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Tangente

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01.11.2005
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Tangente

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Ich genoss diese angenehmen Herbstnächte. Zwar wehte zu dieser Jahreszeit ein kalter Wind, aber es war trotzdem noch warm genug, um nicht zu frieren. Es war das letzte Aufbäumen des Sommers, bevor er zu Boden ging, und, vom Winter heruntergerissen, sein Reich der Kälte überließ.

Die Nacht war majestätisch. Zwar war es bewölkt, jedoch riss hier und dort die Wolkendecke auf, und öffnete den Blick auf die Sterne, die schwach wie Perlen im dunklen Wasser funkelten.

Die Straßenlaternen tränkten die Bäume in gelbes Licht, Schatten huschten über den Weg und über die Büsche am Wegesrand. Hinter den Büschen waren brachliegende Felder. Irgendwo die Ruine einer verlassenen Fabrik. Ödnis.
Licht. Schatten.

Viel mehr gab es in meinem Leben nicht.

Schatten war meine Erlösung; Licht bedeutete Tod.

Gedanken an Sonnenlicht lösten schreckliche Erinnerungen in mir aus. Damals, vor zehn, fünfzehn Jahren, ich war neun, glaube ich, passierte es zu ersten mal.

Ich war mit meinen Eltern im Urlaub, am Strand, mitten im Hochsommer.

Als wir wieder zu Hause waren, es waren bereits einige Woche verstrichen, begannen sich meine Eltern zu wundern, dass ich meine bräunliche Hautfärbung nicht verlor. Als sich wenig später an meiner linken Wange ein Tumor entwickelte, waren sie mehr als nur ein wenig besorgt. Der Besuch beim Arzt brachte die traurige Gewissheit. Ich hatte Xeroderma pigmentosum, eine genetisch bedingte Krankheit, die es unmöglich für mich machte ins Tageslicht hinauszutreten. Die UV-Strahlung der Sonne würde mich wie ein Hühnchen in der Hölle rösten. Meine Haut würde austrocknen und sich zusammenziehen, ich wäre mit Tumoren durchsogen, der Krebs hätte dafür gesorgt, dass ich es nicht mal bis in die Pubertät geschafft hätte. Einige an XP erkrankte Menschen waren dermaßen in der Kindheit der Sonne ausgesetzt, dass sie wie Brandopfer aussahen. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern rechtzeitig handelten. Sie kauften dieses große Haus, bezahlten die Heizkosten und meine Verpflegung, vernagelten die Fenster mit Brettern, kapselten das Hausinnere vor den tödlichen Sonnenstrahlen der Außenwelt ab.

Mein Haus. Welcher Mitzwanziger konnte von sich behaupten der Besitzer eines eigenen Hauses zu sein. Das Gebäude, eine alte Villa (sofern es diese Bezeichnung überhaupt verdiente), war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gebaut worden, war sehr heruntergekommen, so wie der Rest der Gegend, aber es gehörte mir, ein Geschenk meiner großherzigen, liebevollen Eltern.

In ihrer grandiosen Großzügigkeit mir gegenüber, war es ihnen nun möglich, ohne mich in ihre Fünf-Sterne-Hotels am anderen Ende der Welt zu jetten. Ich hätte sie doch eh nur aufgehalten, ihren Urlaub versaut, wenn sie mit mir in einem UV-Schutzanzug die Promenade herunterschlenderten. Andauernd hätten sich die Leute umdreht, ihre Sektgläser für einen Moment außer Acht gelassen. Wie peinlich.

Das einzige was äußerlich von meiner Krankheit zeugte, war die übermäßige Menge an Sommersprossen, meine bleiche Haut (die nachts aber kaum auffiel) und meine ewig dableiben „Brandwunde“ an meinem rechten Unterarm, die ich noch aus meiner Kindheit hatte, und mir demonstrierte, was geschieht, wenn ich tagsüber vor die Tür trete.

Es gab keine Heilung für mich. Das einzige was ich tun konnte, war es, das Sonnenlicht zu meiden, tagsüber in meinem Haus auszuharren, Nachts konnte ich das Nachtleben auskosten, was ich auch tat, manchmal mehr als mir bekam.

