Tete
Tete
„Massa, Massa….aufwachen Massa!“ Peters öffnete langsam die Augen.
Er erschlug eine dieser lästigen Moskitos, die auf seiner Wange saß. „Hier Massa, du trinken.“ Peters Schädel brummte. Er hatte einen gehörigen Kater.
Trotzdem nahm er einen großen Schluck aus der Schnapsflasche, die ihm sein treuer Begleiter entgegenhielt. „Danke Tete, ohne dein selbst gebranntes Sauzeug würde ich in diesem verdammten Land noch vor die Hunde gehen!“, fluchte Peters, spülte seinen Mund mit einem weiteren Schluck des stark alkoholischen Gebräus aus und spuckte die Flüssigkeit in den staubigen Savannenboden. „Wie spät ist es, Tete?“, fragte Peters als ihm bewusst wurde, dass die Sonne bereits am Horizont versank. Der Schwarze ging nicht direkt auf die Frage sondern gab zur Antwort:„Zeit für Aufbruch, Massa.“ „Nenn mich nicht immer so!“, schnauzte Peters „Ich habe dir doch schon zigmal gesagt, dass ich Manfred heiße!“ „Ja, Massa Manfred“, sagte der Afrikaner und machte eine demütige Verbeugung.
Peters rieb sich über den kratzigen Dreitagebart und verdrehte genervt die Augen.
Tete war nicht dumm, er besaß zwar ein einfaches Gemüt aber er war ein absolut zuverlässiger Begleiter. Der junge Afrikaner war ein hervorragender Fährtenleser. Niemand kannte sich besser auf den verborgenen Pfaden in dem namibischen Nationalpark aus als er. Außerdem hatte er schon Erfahrung mit Großwildjagden gemacht und schon so manche Safari begleitet. Peters wusste das zu schätzen und verzichtete daher darauf den jungen Mann ein weiteres Mal zu rügen. Sollte er ihn doch so oft „Massa“ nennen, wie er wollte. Zudem war Peters froh endlich Jemanden für sein kriminelles Vorhaben gefunden zu haben. In mehreren Dörfern hatte er schon vergeblich nach freiwilligen Führern für seine illegale Jagd gesucht. Er hatte schon fast aufgegeben, als er schließlich Tete fand. Der junge Afrikaner hatte eine Frau und fünf Kinder zu versorgen und der weiße Mann zahlte gut. Somit waren sie sich schnell einig was die Konditionen anging.
Peters war ein Mann in den besten Jahren. Er hatte ungepflegtes, langes Haar und ein vom Alkohol aufgequollenes Gesicht. Bis vor zwei Jahren noch, war er ein smarter, gut aussehender Geschäftsmann gewesen. Er besaß in Hamburg einen gutgehenden Kolonialwarenhandel. Seinen erlesenen Kundenkreis belieferte er mit exotischen Exponaten aus aller Welt, vornehmlich aus Afrika. Regelmäßig reiste er auf den schwarzen Kontinent um Kontrakte mit einheimischen Händlern abzuschließen und Waren einzukaufen, die er dann nach Deutschland verschiffen ließ. Aber die Wünsche seiner betuchten Kundschaft wurden immer ausgefallener und die Anfragen nach Trophäen geschützter und seltener Tiere häuften sich. Peters lehnte zunächst ab, doch der Reiz des Geldes war einfach zu groß. So wurde mit der Zeit aus dem seriösen Kolonialwarenhändler Manfred Peters ein skrupelloser Großwildjäger und Wilderer. Der Mann ging große Risiken ein, um die extravaganten Wünsche seiner Kundschaft zu befriedigen und bisher hatte er immer Glück gehabt.
