- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Supernova
denn an dem Tage, da du von ihm issest,
mußt du des Todes sterben.“
(Gott, 1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 17)
Steve Novak drückte sich demütig ins Büro der Chefin. Frau Evers-Niersdorf saß hinter dem schlanken Messingschreibtisch, der fast nackt war bis auf eine Porzellankatze, die den Kopf in Richtung Tür gedreht hatte. „Herr Novak“, sagte sie.
„Frau Niers-Eversdorf“, sagte Novak.
„Andersrum.“
Novak lief die Schamesröte ins Gesicht, sein Mund fühlte sich trocken an und seine Knie weich.
„Verz-verzeihen Sie.“
„Was genau ist Seti?“
Schwarze Flecken tanzten vor Novaks Augen einen schnellen Tanz, etwas Südspanisches, mit Kastagnetten. Fahrig hob er eine Hand auf Brusthöhe und gestikulierte wild: „Das ist gar nichts, das ist nur für die Forschung.“
„Sie wissen aber schon, dass wir hier Versicherungen verkaufen.“
„Ja, ja, aber das, das tut doch keinem was, wirklich. Das hat hier fast jeder drauf.“
„Es geht aber nicht um jeden, es geht um Sie. Und vor allem, Herr Novak, geht es um die private Nutzung firmeneigener Ressourcen.“ Frau Evers-Niersdorf saß kerzengerade hinter dem Schreibtisch, kein Funken Menschlichkeit war in ihren Augen auszumachen.
„Nun hören Sie doch, es tut doch keinem was. Der Rechner hat enorme brachliegende Kompetenzen, ehm, Kapazitäten und vielleicht ist da ja irgendwas. Man lädt Daten von der NASA herunter und lässt den Rechner daran arbeiten. Das wäre ja auch!“ – Genau! – „eine riesige Werbung für die Firma, stellen Sie sich das mal vor, wenn wir hier intelligentes Leben! Ich meine hier in!-“
„Wissen Sie, wo es vermutlich noch intelligentes Leben geben soll? Auf dem Arbeitsamt. Schönen Tag!“
Die schwarzen Flecken nahmen nun fast das gesamte Sichtfeld Novaks ein, seine Knie sackten ein.
„Ich sagte: Einen schönen Tag noch!“
Novak taumelte und griff im Fallen nach dem Messingtisch.
„Und Hände weg von meiner Muschi!“, hörte er noch, bevor er wie ein Boxer zu Boden ging und die Porzellankatze auf seinen Kopf krachte.
„Du bist der Hyäne also an die Muschi gegangen, hm?“, fragte Frank mit schmierigem Grinsen. „Wundert mich, dass die da überhaupt was hat.“
„Die Porzellankatze“, flüsterte Novak und rieb sich den Schädel.
„Ist bestimmt das Beste so. Jetzt kannst du mal was anderes machen, das war doch nie das Richtige für dich.“
„Du hast mir das eingebrockt“, sagte Novak in den Lärm der Kantine hinein.
„Ich?“ Frank hob seine Hände in einer Geste weißester Unschuld.
„Du hast mir das gesagt mit Seti.“
„Ach, als würde es darum gehen. Das ist die Wirtschaftskrise, das ist alles, nun komm schon, ist doch kein Weltuntergang.“
„Richtig belaberst hast du mich damit. Uh, Nova, mach das drauf, da kannst du berühmt mit werden, für die Forschung und alles.“
„Ich hab dir bestimmt nicht gesagt, dass du dich damit erwischen lassen sollst.“
„Geh du doch zu ihr und sag ihr, dass du das auch drauf hast, auf dich hört sie bestimmt.“
„Nachdem du ihr an die Muschi gegangen bist?“
„Komm schon.“
Frank grinste. „Ich hol dir noch eine Portion. Hackbraten oder so. Die Henkersmahlzeit.“
„Keine Ahnung, wie ich das Karen erklären soll.“
„Passt schon, Supernova. Es ist nur ein Job, der uns daran hindert, unser wahres Potential auszuschöpfen. Hast du dir mal überlegt, dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns wirklich benutzen? Und hier bei der Arbeit vielleicht überhaupt nur ein halbes?“
Novaks Kopf dröhnte noch immer. „Und warum kündigst du dann nicht einfach?“
„Weißt doch, immer wenn ein Fensterchen zugeht, geht irgendwo ein anderes auf.“ Mit diesen Worten stand Frank auf und stellte sich in die Schlange, Hackbraten holen.