Natürlich hatte ich Freunde, Bekanntschaften, aber nicht so viele wie andere in meinem Alter. Ich konnte keine öffentliche Schule besuchen, machte deshalb wenige Bekanntschaften.

Meine Eltern hatten damals diverse Privatlehrer engagiert. Vier Lehrer kamen wochentags zu mir in mein von der hellen Außenwelt abgenabeltes Haus und unterrichteten mich, und agierten nebenbei noch als Ersatzeltern. Eine weitere Annehmlichkeit für meine Eltern, sich nicht mit ihrer degenerierten Brut auseinandersetzen zu müssen.

Ich kam nun auf die Hauptstrasse. Am Horizont konnte man den, wie ausgestorbenen, Außenbereich der Stadt erahnen. Rechts von mir, in der Ferne, sah man die Ruine der alten Fabrik, angestrahlt von den Straßenlaternen. Eigentlich sollte sie gar nicht mehr stehen. Als vor einem Jahrzehnt die neue Schnellstrasse gebaut werden sollte, war die kleine Maschinenfabrik dem Untergang geweiht. Doch aus dem Millionenprojekt wurde nichts. Als die Abrissbirnen bereits die halbe Firma zertrümmert hatten, fiel den Verantwortlichen auf, dass für die Schnellstrasse kein Geld mehr übrig war; Filialleiter bekamen riesige Abfindungen, Hunderte Menschen verloren umsonst ihre Arbeit, die Stadt war um einen Skandal reicher.

Die Lichter der Stadt erhellten den Himmel, tauchte ihn in ein schwaches, orangefarbenes Leuchten. Ich war nun nur noch knapp eine Meile von meinem Haus entfernt. Wenn ich aus den blendenden Lichtkegeln der Straßenbeleuchtung heraustrat, konnte ich, wenn ich mich konzentrierte, die Umrisse der Häuser des Vorortes erkennen.

Als ich die Stufen zur Haustür hinaufstieg, ging bereits die Sonne auf.
Blutrot glimmte der Koloss, bereitete sich darauf vor, seine Fratze über die bewaldeten Hügel am Horizont zu schieben und alles in ihr feuerrotes Licht zu tauchen.
Wäre ich noch länger draußen geblieben, hätte ich einen längeren Umweg aus der Diskothek in der Innenstadt genommen, wer weiß, ob ich nicht vom Tageslicht überrascht worden wäre. Die Sonne hätte meinen nächtlichen Ausflug abrupt beendet, und mir als Andenken ein paar Krebstumore beschert.

Zumindest wäre es ein denkwürdiger Abschluss der Nacht geworden.

Ich fingerte die Hausschlüssel aus meiner Hosentasche, schloss die Tür auf und betrat den Hausflur. Sofort begrüßte mich der abgestandene Mief. Leere Pizzaschachteln waren auf dem Boden verstreut. Ich warf die Tür zu, legte meine Schlüssel auf die kleine Kommode, die in dem schwach beleuchtetem Flur stand, und erklomm die knarrende Holztreppe ins Obergeschoss.

Meine Eltern waren mehr als glücklich darüber, dass ich nicht mehr unter ihrem Dach wohnte. Nun konnten sie seelenruhig ihre Lügen stricken, wenn Besuch kam, Geschäftspartner, Arbeitskollegen, die Leute, mit denen sie am Wochenende Tennis spielten.
Ich wäre endgültig aus dem Haus, hätte aus mir was gemacht, würde studieren, im Ausland, hätte einen lukrativen Job bereits in der Tasche.

„Nein“, wünschte ich, könnte ich ihnen in Anwesenheit ihrer Freunde in ihre Gesichter schreien.

Ja, Vater! Ja Mutter! Mein Lebens ist die Hölle. Ich verrotte in einem Loch, aus dem es kein Entrinnen gibt. Aus mir wird nie etwas werden; wie auch, wenn ihr mich bis ans Ende meines kurzen Lebens finanzieren werdet, so dass ich keinen Antrieb habe, etwas zu werden, mir einen Beruf suche, eine Familie gründe.