Sein neuster Auftrag war sehr ungewöhnlich. Seit einigen Monaten berichteten Einheimische von einem Albino-Nashorn in der namibischen Steppe und genau dieses Tier sollte Peters für einen reichen Manager aus Berlin erlegen. Da der Dickhäuter aufgrund seiner Lichtempfindlichkeit nur in der Dämmerung unterwegs war, schliefen die beiden Männer tagsüber und gingen erst am Abend auf die Pirsch. Die Streifzüge dauerten meist bis in die frühen Morgenstunden und waren bisher ohne Erfolg geblieben.
Tete deutete auf einen für Peters unsichtbaren Punkt irgendwo am Horizont der weitläufigen Steppe. „Heute Nacht wir müssen da lang.“ Sagte der Schwarze mit ernster Miene. „Dein Wort in Gottes Ohr.“, brummte Peters. Der gutgläubige Einheimische hielt Peters für den Beauftragten einer weltweiten Tierschutzorganisation.
Laut der gefälschten Papiere, die der Hamburger Geschäftsmann den afrikanischen Behörden bei der Einreise vorgelegt hatte, sollte er einige Wildtiere in dem Nationalpark untersuchen. Für diesen Zweck hatte er ein Betäubungsgewehr dabei. Er hatte die Pfeile schon vor der Tour präpariert und das Betäubungsmittel in den Ampullen gegen Schlangengift ausgetauscht. Das damit getroffene Tier würde langsam an dem Nervengift zu Grunde gehen. Da die Symptome einer Narkose sehr nahe kamen, würde der Betrug nicht auffallen. Wenn das Nashorn letztendlich an dem Nervengift starb, konnte Peters dafür eine zu hohe Dosierung des Narkosemittels verantwortlich machen. In der Regel kontrollierten die afrikanischen Behörden so einen Vorfall nicht, schon gar nicht wenn man genug zahlte. Damit war die Sache vom Tisch und der präparierte Kopf des Tieres konnte mit gefälschten Zollpapieren nach Deutschland ausgeführt werden.
Mit dieser Methode hatte Peters schon so manchen Kunden glücklich gemacht. Sein Auftraggeber zahlte Peters eine hohe Prämie für diesen Job. Die Trophäe eines Albino-Nashorns war sehr selten und etwas ganz besonderes. Das Geld, das er dafür bekam würde ausreichen um sich endgültig zur Ruhe zu setzen. Bisher war Peters sehr verschwenderisch mit seinem Vermögen umgegangen. Er hatte viel Geld in Bars, Spielhöllen und Edelbordellen verprasst. Doch diesmal würde er vernünftig sein, das schwor er sich. Dieser Auftrag sollte sein letzter sein, dann wäre endgültig Schluss.
Täglich überprüfte Peters mehrmals die Ampullen für die tödlichen Pfeile und das Gewehr, damit auch nichts schief gehen würde. Das Gift war, für einen Dickhäuter entsprechend, hoch dosiert. Einen Menschen würde selbst ein Bruchteil dieser Dosis innerhalb von wenigen Sekunden töten.
„Na dann los.“ sagte Peters, setzte seinen abgewetzten Lederhut auf und schwang sich den Rucksack über. Tete löschte noch schnell das Lagerfeuer, indem er Sand auf die Flammen warf, dann zogen sie los. Seit über einer Woche jagten die beiden Männer nun schon dem ungewöhnlichen Nashorn hinterher. Nächtelang hatten sie nicht eine Spur von ihm gesehen, dann tauchte das Nashorn plötzlich ganz in der Nähe ihres Lagers auf. Das Tier schien sehr aggressiv zu sein. Einmal hatte es Tete angegriffen, als dieser in der Nähe ihres Lagers Feuerholz sammeln wollte. Nur knapp konnte der junge Afrikaner sich auf einen Baum retten. Der Koloss verschwand wieder im Unterholz. Seitdem hatte Peters Tete sein Ersatzgewehr gegeben, damit er sich beim nächsten Mal verteidigen könnte. Auf den Spuren des Nashorns zogen die beiden Männer immer tiefer in das afrikanische Buschland. Ohne Tete hätte Peters hier längst die Orientierung verloren. Namibia war ein neues Jagdgebiet für ihn und in diesem Teil des schwarzen Kontinents kannte er sich überhaupt nicht aus.
