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Sturmrufer
Der Sturmrufer hätte nie von sich aus einen Gehilfen genommen. Im Grunde genommen war nur der verflixte Wolf daran schuld.
Der Sturmrufer war schon immer alleine gewesen, bis auf den Wolf. Ansonsten brauchte er auch niemanden. Wozu auch, wurde er doch nie älter, nie müde und nie einsam. Während der Wintermonate lebte er auf einem hohen Gipfel der Sturmberge und sandte von dort aus die Winde in die Welt. Im Sommer stieg er auf den großen grauen Wolf und ritt auf seinem Rücken zum Hohen First, um dort seinen Dienst zu verrichten.
Den Wolf sah er oft nur zweimal im Jahr. Die restliche Zeit streunte das unruhige Tier durch die Welt und vergnügte sich auf seine Weise. Manchmal fragte sich der Sturmrufer in müßigen Stunden, wie viele sterbliche Wölfinnen sein Reittier auf seinen Streifzügen beglückte, wie viele Welpen mit Sturmwolfsblut auf der Erde herumliefen. Doch eigentlich war ihm das gleich. Und Mußestunden hatte er auch nicht viele, da wollte hier mal ein Gewitter entfacht und dort mal eine Brise richtig dosiert werden, es gab viel zu tun für den Sturmrufer.
Und dann, eines Tages, kurz vor seiner sommerlichen Reise, stand der Wolf an seiner Türschwelle. An sich war das nichts Ungewöhnliches, doch diesmal war er nicht alleine. Er legte ein unordentliches Bündel Stoff zu Füßen des Sturmrufers nieder und hechelte zufrieden. In seinen Augen lag dieser gewisse Ausdruck von „Schau-mal-was-ich-gefunden-habe!“, den er sonst nur aufsetzte, wenn er dem Sturmrufer einen stinkenden Knochen oder ein halbverfaultes Rehbein gebracht hatte.
Dieses Mal bewegte sich sein Fund allerdings in seiner Stoffhülle, sodass kein Zweifel darüber bestand, dass es sich definitiv nicht um einen Knochen handelte. Der Sturmrufer starrte den Wolf an und bückte sich dann pflichtschuldigst, um das Bündel aufzuheben und auszuwickeln.
Das kleine Menschenkind mit den spärlichen schwarzen Haarsträhnen begann protestierend zu kreischen, als es an einem Bein hochgehoben wurde. Erschrocken ließ der Sturmrufer es wieder auf den Boden fallen. Zum Glück für das Kind lagen dort noch die Lumpen, in die es gehüllt gewesen war. So fiel es weich und brach es sich nichts bei dem Sturz, nur sein Schreien steigerte sich zu einem durchdringenden Geheul.
Der Sturmrufer ignorierte das und sah den Wolf vorwurfsvoll an. Der machte nur große Augen, legte den Kopf etwas schief, spitzte die Ohren und zog die Lefzen hoch. Mit einem leisen Winseln bat er darum, für seinen Fund gelobt zu werden. Währenddessen schrie das Kind weiter aus vollem Halse.
Der Sturmrufer drehte sich um und ging wieder in sein Haus zurück.
Es dauerte vier volle Stunden, bis das an- und abschwellende Geheule draußen den Willen des Sturmrufers so weit geschwächt hatte, dass er wütend die Tür aufriss, das jammernde Bündel vom Boden auflas, ins Haus brachte und unsanft in einen Korb stopfte, in dem er sonst Pilze zu sammeln pflegte.
***
Als das Findelkind fünf Jahre alt war, bemerkte der Sturmrufer auf einer ihrer Reisen eine Fischersfrau, die mit ihrem kleinen Kind an einem Sandstrand Treibgut suchte. Das Kind rannte nackt herum und quietschte vor Vergnügen. Die Fischerin nannte es „Anna“, daraus schloss der Sturmrufer, dass es sich um ein Mädchen handelte. Und da wurde ihm auch klar, warum das Wesen vor ihm auf dem Wolfssattel so anders aussah als er selber.
Leider hatte sich das Kind nun mal an den Namen „Leif“ gewöhnt, und der Sturmrufer beschloss, diesen nicht mehr zu ändern.
