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Sturmfreie
Endlich Ruhe! Ingo lehnte sich gemütlich in den Sessel und schaltete den Fernseher an. Er hatte seine Mutter den ganzen Nachmittag bequatschen müssen, bis sie endlich überzeugt war, dass er mit seinen 13 Jahren alt genug war, um auf seine neunjährige Schwester und seinen fünfjährigen Bruder aufzupassen. Aber er hatte es geschafft. Nico schlief friedlich in seinem Bettchen und Laura war oben und malte. Er konnte sich nun ganz auf den Freitagskrimi konzentrieren.
Ingo war völlig gebannt, der Polizist jagte den Mörder gerade in einen dunklen Keller, als Laura in der Tür auftauchte.
"Ingo?"
"Nicht jetzt."
"Es ist aber wichtig."
"Nicht jetzt!"
"Es ist aber wirklich wichtig."
Ingo drehte sich entnervt zu ihr um.
"Ich muss dir etwas zeigen, du musst aber versprechen, nicht böse zu werden."
Ingo erhob sich nervös. "Ich hasse Gespräche, die so anfangen."
Er folgte ihr nach oben, bis zum Arbeitszimmer seines Vaters. Vor der Tür blieben sie stehen. Sie hatte keine Klinke, sondern nur einen Knauf und man konnte sie nur mit dem Schlüssel öffnen. Nachdem Laura wortlos davor stehen geblieben war, wurde Ingo unruhig.
"Was ist denn jetzt?"
"Die Tür ist zu."
"Ich sehe selber dass die Tür zu ist, verpasse ich meinen Film, weil du mir eine geschlossene Tür zeigen willst?"
"Der Schlüssel steckt von innen."
Ingo sah auf das Schlüsselloch, leer.
"Aber er hat doch vorhin noch draußen gesteckt."
Laura sah verlegen zur Seite.
"Ja, aber ich bin reingegangen und hab den Schlüssel innen reingesteckt und dann dachte ich, Nico wäre aufgestanden und als ich auf den Flur gegangen bin um nachzusehen, ist die Tür zugefallen."
"Was hast du denn überhaupt in dem Zimmer zu suchen gehabt?"
"Ich wollte Büro spielen."
"Na großartig, Dad wird sich freuen." Ingo überlegte kurz, dann hellte sich sein Gesicht auf.
"Ich hab ne Idee, das hab ich mal im Fernsehen gesehen, hol mal ein Blatt Papier und was Spitzes."
Laura holte die Sachen und sah ihren Bruder unsicher an. Ingo schob das Blatt unter den Türspalt und begann dann, mit der Schere die Laura gebracht hatte, im Schlüsselloch zu stochern.
"Pass auf, der Schlüssel fällt gleich vom Schloss auf das Papier und wir brauchen ihn dann nur noch unter dem Türspalt durchzuziehen."
Sie hörten ein Klirren und Ingo lächelte überlegen.
"Siehst du?" Doch als er das Blatt hervorzog war es leer.
"Super, gibt´s auch nen Plan B?"
"Lass du dir doch was einfallen, wer wollte denn Büro spielen?"
"Naja, ich hab mal gesehen, wie jemand eine Tür mit ner Kreditkarte geknackt hat."
"Toller Plan, du hast nicht reinzufällig ne Kreditkarte bei dir, oder?"
"Mum hat ne Notfallkarte in der Küchenschublade, ich hol sie."
Fünf Minuten später kam sie mit der Karte zurück und begann damit im Türspalt rumzufummeln. Mit einem hörbaren Knacken brach die Ecke der Karte ab.
"Bist du wahnsinnig?" Ingo riss ihr die Karte aus der Hand und betrachtete sie mit großen Augen.
"Dafür geben sie dich zur Adoption frei."
"Was machen wir denn jetzt?"
"Erstmal kümmern wir uns um die Tür, dann um die Karte. Ich hab nen neuen Plan."
"Ich kann mich vor Begeisterung nicht halten. Was willst du machen?"
"Ich steig aufs Dach vom Wohnzimmer, von da steige ich durchs Fenster ins Arbeitszimmer und mache die Tür einfach von innen auf."