Ich bin mindestens zwei mal in der Woche auf diesen Drogen- und Sexpartys.

Sie fanden immer an den gleichen Orten statt, in unscheinbaren Häusern in den besseren Wohngegenden.

Die Mädchen, die meistens mit ihrem Freund vorbeikamen, waren meisten Mitte zwanzig, die jüngsten achtzehn, nicht jünger als siebzehn (zumindest behaupteten sie das).

Zuerst wurde Hochprozentiges getrunken, dann zogen sich die ersten aus, trieben es, tauschten miteinander die Mädchen aus, reichten sie herum wie Wodkaflaschen (von denen der Boden übrigens häufig übersät war).

Es war immer das gleiche Bild.

Zugepiercte, überschminkte Mädchen.

Tätowierte Kerle, die alle zuviel Gel in den Haaren hatten, mit den ewig gleichen Tätowierungen auf ihren Körpern.

Ich war einer von ihnen. Zwar hatte ich keine Tätowierung, oder sonstigen Körperschmuck. Bis auf mein „Branding“ am rechten Unterarm.

Mehrmals wurden die Partner gewechselt. Die Typen spritzten ab, machten Pause, tranken oder zogen ein paar Linien, fickten weiter. Entweder zu zweit, oder in Gruppen.

Ich war einer von den wenigen, die anfangs wie unentschlossen auf dem Sofa saßen, und ihr Bier tranken. Irgendwann kam dann immer eine dieser betrunkenen, nackten Schönheiten auf einen zu. Mein erster Blick fiel dann immer auf ihre näherkommende Muschi, achtete auf ihren Intimschmuck.

Zusammen vereinten wir uns mit den Anderen, dieser fickenden Menschenmasse, die wie eine Schlange wirkte, eine lebendige Masse aus Schweiß und Sperma, die zuckte und umherkroch.

Ich konnte diese Nächte nicht wirklich genießen, nicht so wie es die anderen taten.

Ich erinnere mich noch, wie ich, während diese vollkommen überschminkte Blondine mir einen blies, ich von ihr abließ, nackt ins Badezimmer lief, die Tür mit einem Knall hinter mir zuwarf, und zusammenbrach, die halbe Nacht damit verbringend, mir das Herz aus der Seele zu heulen, während ich zitternd, mit speichelverschmierten Schwanz, neben der vollgekotzten Toilette kauerte, und mein Leben verfluchte.

Ich öffnete die knarrende Tür zu meinem Schlafzimmer. Eigentlich war es weniger mein Schlafzimmer sondern eher mein Schutzbunker. In der Ecke stand mein Bett, die Wände waren mit überquellenden Bücherregalen verrammelt. Mitten im Raum, weit entfernt von den vernagelten und mit Zeitungspapier zugeleimten Fenstern, stand ein massiver Schreibtisch, auf dem mein Rechner stand, zusammen mit allerlei Magazinen, Büchern und Unterlagen für den Unterricht. Ich schwächte das Dimmerlicht, und ließ mich aufs Bett fallen.

Zwischen den Ritzen der Holzbretter vor den Fenstern konnte ich, hinter den, mit bräunlich-gelben Leim verschmierten Zeitungsseiten das rötliche Licht der Morgensonne erkennen.

Die Geburt eines neuen Tages stand bevor, und ich durfte ihn nicht miterleben.
Nicht, dass ich keine Sonnenaufgänge und warme, sonnige Frühlingstage bereits erlebt, aber es war etwas anderes, diese Zeit aus dem schwarzen Bauch eines Hauses zu erleben, anstatt selber die Wärme der Sonne auf meiner Haut zu fühlen.
Den Wind in meinem Haar zu spüren.
All diese kitschigen, profanen Dinge.

Meine Augen wurden immer mehr zu kleinen Schlitzen. Die Nacht war anstrengender gewesen als ich dachte. Mein Körper wurde immer schwächer, die Gewichte an meinem Gliedern wurde immer schwere. Müde zog ich mit den Füssen meine Schuhe aus, trat sie vom Bett runter, zog mein Kissen an mich heran, dreht mich zur Seite und schlief ein.

