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Sturz
Sturz
Ein Mann stolperte durch die nächtlich neblige Gasse. Er hatte seine Uhr verloren und sein halbes Bewusstsein. Er wankte, zögerte, wusste nicht, wo er war. Die Nebelschwaden schlangen sich um seine lederne Jacke. Selten leuchtete ein schwaches oranges Licht aus einem der Fenster. Jetzt wusste er wieder, wohin er gehen wollte; er kannte hier eine Kneipe. Nun, er konnte schon jetzt kaum stehen, nur laufen ging noch, wer weiß, wieviel er zuviel getrunken hätte, hätte er seine Kneipe gefunden.
Er strich mit seiner Hand an der rauen Hauswand entlang, schürfte sich dabei leicht und ein wenig warmes Blut floss auf seiner kalten Hand. Dunkelheit lag vor ihm, doch er wusste, dass es da gleich sein müsste. Ja, da war das Haus. Es fing an, leicht zu schneien, er sah es im Schein der Straßenlaterne, nicht im Schein aus den Wirtshausfenstern. Denn dort drinnen war kein Licht.
Er stand vor der Tür und das Haus war so dunkel, als wären die Fensterläden festgenagelt, doch ebensolche gab es nicht einmal. Auch war kein Schild über der Eingangstüre, welches das Wirtshaus beworben hätte. Aber er wusste, dass er hier richtig sein musste. Der Mann schaute durch eines der dunklen Fenster und erblickte, seine Augen waren die Düsternis ja schon gewohnt, Holztische, Bänke und eine Bar. Der Barkeeper stand dort und spülte Gläser, aber kein Licht war an, kein Gast da und der Barkeeper war nur ein Schatten. Über der Bar hing ein Schild, welches die Aufschrift trug: „Hereinspaziert“. Und als zweites Wort stand dort der Vorname des Mannes.
Er drückte die Türklinke herunter und stand in einem dunklen Flur. Die Tür zur Rechten, hinter der die Bar sein müsste, war aber verschlossen. Es blieb ihm nichts, als weiter zu gehen. Der Flur machte eine Biegung nach links und dort befand sich eine Treppe nach unten. Der Mann zögerte kurz, stieg aber dennoch die Stufen hinab in das schwarze Loch. Hier waren die Wände nun nicht mehr aus Holz, sondern stattdessen aus grauem Beton, wie er im schwachen Schein eines Lichts erkennen konnte, welches am anderen Ende des unteren Flures aus einer halboffenen Tür drang.
Vor der Tür stand ein alter Türsteher, ein graues Männchen. Dieser wollte den Mann nicht in das Innere des Raumes blicken lassen und schob sich immer wieder in dessen Sichtfeld, wenn er versuchte, einen Blick zu erhaschen. Eigentlich hätte der Mann leicht über den Kopf dieses Zwerges hinwegblicken können, aber heute konnte er es nicht. Schließlich bat der Mann den Zwerg um Einlass. Dieser sagte: „Wenn du hier herein willst, muss ich beurteilen, ob du ein ordentlicher Mensch bist. Warum trägst du deine eine Hand rot, das passt nicht zu deiner Jacke, welche grün ist.“ Da merkte der Mann, dass seine Hand ganz vom Blut bedeckt war von der kleinen Schürfwunde.
„Das ist mein Blut, was sollte ich tun, als es mit mir herum zu tragen?“
„Diese Ausrede hören wir hier oft.“ Der Zwerg lachte. „Nun will ich aber wissen, ob du auch wirklich hier herein willst.“
„Nein, eigentlich will ich nur an einen sicheren Ort.“
„Dann bist du hier falsch. Aber trete nur ein, wenn du willst.“
Der Mann zögerte jetzt, aber schließlich zwängte er sich doch durch die halboffene Tür, die wie festgemauert schien, denn der Türflügel ließ sich nicht bewegen. Er stand in der Bar, die er durch das Fenster gesehen hatte. Nur hatte man inzwischen in der Mitte des Raumes eine einzige Kerze angezündet. Obwohl das Licht immer ein wenig flackerte, hatte er das Schild über der Bar mit der Aufschrift „Willkommen“ und seinem Vornamen sogleich wiedererkannt.
Er ging auf den Tresen zu, blickte hinab auf einen Zettel, auf welchem in zierlichen Buchstaben kaum lesbar die Getränke standen, die hier ausgeschenkt wurden. Nur einen Whiskey wollte er. Der Barkeeper nickte scheinbar, doch das Gesicht war nicht sichtbar, denn dieser stand vermutlich abgewandt. Sicher konnte man das nicht sagen, denn alles war schattig und düster hier und der Barkeeper flackerte, wenn die Kerze flackerte. Der Mann hatte jedoch nach kurzer Zeit ein Whiskeyglas in seiner Hand und wollte gerade zum Trinken ansetzen, als er bemerkte, dass es sich um eine dunkelrote Flüssigkeit handelte. Vielleicht war Blut von seiner verletzten Hand in das Glas getropft oder der Barkeeper hatte etwas Falsches ausgeschenkt. Der Mann schlug mit seiner Faust auf den Tisch und wollte sich beschweren.
