- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 1
taubenblau und ochsenblutrot
Der unbeschreibliche Geruch von feuchtem, jahrhunderte altem Kopfsteinpflaster mit all seinen anderen, markanteren und unangenehmen Gerüchen wie der des Abfalls, der täglich achtlos in die schmutzigen Straßen geworfen wurde, waberte durchsichtig durch die Straßen und erfüllte jeden Winkel. Es war dunkel, tiefe Nacht, und die faden Straßenlampen beleuchteten nur spärlich die leeren Gassen, die wie aussgestorben da lagen, sich schmal und uneben durch die Vielzahl der Häuser zwängten und sich schlängelnd Wege suchten, sich vielmals kreuzten wie ein große Schlange, die sich verstrickt hat und schließlich in ihren eigenen Schwanz beißt.
Tagsüber waren diese Straßen gefüllt mit Menschen, Tieren, Gemüse, mit Geschrei, Geheul, Gelächter,Schweiß, faulendem Obst, Abfall. Mitten in diesem zur Nachtzeit ausgestorbenem Labyrinth sah Stella, die wie gewöhnlich an ihrem Fensterchen saß und auf die dunklen Straßen blickte, einen Schatten. Sie saß jede Nacht an ihrem Fenster und blickte hinaus. Sie konnte nicht schlafen, und der Anblick der vollkommenen Düsternis draußen beruhigte ihre Seele, auch wenn sie nicht wußte, warum sie eigentlich berunruhigt war. Sie hatte schon manches gesehen in den Straßen, betrunkene Männer, Frauen der Nacht, wie sie die Mädchen auch gerne nannte, Bettler die sich einen Schlafplatz in einer Nische suchten. Aber noch nie jemanden von solcher Gestalt, der sich derart gewand, geschmeidig und lautlos durch die Straßen bewegte.
Es war ein Mann, sie erkannte seine Umrisse als er das Licht einer Laterne streifte. Ihr war als hätte er sie für einen Moment angeschaut.Sie zuckte zusammen und wusste, das er der Grund war warum sie Nacht für Nacht am Fenster saß und nicht schlafen konnte. Sie war von schöner Gestalt, doch der Schlafmangel und die fehlende Sonne hatten sie blass werden lassen. Ihr Fleisch war fest und geschmeidig, die Haut zart und makellos weiß. Ihre kurzen dunklen Locken umrahmten ein hübsches, elfengleiches Gesicht, sie hatte taubenblaue, große Augen, eine feine Nase und geschwungene, blutrote Lippen.
Die Menschen sprachen immer mit einer gewissen Ehrfurcht von ihr, ihre Schönheit und ihr zauberhaftes Wesen war bekannt in der Stadt, auch war bekannt das sie bei ihrer Schwester im Hause lebte und kaum auf die Straße ging. Die Menschen tuschelten das sie so eine zarte Haut habe, das die Sonne sie verbrennen würde, der Wind der manchmal durch dir Gasen pfiff, würde sie mit sich reißen oder aber sie hätte Angst mit der Straße und dem Dreck in Berührung zu kommen, weil sie so rein war. Nichts von dem war der Fall, Stella führte ein verträumtes Leben, erfüllt von gedanklichen Reisen in weite Ferne, sie träumte von fernen Ländern, fremden Menschen und hatte ihre eigene Fantasiewelt, inspiriert von den vielen Büchern und Geschichten die sie laß. Ihr Zimmer glich einer Bibliothek mit allerlei Fabelgeschichten, Märchen und Fantasieerzählungen, sie sponn sich ihre eigenen Helden, Geschichten und Wesen, die sie dann mit einer feinen Handschrift auf Papier schrieb um sie in Erinnerung zu behalten und Platz zu machen für neue Abenteuer, romantische Liebesgeschichten und verwegene Helden.