Ich lag wach im Bett.
Mit einem tauben Gefühl im Kopf drehte ich mich zu meinem Wecker.
Es war bereits abends, hinter den vernagelten Fenstern spürte ich diese vertraute Dunkelheit.

Träge erhob ich, setzte mich auf, blieb auf der Bettkante sitzen.
Ich wartete bis ich aufstand; mir war immer noch drehig im Schädel.
Mein Magen fühlte sich flau an. Letzte Nacht hatte ich wohl ein paar Biere zuviel.
Mit weichen Beinen stand ich auf, und wankte auf den Flur raus. Auf dem Weg dorthin schaltete ich den Dimmer aus, hatte vergessen ihn heute morgen, kurz bevor ich Schlafe ging, auszuschalten.

Ich hatte vor ins Badezimmer zu gehen, doch irgendetwas zog mich in das leere Zimmer am anderen Ende des Flurs.

In dem unbenutztem Zimmer, herrschte eine stickige, schwüle Luft, von den Wänden hing die verrotteten Tapete in Fetzen. Das Fenster des stickigen, karge Raums, waren nicht verbarrikadiert, sowie die anderen im Haus. Ich nährte mich dem Fenster. Draußen war es bereits dunkel, nur ein bläulich-türkis glühender Streifen am Horizont zeugte von der untergegangenen Sonne.
Von hier aus konnte man weit über die Felder blicken. Unweit von meinem Haus sah ich die alte Fabrik, deren Überreste sich schwarz vor dem Himmel abzeichneten.
Auf dem Weg davor ging eine Gestalt, noch einigermaßen auszumachen durch das immer noch schwach leuchtende Abendlicht. Gehen war allerdings nicht das richtige Wort. Es war mehr ein träges, unbeholfenes Vorwärtsstolpern.
Ein Besoffener, dachte ich mir.
Wahrscheinlich einer dieser ehemaligen Fabrikarbeiter, die keinen Job mehr fanden, keinen Sinn mehr in ihrem Leben sahen, und sich bei jeder Gelegenheit vollaufen ließen.
Arme Kerle.

Die in der Dunkelheit kaum noch erkennbare Gestalt wankte auf den Weg entlang, der auf mein Haus zuführte. Vielleicht jemand aus der Nachbar. In den Häusern nebenan wohnten viele Leute aus der ruinierten Fabrik. Manche fanden einen Job, andere nicht; besonders wenn sie alt waren.

Ich stand noch eine Weile dort, lauschte den Geräuschen des arbeitenden Holzes des Dachstuhls, hörte das Knarren unter meinen Füssen wenn ich mein Gewicht verlagerte..

Ich drehte mich wieder vom Fenster weg, trat aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich konnte den Gestank in dem Zimmer sowieso nicht mehr länger aushalten.

Ich trottete den Flur entlang, betrat das Bad, entledigte mich meiner Klamotten, die vom Liegen zerknautscht waren, schmiss sie in die Ecke, und kletterte in die Badewanne und fing an mir den klebrigen, alkoholdurchsetzten Schweiß abzuwaschen.

Nachdem ich mir frische Kleidung angezogen hatte, und im Schlafzimmer einen neuen Verband für meinen Arm angelegt hatte, wollte ich ins Erdgeschoss, um zu frühstücken.
(Andere Leute würden es Abendbrot nennen.)


Auf einmal hörte ich einen Knall, ein lautes Poltern, es hörte sich an als ob jemand gegen die Tür getreten hat, fiel mir im ersten Moment ein. Ich lief runter, in Erdgeschoss. Wahrscheinlich dieser Besoffene. Oder vielleicht ein Einbrecher. Wenn es ein Einbrecher war, standen meine Chancen schlecht, hatte nichts im Haus, mit ich mich verteidigen konnte, nicht mal einen Hockey- oder Baseballschläger.

Ich übte ja auch keinen Sport aus.

Wie auch?

Einbrüche waren hier draußen eher selten, trotz, oder gerade wegen, der Abgeschiedenheit des Vorortes.

Ich eilte die Treppe runter, machte eine scharfe Linkskurve und lief in den hinteren Teil des Hauses, in die Küche. Die klapprige Hintertür, die man gut mit einem starken Tritt auftreten konnte, war unbeschädigt, verschlossen.
Ich dreht mich auf dem Absatz um, und ging in den Flur.
Zur Haustür. Sie war ebenfalls ungeöffnet.
Ich beruhigt mich wieder. Wenn man alleine in diesem großen, leeren Hause wohnte konnte man nur paranoid werden, man achtete auf jedes ungewöhnliche Geräusch.
Trotzdem inspizierte ich noch die verrammelten Fenster des Wohn- und des Esszimmer.
Manchmal machten sich die Kinder aus der Nachbarschaft einen Spaß daraus, die Bretter von den Fensterrahmen zu reißen.

Die Bretter waren noch immer dort wo sie sein sollten, sofern ich dass durch die, durch den alten Leim vergilbten Zeitungsseiten, und dem dahinter scheinenden Straßenlichts sehen konnte.

Achselzuckend ging ich wieder zurück in die Küche.

Der Dielenboden knarrte unter meinen Tritten. Kurz bevor ich die Küche erreichte, kroch mir die zuerst dieser kaum merkliche, modrige Geruch in die Nase. Ich dachte dass er von dem Haufen schmutzigen Geschirrs kam, der mit Essenresten behaftet in der Spüle lag.
Als mein Blick auf die Hintertür am anderen Ende der Küche fiel, stockte mir der Atem.
Sie stand offen; ich war mir sicher dass sie zu war.

Gerade als ich mich hastig umdrehen wollte, bemerkte ich sie; die Gestalt die im Türrahmen, schräg gegenüber stand, in der Tür die in das Esszimmer führte. Es war viel weniger eine Gestalt, ein fester Körper, es war mehr ein Schatten, der aber nicht an der Wand entlang kroch sondern im Raum stand


Ich spürte seine Anwesenheit. Doch war sie nur ein Schatten.
Als ich sah, wie es auf mich zukam, blieb die Welt stehen. Nichts bewegte sich mehr, kaum; nur sehr langsam, träge, wie in Zeitlupe. Mein Herz blieb stehen, als ich dieses Ding am Ende des Flures stehen sah, lauernd, mich aus seinen nicht vorhandenen Augen anstarrte, wie ein Raubtier seine unachtsame Beute.

In mir stieg eine Hysterie auf, mein Verstand setzte aus, ich fühlte wie die Zahnräder der natürlichen Logik aus ihren Verankerungen rissen; wusste nicht wer oder was es war, doch jede Zelle in meinem Körper, jeder kleinste Teil in mir, zog mich weg von diesem Geschöpf, dieser Schatten, der im Licht stand, aber trotzdem wie getrennt von Realität dieses nicht aufnahm; auf dessen Oberfläche sich kein Licht spiegelte; ein schwarzes Loch, alles wurde von ihm angezogen und verschwand. Es sog die Luft, die Geräusche, meine erstickten Schrei auf, konsumierte ihn.

Taumelnd brach ich zusammen, als ich versuchte, in den Flur zu entkommen. Ich rappelte mich hektisch auf, machte drei Schritte, krachte gegen die Tür, die in das kleine Zimmer führte, dass mal als Salon gedacht war, mir aber nun als Abstellkammer diente.
Mit zitternden, kaum unter Kontrolle bringenden, Händen rüttelte ich am Türknauf, die Tür sprang auf.

Ich stolperte in den unbeleuchtenden Raum und knallte die Tür zu.

Ich sah es näher kommen. Ich sah seine verschwommene Gestalt hinter dem Buntglasfenster.
Je näher es kam, um so mehr war es so als wenn die Luft aus dem Zimmer gesogen werden würde.