Novak erwischte Karen auf der Yoga-Matte. „Ommm“, machte sie, saß im Lotussitz und hatte die Finger zu einer Position verflochten, die ihm beim bloßen Anblick Gichtschmerzen in die Gelenke trieb. Aus dem Laptop hinter ihr klang Meeresrauschen.
„Tag“, sagte er.
Ein Strahlen glitt in ihr Gesicht. „Oh, du hast endlich gekündigt! Ich hab dir doch gesagt, du blockierst dich damit nur selbst.“
Novak rieb sich über die Stirn, eine leichte Gehirnerschütterung, vermutete er, günstigstenfalls, und fragte sich, warum jeder so versessen darauf war, ihn endlich arbeitslos zu sehen.
„Frank hat schon angerufen und mir alles erzählt. Wie du diesem Mannsweib und Vatertöchterchen endlich die Meinung gesagt hast. Ich wusste doch, du hast Potential!“, jubilierte Karen und fiel ihn um den Hals. „Und jetzt bohrst du die Quelle erstmal richtig an!“
Lustlos streichelte Novak ihr über den strammen Hintern, während er an die Decke sah und die Augen verdrehte.
„Wir müssen leben, weißt du. Richtig leben!“
„Ja, genau“, nuschelte Novak gequält. „Das ist mir auch erst richtig klar geworden.“
Es klingelte an der Tür. „Wie bestellt! Unsere Hypnotherapeutin!“
„Unsere?“, murmelte Novak noch, doch der sanfte Druck der Umarmung war bereits verschwunden. Karen wieselte Richtung Tür, ins neue Leben.
Das Persönchen, das sich als „Windfeder“ vorstellte, trug drei Federn im langen, kastanienbraunen Haar und war die meiste Zeit damit beschäftigt, die Hände salbungsvoll in Halbkreisen hin- und herzubewegen. Mit Küsschen links, Küsschen rechts begrüßte Windfeder Karen und nannte sie „emsige Sonnenblume“. Novak, der in einer Ecke saß und sich noch immer den Kopf hielt, wurde mit drei schnellen Kreisbewegungen der rechten und einer der linken Hand bedacht. Demonstrativ verschränkte er beide Arme vor der Brust und überlegte, ob diese Kreise entgegen dem Uhrzeigersinn ausgeführt worden waren oder mit ihm, und warum er über so was nun nachdachte.
Doch ehe Novak sich versah, fühlte er Karens feine Fingerkuppen an seinen Schläfen und starrte in die grünen Augen Windfeders. „Du bist ein Teich“, murmelte sie. „Du bist ein Teich.“
Novak konnte Karens Brüste an seinem Hinterkopf spüren.
„Ein Teich.“
Er versuchte sich aus dem Sessel zu quälen, doch Windfeder drückte mit beiden Händen auf seine Knie. Sie roch nach Rauch und Sonnenblumenöl.
„Wieg dich im Wind, kleiner Teich. Wieg dich im Wind.“
Als Novak das nächste Mal blinzelte, schrie Windfeder Karen mit schriller Stimme an: „Eine Gehirnerschütterung?“
Als Novak wieder blinzelte, schnipste Windfeder wie wild vor seinen Augen.
Und als er ein letztes Mal blinzelte, hatte sich Windfeder eine riesige Zigarette angezündet, die Haare hingen ihr nass ins Gesicht und sie sagte: „Freue dich, zu leben!“
Emsige Sonnenblume, die nackt im Lotussitz saß, sagte: „Ich bin ein Teich.“
„Ich brauch Orangensaft“, sagte Novak schließlich, als er mit dröhnendem Schädel aufwachte und tatsächlich: Ein Tablett mit vier Gläsern Orangensaft stand vor ihm.