***
„Ach bitte!“ Leif sah den Sturmrufer mit flehenden Augen an. „Bitte, bitte, nur ein einziges Mal!“
„Nein!“ Die Antwort des Sturmrufers war endgültig. Er zurrte den Gurt des Wolfssattels fest und schloss die Schnallen am Zaum. Das Tier grollte tief, aber nicht unfreundlich. Leif kraulte es hinter dem linken Ohr. Sie wusste, dass es das gerne hatte.
„Bitte, Vater, ich verspreche auch, dass ich nichts falsch mache!“ Sie strich sich eine schwarze Haarsträhne hinter das Ohr und sah den Sturmrufer mit großen Augen an. Das half meistens.
„Ich bin nicht dein Vater und du kannst dein Versprechen gar nicht halten, weil du nicht weißt, wie man den Wolf reitet. Du wirst bestimmt etwas falsch machen!“ Damit schwang sich der Sturmrufer in den Sattel, beugte sich dann herunter und hob Leif mit einer spielerischen Leichtigkeit herauf, als sei sie noch immer fünf Jahre alt.
Seufzend krallte sie ihre Hände in das dicke Nackenfell des Wolfes, als dieser seinen Körper anspannte und vorwärts schoss, auf seinem Weg nach Süden. Die Zügel lagen fest in den Händen des Sturmrufers.
„Vater?“
„Was ist denn noch?“
„Darf ich die Zügel nicht mal ein bisschen nehmen? Nur eine Minute! Du kannst doch meine Hände halten! Bitte, Vater!“ Der Sturmrufer seufzte, schloss seine großen Pranken um ihre schmalen Hände und legte sie an die Wolfszügel. Leif jubelte, als sie spüren konnte, wie der Wolf auf den leichtesten Zug am Lederriemen reagierte, wie er langsamer oder schneller wurde, nach links oder rechts lief.
„Das ist ja einfach!“
Der Sturmrufer brummte nur missmutig.
„Glaub bloß nicht, dass ich dir beibringe, wie man die Winde ruft!“
***
„Ich kann das, Vater!“ Leif zog die dunklen Brauen zusammen und musterte den Sturmrufer wütend. Wenn er ihr doch nur einmal im Leben etwas zugetraut hätte. „Ich kann den Wolf reiten. Ich kann auf den Wolken wandeln. Ich kenne Pflanzen und Tiere. Das hast du mir beigebracht. Warum willst du mir nicht zeigen, wie man Wind macht?“
Der Sturmrufer zeigte eine unbewegliche Miene. Das tat er oft, aber Leif konnte er damit nicht abschrecken. Sie kannte ihn zu gut.
„Du bist ein Mensch!“, antwortete er schließlich. „Du brauchst das nicht zu können!“
„Warum nicht?“, begehrte sie auf. „Ich bin sicher, es fällt mir ganz leicht, Vater. Du hast selber gesagt, ich habe Talent!“ Der Sturmrufer runzelte die Stirn. Tatsächlich hatte er mal etwas Derartiges gesagt, aber sie wusste auch, dass sie das gar nicht hätte hören sollen. Er hatte mit dem Wolf gesprochen, wenn man es genau nahm. Aber Leifs Ohren waren scharf und so hatte sie es eben gehört. Es war allerdings ein Fehler gewesen, ihm das zu sagen, denn jetzt sah sie, wie er allmählich wirklich wütend wurde. Von Ferne hörte sie bereits Donnergrollen, ein schlechtes Zeichen.
„Ich werde dir nichts mehr beibringen!“ stieß er plötzlich hervor. „Und weißt du auch warum? Du wirst bald sterben!“
Leif fuhr erschrocken zusammen, doch der Sturmrufer polterte einfach weiter.
„Was hab ich denn davon, wenn ich dir zeige, wie man Stürme ruft und Blitze lenkt? In siebzig, achtzig Jahren spätestens bist du schon wieder tot. Was soll es mir helfen? Und außerdem: Wahrscheinlich rennst du schon nächstes Jahr hinter irgend einem Menschenmann her, himmelst ihn an und wirst ihm zwanzig Kinder schenken. Warum sollte ich dir da was beibringen? Verschwendung!“ Er wandte sich ab.