Ihre Papierstapel mit der ordentlichen Schrift erfüllten den Raum mit ihrem Dasein und manchmal war es ihr, als schwebten im Zimmer die Geschichten und Worte die sie geschrieben hatte, wie kleine Schmetterlinge auf der Suche nach eine Blüte, um sich niederzulassen und erzählt zu werden. Und so erzählte sie Nachts, wenn sie die innere Unruhe überkam und sie am Fenster sitzen ließ, der Straße und ihren Katzen ihre Geschichten, mit einer schönen, zarten Stimme. Ihre Schwester, eine robuste, korpulente und tatkräftige Frau, vollaufbeschäftigt mit ihrem trunkenen Mann und den Kindern, hielt sie für verrrückt und mondsüchtig, aber in ihrer großzügigen Art und ihrem drallen Wesen war auch Platz für eine zarte Schwester, die sie bekochte und zu der sie insgeheim eine zärtliche Liebe empfand, die sie nicht in Worte fassen konnte und die in ihrem Alltag nicht zu gebrauchen war und sich deshalb auch nur selten unbeholfen äußerte, etwa wenn sie ihr frische Magnolien ins Zimmer stellte, ihr die Locken schnitt oder ihr Erdbeeren brachte. Ihr Mann, Florentino, ein grobschlächtiger Mann dem sich schon die Stirne lichtete und der Alkohol der letzten Jahre sich in seine Wesenszüge geschlichen hatte und langsam aber sicher von ihm besitzgenommen hatte, sich nachts in seine Seele krallte und ihn aufschreien ließ wenn nichts mehr im Hause war zu trinken, vergaß regelmäßig das da noch ein 20 Jähriges Mädchen im Haus wohnte, die Schwester seiner Frau, die ihrer sterbenden Mutter versprochen hatte sich um das kleine Ding zu kümmern. Nur manchmal, wenn er nachts spät von einer seiner nächtlichen Touren zurückkehrte und an ihrem Zimmer vorbei ging, hörte er die sanften Worte durch die Türe schweben, Worte die von Piraten und schönen Mädchen erzählten, aber er war zu betrunken um es zu verstehen, nur der Klang der Stimme faszinierte ihn und schon manchen Morgen war er im Gang auf dem durchlaufenen Holzboden aufgewacht, mit brummendem Schädel und keinerlei Erinnerung warum er im Gang schlief. Die sterbende Mutter wußte warum ihre jüngste Tochter so ein zartes Wesen war, doch ihr süßes Geheimnis, das sie vor ihrem Manne hatte, der weder schreiben noch lesen konnte und sich vielmehr damit vergnügte den Mägden hinterher zusteigen als sich um seine Familie zu kümmern, nahm sie mit ins Grab. Er wäre gar nicht in der Lage gewesen solch ein Mädchen zu zeugen, doch ihm fiel nie auf das seine jüngste Tochter entgegen aller anderen Familienmitglieder zartgliedrig und hell, mit braunen Locken und taubenblauen Augen ausgestattet war, der Rest der Familie sich aber aus festen, schwarzhaarigen und lebensfrohen Menschen zusammenstellte. Seine Frau war dankbar für seine Abwesenheit und dankbar dem Menschen, den sie insgeheim liebte das er genauso schwieg wie sie, und als er starb, der Vater ihrer jüngsten Tochter, da wußte sie das auch sie bald der Tod holen würde und sie bat ihre älteste Tochter auf Stella aufzupassen und für sie zu sorgen.
Gabriel war sein Leben lang herumgetrieben und hatte sich nirgends sesshaft gefühlt oder irgendeine Verbundenheit zu einem Ort gespürt, vielleicht lag es daran das er als Kind mit seinen Eltern viel umgezogen war, der Vater immer auf der Flucht vor den Behörden denen sein Schmugglertreiben ein Dorn im Auge war, die Mutter eine von Gram zerfurchte Frau, jung noch und doch schon alt, gealtert durch die Erkenntnis das sie in ihrer gutgläubigen Naivität einen Mann geheiratet hatte, der sie nicht liebte, der sie sogar verachtete und sie nur für bestimmte Zwecke benutzte. Daraus gingen mehrere Kinder hervor, allesamt Jungs, aufgezogen von einer verbitterten Mutter, erzogen durch die harten Schläge des Vaters, die früh den Keim der Liebe erstickten, sie hatten ja niemanden den sie lieben konnten, ihr Leben bestand aus Rivalität, Schlägen und Hass. Gabriel war der jüngste, er hatte sie früh selbstständig gemacht, lebte von allerlei Hilfsarbeiten, ließ sich von Stadt zu Stadt treiben, immer auf der suche nach etwas, was ihm Freiheit und Glück bringen könnte.
