Was ist neu

sunt lacrimae rerum

Mitglied
Beitritt
17.04.2009
Beiträge
2
Zuletzt bearbeitet:

sunt lacrimae rerum

Ihre Freundschaft war von ungewöhnlicher Intensität, selbst das Spannungsverhältnis zwischen erotischer Anziehung und besseren Wissens um den Wert der Freundschaft vermochte sie nicht zu zerreißen. Während des Studiums, als ihre Kassen so leer waren wir ihr kleiner Kühlschrank, lebten sie gemeinsam in einer Dachgeschosswohnung in der Altstadt. Sie hatte viele Liebhaber, doch wäre ihr keiner so nahe gekommen, wie er es war, denn er wusste um ihre Verletzlichkeit, ihren inneren Widerwillen gegen Intimität und Öffnung. Nie wäre er ihr zu nahe getreten, immer tat sie den ersten Schritt, so baute sich über Jahre und alle Lebenslagen, über weite Entfernung und erdrückende Nähe hinweg ein Band des Vertrauens auf.
Als er kurz vor einer Prüfung stand, vergaß er fast seinen eigenen Geburtstag, hätte sie nicht mit einem alten Tonkrug und einer Flasche Bier in der Hand in seinem Zimmer auf ihn gewartet und ein „bisschen mehr Begeisterung“ gefordert „dafür habe ich zwei Stunden lang in der Fußgängerzone gesungen“.
In den Jahren, die folgten, nahm der Krug einen besonderen Platz in seinem Zimmer ein, auch in dem alten Steigerhaus, in dem der Witwer alleine lebt, befindet sich ein merklich großer, freier Platz zwischen den Familienfotos auf dem Kaminsims.

„Damit ich Sie richtig verstehe, Sie verweigern einer sterbenden Frau ihren letzten Wunsch, wegen eines uralten kindischen Zerwürfnisses“

Seine Augen bleiben hart und auf die Sessellehne fixiert. Der Notar atmet geräuschvoll aus.

„Um Himmels Willen, seien Sie doch vernünftig, wie oft hat sie Sie um Verzeihung gebeten. Das ist doch albern“
„Darf ich Ihnen eine Frage stellen“
„Ja, nur zu!“
„Können Sie von der oberflächlichen Größe einer Wunde auf die innere Verletzung schließen ?“
„Was? Davon rede ich doch gar nicht, aber lassen Sie mich… “
„Dann seien Sie auch nicht so rasch mit einem Urteil bei der Hand“
„Mein Gott können Sie nicht verzeihen?“

Fährt ihn der Gesandte aufgebracht an.

„Nein“

Sagt der unversöhnliche Mann einfach.

„Bitte verlassen Sie jetzt mein Haus“

Als der Emissär endlich seinen Weg zur Tür gefunden hat, lässt sich der „Unerbittliche“ mit einem Band von Virgils „Aeneis“ auf einen knorrigen Holzstuhl nieder. Er blickt aus dem Fenster auf das Teerdach seines Schuppens unter dem eine streunende Katze Schutz vor einem aufziehenden Unwetter sucht. Das Buch hatte er bei seinem Auszug aus ihrer Wohngemeinschaft halb unbewusst, halb absichtlich eingepackt. Weil sie ihr Studium abgeschlossen hatte und, wie er hörte, gezwungen war ihren Traum Lehrerin an einem humanistischen Gymnasium zu werden aufgeben musste, nachdem irgendein Mistkerl sie geschwängert und danach das Weite gesucht hatte, dachte er bräuchte sie es nicht mehr und sah keinen Anlass es ihr zurück zugeben.
Vorsichtig, fast liebevoll nimmt er eine lose, vergilbte Seite heraus und legt das verstaubte Buch zurück in den Karton. Der Wind und der Regen peitschen nun heftig um die Laube, die Katze kauert immer noch reglos und gegen die Holzwand gepresst unter dem Vorsprung. Er steht auf, holt eine Schale aus dem Küchenschrank, füllt sie mit Milch und schreitet durch die Hintertür auf die Terrasse. Er hat keine Schuhe an und war sich des Sturmes nicht bewusst, er ächzt verärgert und laut. Die Katze flieht.