Da öffnete sich eine Tür neben dem Tresen und eine Frau ganz in Rot gekleidet kam herein, wallendes, schwarzes Haar fiel um ein fast weißes Gesicht, sie blickte ihn mit traurigen Augen an. Die Frau setzte sich auf den Barhocker neben ihm und bekam sofort ein Getränk. Gleichzeitig zündete sie sich eine Zigarette an und blickte nach unten, als trüge sie großes Leid. Er wollte ihr zuprosten, sie zumindest ansprechen, doch er konnte nicht trinken, weil er sich vor seinem Getränk ekelte. Wann immer er sich auch an den Barkeeper wenden wollte, blies sie Rauch über den Tresen, so dass der schattenhafte Mann dahinter nicht sichtbar, nicht ansprechbar war. Der Mann wurde wütend, weil er etwas trinken wollte und schrie die Frau an, sie solle aufhören zu rauchen.
Die Frau fing an zu weinen, sie sagte: „Ich bin zwar deine Frau, aber das bedeutet nicht, dass du über alles bestimmen darfst, was mich betrifft.“
„Du holst dir noch den Tod und vernebelst mir die Sicht, warum tust du das?“
„Es ist nur zu deinem Besten, das kannst du mir glauben und der Tod ängstigt mich nun nicht mehr.“
„Ich will jetzt aber sofort mit diesem Mann dort reden!“
„Dann müssen wir wohl hinabfahren, er spricht nur unten im Schacht.“
Sie deutete an, er solle mitkommen, gegenüber des Tresens befand sich eine alte Fahrstuhltüre. Sie lief neben ihm und so konnte er wieder keinen Blick auf den schattenartigen Barkeeper werfen, welcher sich genau hinter ihr hielt und den Fahrstuhl öffnete. Die drei Menschen stiegen ein und der Fahrstuhl setzte sich nach unten in Bewegung. Die Frau stand in der Mitte, so dass ihr Mann nicht um sie herumgehen, kaum um sie herumblicken konnte. Dazu spielte der Fahrstuhl eine schreckliche Musik, die fast wie das Heulen des Windes klang, aber die Lautsprecher kratzten und der Aufzug schlug alle paar Meter gegen irgendwelche metallischen Hindernisse, dass es dröhnte.
Da die Fahrt kein Ende zu nehmen schien, entzündete die Frau wieder eine Zigarette. Der Mann erinnerte sich an seine Wut und verlangte, sofort durchgelassen zu werden. Da schaute ihn seine Frau ängstlich an. Er ergriff ihren Hals und begann zuzudrücken, während sie sich wehrte und dabei ihr rotes Kleid zerriss. So kämpften sie einige Minuten, bis die Frau in den Armen des Mannes zusammensackte und er sie losließ, so dass sie zu Boden sank. Auch er ließ sich erschöpft zurückfallen und lehnte nun gegen die Fahrstuhlwand.
Langsam zog sich die Frau wieder hoch, drehte sich weg von ihrem Mann. Sie ging auf den Barkeeper zu, schien ihn küssen zu wollen und es sah so aus, als würde sie ihn einsaugen durch den Mund und die Nase wie eine Rauchwolke.
Als sie zusammenbrach und nun tot da lag, wurde dem Mann bewusst, dass es nur ihr Schatten gewesen sein musste, der vorher immer hinter ihr verborgen war. Niemand außer ihm und der Toten befand sich in dem Fahrstuhl. Er wollte sich gerade nach unten beugen, als der Aufzug einen Ruck machte, stehen blieb und die Türen sich öffneten.
Er trat aus dem Aufzug und fand sich in der Bar wieder, welche er durch das Fenster gesehen hatte. Ziemlich genau in der Mitte des Raumes stand ein runder Tisch, welcher lichterloh brannte. Im Schein des Feuers sah er über dem Tresen das Schild, auf welchem stand: „Hier ruht“. Und dahinter stand der Vorname des Mannes.
Der Barmann war nur ein schwarzer Schatten und kaum zu erkennen, deshalb ging der Mann auf ihn zu und fragte: „Wer bist du?“
Doch eine Antwort war nicht nötig, denn im selben Moment erkannte er, dass es sich um den Tod handelte, um Niemanden sonst. Den sah er nun deutlich, in all seiner Schwärze. Da senkte sich die steinerne Decke der Bar langsam herab, bis zum Boden und begrub den Mann.