Ich glaube, dass du, JuJu, momentan sehr sensibel auf das Thema reagierst.
Wenn ich drüber nachdenke, fällt mir ein, dass es mir auch schon oft so gegangen ist. Früher, gerade beim Thema Suizid. Und ich habe auch schon einige vom Dach geholt. Aber nach ner gewissen Zeit merke ich, wie wichtig Abgrenzung ist.
Die gesunde Reaktion ist vor allem: Die eigenen Gefühle von der des Gegenübers trennen. Wenn sich jemand umbringen möchte und dir das sagt, ist niemandem damit geholfen, wenn du darüber in Tränen ausbrichst oder deswegen nicht mehr schlafen kannst.
Du projizierst jetzt deine Gefühle und Erfahrungen auf mich, yours.
Der Bogen ist zu weit gespannt. Wie kommst du darauf? Das klingt nach der Perspektive eines Menschen, die das erste Mal mit psychisch Kranken zu tun hat - als Außenstehender - und dann denkt: Meine Güte, die armen Leute! Denen muss man doch helfen! Man muss sie integrieren, man muss sie sehen, man muss, man muss!
Du siehst es jetzt bei psychisch Kranken, weil du dich damit beschäftigst. Aber egal um welche Randgruppe es geht, der Mainstream hat wenig Kenntnis davon.]
Ich komme da drauf, weil mir das im Studium permanent gesagt wird und es sich mit den eigenen Erfahrungen deckt. Viele Leute, sogar Ärzte, halten die komplette Psychiatrie für Unsinn. Psychiatrer werden ... manche Medizinstudneten würden gerne und trauen sich nicht. Da hat man so lange studiert, und die Family war so stolz und jetzt wird man halt Psychiater.
In der Psychiatrie wird man nur mit Medikamenten abgeschossen und fixiert; die Behandlung dort bringt eh nichts; Psychiatrie ist ein Ort, wo man auffällige Menschen geradebiegt, damit sie wieder ins "System" passen. Psychiatrische Erkrankungen sind eine Frage des Weltbilds, "psychisch krank" ist definitionsache; Depressive sind Scharfsinnige, die an unserer kranken Zeit leiden.
Oder wie Yours sagt:
Wenn sich jemand umbringen möchte, warum nicht? Auch das ist eine freie Willensentscheidung, die man respektieren sollte. Ich habe Macht über meinen Körper - wenn ich ihn zerstören will, so ist das meine Entscheidung. Und wer sich in meine Entscheidung einmischt, ignoriert mich, misshandelt mich und tut damit vielleicht genau das, was andere Leute früher mit mir getan haben: Mir meine Entscheidungen nehmen. Vielleicht ist es gerade das Anerkennen dieser Entscheidung, das dem Menschen den Hinweis gibt, dass nicht alles verloren ist. Und dass er doch ernst genommen wird.
Das halbe Forum würde doch eine dieser Thesen zustimmen, auch ich vor ein paar Jahren (einer flog übers Kuckoosnest war und ist einer meiner Lieblingsfilme), es gibt hier auch immer wieder Kurzgeschichten zu diesen Themen und das kommt auch nicht von ungefähr: Die Psychiatrie war lange lange Zeit sehr menschenverachtend. Ich stecke mitten drin und finde die Psychiatrie auch sinnvoll, und trotzdem frage ich mich im Einzelfall immer wieder: Braucht die wiklich Medikamente? Ist sie wirklich psychotisch? Oder ist sie vielleicht einfach nur … naja … komisch? Vielleicht ist Schule einfach nicht für jeden gedacht? Gott, wie soll man den helfen, was bringt das hier jetzt, ewig reden …
Es ist unheimlich schwer, Patienten bzw. ihre Famile zu verklickern, dass da jemand schwer krank ist und Medikamente braucht. Und das ist wirklich in keinem anderen meidzinischen Fach so, yours. Und ich glaube auch nicht, dass du einem 15-Jährigen Mädchen, das depressiv ist oder missbraucht wurde oder Stimmen im Kopf hört, die ihr Dinge befehlen, sagen würdest: Du willst dich also umbringen? Alles klar. Ich rate davon ab, aber es ist dein Leben, deine Entscheidung, das respektiere ich. Dort ist die Tür, du hast jetzt ganz viel Macht über deinen Körper.
Oder muss sie warten, bis sie 18 wird? Braucht sie vielleicht die Einverständniserklärung der Eltern? Ist es dann okay?
Und wenn du sie bewusstlos in der Badewanne findest mit aufgeschlitzten Pulsadern? Betätigst du dann einen Notruf, oder zündest du eine Kerze an und zitierst Nieztsche, während sie verblutet? War doch offensichtlich ihre Entscheidung.
Ernsthaft, wie stellst du dir das jetzt eigentlich vor? Wo zieht man da die Grenze? Wir reden hier nicht über Sterbehilfe bei 90-Jährigen …
Also es tut mir leid, ich will dich wirklich nicht kränken, aber ich glaube nicht, dass du weißt, wovon du redest.
Das Problem bist du selbst. Weil du dich verändert hast. Weil deine Wahrnehmung sich vom Mainstream wegbewegt hat. Und plötzlich bist du auch außen vor und es erschreckt dich. Du weißt etwas, von dem andere nichts wissen. Du hast eine verborgene Welt gesehen. Es ist aber nicht die Lösung, alle auf deine Seite zu ziehen und es ist arrogant, anzunehmen, dass deine Sichtweise richtig ist. Wenn du die verstehen willst, die anders sind als du, dann musst du auch die "Normalen" verstehen.