Nun wuchs jedoch auch in Leif der Zorn.
„Es geht also nur um dich, ja? Nur, weil es für dich Verschwendung ist! Für dich! An mich denkst du ja gar nicht. Hast du nie getan. Und überhaupt, wahrscheinlich hast du nur Angst, dass ich weggehen könnte, weil dir dann niemand mehr die Socken wäscht, oder den Wolf bürstet. Hah! Was wärst du denn ohne mich?“
„Zufrieden!“
Das ließ sie auf der Stelle verstummen. Kein Wort brachte sie mehr über ihre Lippen. Der Sturmrufer aber drehte sich endgültig um und ging in sein Haus.
***
Ein Jahr war vergangen, und dann noch eines. Ziellos wanderte Leif durch die Welt. Manchmal dachte sie noch an den schrecklichen Streit zurück, aber nicht sehr oft. Sie hatte sich daran gewöhnt, traurig zu sein. Traurig und einsam.
Sie unterbrach ihre Wanderung nie für lange. In den Dörfern und Städten war sie meist zuerst willkommen, doch wenn die Menschen merkten, dass sich nie ein Lüftlein regte, wenn sie in der Nähe war, wurden sie misstrauisch und unfreundlich. In der Tat, dort, wo Leif ging und wo sie rastete herrschte immer absolute Windstille. Wolken hingen grau und schwer am Himmel, kein Wind vertrieb sie, und Regen fiel senkrecht, ohne verweht zu werden. Oder die Sonne brannte herab, ohne dass eine Brise Linderung verschaffte.
„Eine schöne Sturmruferin bin ich!“, dachte sie oft. „Eher eine Flautenruferin!“
Einmal hatte sie sich an Bord eines Segelschiffes gewagt. Es war ein Desaster gewesen, und die Seemänner hatten etwas von „verfluchtem Hexenvolk“ gemurmelt. Da hatte sie sich lieber aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich hätte ihr Vater seinen Spaß daran gehabt, wenn sie als Hexe verbrannt wurde. Vielleicht hätte er ja dann doch Wind aufkommen lassen – um die Flammen anzufachen.
Dann – eines Tages – begegnete sie dem Wolf.
Sie saß zu Füßen eines uralten mächtigen Eichbaumes und verzehrte ihr Mittagsmahl – Beeren und Wurzeln. Der Sturmwolf trottete aus dem Wald, lief schnurstracks auf sie zu und ließ sich glücklich hechelnd neben ihr auf den Boden fallen. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie den Sturmrufer verlassen hatte.
"Hallo, Sturmwolf!", sagte sie leise und streckte mit sehr gemischten Gefühlen die Hand aus, um ihn hinter dem linken Ohr zu kraulen. Der Wolf knurrte und rollte sich auf den Rücken, präsentierte ihr den Bauch zum Streicheln. Und während sie der Aufforderung nachkam, kam ihr plötzlich eine Idee.
„Du bist ein Sturmwolf!“
Der Wolf japste, drehte sich wieder auf die Pfoten und schüttelte sich ausgiebig. Dann blickte er ihr hechelnd ins Gesicht. Er war beinah so groß, wie sie.
„Wenn du ein Sturmwolf bist, kannst du nicht auch Stürme machen? Wie der Sturmrufer? Du hast ihm so lange gedient, du wirst doch wohl ein paar Tricks gelernt haben, oder nicht?“ Der Sturmwolf sah sie skeptisch an, dann jedoch, langsam, drehte er sich um und bot ihr seinen Rücken dar. Sie ließ sich nicht zweimal bitten, griff in das Nackenfell und zog sich hinauf.
Der Wolf schnellte los. Beinahe hätte sie den Halt verloren, denn es ging nicht, wie sie erwartet hatte, nach vorne, sondern nach oben. Die Pfoten des Wolfes schienen einen unsichtbaren Berg hinauf zu rennen und ehe sie es sich versah, durchstieß ihr Kopf die trübe Wolkendecke, die schon den ganzen Tag über ihr gehangen hatte. Dort schließlich blieb der Wolf stehen.
