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Talutah´s Blut
-Tecumseh-
zum Wohl seiner Kinder geschaffen?
Ich fühlte mich in der Zeit zurückversetzt. An diesem Abend lebte ich um 1850. Die Luft war angereichert mit würzigen Gerüchen und rauchigen Dämpfen und vibrierte unter den exotischen Klängen von Trommeln und ledergesäumten Rasseln.
Die Hitze des Feuers war bis hierher spürbar und ich drehte mich weg vom regen Treiben das dort herrschte. In meinem Kopf machte sich zunehmend eine wohlige Umneblung bemerkbar. Dieses Maisbier hatte ich auf Grund seines milden Geschmacks ganz klar unterschätzt.
Ich schaute hinaus auf die endlose Prärie und staunte über die enorme Weitsicht die sich mir bot. Der Mond stand hell und unnatürlich groß am Himmel und legte einen silbrigen Schleier über das Land. Die Klänge einer Flöte durchströmten meinen Körper sanft und melodisch. Die plötzliche Ruhe beflügelte meine Phantasie. Es war, als ob ich da draußen irgendetwas zu finden versuchte.
Mein Körper war elektrisiert von den Klängen der Musik und der wildromantischen, klischeebeladenen Szenarie überall um mich herum.
„Ist das der große Geist“, murmelte ich und wartete auf eine Art göttlichen Eingriff, der mir die Antwort darauf geben sollte.
Fast im selben Augenblick legte man mir von hinten eine Hand auf die Schulter. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, denn die zierliche Person trat augenblicklich neben mich.
„Was suchst du?“, fragte sie mich, als ob sie wüsste, dass ich momentan sehr empfänglich für spiritistische Anregungen war. Ich musterte dabei ihre hellen, braunen Augen und verlor mich in den brennenden Funken, die von den Ausläufern des Feuers dort hinein gezaubert wurden.
Ich schüttelte den Kopf und lächelte, legte meinen Blick wieder auf die Ebene die vor mir lag.
„Ich fühle mich so klein und unbedeutend hier, aber ...“
Talutah blickte mich erwatungsvoll an. Sie schien regelrecht versessen darauf zu sein, mir die Lebensphilosophie ihrer Vorfahren näher zu bringen. Oder wollte sie einfach nur Verständnis und Anerkennung eines Mannes, jenseits der Menschen ihres Reservates?
„Gleichzeitig fühle ich mich großartig. Mir ist so, als könnte ich mit meinem Blick den Raum beherrschen“, sagte ich und gestekulierte dabei mit meinen Händen um Nachdruck.
Sie schaute mich erst eindringlich an und lächelte dann.
Ich fühlte mich ein wenig unverstanden, aber eben genauso ging es mir. Auch wenn ich wusste, dass die Zivilisation mit ihren großen Städten und automatisierten Bürgern einen Katzensprung von hier entfernt war. Hinter den hohen Bergen, die sich scheinbar unendlich weit am Horizont auftaten verlief mit Sicherheit ein stark befahrener Highway. Und trotzdem fühlte ich eine derart überwältigende Freiheit, die mich schwindelig werden ließ.
Talutah griff ganz unerwartet nach meiner Hand und lief los. Noch bevor ich über diese neu gewonnene Zutraulichkeit nachdenken konnte, zog sie mich durch festen Sand hinter sich her, vorbei an getrockneten Wandersträuchern und mannshohen Kakteen.
„Gibts hier Wölfe oder Cojoten“, stammelte ich, während ich versuchte Schritt zu halten.
„Vielleicht ein paar Schakale“, scherzte sie und lachte, wähend sie mein ängstliches Gesicht vor Augen hatte.
Following the trail of tears
Ein paar Hundert Meter weiter ließ sich Talutah erschöpft und begleitet von einem zufriedenen Seufzer auf den Boden sinken. Ich schaute sie zuerst keuchend und lächelnd an, kratzte mich dann aber verlegen am Kopf und blickte zurück auf das Stück das wir zurückgelegt hatten. Das Feuer war von hier aus deutlich zu sehen. Es wirkte wie ein brennender Baum inmitten einer kahlen, zu Stein erstarrten Wüste. Ein Panorama wie auf einer Postkarte. Als hätte der Mond mit seinem silbernen Licht die Umgebung absichtlich erstarren lassen. Es war großartig. Kleiner Mann trifft auf große Natur. So fühlte ich mich immer noch und hoffte insgeheim, dass dieser Moment niemals an Intensität verlieren würde.
