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Stummer Zuspruch
„Weisst du, er hat mich verletzt.“
Wir sind in der Küche. Das Wasser auf dem Herd wartet darauf zu kochen, die Nudeln daneben sehnen sich nach einem heissen Bad und mein Magen hungert nach Füllmaterial.
Ich sehe sie an. Eine meiner engsten Freundinnen. Immer da. Sie ist stumm, aber manchmal spricht sie trotzdem mit mir. Bei ihr kann ich all meinen Kummer abladen. Niemals beklagt sie sich, wenn ich ihr zweimal dasselbe erzähle, nie lässt sie mich mit meinen Problemen allein. Sie ist in meinem Leben unabdingbar für mich.
„Er kann nicht verstehen, dass er mir wehgetan hat. Seine Worte klingen mir seit Wochen in den Ohren nach.“
„Irgendetwas stimmt nicht in unserer Beziehung aber ich kann dir nicht erklären was. Gib mir Zeit und ich werde darüber nachdenken. Wenn ich es weiss, können wir wieder darüber reden.“
„Jaja, grosse Worte.“
„…ich es weiss, können wir wieder…“
„Gar nichts können wir! Was glaubst du wie es mir geht? Ich fühle mich hin- und hergerissen zwischen irgendeiner Art von Mitleid das ich mit ihm habe, irgendeiner Wut, die mich rasend macht sowie irgendeiner Trauer die mir den Schlaf stiehlt weil nichts mehr so ist wie früher.“
Ich erinnere mich an unsere Anfänge und verfalle für einen Moment in Schweigen. Mein Gegenüber lässt – wie immer – keinen Ton verlauten und wartet, bis ich mich wieder einigermassen gefasst habe.
Es will mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Dieses kleine schnucklige Restaurant etwas ausserhalb der Stadt. Der Name ist mir leider entfallen. La vita bella? La Gioia? Ja, ich glaube es war La Gioia. Aber sicher bin ich mir nicht. Meine Mutter hatte mir dieses Restaurant empfohlen, sie und mein Vater hatten letzte Woche dort auf ihre Silberhochzeit angestossen. Reto und ich waren zwar noch nicht gerade so lange zusammen, aber doch lange genug um mal etwas Abwechslung in unserem Beziehungs-Alltag ertragen zu können. Er sass mir gegenüber, widmete seine volle Aufmerksamkeit seinem Essen und würdigte mich nicht eines Blickes. Anfänglich hatte ich noch trotzig aus dem Fenster gestarrt. Wobei ich ihn immer wieder verstohlen in der Scheibe beobachtete. Sein Haar hatte er erst gestern auf Millimeterschnitt verkürzen lassen. Als ich ihn vor einem Jahr kennengelernt hatte, trug er die Haare länger, verstrubbelt. Bis gestern. Seit einiger Zeit beschwerte er sich auch über meine Frisur. Ich würde meine Haare immer gleich tragen. Was natürlich nicht stimmte. Ich trug sie meistens offen, spielte aber gerne mit meinen dunkelbraunen Naturlocken. Manchmal wusch ich meine Haare mit einer Tönung, damit sie einen farbigen Stich hatten, und manchmal nahm ich das Bügeleisen hervor und glättete sie, bis sie mir kerzengerade auf den Rücken hinuterfielen. Wieso störte er sich plötzlich an meiner Frisur? Auch hatte ich bemerkt, dass seit einigen Wochen deutliche Augenringe bei ihm zu sehen waren. Jedes Mal wenn ich ihn darauf ansprach, winkte er ab. Irgendwas schien mir da im Busch zu sein. Auch vernachlässigte er in meiner Gegenwart immer mehr seine süssen Grübchen; lachte nur noch selten. Ich schob all diese Veränderungen auf seinen neuen Job als Radiomoderator ab. Früh aufstehen, immer gut gelaunt sein müssen, immer Ahnung von allem haben. Da kann ich mir gut vorstellen, dass man in den Anfängen noch nicht mit all dem klarkommt. Als ich vor etwa genau einem Jahr meine Stelle als Sachbearbeiterin in diesem Büro angefangen hatte, wollte ich auch schon nach den ersten zwei Wochen wieder kündigen. Überall nur Verpflichtungen und Verantwortung. Aber nach einer gewissen Angewöhnungszeit bin auch ich mit meiner Arbeit zufrieden. Er wird sich also schon wieder einkriegen. Minuten vergingen. Ausser der leisen Musik, die irgendwo von ganz hinten in der Ecke zu kommen schien und das stetige leise Schmatzen von Reto, war nichts zu hören. Ich sah mich – zum ersten Mal seit unserer Ankunft vor einer halben Stunde – in dem Restaurant um. Da sass an einem Tisch in der Nische neben dem Eingang noch ein älteres Paar das Karten spielte. Ansonsten war der Raum leer. Wieder suchte ich den Augenkontakt mit meinem Freund. Reto bemerkte nicht, dass ich meinen Blick mittlerweile vom Fenster gelöst und auf ihn fixiert hatte. Erst als ich die Stille brach, sah er auf.