„Hohes C“, sagte Karen.
Novak stürzte zwei Gläser herunter, nach Rauch roch es noch immer.
„Wahnsinn, oder?“, fragte Karen.
„Ja“, sagte Novak und nippte am dritten Glas.
„Und, fühlst du dich irgendwie anders?“
„Wie soll ich mich denn fühlen?“
„Potentieller vielleicht?“
„Du meinst, so als wären die Barrikaden meines Verstandes eingestürzt und als hätte ich nun zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, wirklich frei zu sein.“
„Und zu leben?“
„Und zu leben.“
„Ja?“ Karen strahlte hoffnungsfroh wie der junge Morgen.
„Nein, bedaure“, sagte Novak, fasste Karen mit zwei Händen beherzt an die Rippen und kitzelte sie.
„Scheusal!“, quiekte Karen und ließ sich ins Schlafzimmer tragen.
„Oh ja! Meine Supernova!“
„Du kannst mir nichts erzählen, irgendwas ist doch anders“, säuselte Karen erschöpft. Sie lag auf dem Bauch und atmete schwer.
„Vielleicht habt ihr mir Viagra reinhypnotisiert“
„Quatsch, nur das Potential, aber -, wir waren uns noch nie so nah, oder? Ich meine, ich liebe dich, weißt du ja, aber so wie jetzt hab ich dich noch nie-“
„Ich weiß nicht, ich hab immer noch Kopfschmerzen“, sagte Novak. Seine Stirnhöhle fühlte sich an, als hätte der Heizer dort drin beschlossen, ein paar Kohlen nachzulegen. „Und ich hab keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Aber egal was ist, du fragst deinen Bruder nicht nach Geld, ja? Ich werd mir irgendwas einfallen lassen, vielleicht ruf ich nachher noch mal Frank an, der hatte immer verrückte Ideen. Solarenergiefirma, Windkrafttechnologie, ein Pharmatechnikunternehmen, ich hab da vorhin drüber nachgedacht, so bescheuert klingt das alles gar nicht. Oder? Was meinst du?“
Doch von Karen kamen nur rhythmische Schlafgeräusche.
Der Schlaf wollte sich nicht einstellen, Novaks Gehirn glich einem Bahnhof, in dem Regionalzüge, ICEs und der ein oder andere Transrapid rangiert werden wollten. Eine Idee lief auf Gleis Eins ein, während auf Gleis Drei gerade eine abgefertigt wurde. Und das Verrückte war: Es wurden immer mehr Gleise. Und während Steve Novak sonst froh darüber war, sich länger als drei Minuten konzentriert mit nur einer einzigen Idee beschäftigen zu können, hatte er nun das Gefühl, es gäbe ihn ganz oft. Er tänzelte an Gleis Zwei um die Versicherungspolice B08-1315 herum, beschäftigte sich auf Gleis Drei mit einer Fortentwicklung des Vier-Vier-Zweis zu einem Zwei-Sechs-Zwei-System und ließ auf Gleis Vier noch einmal seine Deutsch-Abitur-Prüfung vor vielen Jahren Revue passieren. Er konnte sich an den genauen Wortlaut der Aufgabenstellung erinnern.
„Bist du schon wach?“ Karens Stimme. Weich wie Honig. Novak brummte ein Geräusch der Bestätigung.
„Ich hab mir das mal überlegt, ich glaube, dieser ganze Kram mit dem New-Age.“
„Windfeder“, sagte Novak abwesend.
„Genau.“ Karen kicherte. „Das ist doch wirklich albern, weißt du, ich glaube, du und ich, wir zwei, das ist was, daran sollten wir arbeiten.“
„Du willst ein Kind?“, fragte Novak.
„Ja, genau. Ich bin ja so froh, dass du das auch so siehst“ Karen öffnete die Augen und sah Novak, der wie ein Besessener auf die Tasten des Laptops drosch, während er halbaufrecht im Bett saß. Seine Stirn glühte purpurrot.
„Wärst du so freundlich, Frank anzurufen, Schatz?“, fragte er. „Und etwas Eis wäre nett. Schokolade-Erdbeer, oder was du grad hast.“
„Scheiße, dein Kopf glüht rot.“ Frank führte die Hand zu Novaks Stirn, schreckte aber sofort wieder zurück.
„Hast du das notiert?“
„Ja, ja. Hab alles bis Achttausend Blatt Druckpapier.“
„Breitbandinternetzugang.“
Frank notierte. „Aber was ist denn da mit deinem Scheiß-Kopf, Mann. Das ist doch nicht gesund.“
„Ich brauch vor allem eine bessere Fire-Wall, als ich da auf den Vatikanseiten war …“, murmelte Novak.
„Nova! Dein Kopf!“
„Ja, du hast recht. Es ist viel besser, ich programmiere sie nachher selbst.“
„Nova!“
Novak führte eine Hand zu seinem Kopf. „Oh, ja, wie konnte ich das nur übersehen.“
„Was?“
„Das menschliche Gehirn arbeitet auf zwanzig Watt-Basis. Ich denke, ich bin da ein wenig drüber.“ Novak rief: „Schatz? Schatz? Könntest du mir ein Bad einlassen.“
Dann wendete er sich wieder Frank zu. „Schreib noch Kühlaggregate auf die Liste. Und mach schnell.“
Der Bahnhof wuchs und wuchs. Als Karen mit besorgter Miene in der Badezimmertür stand, hatte Novak gerade begriffen, wie er mehrere Gleise zusammenlegen konnte. Und als sie wiederkam, um Eis in der Wanne nachzufüllen und ihn beschwor, ihr endlich zu erlauben, einen Arzt zu alarmieren, stand Novak in seinem Bahnhof, lächelte freudig den rasenden Zügen hinterher und schlenderte herum. Bei Gleis Dreihundertundvier blieb er kurz stehen, winkte den Zug weg – er donnerte mit Getöse über die Gleise – und ließ einen neuen einfahren. Mit einer optimierten Kurzschrift wäre er viel effizienter.
„Das ist doch verrückt! Und du unterstützt ihn noch dabei“, fuhr Karen Frank an.
Der schleppte einen weiteren Drucker durch den Flur und sagte: „Verrückt ist, dass dein Göttergatte der klügste Mensch auf Erden ist und nicht mal auf die Idee kommt, den Scheiß auf DVD zu brennen.“
„Er sagt, es hätte etwas mit Magnetismus zu tun.“
„Und das Internet wird überwacht.“
„Siehst du nicht, wie verrückt er ist?“
„Total paranoia is total awareness.“
„Was?“
„Ach“, sagte Frank. „Hast du das Zeug mal gelesen, was er schreibt? Also als man es noch lesen konnte?“
„Nein, ich – Frank.“ Karen schluchzte.
„Das ist echt, also das ist was ganz Großes.“
„Ich kann das nicht mehr. Ihn so zu sehen.“
„Kommst du endlich?“, ertönte eine Stimme aus dem Bad, leise, durch das Rauschen der Generatoren hindurch kaum noch zu hören.
Frank zuckte die Schultern und presste sich an Karen vorbei.
Das Badezimmer war zu einem Eisschrein geworden.
„Das hier geht nach Stockholm, das nach Stuttgart und das da hinten wieder nach L.A..“
„Lesen kann ich noch, oder schreibst du die Adressen jetzt auch in deiner Kurzschrift.“
Novak tippte, während er sprach. Der Laptop lag auf einer Art Frühstücksbrett. „Die Bibel, hast du das mal gelesen?“
„Ich warte auf den Film“, sagte Frank und stellte den Drucker zu der Armada anderer, die tagein, tagaus druckten.
„Gott formte den Menschen nach seinem Abbild. Und das Erste, was er zu ihnen sagt, ist eine fette Lüge. Iss vom Baum und du stirbst.“ Novak rutschte nach dem Satz tiefer in die Wanne, fast meinte Frank ein Zischen zu vernehmen, als Novaks Kopf untertauchte.