Jetzt bin ich arrogant, weil ich sage, wir sollten vielleicht ein bisschen vorsichtiger mit Suizidtexten umgehen? Dann bin ich halt arrogant oder selbst das Problem, weil ich mich verändert habe und nicht mehr im Mainstream schwimme oder was du da psychoanalytisch alles sehen willst …
Alles, was ich sagen will, kann man in einem Satz zusammenfassen: Wir sollten vorsichtiger mit Suizidtexten umgehen.
Nicht das ganze Forum umkrempeln, nicht jede Geschichte auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen, einfach nur ein bisschen vorsichtiger mit Suizidtexten umgehen. Und ja, ich bleibe dabei: Suizidtexte. Hier verschwimmt alles, wenn ihr jetzt mit Alkoholiker und Amokläufer und Serienkiller und Herzschwache und Vergewaltigungsopfer und jetzt Behinderte und Aids-Kranke kommt ...
Wir sind kein Krankenhaus!

Und darum gehts auch gar nicht …
Aber mich erstaunt, dass du die Grenze beim Suizid ziehen möchtest. Erklärt hast du leider nicht, wieso alle anderen psychischen Erkrankungen nicht in deinem Blickfeld sind.
Ist eine Frau, die regelmäßig von ihrem Partner fast zu Tode geprügelt wird, für dich ausschließlich ein strafrechtliches Problem? Eine solche Kurzsicht vermag ich dir nicht zuzutrauen.
Suizid schließt alle psychiatrische Erkrankungen mit ein (und spielt auch bei alle oben genannten eine Rolle), das ist quasi das psychische Endstadium bei ganz ganz vielen Krankheiten, das es zu verhindern gilt. Ich gehe jetzt nur auf Suizidtexte ein, weil das hier ein Kurzgeschichtenforum ist und schreiben nun mal eine psychische Sache ist. Man könnte überspitzt auch sagen: Wenn du überhaupt keine Suizidgedanken hast, könnte es dir schon auch schlechter gehen. Suizid ist quasi das Non-Plus-Ultra seelisch betrachtet. Außerdem gehts nicht darum, sich bei jedem Text zu fragen, ob da jemand Tatsachen berichtet. Ich will Geschichten lesen und keine Psychotherapie betreiben und schon gar nicht Polizist spielen. Wir sind hier immer noch auf kg.de ... und bisher hatte ich eigentlich auch nur bei Suizidtexte wirklich Bedenken, auch weil ich glaube, dass gerade Leute, die sich umbringen, nicht ungern schreiben. Ich sehe auch nur da eine akute Gefahr, auf die unser Verhalten eventuell Einfluss nimmt. Wenn jemand Hochlabiles sein ganzes Seelenleben inklusiv Suizidvorhaben hier runterkritzelt und sich damit erstmals an die "Öffentlichkeit" traut … und wir uns dann drüber lustig machen oder es als literarischen Schrott abtun und dazu beitragen, dass er oder sie von einer Brücke springt … leider finde ich dieses Szenario, nach allem, was ich so gesehen hab, nicht so wahnsinnig unwahrscheinlich. Und so was möchte ich zumindest nicht auf dem Gewissen haben. (Unheimlich ist auch irgendwo, dass wir es nie erfahren würden. Wir haben dann auch keinen Lerneffekt oder so..) Die anderen Szenarien (Amokläufer und Vergewaltigungen, die noch eintreten werden …) sind mMn viel weiter hergeholt und auch viel weniger beeinflussbar. Wobei Missbrauchsopfer auch gerne psychiatrisch auffällig sind und sich häufig umbringen, also das überschneidet sich natürlich irgendwo auch alles …
Ich kenne jetzt spontan gar keine Texte, wo eine Frau beschreibt, wie sie immer wieder verprügelt wird, deswegen habe ich das jetzt auch nicht auf dem Radar, das ist für mich auch bestimmt kein reines strafrechtliches Problem … aber das sind auch so Sachen, ich glaube, da gehen wir instinktiv in unseren Kommentaren schon auch ein bisschen vernünftiger mit um.
Ach, Suizid, schön! Hat sich wieder ein Boygroup aufgelöst? Hamster gestorben? Warum sich vor einen Zug werfen? Mit Pillen ist doch viel angenehmer.
Das treibe ich jetzt ein wenig auf die Spitze ... aber doch. Das ist so der Ton, der dann immer wieder kommt. Auch diese Tipps, wie man sich am besten umbringen soll … die Leute sind echt geil drauf, solche Tipps zu geben, achte mal drauf. Das war auch in der letzten Geschichte in Sonstige so, die hat bernadette gleich gelöscht. Die Geschichte, auf die sich Katzano bezieht, ist eine andere.
Aber wie dem auch sein, wenn du dir häufiger um Autoren sorgen machst, Lakita, ganz egal was für Texte, und sie deswegen persönlich anschreiben möchtest … also ich habe überhaupt kein Problem damit. Ich glaube auch nicht, dass die meisten Autoren damit ein Problem hätten. Warum auch? Wenn der Text total fiktiv ist, müsste man es, wie Quinn schon andeutet, eigentlich als Kompliment auffassen und bisschen schmunzeln. Und im Zweifelsfall bist du dann schon auch einfühlsam genug, denke ich. Vielleicht hilfst du auch wirklich ein paar Leute oder schmiedest eine Freundschaft oder hast das schon alles getan. Das ist hier ein Forum, seid fruchtbar und tauscht euch aus.
Ich denke darüber nach jedanfalls und wenn wieder mal jemand meine Kriterien erfüllt, werde ich über eine Kritik zum Text jetzt etwas länger nachdenken.
cool, Lollek