„Was ist los mit dir? Und mit uns?“ fragte ich leise. Er verharrte mit vollem Mund, vergass für einen Augenblick zu kauen und schüttelte dann fast unmerklich den Kopf. Dann kaute er weiter und schluckte. Ich wartete geduldig auf eine Antwort. Aber er schob sich einen weiteren Bissen in den Mund. Nervös fing ich an mit der kleinen Kerze zu spielen, die zwischen uns auf dem Tisch stand; drückte das Wachs oben beim Docht etwas zusammen. Die Kerze erlosch. Aber Reto machte keine Anstalten, wieder aufzusehen. Allmählich war ich mit meiner Geduld am Ende.
„Na?! Reto, ich rede mit dir!“ Er schluckte und hob wiederum den Kopf.
„Nichts ist los. Was meinst du denn?“ Er sah mich herausfordernd an. Die Kälte in seiner Stimme war spürbar. In meinem Kopf regnete es Fragezeichen.
„Nun, seit wir von unseren Ferien zurück sind behandelst du mich wie Luft, gibst mir das Gefühl eine Last zu sein und verdrehst die Augen wenn ich abends im Bett etwas Nähe suche. Ist das Nichts?“ ich erschrak ab der Härte in meinen Worten. Er schien etwas herumzudrucksen.
„Tja… ehm… nun… du gehst mir in letzter Zeit etwas auf die Nerven und ich habe das Gefühl, dass zwischen uns etwas nicht mehr stimmt, aber ich kann dir nicht erklären was. Gib mir noch Zeit und ich werde darüber nachdenken. Wenn ich es weiss, können wir wieder reden“ wieder warf er mir diesen herausfordernden Blick zu. Ich hatte aufgehört zu atmen. Ich liebte diesen Kerl aber mit diesen wenigen Worten hatte er etwas in mir zerstört, das mir die Puste nahm. So viele Stunden hatten wir die Welt zusammen vergessen können. Er sorgte sich rührend um mich, wenn es mir schlecht ging. Hielt mich fest bis ich einschlief und nannte sich „dein kleiner Traumwächter“. Unzählige Abende an denen wir eigene Sternbilder entwarfen und ihnen eigene Geschichten schrieben. Nächte auf dem Balkon, in denen die Minuten wie in einer Sanduhr verrannen und wir uns eng umschlungen gegen den Sandsturm wehren wollten. Träume, deren Erfüllung so nah stand; zusammenziehen, gemeinsame Unternehmungen und Hobbys. War ihm in diesem Moment klar, mit welch einem lauten Knall er all diese Dinge wie einen Ballon zerplatzen liess? Ich nuschelte ein „aha“, legte einen Zwanziger auf den Tisch, stand auf und verliess heulend das Restaurant. Er nahm sich nicht die Mühe mir zu folgen. Erst als ich im Zug nach Hause sass, klingelte mein Telefon. Ich liess es in meiner Tasche, bis das Surren aufhörte. Dann stellte ich den Ton ab. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.
In der Küche ist es kalt. Die Nudeln sind verkocht. Aber von meinem Hunger spüre ich nichts mehr.
„Heisst das, dass es jetzt aus ist?“ Meine Stimme schlottert. Eigentlich geht mir jetzt ihre Stummheit – gibt es dieses Wort eigentlich? – auf den Keks, denn manchmal würde ein Zuspruch auch gut tun.
„Sag schon! Wenigstens einmal könntest du einen Ton von dir geben!“ schnaube ich ihr entgegen. Langsam werde ich ungehalten. Aber vielleicht verlange ich auch ein bisschen viel von meiner Mikrowelle.
Ich streichle sie kurz, lösche das Licht in meiner kleinen, kalten aber gemütlichen Küche und lege mich ins Bett.
„Ich dachte schon, du würdest ewig weiter mit deiner Mikrowelle reden“ tönt es von Seiten meiner Decke. Widme ich mich halt meinen anderen Freunden…