Ich rang nach Luft, eine stinkende und schlechte Hitze drang in den Raum ein, verbreitete sich wie eine Horde Insekten, die sich über einen stinkenden Kadaver hermachte.
Ich saß in dem kleinen, schwachen Quader aus Licht, das durch das Türfenster in den unbeleuchteten Raum eingeworfen wurde. Innerhalb dieser rot, blau und grün schimmernden Aura war ich umgeben von Schatten.

Die unförmige, nur bei genauem Hinsehen als menschliche erkennbare, Gestalt, füllte nun beinahe den gesamten Rahmen des Fensters aus. Die Dunkelheit in dem Raum veränderte sich. Die Schwärze wurde dichter, je näher der Schatten zur Tür kam. Zuerst war die Veränderung kaum zu merken. Aber irgendetwas ging dort vor sich. Waren eben noch wenigstens die Umrisse der Möbel und Einrichtungsgegenstände im Dunkeln auszumachen, wurden sie nun immer undeutlicher, vereinten sich mit der Dunkelheit, wurden immer unsichtbarer, bis sie mit der Schwärze verschmolzen waren. Es war, als wenn die Schatten an Konsistenz, an Dichte gewonnen hätten.

Die Dunkelheit in meinem Zimmer war nun greifbar geworden, aber gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass, sie nun nichts mehr in sich barg, nur noch eine unendliche Leere, die, wenn ich in sie eindrang, ich ewig weiterlaufen könnte, bis zum Ende des Universums.
Ich jagte hoch, als ich das Rütteln den Türknaufs hörte. Nun stieg mir auch dieser faulige Gestank in die Nase. Ein ekelhafter Gestank, der nach verrottendem Fleisch und Fäkalien roch. Ich hielt mir die ein Taschentuch vors Gesicht, so unausstehlich war er.
Ich kroch weiter zurück, tiefer in den Raum hinein. Zu der kaum Atembahren Luft kam nun noch das ruckartige Pochen in meinem Brust. Schweiß drang aus jeder Pore meines Körpers, mein Kleidung klebte an mir. Ich hustete. Kroch auf dem Boden weiter rückwärts an die Wand, in die Lücke zwischen den beiden Sofas.

Hustete.

Hustete wieder.

Diesmal blieb grauer Schleim in dem Taschentuch kleben.

Plötzlich klapperte die Tür wieder, als wenn jemand von Außen gegentreten würde.
Ich hustete. Wieder grauer Schleim.

Mit einem Krachen flog die Tür auf.
Ich zuckte zusammen, krümmte mich vor Schreck.
Ich zwängte mich nun endgültig in die enge Lücke.
Meine Füße schlitterten über den Boden, als ich versuchte, mit vor Angst aufgerissen Augen, mit noch weiter gegen die Wand zu drücken, obwohl mein schmerzenden Rücken bereits dagegen drückte.

Ich stellte mich auf, meinen Körper noch immer die Wand gepresst, als ob ich hoffte, dass die Mauern nachgeben würden, und mich verschlucken, mich nur weit genug von dieser Kreatur am anderen Ende der Kammer weg bringen würden.

Ich hustete wieder, diesmal tausend mal heftiger als zuvor. Ich zuckte zusammen, als ich sah, dass dieses Mal das Tuch mit meinem Blut getränkt war. Blut, dass ebenfalls auf meinem Lippen verschmiert war, und mir das Kinn herunterlief, auf meine Kleidung tropfte.
Mit zitternden Händen und Tränen in Augen, ließ ich den feuchten, rotfarbenen Papierfetzen auf den Boden klatschen.

Es schlich nun auf mich zu, verließ seine Position in der Tür, ging mit langsamen Schritten vorwärts. Das Licht im Flur blendete, ich konnte die Figur nicht erkennen, nur ihre Umrisse. Es hätte ein Mann sein können, nackt, den Umrissen her, doch schien er trotzdem etwas anzuhaben. Lumpen, die in Fetzen von seinem Körper hingen. Als sie näher kam, war der Gestank nicht mehr zu ertragen.
Nun konnte ich die Haut des Wesen sehen. Ich schreckte zusammen, meine Eigenweide zogen sich zusammen, ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken. Seine Haut war wie verbrannt, verkohlt; es war seine Haut, die in Fetzen von seinen Gliedern hing, als wäre er verbrannt, als wenn die Hölle ihn aus ihrem flammenden Bauch ausgespieen hätte.
Es war nun dicht vor mir, der Gestank raubte mir die fast die Sinne. Mit Grauen sah ich zu, wie es seine verkohlten, entzündeten Arme mir entgegenstreckte.

Mit einem reptilartigen Ruck umklammerte es mich, ich presste vor Angst meine Augen zusammen, schrie...

Es war weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Verdaut von der Hölle, aus der es einst kam.

Ich schaute an mir runter.
Mein Herz macht einen Sprung, als wenn es gleich aufhören würde zu schlagen.
Ich stand plötzlich barfuss, nackt, nichts an mir außer einem Hemd, dass wie ein weißes Krankenhemd aussah.
Plötzlich durchschoss mich wieder ein Schmerz, diesmal stärker als zuvor, wie ein Stromstoß, von meiner Brust ausgehend, der meinen gesamten Körper erhitzte, jedes Glied mit einem brennenden Schmerz erfüllte, als wenn ich auf heißen Kohlen lag, mein Blut brodelte, wurde immer heißer. Kochender Schweiß floss über mein Gesicht.
Voller schrecken sah ich wie meine Haut anfing Blasen zu schlagen
Meine Haut zerfloss, mein Gesicht wurde eine einzige, flüssige Masse.
Ich schrie. Schrie immer lauter, hysterischer.
Plötzlich zog sich die Masse, die einst mein Körper gewesen ist, zusammen, die Haut zog sich zusammen, vertrocknete wie im Zeitraffer, mein Gesicht wurde zu einer verzerrten Fratze, Schmerzkaskaden erschütterten meinen Körper.

Mein Körper versagte seinen Dienst. Meine Arme zuckten spastisch vor meinen Brustkorb, verkrümmten sich, als wenn sie etwas vor mir umarme und an mich drücken, an mich reißen.

Ich keuchte. Mit verdrehten Augen sah ich meine Eltern, die wie angewurzelt neben dem Bett standen. Ihre Gesichter waren erfüllt mit Furcht, Angst, Trauer, Panik.

Die Ärzte und Krankenschwestern jagten aufgeregt um mich herum, gaben mir Spritzen, überprüften den Tropf, riefen sich gegenseitig etwas zu.

Hinter diesem Zerrbild aus Händen und weißen Kitteln, sah ich wie mein Vater meine weinende Mutter in den Armen hielt, wie ein hilflosen Kind, das zusehen musste, wie ich meine Hände in die Bettdecke verkeilte, an mich riss, an mich drückte.

Ich wurde von Sekunde zu Sekunde schwächer.

Die Neonröhren über mir flackerten spastisch.

“Wie konnten wir es so weit kommen lassen?” heulte meine Mutter, ein Taschentuch in der Hand haltend, ihren Kopf an die Brust ihres Mannes gelegt.
Mit dem einen Arm meine Mutter umarmend, pressten seine andere hand in die träger seiner schmutzigen Arbeitslatzhose, die Finger weiß anlaufend.
Er musste wohl direkt von der Arbeit in Krankenhaus gekommen sein, seine Kleidung war immer noch von Arbeit in der Fabrik verdreckt.
“Wir konnten uns die Operation nicht leisten, wir hatten nicht genügend Geld, wir, hätten wir....” stammelte mein Vater, kaum mehr im Stande seine Tränen zurückzuhalten.
"Wir konnten nichts mehr machen." hörte ich den Arzt sagen.
"Die Krankheit... seine Haut war nicht mehr zu retten... es tut uns leid."
Seine Stimme war weit entfernt.
Ein Wispern hintern einem Wasserfall.

Die Worte von meinem Eltern und den Ärzten wurden immer schwächer, so wie mein Blick, alles wurde schwächer, die Geräusche im Raum, das Lebenserhaltungssystem verstummte, alles verschwand hinter einer Wand aus Dunst, meine Ohren waren taub, wie nach einem lauten Knall; mein Blickwinkel verengte sich, schwarze Schatten krochen vom Rand meiner Aungen auf die Iris, Rorschachtests wanderten vor meinem Augen, verschmolzen mit einander, lösten sich auf, hinterließen Dunkelheit, ich fiel tiefer ins Bett hinein, durch das Bett, durch den Boden des Krankenhauses; die verheulten Gesichter meiner Eltern entfernten sich immer weiter, wurden zu schemenhaften Mustern, lösten sich. Ich spürte wie ich in diese unendliche Nacht eindrang, und es nie wieder nach oben schaffen würde. Zarte Wellen der Wärme und Licht trafen auf meinem zerschundenen Körper.

Ich saß nun in dieser unendlichen Dunkelheit fest, in dieser flirrenden Wärme, angefüllt mit dieser undurchdringlichen Stille.

Kein Tageslicht würde mich hier verletzen können.

Nie mehr.

 

Hallo Sven!

Ich hatte in deiner Geschichte ein großes Problem mit den Zeiten. Du schreibst konsequent in der Vergangenheit, doch dein Protagonist streut immer wieder Erlebnisse aus seiner Vergangenheit ein, du wechselst aber nie ins Plusquamperfekt, also in die Vorvergangenheit. Das ist sehr verwirrend; manchmal weiß man nicht mehr, auf welcher Ebene des Geschehens man sich gerade befindet.
Hier ein Beispiel: "Sie stand offen; ich war mir sicher dass sie zu war." Ins Präsens übersetzt würde dieser Satz lauten: Sie steht offen; ich bin mir sicher, dass sei zu ist. Ich denke, du siehst das Problem.

Auch machst du wiederholt ziemlich verschachtelte Sätze, denen man schwer folgen kann. Ein Beispiel: "Zwischen den Ritzen der Holzbretter vor den Fenstern konnte ich, hinter den, mit bräunlich-gelben Leim verschmierten Zeitungsseiten das rötliche Licht der Morgensonne erkennen." In diesen Satz steht zwischen, vor und hinter. Sicher kann man es verstehen, aber vielleicht könntest du dich auch etwas unkomplizierter ausdrücken.

Noch einige Unklarheiten: Seit wann wohnt der Protagonist alleine in dem Haus? Und was für einen Unterricht hat er? Für die Schule ist er ja nun zu alt.

Und Rechtschreib-, bzw. Kommafehler. Ich hatte den Eindruck, daß sie mit Fortschreiten der Geschichte immer häufiger wurden. Wolltest du schnell fertig werden? Du solltest unbedingt noch mal Korrekturlesen.

In der Mitte der Geschichte taucht dann dieser Schatten auf und dein Protagonist bekommt panische Angst, aber warum? Ich weiß nicht, mir fehlt da was. Mir drängt sich der Gedanke auf, hat er zu viele Horrorfilme gesehen? Oder wie kann es angehen, daß er vor einem Schatten so eine Angst hat?

Und zum Schluss die Auflösung, die keine ist. Es ist nichts so, wie es war. Die Eltern sind nicht reich, sondern arm, dein Protagonist ist im Krankenhaus und stirbt. Es war also alles nur Einbildung? Woran stirbt er denn jetzt? War das ein Delirium? Oder was?
Soll der Titel da irgendwas erklären? Ich habe nämlich keine Ahnung, wofür der steht.

Am Ende bleiben für mich nur Fragezeichen. Und das finde ich höchst unbefriedigend.

Grüße
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

Habe den Text etwas modifiziert, um den Schluss etwas deutlicher zu machen.
Ich hoffe, es hat funktioniert. :)

“Wir konnten uns die Operation nicht leisten, wir hatten nicht genügend Geld, wir, hätten wir....” stammelte mein Vater, kaum mehr im Stande seine Tränen zurückzuhalten.
"Wir konnten nichts mehr machen." hörte ich den Arzt sagen.
"Die Krankheit... seine Haut war nicht mehr zu retten... es tut uns leid."
Seine Stimme war weit entfernt. Ein Wispern hintern einem Wasserfall.

 

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