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Tag der geschlossenen Tür - Redone
Tag 1748: Es liegt nun genau ein Jahr zurück, dass die Kameras hinter den Wänden aufhörten zu surren.
Wir beschlossen die Bereiche aufzuheben und vereinten uns zu einer Gruppe.
Drei Frauen und vier Männer: gekommen um zu siegen, geblieben um da zu sein.
Es ist nun etwas mehr als drei Monate her, dass Kristian sich im Kuhstall die Schläfe an einer herausragenden Schraube aufriss.
Etwas weniger als drei Monate ist es her, dass Kristian im Haus Nummer Sieben unter Krämpfen starb.
Niemanden von der Außenseite schien das zu interessieren, also begruben wir Kristian bei den Ställen, wo auch schon Simone lag.
Verona ist nun schon seit vier Monaten sichtbar schwanger.
Die wievielte Woche es wirklich ist, weiß keiner.
Wer der Vater ist, weiß einer.
Als wir uns entschieden zu bleiben, wussten wir nicht, was uns erwartet, wir wussten nur, dass draußen nichts wartet.
Die anderen lachten uns aus und machten sich auf den Weg in die Außenwelt.
Das ist nun ungefähr ein Jahr her – wer weiß das jetzt schon noch.
Wer ich draußen war, habe ich längst vergessen. - War nix Tolles auf jeden Fall.
Die Entscheidung fiel mir nicht schwer, mich für das Projekt zu bewerben.
Nun hängt mir ein Bart wie juckendes Stroh vom Kinn und unter meiner Vorhaut ist soviel Käse, wie er auf hundert Ruccola Salaten keinen Platz gefunden hätte.
Da es kein fließendes Wasser mehr gibt, sammeln wir Regen in Eimern, die so rostig sind wie das Wrack der Titanic.
Sara gibt schon seit Wochen keine Milch mehr.
Der Gedanke kam auf, sie zu schlachten und aufzutischen. – Aber wer von uns sollte das tun.
Also essen wir das was die Wiese so hergibt.
Ich habe in den letzten drei Monaten Veränderungen am Wetter festgestellt.
Die Sonne umgibt ein grünlicher Nebel, der sich gegen Abend ins Braune verfärbt.
Wolken sind soweit ich mich erinnern kann schon seit mehreren Wochen nicht mehr zu sehen.
Der ganze Himmel ist mir fremd und der Gedanke an den nahenden Winter lässt mich erschaudern.
Wir fanden Simone an einem Morgen des letzten Winters.
Sie saß mit verschränkten Beinen den Kopf an die Wand von Haus Nummer Sieben gelehnt.
Ihre Augen waren geöffnet und starrten ins Leere.
Ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen, aber in ihren Augen sah ich die absolute Zufriedenheit
Was hatte Simone gesehen, das sie bei Minusgraden am Aufstehen hinderte?
Was hatte Simone zuletzt gesehen?
Wir zogen Simone von der Hauswand, doch die Haut ihrer Wange hatte sich mit dem Eis auf der Außenseite des Hauses verbunden.
Und so kam es, dass wir Simone ohne einen Teil ihres Gesichts begruben.
Erst drei Monate später, im Frühjahr als die Kälte nachließ, konnten wir den Hautfetzen lösen und hinter den Ställen begraben, wo auch der Rest von ihr lag.
Heute bin ich mit hämmernden Kopfschmerzen aufgewacht.
In meinem Mund ist ein Zustand, als hätte ich ein Kilo Mehl verspeist.
Ich muss hier raus!
Es ist mir nicht fremd so aufzuwachen.
Mir fehlt der Kaffee am Morgen.
Heute ist Tag 1748.
Heute ist der Tag, an dem ich das Spiel beende.
Heute ist der Tag, an dem ich die Anderen ihrem Schicksal überlasse.
Der Letzte hatte das Spiel vor einem Jahr verlassen.
Er hieß Rainer glaub ich; na egal.
Heute ist mein Tag.
Ich werde meine Sachen packen, die Pforte öffnen und zu meiner Familie zurückkehren.
Vielleicht nehme ich noch eine alberne Single auf, rede in ein paar Talkshows über meine Zeit als Gefangener fern ab der Zivilisation.
Hauptsache hier raus.
Ich erhebe meine Stimme:
„Leute, ich hau ab!“
Die anderen blicken unbeteiligt zu mir hinauf.
Was haben die sich verändert.
Keine überstylten Frisuren, kein Makeup. Nichts von dem Glanz ist übriggeblieben, den sie einst versuchten auszustrahlen um damit die Einfältigkeit ihrer wahren Persönlichkeiten zu überspielen.
„Jau Mann, dann mach`s mal gut.“
Ein Haufen elendiger Penner!
Ich beschließe ohne meine Sachen zu gehen und bewege mich Richtung Ausgang.
„Dann grüß mal die anderen!“
Das Tor klemmt ein wenig.
Endlich gibt es nach.
Das Geräusch der rostigen Scharniere hallt über den Dorfplatz.
Ich blicke mich um.
Wie vertriebene Indianer kauern die Übriggebliebenen um ihr Feuerchen und blicken mir nach.
Das Tor ist auf.
Ich schaue ein paar Meter weiter.
Auf dem rissigen Asphalt, wo einst Massen unseren Einzug feierten, liegen die verrotteten Reste eines Menschen.
Der alte Bundeswehrrucksack und die peinlichen Klamotten verraten mir, dass es sich um Rainer handeln muss.
Ein süßlicher Geruch stößt in meine Nase, ein Würgen steigt in mir hoch.
Ich hebe meinen Blick von der Leiche.
Nichts ist wie damals am ersten Tag.
Kein Baum, keine Autos, keine Menschen.
Alles weg, schießt es durch meinen Kopf.
Die Ebene, die sich vor mir ausbreitet, ist so karg und leer wie die Tundra.
Die Luft steht und die Sonne schwebt über dem Ödland, wo sich mal die Skyline von Köln erstreckte.
Das Tor fällt mit einem merkwürdigen Knall in das schwere Schloss.
Ich schrecke auf.
Ich muss wieder rein!
Ich hämmere gegen das Tor, doch nichts ist zu hören.
Ich schreie. Nichts.
„Macht das verdammte Tor auf!“
Mein Schreien verhallt, bevor es entsteht.
Ich lege meine Hand über Mund und Nase und gehe zu dem, was von dem Idioten Rainer übriggeblieben ist.
Meine Schritte verursachen kein Geräusch.
Das Würgen steigt wieder in mir hoch.
Rainer liegt mit dem Gesicht nach unten.
Ich habe freie Sicht durch seinen Hinterkopf auf den trockenen Boden.
In seiner linken Hand hält er ein Stück Papier.
Ich nehme es ihm ab und versuche die Schrift auf dem porösen Blatt zu entziffern.
Ich spüre wie sich ein Knoten um meine Kehle schnürt.
In meinen Schläfen rauscht das Blut.
Die Schrift verschwimmt vor meinen Augen, es fällt mir schwer den Inhalt zu entziffern.
Vor uns war nichts und nach uns kommt nichts. So ist es und so wird es immer sein.
E.d.M.
Ich lasse Rainer liegen und mache mich auf den Weg irgendwo hin, es wird sich schon was finden lassen.
Ich blicke zurück auf das Dorf, das mich jetzt so lange Zeit beherbergte.
Vielleicht hätte ich doch da bleiben sollen, na egal.