Die Luft war dünn und kalt, aber Leif war das gewohnt. Auf Wolken wandeln, das konnte sie schon so lange, wie sie zu stehen und zu gehen vermochte. Sie glitt vom Rücken des Wolfes und fühlte endlich wieder, nach so langer Zeit, die federnde Oberfläche der Wolken unter ihren bloßen Füßen, roch die ungemeine Klarheit, die die Luft in dieser Höhe hatte. Schon wollte sie sich dankbar an den Wolf wenden, denn ohne ihn wäre sie nie hier herauf gelangt, doch der war schon wieder mit etwas anderem beschäftigt. Mit einem Knurren und Schütteln riss er an den Wolken.
Leif rieb sich die Augen und sah noch mal hin. Der Wolf hatte eine kleine Wolke gepackt, stemmte sich mit den Pfoten auf den weichen Untergrund und zerrte vehement. Ab und zu schüttelte er die Wolke, als wolle er ihr das Genick brechen.
„Ach lass das doch, Wolf, du machst sie noch kaputt!“ Im selben Moment ertönte ein reißendes Geräusch und der Wolf purzelte hintenüber, ein Wolkenstück zwischen den Zähnen. In der finsteren grauen Decke war nun ein Loch, durch das Leif das Land unter sich sehen konnte. Noch immer regte sich kein Lüftchen. Der Wolf schien zufrieden, trottete zu ihr hinüber und warf ihr das Wolkenbündel vor die Füße. Verwundert griff Leif danach. Es fühlte sich flauschig an, aber irgendwie auch fest und es vibrierte in ihren Händen. Sie hielt es vor das Gesicht und hörte ein leises Summen darin, als ob etwas dort eingesperrt wäre.
Nun war sie neugierig geworden. Sie packte mit beiden Händen das Wolkenbündel und zerrte es so fest sie konnte auseinander. Die Wolke war zäh und widerspenstig, dann jedoch riss sie mit einem solchen Ruck auf, dass Leif beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Aus der kleinen Wolke, direkt vor Leif, stieg etwas auf. Ein winziger Luftwirbel, der vor ihrem Gesicht tanzte, hin und her schwankte, und auf Befehle zu warten schien.
„Äh!“, sagte Leif und sah auf den Wolf, der sich gesetzt hatte und mit dem Schwanz auf die Wolkendecke klopfte. Der kleine Wirbel schwebte einmal um ihren Kopf herum und blieb dann wieder vor ihrem Gesicht hängen.
„Ähm. Blase, Wind...?“
Die Aufforderung kam nur zögerlich, doch der Wirbelgeist reagierte sofort. Er schwebte ein Stück von Leif weg, hielt inne, wuchs plötzlich auf ein Vielfaches seiner Größe an und löste sich dann unvermittelt in eine frische Brise auf, die Leif das Haar zerzauste und dem Wolf das Fell kräuselte. Auf Leifs Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Sie hatte recht gehabt: Es war ganz einfach!
Sie brachte einige Zeit mit den Brisen zu. Ihre Wangen waren gerötet, sie selber war außer Atem von dem vielen Ziehen und Zerren an den Wolken, doch allmählich hatte sie den Bogen raus, wie man die kleinen Windgeister befreite und auch, wie man sie in verschiedene Richtungen schickte, und den Wind auf die Erde lenkte. Sie hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt.
Und jetzt...
Eine neue Idee formte sich in ihrem Kopf und ließ sich von dort partout nicht mehr vertreiben. Sie wollte so einen richtig großen Wind machen. Wer war sie denn? Brisenruferin oder Sturmruferin?
Es dauerte ein paar Stunden, bis sie genug Wolken aufgerissen hatte. Aber dann schwebten mehrere hundert Luftwirbel um sie herum. Die Wolkendecke war schon bedenklich dünn geworden. Nach dieser einen großen Tat musste sie sich wohl einen neuen Ort zum Wind machen suchen. Ihre Hände dirigierten die kleinen Wirbel immer weiter aufeinander zu. Wann immer zwei sich trafen, verschmolzen sie zu einem größeren Wirbel. Immer größer wurde ihr neuer Windgeist, wuchs bald über ihren Kopf hinaus, dann haushoch in den blauen Himmel. Schließlich war kein kleiner Geist mehr übrig. Der Sturmgeist drehte sich träge vor ihr, turmhoch und viel dunkler als die Windgeister.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk.