Zeitgleich fühlte ich mich allerdings auch etwas verlegen. Die Musik war hier nur noch dumpf zu hören und der Wind wurde stärker, ohne dabei zu schneiden. Um uns herum veranstalteten die Grillen ihr eigenes Konzert.
„Komm schon, leg dich zu mir“, sagte Talutah aufgeregt und klopfte mit einer Hand auf die sandige Stelle neben sich. Ich war wirklich erstaunt über diese Frau. Sie sagte diese Worte, so war ich mir sicher, ohne jeglichen Hintergedanken. Für sie existierte vorrangig nur die Welt um sie herum. Ich konnte dieses Verhalten in den paar Tagen, in denen wir uns besser kennengelernt hatten immer wieder aufs neue beobachten. Sie hatte stets eine bemerkenswerte Auffassung von den Dingen, die um sie herum passierten.
Ich setzte mich neben sie, streckte erst meine Beine aus und verschränkte dann die Arme hinter dem Kopf, bevor ich mich auf den festen Erdboden legte.
Der Himmel über uns war gespickt mit funkelnden Sternen. Ein tiefes, beruhigendes Blauviolett gab ihnen Halt. Um uns herum das Zirpen der Grillen und das sanfte Heulen des Windes, der mir beständig feinsten Wüstensand ins Gesicht wehte. Kein unangenehmes Gefühl, nein, ich würde sogar noch weiter gehen. Ich hatte mich niemals im Leben freier und lebendiger gefühlt als jetzt in diesem Moment. Keiner von uns beiden sagte etwas. Wir lagen nur da und blickten nach oben.
through the eagle´s cry
the bear within will never lay to rest
Talutah war eine starke Frau, die sich mit Leib und Seele ihrer Kultur verschrieben hatte und deswegen hart mit der amerikanischen Geschichte und Lebensweise ins Gericht zog. Ich konnte es ihr gar nicht verübeln und fühlte mich auf einmal richtig mies, denn noch vor ein paar Tagen war diese Indianerin für mich nichts weiter als ein riesiger Fundus für meine Ermittlungen gewesen. Für meine Arbeit als Journalist war sie Teil einer Milieu-Studie über das heutige Leben der Indianer, losgetreten durch einen Mann aus diesem Dorf, der bei einem terroristischen Anschlag auf das Bureau of Indian Affairs, kurz BIA, ein Blutbad angerichtet hatte, bei dem er und fünf weitere Männer dieses Reservates getötet worden waren.
Talutah hatte mich zu dieser Abschiedszeremonie eingeladen, damit ich mehr über die Lebensweise der Indianer erfahren konnte. Tagsüber war das nicht möglich, denn dann spielten die Indianer für die Touristen ein Rollenspiel von Jägern und Sammlern, eine Farce bestehend aus wilden Feuertänzen und exotischen Ritualen. Nur damit diese einen Mythos bestätigt sahen und dafür Geld bezahlten, welches diese armen Leute mehr als dringend benötigten.
„Meinst du, dass sich der Wind für uns noch einmal wenden kann?“, fragte Talutah und schloss die Augen, als im selben Moment eine kräftige Windböe heulend über uns hinwegfegte.
Ich setzte mich hin und strich mir fleißig den Sand aus den Haaren.
„Ich wünschte ich könnte euch dabei so viel mehr helfen“, sagte ich betroffen und musterte sie dabei eindringlich. Sie hatte sich ebenfalls aufgerichtet und schwarze Strähnen fielen ihr dabei ins Gesicht. Ihr Lächeln war herzerwärmend ehrlich. Ihre Augen, so hell und klar sie auch funkelten, spiegelten einen Teil der Last wieder, die sie und ihr Volk zu tragen hatte.
