schmeckte einen leichten Eisengeschmack: dieser Geschmack war unverkennbar, es war Blut.
Mir wurde schwarz vor Augen: endlich! Diese letzten Sekunden kamen mir wie Stunden vor. Als hätte meine Herz schon vor drei Stunden aufgehört zu schlagen.
Doch mein Gehirn schien noch immer zu arbeiten. Ich fühlte mich als wäre ich in Eiswasser getaucht worden. Mein steifer Körper umgab leblos mein Gehirn. Es war das einzige noch lebende Organ, das einzige das diesen Horror bis hier hin überlebt hatte. Leider. Ich spürte nichts mehr, nur noch die Kälte. Ich konnte an nichts mehr denken. Mein Kopf war leer. Endlich schien es vorbei…