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Taxi oder Leichenwagen?

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13.06.2002
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Taxi oder Leichenwagen?

"Liebling, ich bin zuhause!"
Mit diesen Worten begrüßte Paul Greene jeden Abend seine Frau, nachdem das elektronische Schloss der Haustür sich leise summend hinter ihm verriegelt und so die hektische, graue Welt des Alltags ausgeschlossen hatte. Er liebte diesen Moment, liebte den Duft des warmen Essens vom Herd, liebte die Musik, die seine Frau immer beim Kochen hörte, liebte das glückliche Lachen Claudias, wenn er ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gab. Eigentlich war es nur die Aussicht auf diesen einen Augenblick, die ihn die langweiligen Tage im Büro jedesmal aufs Neue wieder überstehen ließ.
Aber heute war alles anders. Es lag nicht der für einen Donnerstag übliche Geruch von Schweinemedaillons in der Luft. Es kam auch keine Musik aus der Küche. Stattdessen hörte er leise die sanften Klänge von Pink Floyds "Dark Side of the Moon" aus dem Wohnzimmer, übertönt lediglich von einem rhythmischen Stöhnen.

Misstrauisch stellte Paul seine Tasche auf den Fußboden und lugte vorsichtig um die Ecke ins Wohnzimmer. Und was er hier sah, raubte ihm einen Moment lang den Atem. Seine Frau lag auf der Couch. Das alleine wäre weniger befremdlich gewesen. Schlimmer war da schon der Umstand, dass sie vollkommen nackt war, was allerdings noch von der Tatsache übertroffen wurde, dass auf ihr ein Mann lag, der, und das war in der Tat das allerschlimmste, ebenfalls splitternackt war.

...

"HumanTech Industries. Mein Name ist Alberta, wie kann ich Ihnen helfen?"
"Ja... Paul Greene, Nummer 2789g0304p. Ich habe vor ein paar Monaten eine Frau von Ihnen bekommen."
"Einen Moment, ich sehe mal in unsere Datenbank... ah ja, Miss Claudia Greene. Ein Geschenk Ihrer Mutter, wie ich sehe."
"Genau. Ich möchte sie zurückgeben."
"Stimmt etwas nicht?"
"Sie hat mich betrogen. Mit einem anderen Mann."
"Ja, so etwas kommt vor. Einen Moment... wie ich sehe, ist Ihre Garantie noch gültig. Ich schicke Ihnen sofort ein Team vorbei. Wie sollen wir Ihre Frau abholen, Taxi oder Leichenwagen?"
"Ich... ich habe sie ermordet. Es ging alles so schnell, ich... ich..."
"Kein Grund zur Sorge, Mister Greene. Ich schicke einen Leichenwagen."
"Zwei. Zwei Leichenwagen bitte. Der andere... der andere Mann. Er... er ist auch..."
"Das fällt unter unsere Zusatzleistungen, die müssen Sie extra bezahlen."
"Geht in Ordnung. Kann ich... kann ich auch gleich eine neue Frau... naja, Sie wissen schon..."
"Sie möchten bestellen? Einen Moment bitte... haben Sie das Wunschformular ausgefüllt?"
"Natürlich... Ich denke, diesmal nehme ich blond."
"Sehr gute Wahl, Mister Greene. Stecken Sie jetzt bitte den Datenträger in den Übermittler. Ihre neue Frau wird in spätestens drei Tagen zugestellt."
"Wunderbar... ach, noch etwas. Könnten Sie bitte eine Putzkolonne mitschicken, wenn Sie Claudia abholen?"

...

Die drei Tage Wartezeit nutzte Paul und tat das, was jeder Mann tut, dessen Frau ein paar Tage nicht da ist. Er lebte seine kurzzeitige Freiheit aus, ließ beim Pinkeln den Toilettensitz unten, sah sich das Spiel der Broncos gegen die Jets im Fernsehen an, wobei er natürlich die leeren Bierdosen nicht in den Mülleimer warf und genoss es, sich in aller Ausführlichkeit am Hintern kratzen zu können. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, das Rotlichtviertel aufzusuchen, aber in drei Tagen würde er eine Frau frei Haus bekommen, die ihm all seine Wünsche erfüllen würde. Wozu also Geld jetzt überhastet ausgeben?
Er war sehr aufgeregt, immerhin war es das erste Mal, dass er sich eine Frau selbst zusammenstellen konnte. Claudia war ein Geschenk seiner Mutter gewesen. Sie hatte es nicht mehr mit ansehen können, dass ihr Sohn immer noch alleine leben und sein Essen selbst kochen musste. So hatte sie ihm eine Frau nach ihren Vorstellungen geschenkt. HumanTech hatte wirklich ganze Arbeit geleistet damals und ihm eine exzellente Hausfrau gebracht. Claudia konnte perfekt kochen, liebte es, seine Hemden und Socken zu bügeln und sah auch recht passabel aus. Aber sie war schrecklich langweilig und im Bett eher unterer Durchschnitt - obwohl Paul da natürlich die Vergleichsmöglichkeiten fehlten.
Für ihn grenzte es beinahe an ein Wunder, wie diese Frau auch nur ans Fremdgehen denken konnte. So etwas konnte man genetisch leider noch nicht ausschalten, aber HumanTech arbeitete bereits an einer Unterdrückung des Eigenlebens ihrer Produkte.

...