Ich konnte gar nicht anders, geblendet von soviel Zerbrechlichkeit und vergänglicher Schönheit, strich ich ihr ganz sanft die Strähnen aus dem Gesicht. Sie zuckte verwundert zusammen, schloss dann aber die Augen und genoss meine Berührungen. Streichelnd begann ich damit, die Konturen ihres Gesichtes nachzuzeichnen und rückte näher an sie heran.
Sie griff nach meiner Hand und führte sie ihren Hals entlang nach unten, immer darauf bedacht, dass ein Finger von mir ihre Haut berührte. Ich verweilte leicht oberhalb ihrer Brüste und lehnte mich nach vorne, um ihren Hals zu küssen. Ihr Körper zitterte vor Anspannung und als ich das bemerkte ging ich mit meinem Kopf hoch und suchte ihre Lippen.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl, hier draußen mit ihr Sex zu haben. Ihre Haut erstrahlte im Licht des Mondes heller als Porzellan und der Wind streichelte unsere verschlungenen Körper mit unzähligen Händen. Unsere lustvollen Seufzer wurden begleitet von einem ständig zunehmenden Chor der Zirpen. Vielleicht lag es am Maisbier, vielleicht aber auch an der ganzen Szenarie die uns umgab. Nachdem die Lust verebbte, blieb ein Gefühl ganz deutlich: die einmalige Empfindung höchster Vollendung ...
Long before us
And long will it be after your pride brings you to your end
Ich sah Talutah in den folgenden Tagen nur selten, denn ich arbeitete wie ein Verrückter an der Fertigstellung meines Artikels, den ich immer wieder komplett überarbeiten musste. Ich merkte ganz deutlich, wie ich aufgrund dieser zauberhaften Nacht mehr und mehr meine Objektivität einbüßte.
An diesem Nachmittag erreichte mich eine Meldung, die wie eine Bombe in unserer Redaktion einschlug. Für die meisten war die Woche damit gerettet und alle begannen, wie wild durcheinander zu laufen und ihre Aufgaben neu zu verteilen. Ich aber blieb versteinert sitzen, ganz unfähig das Geschehene zu begreifen.
Sceneries painted beautiful in blood
Eine junge Indianerin, die seit längerer Zeit bei uns eingebürgert ist, verübt nur wenige Tage nach dem blutigen Attentat auf das Komitee des BIA einen neuen Anschlag auf selbiges.
Soon I will be here no more ...
Dieses Mal sterben zusammen mit der Attentäterin vier weitere Menschen. Ein hochrangiges Mitglied des Komitees überlebt schwer verletzt.
Our souls will join again the wild
Ich erinnerte mich zurück an den Abend. Als wir vollkommen nackt nebeneinander lagen, unsere nasse Haut beklebt mit feinstem Wüstensand.
„Unser Volk geht unter“, hatte sie gesagt.
„Takoda wusste das und er versuchte alles, um wenigstens die Reservationen zu erhalten. Aber Jahr um Jahr verließen dutzende Indianer ihre Reservate und ließen sich einbürgern, womit sie ihre Privilegien verloren und fortan zu den untersten Gesellschaftsschichten gehörten.“
Während sie das sagte konnte ich sehen, wie sie ihre Hand zu einer Faust ballte.
„Man gibt uns keine Chance und desswegen werden wir untergehen. Schlimmer noch, wir werden vergiftet um uns nach und nach vergessen zu lassen. Takoda trug kriegerisches Blut in sich. Er wusste das der Kampf nicht zu gewinnen war, ließ sich aber dennoch nicht vom kämpfen abhalten.“
Ich nahm den dreiseitigen Artikel zur Hand und die Buchstaben verflüssigten sich vor meinen Augen. Ich klopfte die Seiten auf der Tischkante zurecht und schaltete den Schredder ein.
„Ich will nur, das man uns Verständnis entgegenbringt“, hatte sie als letztes zu mir gesagt und ich hatte ihr trauriges Gesicht dabei vor Augen, als ich das Papier zurücknahm und in meine Schreibtischschublade packte.
Ich hätte schon von dem Moment an wissen sollen, das diese Worte eigentlich von ihr stammten ...
Auszug aus der Schlussdeklaration der Indianer auf der allindianischen Konferenz von Chicago 1961
Enthaltene Lyrics:
Nightwish - Creek Mary´s Blood