„Scheiße“

schnaubt er, stellt die Schale auf den Boden und klemmt einen Holzscheit zwischen die Terrassentür.
Das Telefon schellt, als er gerade fluchend vor dem feuchten Kamin kniet, und sein letztes Streichholz verbraucht hat. Mit schmerzenden Gelenken eilt er zum Hörer.
Ihr Bruder.

„Du Dickkopf, all die Jahre hat sie um Verzeihung gefleht, sich deinem Stolz und deiner Verbohrtheit gebeugt, Du hast sie nicht einmal angehört, Ihr habt eine Lebensdauer der Freundschaft bereits verschwendet, jetzt ist die letzte Gelegenheit alte Wunden zu vergessen. Es ist Zeit zu verzeihen. Sie stirbt“

„Sag ihr sie wusste, welchen Wert das für mich hatte, was sie zerbrochen hat. Manche Dinge sind unverzeihlich“

„Die Geschichte kauf ich dir nicht ab, sag mir was wirklich dahinter steckt, was erzählst du uns nicht?“

Als Sie ihm erzählte sie sei schwanger, konnte er es nicht glauben, nicht fassen. Sie waren gerade auseinandergezogen, sie war geblieben um Gymnasiallehrerin zu werden, er erhielt ein lukratives Angebot eines großen Unternehmens im Ballungsgebiet. Er wusste nicht was ihn so erzürnte, war es am Ende doch Eifersucht, die Wut, dass sie nicht wusste wer der Vater ist. Er fühlte sich betrogen.
Er hatte sich sehr auf ihren Besuch gefreut, war stolz auf das kleine Schmuckstück, das er erworben hatte. Kartons türmten sich noch überall, nur der Tonkrug, das Artefakt ihrer Freundschaft und ein paar persönliche Dinge standen bereits auf dem Kaminsims. Doch nun war er außer sich, schrie sie an, wie sie so verantwortungslos sein, wie sie ihm das antun könne.
Er tobte, sie tobte, weinte. Dann plötzlich unvermittelt nahm sie den Krug und in all der Grausamkeit, die solche Momente gebären, warf sie ihn zu Boden.
Der dumpfe Aufprall und das schrille Klirren hallten noch lange im unmöblierten Raum.
„Raus“ sagte er, Tränen strömten in seinen blonden Bart.
Vollkommen gefasst nahm sie ihre Jacke und ging. Das war das letzte Mal, dass sie sich sahen.

„Komm mir nicht wieder mit diesem Tonkrug, du kaltherziger…“

Die Stimme am Telefon ringt nach Worten.

„Sag ihr, sunt lacrimae rerum“

Befiehlt er ruhig und erstickt den wüsten Wortschwall aus der Hörmuschel. Er atmet schwer, schleppt sich zu einem Sessel und lässt sich hineinfallen. Eine Weile sitzt er einfach nur da und starrt auf das nasse Holztipi im Kamin. Dann erschrickt er, als die Katze auf seinen Schoß springt und sich auf dem groben Cord einrollt.

„Tränen sind in allen Dingen“

Flüstert er ihr zu. Sie dreht sich auf den Rücken und schnurrt.

 

Hallo Sabine,
danke für deine Kritik und deine Mühe.

Ich habe versucht mich der Geschichte relativ wertungsfrei zu nähern, denn mich fasziniert die merkwürdige Intimität und Innerlichkeit der Verletzung, die vielleicht banal und nichtig wirken mag, aber scheinbar unverzeihlich ist. Die Beantwortung der Frage, ob dahinter nun wirklich mehr steht oder ob es diese unverzeihlichen "Kleinigkeiten" tatsächlich gibt überlasse ich dem Leser. Ansonsten ist denke der erste Teil noch ausbaufähig, muss momentan jedoch fürs abi büffeln.

lg horace

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom