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Svenja
Vor einem halben Jahr haben sie die Raucherecke geschlossen. Er kommt öfter rüber zu dem kleinen Areal vor den Fahrradständern, um uns zu sagen, dass wir auf dem Schulgelände nicht rauchen dürfen. Schlendert über den Hof. Bedächtig. Es eilt nicht und er eilt auch nicht. Es ist eine lästige Pflicht, der er nachkommt. So sieht es aus und so soll es natürlich auch aussehen. Er gängelt und bevormundet nicht. Er sagt es mit einem Schulterzucken, so als ob er sich dafür entschuldigen wollte, dass er das tun muss.
Zu mir ist er besonders nett, wenn er mich zwinkernd auffordert, die Kippe auszumachen. Ich nehme die Freundlichkeit persönlich. Er kann lächeln und dabei tieftraurig aussehen. Mit dieser Traurigkeit, die irgendwo in seinem Inneren sitzt, habe ich nichts zu tun. Aber ich bin sehr gern der Grund für das Lächeln.
Bei dieser Klassenfahrt ist er kurzfristig eingesprungen. Wahrscheinlich wollte er gern mal wegkommen von zu Hause. Unser Klassenleiter Müller ist krank geworden oder er hatte keine Lust, mitzufahren. Dass gerade dieser Typ, dieser ätzend langweilige käsige Müller eine Affäre mit seiner Frau hat, weiß ich da noch nicht. Vielleicht hat sie auch erst später begonnen.
Das ist jetzt definitiv meine letzte Klassenfahrt. Ich bin schon zwanzig. Spät eingeschult. Einmal Klasse wiederholt wegen der ständigen Umzüge meiner Eltern.
Wir sind in Florenz. Wohnen in der Jugendherberge bei Fiesole, ein paar Kilometer außerhalb auf einem malerischen Hügel. Ich hasse Stockbetten und Mehrbettzimmer, aber sonst ist das Hostel schwer okay mit irren Blicken runter auf die Stadt. Und der Pool im Garten ist geil.
Die Lehrer haben natürlich andere Zimmer.
Vormittags führen sie uns in der Stadt herum. Dom, Uffizien, Ponte Vecchio, Piazza della Repubblica, Piazza della Signoria… Einer seiner Kollegen kennt sich bestens aus. Kann ohne Punkt und Komma über jeden Platz, jede Kirche und jede Statue parlieren. Es wimmelt von Touristen. Manche stellen sich zu uns und hören zu. Gratisführung. Es ist die xte Klassenfahrt hierher, die er leitet. Spricht natürlich perfekt Italienisch. Sogar mit Florentiner Akzent, wenn er will. In einer Eisdiele begrüßt man ihn überschwänglich. „Dottore! Che piacere!“ Das freut ihn. Er ist ein eingebildeter eitler Gockel. Wir nennen ihn „Duce“.
Am Nachmittag ist es zu heiß für Pflichtausflüge. Wär ja nicht auszudenken, wenn eine zarte Schülerin einen Hitzschlag bekommt und zusammenklappt. Wer im Hostel, im Garten oder am Pool bleiben will, darf das.
Er bleibt auch und hat die Aufsicht über uns Zurückgebliebenen.
Wir sind drei Mädels und drei Jungs. Und er. Die meisten wollten doch mit den anderen Lehrern runter in die Stadt. Hab an die Busfahrt gestern gedacht. Die Körpersäfte kochen schon, bevor man unten ankommt.
Ich bin es gewohnt, dass man mich anglotzt, wenn ich Bikini trage. Denk mir nicht viel dabei. Ich hab einen schönen Busen und meinen Hintern mag ich auch. Wann soll ich mir denn die Blicke einfangen? Wenn ich sechzig bin?
Die Jungs wollen ständig mit mir im Pool rumalbern, die anderen beiden Mädels schauen säuerlich.
Er sieht das natürlich, sitzt mit Shorts und Strohhut in seinem Liegestuhl im Schatten einer Pinie, trinkt irgendwas und lächelt vor sich hin.
Irgendwann zieh ich mich zurück und geh zu ihm.
„Magst du auch was trinken?“, fragt er und deutet auf einen Stuhl.
Ich mag.
Er trinkt Wasser mit Eiswürfeln und Limonenstückchen.
Ich hole mir ein Glas aus der Küche und schenke mir aus der Karaffe voll, die auf dem Tisch steht. Dann will ich den Stuhl unter dem Nachbartisch hervorziehen. An seinem Tisch steht nur der, auf dem er sitzt und einen auf Kavalier will er einer Schülerin gegenüber anscheinend nicht machen. Mir ist klar, dass ich ihm dabei gebückt meinen Hintern aus nächster Nähe präsentiere. Dann habe ich den Stuhl endlich aus dem Beinegewirr herausgezerrt und platziere ihn neben ihm.
Er lächelt und sein Lächeln sagt etwas wie „Hübscher Po, Mädchen, aber ich bin nicht einer deiner Poolboys, denen bei so einem Anblick die Säfte einschießen.“
Natürlich sagt er kein Wort davon, aber mich macht sein überlegenes Lächeln ganz kirre.
Wir haben danach noch zwei Tage und zwei Nächte. Klar habe ich Lust, rauszufinden, ob er Spaß an einem kleinen Flirt hätte. Aber er würde sich niemals so verhalten, dass andere Schüler oder gar Lehrer das Gefühl bekommen, ich wäre mehr für ihn als andere Mädels. Ich weiß das oder glaube, es zu wissen.
Ob Müller zu dieser Zeit schon seine Alte gefickt hat, weiß ich nicht. Aber ich merke, dass es ihm nicht besonders gut geht.
Am Abend wollen die meisten nach dem Essen nochmal los. Es ist eine warme Sommernacht mit Grillengezirpe, Glühwürmchen im Garten und Stechmücken. Ich gönne meinen freiliegenden Hautflächen eine halbe Spraydose Autan. In der Luft liegt eine brodelnde Unruhe und der Duce trommelt zum Spaziergang nach Fiesole hoch. Nur ein paar von uns haben keine Lust. Darunter ich.
Und er bleibt auch da.
Kurz nachdem die meisten gegangen sind, sehe ich ihn an der Rezeption stehen und mit dem Portier palavern. Wahrscheinlich reden sie über italienische Opern, denke ich. Das kleine dünne Männchen mit der Halbglatze hat einen Mordstenor. Er hat ihn uns am Abend des Ankunftstages vorgeführt.
Aber ich täusche mich. Er bekommt keine Arie, sondern einen Schlüssel und zwei Motorradhelme.
„Kommst du mit“, fragt er mich.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber das geht wohl jedem so, dem fast das Herz stehen bleibt. Ich nicke.
„Brauchst du noch irgendwas?“, fragt er. Jetzt schüttle ich den Kopf, ungeschminkt und unfähig, drüber nachzudenken, ob ich so gehen kann, wie ich bin. Ich weiß ja nicht, was er mit mir vorhat.
Zwei Minuten später stehen wir vor einem Motorrad. Er hilft mir, den Helm aufzusetzen, erklärt mir, dass ich mich, wenn er sich mit der Maschine in eine Kurve neigt, auf keinen Fall entgegenlehnen darf und dann zeigt er mir, wie ich mich an ihm festhalten kann. Ich weiß das alles, bin oft genug bei meinem Bruder auf der 500er BMW mitgefahren. Das hier ist eine Moto Guzzi. Uralt, erklärt er mir.
Dann spüre ich nur noch den Wind, der mich streichelt, ein warmes Vibrieren unter meinem Hintern und seine Hüften mit meinen Händen.
Es ist schon dunkel. Wir tuckern den Berg runter in die Stadt. Es ist herrlich. Aufregend. Ich bin plötzlich auf eine ganz andere Art hier in dieser Stadt und platze fast vor Freude und Dankbarkeit.
Unten am Fluss biegen wir ab und fahren den Lungarno entlang. Überall Cafés, Bars. Junge Leute, die mit Drinks herumstehen. Musik.
„Später halten wir irgendwo an und trinken noch etwas, ok?“, ruft er nach hinten.
„Gern“, schreie ich nach vorn.
Dann überquert er den Arno, verlässt die Hauptstraße und steuert die Maschine durch kleine enge Gassen. Er scheint sich auszukennen. Und wir haben gedacht, unser Duce sei der Experte für Florenz. Der warme Fahrtwind schleicht sich unter mein Shirt, kreiselt auf meinem Bauch. Das Motorrad dröhnt in den schmalen Gassen. Ich rieche Pflanzen und Gewürze, die ich von Urlauben am Meer kenne. Jetzt geht es steil bergauf an hohen Mauern entlang.
„Das ist das Forte Belvedere. Früher hatten sie dort nachts ein Open Air-Kino mit Blick auf die Stadt.“
Früher. Vor meiner Zeit. Wahrscheinlich vor meiner Geburt.
Als mein Hintern von dem holprigen Pflaster zu schmerzen beginnt, erreichen wir eine breite mehrspurige Straße. Er hält an einem großen Platz, der nichts Idyllisches hat.
„Piazzale Michelangelo“, erklärt er. „Tagsüber kann man hier nicht stehenbleiben. Alles voller Touristenbusse.“
Jetzt sind nicht viele Menschen hier oben. Die Luft ist kühler. Wir gehen ein paar Schritte und dann weiß ich, warum er hier oben angehalten hat. Der Blick auf die erleuchtete Stadt ist irre.
Er erklärt mir nicht, was ich alles sehe. Manches erkenne ich. Die Kuppel des Doms. Arno und Ponte Vecchio. Das meiste natürlich nicht, aber das ist egal. Er ist einfach still. Ich auch. Ich lehne mich ein wenig an ihn.
Keine Ahnung, wie lange wir hier oben geblieben sind. Ich glaube, in diesem aus der Zeit gefallenen Moment, habe ich mich verliebt in den Mann, der ihn mir geschenkt hat. Bevor wir wieder fahren, sagt er: „Komm nie am Tag hier rauf! Das verdirbt dir die ganze schöne Erinnerung.“
Ich denke, die Gefahr besteht nicht. Ich werde nie wieder hierherkommen, schon allein damit dieses Gefühl einzigartig bleibt.
Auf dem Rückweg passieren wir wieder die Bars am Fluss.
„Hoffentlich bleibt er irgendwo stehen“, denke ich. Ich würde sehr gern noch was mit ihm trinken. Stelle mir vor, dass er seinen Arm um mich legt und mich an sich zieht, weil es jetzt doch ein wenig frisch geworden ist.
Er hält. Wir stellen das Motorrad ab, nehmen die Helme in die Hand. Er stellt sich an einer Bar an und kommt mit zwei Drinks zurück.
„Kein Alk“, sagt er und grinst. „Sie schlachten mich, wenn sie rausfinden, dass ich eine Schülerin entführt und betrunken gemacht habe.“
„Ich bin volljährig“, erkläre ich. „Ich darf mich frei bewegen.“
„Auch mit einem Lehrer?“
„Auch mit einem Lehrer, wenn er nicht im Dienst ist. Bist du im Dienst.“
„Sehe ich so aus?“, lacht er.
Zum ersten Mal duze ich ihn. Es wird mir erst danach bewusst. Die Frage und das „Du“ waren schon davongeflogen. Er geht nicht darauf ein.
Wir setzen uns mit den Drinks auf eine Mauer und blicken auf den Arno.
Er fasst mich nicht an, aber ich spüre seine Nähe. Funkenflug. Ich möchte mich an ihn lehnen und trau mich nicht. Er erzählt mir, dass er hier in Florenz zwei Semester studiert hat, seitdem oft hier ist und Freunde besucht, die er damals kennengelernt hat. Ich glaube zu verstehen, dass er die Stadt ganz anders kennt als der Duce.
Leider holt er keinen zweiten Drink. Ich könnte bis morgen früh hier neben ihm sitzen.
Eine halbe Stunde später stehen wir wieder vor dem Hostel. Er schaut sich um. Es scheint ihm jetzt doch lieber zu sein, nicht mit mir gesehen zu werden. Das Haus betritt er durch einen Nebeneingang ein paar Schritte vor mir und reicht dem Portier die Motoradschlüssel über den Tresen. Bedankt sich. Schiebt ihm einen Schein rüber.
Ich gehe direkt in den Garten. Er hat mich nicht gebeten, über unseren kleinen Ausflug zu schweigen. Aber ich werde natürlich trotzdem meinen Mund halten.
Am nächsten Morgen bin ich erkältet. Hab Gliederschmerzen, leichtes Fieber. Bin richtig groggy und muss auch nicht lang nachdenken, wo ich mir das eingefangen habe. Der warme Fahrtwind, der auf dem Rückweg nicht mehr so warm war.
Ich stehe zwar auf, um eine Tasse Kaffee zu trinken, aber dann reicht es mir schon wieder. Ich kann nichts essen, lege mich wieder hin und verbringe unseren letzten Tag auf dem Zimmer.
Am Abend geht es mir auch noch nicht besser. Ich fühle ich mich fiebrig und schlapp und mir graut vor der morgigen Zugfahrt nach Hause. Alle sind im Garten, sitzen auf der Terrasse und quatschen. Abschiedsveranstaltung. Ich habe das Fenster im Zimmer geöffnet und lausche dem Gemurmel.
Ich denke an ihn. Ich denke ständig an ihn. Er steigt mir nicht nach. Bis dahin war mir nicht klar, wie erotisierend das auf mich wirkt. Mich macht seine Traurigkeit an. Mich macht seine freundliche Distanziertheit an, seine Ironie. Und sein Lächeln, das fast immer um seine Mundwinkel kreiselt. Aber er lacht nicht oft. Jetzt klopft es an der Tür und in mir klopft es noch viel lauter.
„Willst du nicht runter kommen, Svenja? Alle fragen nach dir.“
Mir ist es völlig egal, was alle anderen fragen. Aber ihm ist mein Fehlen aufgefallen.
„Mir geht’s nicht so gut“, sage ich.
Ich liege oben auf einem der Stockbetten. Er kommt rein und legt mir seine Hand auf die Stirn.
„Du bist wirklich etwas warm. Magst du was zu trinken?“
Ich nicke nur.
Er geht und kurz darauf ist er wieder da mit einem Glas und einer Karaffe Limonenwasser.
„Wird schon wieder. Morgen geht es dir besser.“
Er befühlt nochmal meine Stirn, streichelt kurz meine Wange und lächelt genau dieses Lächeln.
Der Weiher ist kaum bekannt, ein Geheimtipp, aber er ist klein, schattig und sumpfig. Keine Wiesen zum Sonnen, kaum Badestellen, verschilfte Ufer. So hat er ihn beschrieben, als ob er es darauf anlegte, dass ich keine Lust habe, mitzukommen. Aber ich habe Lust.
Er fährt Richtung Süden aus der Stadt raus, vorbei an den Harlachinger und Grünwalder Villen, von denen man nur Mauern und hohe Hecken sieht, vorbei am Straßlacher Golfplatz. Ich bin gespannt, an was für einen Ort er mich verschleppt.
Danach noch durch ein paar Dörfer, Großdingharting, Kleindingharting, und wir sind da. Vom Parkplatz auf einer Wiese geht es noch ein paar Minuten durch den Wald. Dann sehe ich den Weiher durch die Bäume.
Klar frage ich mich, ob er oft mit Frauen hierher kommt, aber ich frage mich und nicht ihn. Ich bin klug genug, um zu wissen, mit welchen Kommentaren man einem Mann die Stimmung versauen kann, besonders einem, der nicht weiß, ob er das wollen soll, was er will.
„Wir gehen noch ein Stück am Ufer lang“, erklärt er. Ich stelze mit meinen hohen Sandaletten hinterher und passe auf, dass ich nicht über Wurzeln stolpere. Der Weg ist schmal, eigentlich nur ein Trampelpfad. An einer Stelle gibt es ein wenig Wiese zum Hinlegen, gerade mal Platz zum Ausbreiten von zwei Handtüchern und es scheint flach ins Wasser zu gehen. Aber da liegt schon ein Pärchen. Er geht weiter.
„Schade!“, sage ich.
Er lacht.
Ein paar Minuten später entdecken wir wieder eine kleine verborgene Stelle, allerdings nur mit Platz für ein Badetuch.
„Bleiben wir hier?“, frage und beschließe ich, hole mein rotes Badehandtuch aus der Umhängetasche, breite es aus und bitte ihn, mir den Reißverschluss zu öffnen.
Er tut es und das Kleid fällt. Ich habe meinen Bikini schon an. Den knappsten, den ich habe. Und ich weiß genau, wie mein Po darin aussieht.
Ich kann nicht sehen, ob er ihn betrachtet, weil ich auf den Weiher und die Seerosen hinausblicke. Es ist ein Moorweiher, braun aber nicht schmutzig. Er riecht modrig und schwer. Aus dem Rascheln von Stoff hinter mir schließe ich, dass er sich auch auszieht und als ich mich umdrehe, sitzt er bereits in der Badehose auf dem Tuch.
Ich überlege kurz, ob ich mich auch niederlassen soll. Aber dann reitet mich der Teufel. Ich streife das bisschen Stoff ab und gehe nackt ins Wasser. Es ist nicht warm und kostet Überwindung. Mit ein paar Zügen bin ich im Tiefen und blicke mich um. Er steht ein wenig unschlüssig da. Ich weiß, worüber er nachdenkt.
„Badehose runter! Reinkommen!“, rufe ich.
Er zieht seine Short aus und marschiert los. Natürlich schaue ich dahin, wo jede Frau in der Situation hinschauen würde und glaube zu sehen, dass ihn mein nackter Anblick nicht ganz kalt gelassen hat.
Er krault auf mich zu, packt mich an den Hüften, wir strampeln mit den Beinen. Er berührt mich überall ohne mich zu betatschen.
Er küsst mich im Schwimmen. Verhalten, nicht fordernd, einfach so. Dann schwimmt er raus ans Ufer.
„Bin nicht gemacht für kaltes Wasser“, ruft er mir zu.
„Weichei!“
Als ich etwas später aus dem Wasser komme, schüttle ich meine langen braunen Haare über ihm aus wie ein nasser Hund. Er lacht und ich setze mich mit dem Rücken zu ihm zwischen seine angewinkelten Beine, lehne mich zurück, lege den Kopf auf seine Schulter und schließe die Augen. Er ist schon wieder trocken und warm.
Eine ganze Weile sitzen wir so, sprechen nicht und spüren uns. Dann fühle ich seine Lippen an meinem Hals, seine Hände an meiner Taille. Ich spreize unmerklich die Arme ein wenig ab, damit er überall hinfindet. Damit er alles an mir entdeckt, was er sucht.
Ich kann normalerweise ganz schwer abschalten beim Sex, beobachte immer. Was machen die Jungs mit mir? Was macht das mit ihnen? Als ob ich die Berührungen studieren würde, anstatt sie zu fühlen.
Mit ihm ist es anders. Ich spüre einfach. Seine Hände in meinen Haaren, seine Hände an meinen Wangen, seine Hände an meinen Brüsten. Sie sind überall. Überall gleichzeitig. Als seine Fingerkuppen die Innenseiten meiner Schenkel streicheln, gebe ich einfach nach, obwohl ich gar keinen Druck fühle. Vielleicht einen ganz leichten. Nicht fordernd, eher zeigend, was er sich wünscht. Ich öffne sie, öffne mich, lasse sie ganz weit auseinanderfallen.
Und dann kommt nicht das, was ich von Männern kenne. Von Jungs. Das Bohren in der Tiefe, als wäre da etwas Verborgenes, etwas Hineingefallenes, das sie hochholen müssen wie die goldene Kugel aus dem Brunnen.
Ich bin nass. Ich werde sehr schnell nass, aber das weiß er da noch nicht. Ich spüre ihn lächeln. Aber vor allem spüre ich seine Finger. Ich fliege. Ich treibe auf seinen Berührungen. Und er weiß genau, was er tut. Fordert, lockt, streichelt. Ich glaube, ich bin laut.
„Lass es mich hören, Süße!“, flüstert er und leckt über meinen Hals.
Ich zerspringe in tausend Scherben.
Niemand darf davon wissen. Ein paar Mädels haben mitbekommen, wie wir uns in Florenz abgeseilt haben. Klar sage ich, dass da nichts gelaufen ist und auch nichts läuft. Gar nichts. Ich glaube auch nicht, dass sie das wirklich vermuten. Er und ich, unvorstellbare Vorstellung! Aber sie necken, sie frotzeln. Und sie sind aufmerksam.
Kein Lächeln, wenn ich ihm begegne. Kein Blick, der länger dauert als Blicke zu anderen Kerlen, Lehrern, Mitschülern, die mich keinen Deut interessieren. Aber auch nicht zu auffällig beiläufig.
Er beherrscht das meisterhaft. Behandelt mich in der Schule wie jede andere, der er zufällig im Pausenhof oder in den Gängen begegnet. Er ignoriert mich freundlich. Ich bin heilfroh, dass ich ihn in keinem Fach als Lehrer habe.
An unserem Weiher sind wir noch einige Male. Wir küssen uns, machen uns scharf, er leckt oder fingert mich, bis ich komme und ich blase ihn. Ich bemühe mich sehr. Wahrscheinlich mache ich es besser als seine Frau. Oder zumindest öfter. Bestimmt ist noch Luft nach oben.
Dann wird es Herbst. Zeit zum Spazierengehen und mit den Stiefeln im Laub rascheln. Aber dafür sind unsere Stunden zu kostbar.
Einmal die Woche treffen wir uns nach der Schule. Meine Eltern glauben, ich hätte ein Kolloquium. Was er seiner Frau erzählt, weiß ich nicht. Ist mir auch egal.
Wir treffen uns in einem kleinen Hotel am Rot-Kreuz-Platz. Gleich nebenan ist Sarcletti, die beste Eisdiele der Stadt. Als ich ihn frage, ob er mich danach noch zu einem Eisbecher einlädt, ist er zögerlich. Wir könnten natürlich auch in Neuhausen gesehen werden. Meine Freundinnen aus der Schule kommen aus dem gesamten Stadtgebiet. Ich verstehe das, aber es schmerzt.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch keine Ahnung, wie weh er mir noch tun wird.
Der Portier des Hotels ist ein müder alter Knochen, der kaum aufschaut, als wir an ihm vorbeigehen. Alles Bürokratische ist schon erledigt.
Der Lift funktioniert nicht und wir gehen über abgetretenen plüschigen roten Teppich in den zweiten Stock. Es riecht alt und muffig.
Beim ersten Mal rumort es gewaltig in mir. Er würde jetzt mit mir Sex haben. Richtigen Sex. Er ist nicht der Erste und auch nicht der Zweite. Aber ich fühle mich, wie eine Jungfrau. Die Nachmittage am Weiher waren aufwühlend, verspielt, geil, aber das jetzt kommt mir so verdammt erwachsen vor.
Das Zimmer besteht aus einem großen Bett, einem Nachttisch, einem Schrank, einer Minibar und einer Tür, die zum Bad führt. Wir öffnen erst mal das Fenster. Romantisch ist hier nichts.
Aber er macht es mir leicht. Küsst mich. Zieht mich aus. Dann drückt er mich sanft aufs Bett und setzt mir eine Augenmaske auf.
„Du sollst nichts anschauen müssen“, haucht er mir ins Ohr. „Hier ist es hässlich, aber ich sehe nur dich. Und du sollst nur spüren.“
Das kann ich nie, denke ich. Ich weiß, wo ich bin. Ich weiß, wie dieses Zimmer aussieht. Aber ich kann. Spüre seine Hände überall an mir, seine Lippen. Es fühlt sich so an, als würde er mich überall lieben. Am Hals, an den Schultern, in den Kniekehlen, an den Zehen.
Jetzt schaffe ich es doch, loszulassen. Ist das Hingabe? Nur fühlen, was er mit mir macht? Ich öffne mich, zerfließe, spüre, wie er eindringt.
Kurz kommt der Gedanke, dass er hoffentlich verhütet. Er hat es getan, wie ich nachher feststelle, als wir wieder zur Ruhe kommen und er mir die Maske abnimmt. Jetzt ist das Zimmer nicht mehr hässlich. Es ist der Raum für unsere Gefühle. Unser Raum. Und es riecht so gut.
Es sollte unser Herbst werden. Ich bin dermaßen verknallt. Geblendet, verblödet, aber das wird mir erst später klar. Jetzt ist es für mich intensiver und stärker als alles, was ich bisher erlebt habe. Es ist völlig anders. Ich bin anders mit ihm. Fühle mich als Frau, begehrt, geliebt, gesehen.
„Er erkannte sie…“ steht irgendwo in der Bibel. Weiß nicht mehr, wo mir das begegnet ist, aber jetzt verstehe ich das. Die Jungs, die ich bis jetzt rangelassen habe, wollten einfach Druck ablassen. Haben gar nichts erkannt, schon gar nicht mich. Was erleben, ihr Ego streicheln. Wollen wir ja irgendwie alle.
Mein Empfinden mit ihm spielt in einer ganz anderen Liga. Er weiß, wie ich fühle, wonach ich mich sehne, was ich brauche. Und er schenkt es mir. Jedes Mal anders, jedes Mal besser.
Mir ist es scheißegal, dass er viel älter ist als ich, dass er mein Vater sein könnte, dass er verheiratet ist. Es darf niemals aufhören. Ich torkle in einer Gefühlswelt herum, die ich nie wieder verlassen möchte. Natürlich spielt immer mal wieder die Angst mit. Dass ich in einer Glücksblase lebe, die irgendwann zerplatzen wird, zerplatzen muss, dass mir die Fetzen dieser Blase um die Ohren fliegen und irgendwo an mir kleben bleiben, dass er es ist, der die Nadel ansetzt. Aber ich vertreibe diese Angst. Sie kommt aus dem Neid meines alten Lebens auf das neue. Manchmal schau ich der Realität ins Gesicht. Dann denke ich, wenn es nicht für ewig ist, dann macht es mich wenigstens reich. Doch auch diesen Gedanken will ich nicht behalten. Er ist ein Rettungsanker, aber ich will mich nicht retten müssen.
Die Angst ist eine Brennnessel. Ich schneide sie ab, zertrete sie, reiße sie aus. Natürlich wächst sie immer wieder nach. Zu allem Schönen gehört die Sorge, es zu verlieren, denke ich.
Bis zu diesem Tag.
Er schaut ernst. An meinen Augen vorbei. Küsst mich nicht. Gerade, dass er mir nicht die Hand schüttelt. Wir gehen die Treppe hinauf. Er geht nicht hinter mir, wie sonst, um meine Beine und meinen Hintern zu betrachten. Irgendwann hat er mir lächelnd gestanden, dass ihn der Anblick tierisch anmacht, und seitdem gehe ich besonders gern vor ihm. Natürlich im kurzen Rock. Und langsam. Wie es auf ihn wirkt, kriege ich zu spüren, sobald wir im Zimmer sind.
Heute geht er voraus.
Ich rede mir ein, dass es nichts bedeutet. Bis wir die Tür öffnen, er sich auf einen Stuhl setzt und auf den anderen deutet.
Jetzt weiß ich es besser.
„Wir können nicht so weiter machen, Svenja.“
„Warum nicht?“, frage ich, und ich versuche, mir die Panik nicht anmerken zu lassen. Ich hoffe, er zweifelt nur. Ich hoffe, ich kann diese Zweifel verscheuchen. Aber sein Gesicht sagt etwas anderes. Es ist entschlossen, kühl. Und irgendwie aufgesetzt traurig.
Mir brechen die Tränen aus den Augen. Kann nichts dagegen tun. Sie sammeln sich und suchen einen Ausgang. Ich heule vor Wut, vor Verzweiflung, Ohnmacht. Keine Ahnung, was sich da in mir zusammenbraut und herausrinnt. Dass ich es nicht verhindern kann, macht mich noch wütender. Dass er mich jetzt so sieht.
„Es geht einfach nicht“, sagt er. Nichts rührt sich in seinem Gesicht während er diese Worte sagt. Sogar seine Lippen bewegen sich kaum. Wie bei einem Bauchredner.
„Warum nicht?“, schreie ich ihn an? „Was ist falsch? Es tut dir gut, hast du gesagt. Ich tu dir gut. Und deine Alte lässt sich doch eh von einem anderen ficken.“
Ich bin so voller Zorn. Und hilflos.
„Ich sehe das Mädchen in dir, Svenja. Kaum älter als meine Tochter.“
„Na und?“, schreie ich. „Ich bin nicht jünger geworden seit wir uns kennen.“
„Ich weiß. Ich weiß doch. Ich bin einfach zu mir gekommen. Aufgewacht.“
Er versucht, die Arme um mich zu legen, aber ich schlage sie weg.
„Und jetzt hast du dein Ego genug aufpoliert? Deine Alte bescheißt dich mit einem Kollegen, aber du hast noch eins draufgesetzt. Fickst eine Schülerin.“
„Ich hätte das nicht tun dürfen.“
Jetzt kommt zu seinem bescheuerten Cool-Gesicht noch so ein Reuegedöns. Und ein Schuss Zerknirschtheit.
„Was bin ich für dich? Oder was war ich?“
Ich brauch nur ein paar Sekunden, um Rock und Shirt abzustreifen. Drunter habe ich eh nie was an, wenn wir uns im Hotel treffen. Er will nach mir greifen, ist zu langsam, kann nicht verhindern, dass ich nackt vor ihm stehe.
„Letztes Mal hat dich das geil gemacht und heut kriegst du eine Inzesthemmung!“
Noch kann ich kluge böse Sätze sagen. Ich nutze das, weil ich weiß, dass ich in ein paar Minuten völlig ausrasten werde. Ihm entgegenschleudern, was immer mir mein Schmerz ins Gehirn jagen wird.
Aber so lange dauert es gar nicht mehr.
Es ist sein Ausdruck. Er will mich schonen und sehnt sich danach, es hinter sich zu haben. Es fasst mich an, an den Schultern, an den Hüften, will mich pflichtschuldig umarmen.
Ich weiß, dass ich schreie und sehe ihm an, dass er sich Sorgen darüber macht, wer es hören könnte. Ich schreie noch lauter. Schlage mit den Fäusten auf seine Brust ein.
„Zieh dich wieder an, Svenja!“
„Warum?“ und jetzt kippt meine Stimme weg. Egal! Ich will wissen, warum. Will es aus ihm rausprügeln. Warum jetzt nicht mehr? Warum überhaupt? Hast du nicht gewusst, wie alt du bist? Wie falsch es ist? Wie unmoralisch, weil ich so jung bin? Weil ich nur eine dumme junge Pute bin, auf die man eine Weile scharf sein kann und dann nicht mehr, wenn man sie ein paar Mal gehabt hat.
Er sagt gar nichts und ich verstehe jedes Wort, das er schweigt. Und dann sagt er es doch.
„Ich hab mich mit Karin ausgesprochen. Wie versuchen es nochmal zusammen.“
Ich liege auf dem Bett und flenne. Er sitzt auf dem Stuhl und wartet. Ich weiß nicht worauf. Bis alles aus mir herausgelaufen ist. Bis die Krämpfe nachlassen, die mich schütteln.
Ein paar Mal will er mich anfassen und zuckt zurück, weil ich zucke.
„Komm, gehen wir!“, sagt er.
Ich antworte nicht. Bleibe einfach liegen. Weiß nicht, wie lange.
Dann steht er auf und geht. Allein. Ich versaue noch eine Weile das Bettzeug mit Tränen und meiner verschmierten Schminke. Habe ja Zeit. Das Zimmer ist bezahlt.