„Du musst dich mal runterfahren“, sagte Frank. „Du bist total overclocked. Siehst du das nicht? Mach doch einfach mal langsamer. Atme ein. Atme aus.“
„Ich glaub, ich bin bei fünfundneunzig Prozent. Aber das letzte." Von Novak waren nur Mund und Hände zu erkennen, der Rest blieb unter dem Eiswasser verborgen.
„Schläfst du überhaupt?“
„Das ist es ja.“
„Was?“
„Der Typ, der Matrix geschrieben hat, ist verschwunden.“
„Dieses Bruderpaar? Die haben doch neulich erst einen Film.“
„Das mein ich doch nicht! Der ursprüngliche Autor. Walter Krysztowiak! Ist dir klar, dass die gesamte westliche Zivilisation auf eine Religion fußt, für die Erkenntnis die größte Sünde von allen ist?“
„Ich kann dir nicht mehr folgen, Alter. Aber mach doch einfach mal langsamer. Das hier geht nach L.A., sagst du, ja? Der neue Blockbuster. Wen meinst du besetzen sie? Ben Affleck? Schreib doch mal was für Ben Affleck. Der ist nett.“
Nun zog sich auch der Mund unter die Wasseroberfläche zurück, nur Novaks Hände hackten weiter in irrwitzigem Tempo auf den Laptop ein.
Frank trug die Manuskriptseiten stapelweise aus dem Zimmer.
„Monica ist bei mir eingezogen. Hab ich das schon erzählt?“
„Wenn mir etwas passiert, dann kümmerst du dich um Karen, ja?“
Novak tippte auf den Manuskriptstapel, den er vor dem Bauch trug, und sagte: „Keine Angst, für die sorgst du schon ganz alleine.“
Seit Wochen wuchs der Bahnhof nicht mehr, in die schwarze Ecke war kein Vorankommen. Dunkel waberte der Vorhang der Unerkenntnis, die verbotene Frucht, in der hintersten Ecke seines Verstandes. Das gelobte Land.
Die Kühlgeneratoren stapelten sich fast bis an die Decke des Badezimmers, eine Wand hatte Frank schon herausreißen müssen, kurz nachdem Karen verschwunden war. Die Decke wäre bald fällig. Und ob Novak noch bei Sinnen war, konnte Frank nicht sagen. Die Manuskripte hatte er am Anfang noch durchgeblättert. Seit sie in der Kurzschrift verfasst wurden, irgendeine abstruse Variante des Ascii-Codes, konnte Frank sie nicht mehr lesen. Wollte es auch gar nicht mehr. Ohne Monica hätte er das alles nicht mehr ausgehalten.
Und auch Novak schien an diesem Abend irgendwie aufrechter zu sein. Das erste Mal seit alles begonnen hatte, saß er ohne Laptop in der Wanne. Auch die Kühlaggregate schienen nur auf halber Leistung zu brummen und sein Kopf hatte eine fast normale Farbe erreicht, blasses karmesinrot.
„Ist gar nix Neues, oder?“, fragte Frank.
„Nein“, sagte Novak.
„Soll ich mich zu dir setzen?“
„Du warst mir ein guter Freund.“
„Ja.“
„Es gibt nichts mehr zu sagen.“
„Nein, wahrscheinlich nicht.“
„Mach’s gut. Sei doch noch so gut und gib mir den Laptop. Und stell die Aggregate an, ja?“
„Ja“, sagte Frank, reichte Novak den Laptop und ging.
Novak stand in seinem Bahnhof, die Züge ruhten. Er klatschte in die Hände und schloss die Augen. Alle Gleise drehten und verformten sich ohrenbetäubend und zeigten auf die schwarze Wand. Novak atmete tief ein und ließ sich in den Lotussitz fallen, er hörte das Rauschen der Züge, wie eine Armee fuhren sie ein und mit einer gewaltigen Geistesanstrengung ließ er sie in die schwarze Wand rasen.