Sandra war eine Göttin. Genau die Frau, die er schon immer hatte haben wollen, die Erfüllung all seiner erotischen Träume. Die langen blonden Haare schmiegten sich sanft an ihr perfektes Gesicht, die tiefblauen Augen schenkten ihm einen Blick, für den Männer töten würden und ihr Körper war einfach ein Traum. Sie verlor auch gar keine Zeit, sondern fiel Paul sofort um den Hals, küsste ihn sinnlich und ließ sich von ihm ins Schlafzimmer führen. Jetzt, da er eine Vergleichsmöglichkeit hatte, konnte Paul seine Vermutung von damals bestätigen. Claudia war wirklich höchstens Mittelmaß gewesen.
Die nächsten Tage waren für ihn wie das Paradies auf Erden. Die Nachbarn blickten neidisch zu ihm herüber und seine Arbeitskollegen drängten sich in Scharen um ihn, wenn er neue Fotos seiner Frau mit ins Büro brachte. Sogar der Chef schämte sich nun ein wenig für seine Sekretärin, die zwar nicht Tippen konnte, die er aber auch aus anderen Gründen bestellt hatte. Gegen Sandra kam sie aber nicht an. Er würde sie umtauschen müssen. Cindys Garantie war zwar schon abgelaufen, aber er konnte sich die horrenden Kosten für eine neue Frau leisten.

Nach zwei Wochen des puren Glücks wurde Paul von der schrecklichen Fratze der Realität eingeholt. Seine Mutter stand unangekündigt, wie es so ihre spontane Art war, vor seiner Tür. Sie liebte diese Überraschungsbesuche bei ihrem Sohn und erwartete immer, eine saubere Wohnung und vor allem Kaffee und Kuchen vorzufinden. Normalerweise war es auch so - Claudia war schließlich eine perfekte Hausfrau gewesen. Aber heute war alles anders.

...

"HumanTech Industries. Mein Name ist Alberta, wie kann ich Ihnen helfen?"
"Hier ist Victoria Greene und meine Kundennummer lautet... Moment... 1572g0123v."
"Was kann ich für Sie tun, Miss Greene?"
"Es geht um meinen Sohn. Er hat sich ja so verändert. Ich habe ihm so eine schöne Frau geschenkt und er... er hat sie gegen diese... diese Schlampe getauscht."
"Sie möchten den Umtausch rückgängig machen?"
"Was? Nein... nein, das nicht. Ich möchte meinen Sohn zurückgeben und gegen einen neuen eintauschen."
"Wie ich sehe, ist Ihre Garantie vor Jahren abgelaufen."
"Ich weiß. Ich zahle auch drauf."
"Na gut... Wie sollen wir Ihren Sohn denn abholen? Taxi oder Leichenwagen?"

 

Oha, da hast du aber tief gebuddelt :D

Moin Quidam und Hunter (verspätet, sorry),

Danke euch beiden fürs Lesen. Freut mich, daß es euch gefallen hat.

Aber von dir lese ich sicher noch mehr. Da liest man mit Freude.
Das ist mal ein Lob. Danke.

 

Oha, eine gnoebel-Geschichte in SF. Das war mir bisher entgangen.

Nun, mir hat ein wenig die Erklärung gefehlt, wer der mysteriöse Mann ist, mit dem Claudia fremdgeht. Ansonsten ein typischer gnoebel: Unlogische aber sehr witzige Idee mit knappen, lustigen Dialogen erzählt.
Hat mir gefallen.

P.S.: Irgendetwas stimmt mit den Anführungszeichen nicht. Bei mir werden sie als "?" angezeigt.

 

Moin Freshomat und Naut,

Schön, daß es euch gefallen hat.
Bei dem mysteriösen Mann handelt es sich um den Milchmann des Elektrikers vom benachbarten Postboten. Nee, im Ernst: Das spielt eigentlich keine Rolle. Irgendein Kerl halt, den sie irgendwann mal irgendwo getroffen hat.
Die Anführungszeichen hab ich umgetauscht.

 

Hm, dann stellt sich natürlich die Frage, welche Menschen in dieser Welt überhaupt noch echt sind. Wenn Menschen künstlich hergestellt werden und für sie jemand bezahlt, dann müssen sie jemandem gehören. Das heißt, dass irgend jemand am Anfang der Kette stehen muss. Da aber Paul Greene auch ein Klon/Replikant ist und einen Job hat, sein getöteter Nebenbuhler mal eben per Leichenwagen abgefertigt wird und folglich ebenfalls ein Kunstmensch sein muss, stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft deiner Welt aufgebaut ist.

Na ja, das ist wohl das, was Naut mit "unlogische Idee" meinte.
Wenn ich das als Humorgeschichte lese, dann zünden die Pointen.
Fazit: Makaber, aber witzig.

 

Hi Gnoebel,
Tolle Story, einziger Makel: dass nicht ich sie geschrieben habe.
Und deshalb das einzige kleine, versteckte Problem der Story (Du hast es ja selbst bemerkt und elegant versteckt): Wenn die Kunstfrau fremd geht, ist sie kein Roboter. Aber ein Mensch ist sie wohl auch nicht. Was dann?
(Ich weiß, Du hast dafür auch keine Lösung, aber fies wie ich bin, mußte ich dieses kleine Geheimnis ans Tageslicht zerren (*g*))
Proxi

 

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