Er suchte es im Alkohol, in den zahllosen kleinen Kneipen zwischen zahnlosen alten Männern die ihr Leben vertranken, zwischen Männern wie er auf der Suche nach dem wahren Wesen des Lebens, allesamt gescheitert und gestrandet an der vermeintlich einzigen Insel die sich Ihnen zur Rettung anbot, Wein, Bier und starker Schnaps. Frauen kannte er viele, alle von gleichem Schlag, Mädchen der Nacht, die sich ihm anboten für ein lächerliches Geld, ihre wallenden Röcke anhoben um diesen Mann zu gefallen, der von einem schönen Äußeren war, groß, muskulös, schwarze Haare, starke Hände die zupacken konnten. Doch so schön er erschien, so geschmeidig er auftreten konnte und so elegant er sich gab, so verwüstet war es in ihm und er nutzte die Leichtsinnigkeit der Mädchen aus, wußte seinen Charme einzusetzen um sie dann mit einem bitteren Nachgeschmack sitzen zu lassen, und es freute ihn, wenn er es wieder geschafft hatte, eine Hure zum weinen zu bringen.
So hatte sein unstetes Leben ihn in die kleine Stadt geführt, in der Stella ihr Traumleben führte. Er hatte sie gesehen, als er eines Nachts schlaflos durch das wie ausgestorbene Labyrinth der Gässchen ging. Da hatte er an einem der vielen Fenster in der Straße, ein vom Kerzenschein beleuchtetes Frauengesicht gesehen, so zart und rein, so unschuldig und so schön, das er auf der Stelle wußte das dieses Mädchen die einzige Chance war, ihn von all seinen Sünden zu befreien.
So kam es das er immer wieder Nachts vor ihrem Fenster auftauchte, sie sich gegenseitg betrachteten, das Gesicht, die Haltung und das Wesen des anderen studierten. Er schlich auch tagsüber an dem Haus vorbei, doch da waren die schweren Gardinen vorgezogen, und wenn die Türe aufging, kam niemals das Mädchen heraus, sondern immer nur eine große Frau mit wiegenden Hüften und dicken Kindern. Stella aber freute sich jeden Abend auf die Gestalt draußen auf der Straße, tagsüber überlegte sie sich Geschichten über ihn, sie sponn sein Leben neu und glänzend, dichtete ihm himmlische Gaben an und schmückte ihn aus mit allerlei schönem.
Lange dachte sie nicht daran ihm persönlich gegenüber zu stehen, es reichte ihr ihn zu sehen und sich ihre eigene Liebesgeschichte mit diesem Manne zu erfinden, bis sie unmerklich immer mehr ein bedrängendes Gefühl befiel, ihr Körper anfing zu zittern und sie sämtliche Dinge vergaß, sich immer mehr zu diesem Unbekannten sehnte der jeden Abend zu ihr ans Fenster kam, sachte die Scheibe berührte und einen Kuss auf das kalte Glas hauchte. Sie beschloß, nachdem mehrere Wochen vergangen waren, hinaus zu ihm zu gehen, um der Realität gegenüber zu stehen und den Mann zu treffen, den sie liebte und der ihr ungewohnte und schöne Gefühle schenkte, ihre Geschichten farbiger und lebensfroher wie je zuvor werden ließ. So richtete sie sich eines Abends, zog ihr schönstes Kleid an, zarte Strümpfe und kleine Schühchen. Sie puderte ihr Elfengesicht und trat aus ihrem Zimmer, lief die knarrenden Treppen hinunter, öffnete die schwere Türe zur Straße hin und trat hinaus ins Freie.
Es war eine kühle Sommernacht, der Mond schien auf die schlafende Stadt hinab und ein laues Lüftchen wehte. Stella schloß die Augen, zog die kühle Luft ein, fühlte den Wind auf ihrer Haut und spürte wie sich eine rauhe Hand vorsichtig und zögernd in die ihre schob, sie atmete einen warmen und salzigen Geruch ein, ein Geruch von Männlichkeit, Meeressalz, Sehnsucht und Freiheit. Sie öffnete ihre großen Augen und blickte in das Gesicht des Mannes, der sie sein Leben lang gesucht hatte, und in seinen Augen glänzte der Glanz eines Menschen, der sein Glück gefunden hat.