Gesagt, getan, Ingo holte die Leiter aus der Garage, kletterte aufs Dach und ging auf das Fenster zu.
"Du kannst das Fenster von außen doch gar nicht aufmachen."
Ingo kam wieder vor.
"Das hätte dir auch ein bisschen früher einfallen können. Ich hab echt die Schnauz-"
Plötzlich gab das Dach unter ihm nach, grade war er da, jetzt ist er weg, ein toller Trick.
"Scheiße!" Laura rannte ins Haus und kam mit klopfenden Herzen ins Wohnzimmer. Ingo saß mit hochrotem Kopf auf seinem Sessel, er musste genau draufgeflogen sein.
"Ist bei dir alles in Ordnung."
"Klar, ich hab ein neues Hobby gefunden."
Sein Blick fiel auf Nico, der seelenruhig vor dem Aquarium saß, einen Ast mit einer festgebundenen Schnur in der Hand.
"Und was machst du da?"
"Angeln."
"Ingo, er hat Pappas Guppies rausgeholt." Sie lagen schön aufgereit auf dem Sofa.
"Kann mir mal jemand erklären, was wir Mum und Dad sagen wollen, hoffendlich genießt ihr euer Zimmer mit Aussicht? Ich hab keinen Bock mehr, nur Bekloppte in dem Haus!" Ingo erhob sich wütend und erstarrte, als er einen Tropfen abbekam.
"Das darf nicht wahr sein, es fängt an zu regnen." Dies war eine gelinde Untertreibung, es erfolgte ein Platzregen wie unter der Dusche.
"Die ganze Einrichtung wird durchweicht!"
"Danke Laura, wenn wir dich nicht hätten. Ich hol Bretter aus dem Keller und versuche das Loch abzudichten."
"Ja, und Laura brät unser Abendessen." Nico hielt fröhlich die Guppies hoch.
Ingo verschwand im Keller und es läutete an der Tür.
"Mist, wer ist das denn jetzt?"
Laura öffnete und Frau Müller, ihre Nachbarin stand da.
"Ich wollte nur mal nach euch sehen und dann ging der Regen los, lass mich doch kurz rein." Schwups, war sie auch schon durch die Tür.
"Was ist denn hier los?" Entsetzt blickte sie auf das tropfende Wohnzimmer.
"Das ist jetzt selbstreinigend, spart Mum viel Arbeit."
In dem Moment kam Ingo mit zwei großen Holzbrettern. Als er Frau Müller sah, grinste er.
"Hallo." Schon war er aus der Hintertür raus.
"Und was macht er da?"
"Ein Baumhaus."
"Bei dem Regen?"
"Er duscht gleichzeitig, jetzt, wo das Haus selbstreinigend ist, müssen wir Wasser sparn wo es geht."
Nico kam mit seinen Fischen an.
"Kannst du die jetzt braten?"
Frau Müller riß den Mund auf, als sie die Guppies sah.
"Mamas Nulldiäten, echt nicht zum aushalten."
"Ich rufe jetzt eure Eltern an, das ist doch alles nicht zu fassen."
Und schon war sie weg.
"Wenigstens hat der Regen aufgehört."
Ingo hatte es aufs Dach geschafft und legte die Bretter über das Loch.
"Ist sie weg?"
"Ja, sie will Mum und Dad anrufen."
"Na toll, das kommt dabei raus, wenn du was spielst."
"Hey, wenn du nicht so viel Süßes fressen würdest, würdest du vielleicht auch nicht durch ein Steindach krachen."
Laura nahm den Geruch von Verbranntem war. Sie stürzte in die Küche. Dort empfing sie eine dicke Wand aus Qualm.
"Nico, bist du da drinnen?"
"Hilf mir, ich seh nichts mehr."
Laura rannte rein und zog Nico mit sich aus dem Haus. Dieses brannte innerhalb einer halben Stunde völlig nieder.
"Ich wollte doch nur die Fische braten." Nico sah traurig seine Geschwister an.
"Na ein Gutes hat es, um das Loch im Dach brauchen wir uns jetzt keine Sorgen mehr zu machen."
So standen sie in der Nacht, Arm in Arm und warteten, dass ihre Eltern nach Hause kamen.