Der Wolf war aufgestanden und trottete nun zu ihr hinüber. Er winselte, doch Leif winkte nur ab.
„Keine Angst, Wolf. Das ist mein Sturmgeist. Er gehorcht mir. Sieh nur! Blase, Sturm!“, das Letzte hatte sie geschrien, weil sie sich nicht ganz sicher war, ob der große Geist sie sonst verstand.
Das war keine gute Idee gewesen.
Der dicke Sturmgeist, der ein überaus bösartiges Wesen zu besitzen schien, machte sich nicht die Mühe, von ihr weg zu schweben, bevor er anschwoll. Urplötzlich befand sie sich im Inneren des finsteren Wirbels, wurde heftig nach oben gerissen und durch die Luft geschleudert. Dann löste sich der Geist auf.
Ein wütender Sturm brach los, zerfetzte die Wolken und befreite weitere Windgeister, die sich seinem Toben anschlossen. Urplötzlich fauchten und pfiffen Böen um Leif her, ergriffen sie, warfen sie hin und her, wie ein Kind einen Spielball, ließen sie ab und zu mal fallen, nur, um sie dann wieder nach oben zu wirbeln. Ein jämmerliches Heulen sagte ihr, dass es dem Wolf nicht besser ging.
Eine weitere Böe trieb sie höher hinauf, drückte sie dann herunter und sie sah den Erdboden auf sich zu stürzen. Ihr Magen überschlug sich und sie schloss entsetzt die Augen. Dann wurde sie ein weiteres Mal empor gerissen.
Ein dumpfes Grollen drang an ihre Ohren. Etwas Nasses traf ihre Wange, dann, von einem Moment auf den anderen, trommelte Regen auf sie ein und durchweichte sie innerhalb weniger Augenblicke. Ein Gewitter hatte sich dem tobenden Sturmgeist zugesellt, der noch immer nicht geneigt schien, dem Spiel mit seiner wunderbaren neuen Marionette Leif ein Ende zu setzen. Blitze zuckten um sie herum, krachend, so blendend, dass sie sie selbst durch ihre geschlossenen Augenlider wahrnahm. Der Wolf war nirgendwo mehr zu hören.
Weiter, immer weiter trieb sie der Wind, schraubte sie höher, dann wieder tiefer. Das Gewitter begleitete sie eine Weile, bis sie sich blind und taub wähnte, von dem ständigen Krachen und Zucken. Dann – plötzlich – war es vorbei. Der Wind flaute ab und die Blitze hörten auf. Leif atmete erleichtert auf und öffnete die Augen.
Der Sturm hatte sie allein gelassen.
An einem wolkenlosen Himmel.
Die Erde näherte sich entsetzlich schnell. Leif schrie auf und kniff die Augen wieder zu. Nicht, dass ihr das etwas helfen würde. Aber so musste sie den Aufprall wenigstens nicht kommen sehen.
Dann machte sie doch wieder die Augen auf, um sich nach Rettung umzusehen.
Die Bäume unter ihr wurden rasend schnell größer. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sie aufschlug.
Eine starke Windböe wirbelte sie nach oben. Ihren Hosen blieb an den Zweigen des höchsten Baumes hängen und zerrissen. Aber sie selber schwebte empor, allmählich langsamer werdend, bis eine große Hand ihren Arm packte und sie in den Sattel des Wolfes zog.
„Dummes Mädchen!“, wetterte der Sturmrufer.
„Sturmgeister schaffen, in den Wolken!“ Er ließ dem Wolf die Zügel schießen und der fiel in seinen leichten, ausdauernden Trab.
„Trotz allem, ein beachtliches Talent“, knurrte der Sturmrufer.
„Aber glaub bloß nicht, dass ich dich je einen Orkan rufen lasse!“