Als Frank ihn am nächsten Morgen fand, war schwarze Flüssigkeit aus Novaks Ohr in die Wanne gesickert und hatte das Wasser verfärbt. Der Drucker hatte noch eine einzige Manuskriptseite ausgespuckt. Frank steckte sie ein und rief den Leichenbestatter.
Während er auf ihn wartete, sah er eine einzelne, große Vogelfeder, die sich wohl oben in einem der Kühlaggregate verfangen hatte und nun nach unten trudelte. Frank fing sie in der Luft.
Karen schluchzte am Grab, Frank drückte ihre Hand fest. Monica an seiner Seite sah einfach hinreißend aus. Das pechschwarze Haar fiel ihr in den Nacken. Wen konnte da das Gewissen beißen?
Als es an der Zeit war, warf Frank eine einzelne Rose auf den Sargdeckel, umarmte Karen, nahm Monica an die Hand und fuhr nach Hause.
„Was sagen sie, woran er gestorben ist?“, fragte Monica im Wagen.
„Gehirnschlag.“
„Jetzt ist er fort.“
„Ja.“
Monica lächelte.
Frank auch.
In Franks Wohnung stapelten sich die Manuskripte. Er bewegte den Kopf im Nacken hin und her und nahm von einem der Turmbauten aus Papier einen Umschlag, der zuoberst lag. „Kurzschrift“ stand darauf. „Na, dann wollen wir doch mal sehen“, sagte Frank und warf ihn auf den Schreibtisch. Mit den Händen hinter dem Rücken ging er die Reihen ab. „Wo ist noch mal der Stapel nach L.A. oder vielleicht doch erst Stockholm.“
„Nobelpreisträger. Die Kategorie kannst du dir aussuchen“, flüsterte Monica leise.
„Ja.“ Frank nickte. „Aber vielleicht mit Karen.“
„Um die kann man sich kümmern. Hier, ich hab dir einen Tee gemacht. Wie du ihn magst, mit viel Honig.“
„Ich will davon nichts wissen.“
„Was meinst du?“
„Karen.“
„Natürlich, Schatz.“
„Also keine Details.“
„Ganz wie du möchtest.“
Frank setzte sich an den Schreibtisch, nippte an dem Tee und machte sich an die Übersetzung des Manuskripts. Doch schon nach den ersten zwei Zeilen legte er es bei Seite, nippte erneut am Tee und zog stattdessen die einzelne Manuskriptseite aus der Schublade, die er bei Novak gefunden hatte.
„Frank! Gott benutzt uns! Die neunzig Prozent unseres Verstandes“, decodierte er, schüttelte den Kopf und sprang ein paar Zeilen nach unten. „Im Schlaf schicken wir ihnen unsere Arbeit zu. Träumen ist dann das Beiprodukt.“ Frank sah nun mit wachsendem Unbehagen auf die Manuskriptstapel. Und wenn dies alles nur das Gewäsch eines Irren war? Er sprang zum Ende des Briefs. „Alles eine Lüge! Die katholische Kirche Handlanger. Hüte dich vor Priestern, Frank. Hüte dich vor Engeln!“
Fahrig verstaute er die Manuskriptseite in der Schublade und trank den Tee aus. Er roch nach Mandeln. Das hier taugte bestenfalls für einen irren Verschwörungsroman, hoffentlich war brauchbares Material darunter.
Ein wenig wankte er noch in seinem Stuhl, bevor er mit dem Kopf auf die Tischplatte schlug.
„Schatz?“, flötete Monica. „Möchtest du noch einen Tee oder hat das gereicht?“
Sie tänzelte in das Arbeitszimmer, griff Frank am Schopf, riss seinen Kopf in den Nacken, bekreuzigte sich und ließ ihn wieder auf den Tisch zurücksinken, griff nach dem Telefon und gab eine lange Ziffernfolge ein.
„Benedetto“, fistelte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Sic transit“, hauchte sie in den Hörer.
„Gloria mundi!“, antwortete die Stimme. „Gesegnet seist du, mein Kind.“
Monica legte auf und suchte in Franks Taschen nach einem Feuerzeug.