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Stressige Verwandtenbesuche
Im Jahre 1992, als ich fünfzehn war geschah folgendes:
Und wieder einmal wäre es an der Zeit Verwandtenbesuche zu tätigen. Lästig. Aber zwischendurch ein Muss. Da es aber mehrere sind und nicht alle am gleichen Ort, geschweige denn in demselben Land sesshaft geworden sind, wird es schwierig dieses Unterfangen in meinen sechs Wochen dauernden Ferien im Sommer gänzlich zu erledigen. Okay, einerseits würden Essens, Berlin und München machbar sein. Hingegen wäre es ein riesiger Stress für mich zusätzlich noch, in so kurzer Zeitspanne, nach London, Konstanz, Bern, Klagenfurt, Miami und Sidney zu jetten. Somit stünde auch fest, dass irgendjemand aus meinem Verwandtenkreis sich verarscht, vernachlässigt, oder womöglich hintergangen vorkäme, falls er oder sie zufälligerweise erfahren würde, dass ich dort und nicht bei ihnen aufgekreuzt wäre. Diesen möglichen Peinlichkeiten wollte ich natürlich auf alle Fälle aus dem Wege gehen. Deshalb beschloss ich meinen Cousins, Cousinen, Onkeln, Tanten, Grossväter und Grossmütter für diese Ferien den kalten Rücken zu zeigen und mich stattdessen mit Gabi, meiner aller allerbesten Kollegin seit eh und je, in die Côte d’ Azur, genauer gesagt nach Saint-Raphaël zu verabschieden und von dort aus Ansichtskarten mit dem Vermerk-
„Schade, leider ist die Zeit zu knapp, als dass es mir noch gereicht hätte bei Dir für einpaar Tage vorbei zu schauen. Aber was ja noch nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden. In diesem Sinne bis denne Antenne. Tschüss bis bald und Gruss Euer …“
-zu schicken.
Ich nahm den Hörer von der Gabel und wartete kurz auf den Summton. Dann wählte ich eine bestimmte Nummer und liess es klingeln. Nach dem zwölften Mal, kurz bevor ich aufgeben wollte, wurde abgenommen.
„Hallo…“
Eine mir wohlbekannte Frauenstimme sprach mir ins Ohr.
„…Winther am Apparat, mit wem hab ich das Vergnügen?“
Sie war es. Meine gutgelaunte Kollegin. Jetzt kamen Zweifel in mir hoch. War ich mir da ganz sicher, dass ich sie fragen würde? Käme da nicht vielleicht besser mein jüngerer Bruder oder meine ältere Schwester zum Zuge? Tja, immer diese saublöden Entscheidungen!
„Hallo. Ist da…“
Ich fiel ihr sofort ins Wort.
„Ja Gabi. Hier spricht Wolfgang.“
„Hallo Wolfi und ich dachte, da macht jemand einen Jux mit mir.“
Als ich ihr von meinem Urlaubsziel erzählte war sie hell begeistert.
„Find ich echt spitze, dass Du an mich gedacht hast. Vielen, vielen Dank. Ich würde liebend gerne mit Dir nach Südost Frankreich kommen, leider fragte mich meine Schwester Helga vor ungefähr zwei Monaten, ob ich mit ihr nach Nanaimo käme, als ich diesen Vorschlag hörte, sagte ich natürlich sofort ohne eine Minute zu zögern zu. Weißt Du übrigens wo das liegt?“
„Sicher! Nanaimo ist eine Ortschaft auf der Insel von Vancouver und gehört zu Britisch Kolumbien in Kanada.“
„He, Wow! Dass trifft ja voll und ganz zu! Woher weißt Du das?“
„Falls Du jetzt denkst ich wäre mal in Kanada gewesen und wüsste es von dort, müsste ich Dir mit Nein antworten. Ich weiss es, da wir letztes Semester in der Geografie den ganzen Nord- Mittel- und Südamerikanischen Kontinent genauestens unter die Lupe nahmen. Wie Du siehst sass ich nicht an einem Fensterplatz.“
„Sorry, das wusste ich gar nicht, dass dich dieses Fach so fest interessiert.“
„Tja.“
„Und?“
„Mir tut es auch Leid, Dich ein bisschen angefahren zu haben. Trotzdem machst Du mir vielleicht Spass Du, einfach mit Deiner Schwester in Urlaub zu fliegen. Allerdings versteh ich Dich sehr gut. In diesem Falle geh ich selber an den schönen Strand im Südosten Frankreichs und werde meinen momentan weissen Oberkörper an der Sonne bräunen lassen.“
Ob ich wirklich alleine nach Saint-Raphaël verreisen würde, dass wissen die Götter. Typisch, ich konnte mich wieder mal nicht entscheiden!
In diesen Jahren meines noch so jungen Lebens war ich noch ein riesiger Angsthase. Nur wollte ich das natürlich niemandem auf dieser Welt sagen, geschweige denn zugeben. Lieber kaschierte ich es. Es war unsere ganze Familie, welche es sich an dem besagten lauschen Plätzchen Frankreichs an der Côte d’ Azur gemütlich machte und es sich dort sehr gut gehen liess. Ausserdem versandte ich Postkarten und liess im folgenden Jahr meine Verwandtenbesuche, mit Gabi versteht sich, folgen.