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06.02.2002
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Verbesserte Version weiter unten, Beitrag #11

Es ist nicht mehr so wie früher. Inzwischen riecht es hier streng nach Mensch und Menschlichkeiten. Die alten Häuser sehen noch älter aus, und unter dem Putz bricht Backstein hervor. Alles voller Leben, Trubel, Treiben, er muss an Ameisen denken, wenn man in ihr Nest tritt. Der Abend ist hereingetropft, mit einem letzten kitschigen Motiv, gezeichnet von Schwebestoffen der nahen Fabriken; er hat das Verlangen, zurückzugehen zur alten hölzernen Hebebrücke, wo er früher so oft stand. Es ist kein weiter Weg zum anderen Ende der Bucht, von der einen Seite der Stadt zur anderen. Vielleicht fünfundvierzig Minuten, wenn man langsam geht. Durch die Brücke kann man zwar freilich in zehn Minuten dort sein, aber wegen der vielen einlaufenden Segler wartete man früher oft über dreißig Minuten, bis sie sich knirschend herabsenkte, und jede Ersparnis war vertan. Trotzdem war er immer diesen Weg gegangen, hatte sich an den Sandsteinkai gesetzt und zugesehen, wie sie einliefen, die kleinen und die großen, die alten und die neuen Schiffe, das Holz und der Stahl, die Fischerboote und die Dampfer.
Unsinn, denkt er, wo du einmal hier bist. Die Jahre mögen vorbeigezogen sein, du aber hast ihnen getrotzt, du bist noch da. Er sondiert nach Bestätigung. Hier stehen sie, es kommt ihm so vor, wie Obstverkäuferinnen. In der einen gewahrt er eine Apfelfrau, in der anderen eine Birne. Und wenn er sich eine pflückt, was macht das schon für einen Unterschied? Einst war er wie frisches Holz, nichts konnte ihn knicken. Er besieht seine Hände, die Rinde seiner Haut. Morsch ist er geworden; die Mädchen, die er einst erstürmt, heute würden sie ihn nicht mehr wahrnehmen. Ist er wirklich Flaute geworden? Unter nervösem Werbelicht ein kurzes Feilschen. Kaum Wind; leider, kein frisches Salz wie früher, Muff von Mensch und Alkoholbeflaggung von Matrosen. Sie trägt Kleid, eng, unter der Baumwolle drängt Fleisches Frucht. Ihre Augen, wie Murmeln, denkt er, so leblos.
Können wir dort in das Haus?
Ja, die Stunde dreißig, aber es ist schmutzig.
Ich habe hier gelebt, weißt du? Die Tapete war früher viel heller. Hier bin ich aufgewachsen.
Sie schaut ihn an, als wäre es unbegreiflich, auf dem Flur stehen zu bleiben.
Soll ich dir vorher einen blasen, Süßer?
Ja.
Sie nimmt seine Hand, 37 Grad kaltes Fleisch ohne Feste, zieht ihn durch die Tür, so wie ein Lotse, greift an sein Glied.
Zuerst das Geld.
Da, da hast du. Nimm, es stimmt so.
Sie bedankt sich nicht. Macht schließlich keinen Laut und schaut zur Decke.
Es fällt nicht mehr so leicht wie früher. Warmer Schlamm. Sie gibt sich keine Mühe.
Das Zimmer meiner Schwester, weißt du?
Mhm. Sie zieht sich an, die Träger über die Schultern, sie ist jung, graziler Anblick trotz allem.
Er bleibt noch liegen, bis jemand anklopft und sagt, Zeit um, verschwinde.
Kleidet sich an, die Haut klebrig, schaut ihn nicht an und taucht wieder ein in die Menge, in die Fremden, will noch einmal zur Brücke.

Am nächsten Tag blickt er vom Liegestuhl die Eiche hindurch in den Abend. Wie es war, fragt seine Frau.
Ich werde nicht mehr dorthin fahren, Schatz, sagt er dem Himmel. Stell dir vor, sie haben es abgerissen. Einfach abgerissen.
Das tut mir leid.
Ja, schade, fällt ihm nach einer Weile aus dem Mund, dann schaut er wieder nach oben. Mitternachtsblau.

 

Grüß dich, sim!
Ich war ja geradezu besorgt, als keine Kritik von dir kam, aber du warst ja im Urlaub... umso mehr freut mich natürlich, nun von dir zu hören. Ebenso, dass dir die grundsätzliche Stimmung gefällt. Das viele Vergleiche drin sind, lässt sich nicht leugnen, aber ich finde, sie sind auch alle ganz ordentlich geraten und gehören ein wenig ins Konzept - ich habe verscuht, mich ein wenig am Expressionismus anzulehnen. Hat das überhaupt jemand bemerkt? Wohl eine andere Frage.
Deine Anmerkungen verlangen ein wenig mehr Konzentration, als ich im Moment noch habe, ich werd sie aber auf jeden Fall einfließen lassen.
Vielen Dank für deine Antwort und eine gute Nacht!
...para

 

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