Nachdem sie stundenlang durch die Nacht gezogen waren, suchten sie sich schließlich einen geeigneten Platz und schlugen ihr Lager auf. Peters kontrollierte seine Munitionstasche, während Tete sich schlafen legte. Zuvor hatte der Afrikaner Peters noch einen starken Kaffee gekocht, den dieser sich mit einem ordentlichen Schuss Schnaps veredelte. Irgendwo im Busch jaulte eine Hyäne, Grillen zirpten und die Luft roch würzig nach Piniennadeln. Peters saß vorm Lagerfeuer und nippte gleichgültig an seinem heißen Kaffee. Ihm war die einmalige Natur dieses Landes schon immer völlig egal gewesen. Er hatte einfach keinen Sinn für solche Dinge. Das einzige, was für ihn zählte waren seine schmutzigen Geschäfte denen er hier nachging. Plötzlich meinte Peters in den Büschen vor sich eine Bewegung wahrzunehmen. Er fixierte den Punkt über den Rand seiner verbeulten Blechtasse hinweg und tastete nach seinem Gewehr, ohne dabei die Stelle aus den Augen zu lassen.
Doch so sehr er auch den Busch anstarrte, es bewegte sich nichts. Er schien sich getäuscht zu haben. Doch gerade als er das Gewehr wieder wegstellen wollte, schoss ein weißer Blitz aus dem Busch auf ihn zu. Peters versuchte noch auszuweichen aber das Nashorn rammte ihn seitlich und er stürzte hart zu Boden. Hastig rappelte der Mann sich hoch und sah sich suchend nach seinem Gewehr um. In diesem Moment traf ihn ein Schlag ins Kreuz.
Das riesige Tier spießte Peters förmlich auf, schleppte den Mann einige Meter mit sich und schleuderte ihn schließlich zu Boden.
Röchelnd wachte Peters auf. Sein Kopf brummte. Etwas Nasses tropfte auf seine Lippen. Blut? Nein es schmeckte nach Alkohol. Tete versuchte ihm Schnaps einzuflößen. „Massa, Massa….“ Die Stimme des Afrikaners drang, wie durch Watte, an Peters Ohren. Schwerfällig öffnete Peters die Augen. Tete stellte die Flasche ab und ging weg. Peters versuchte den Kopf zu drehen, er wollte sehen was sein Begleiter vorhatte. Es gelang ihm jedoch nicht. Sein Nacken war steif und schmerzte so sehr, dass er seinen Kopf nicht bewegen konnte.
Er wollte nach der Schnapsflasche greifen, war aber zu schwach seinen Arm zu heben. Die Attacke des Nashorns hatte ihn schwer mitgenommen.
„Massa, sind verletzt. Nicht bewegen. Ich habe was für Sie.“ „Tete, mein Freund.“, stöhnte Peters mit schmerzverzerrtem Gesicht, „Hast du das Biest erledigt?“ „Ja, Massa. Tete haben weißes Ungeheuer erschossen.“ Peters versuchte erneut den Kopf zu drehen, aber es gelang ihm immer noch nicht. Er konnte nur im Augenwinkel erkennen, dass der Afrikaner mit Irgendetwas hantierte. „Was machst du, Tete?“ „Ich haben was Gutes gegen Schmerzen, für Massa Manfred. Damit es geht Massa besser, bis Hilfe kommt.“ „Danke.“ murmelte Peters und lächelte. Auf seinen einheimischen Begleiter war wirklich Verlass. Hoffentlich hatte Tete das Nashorn nicht am Kopf getroffen, dann konnte Peters sein Honorar für diesen gefährlichen Einsatz vergessen. Tete trat wieder in sein Sichtfeld und riss ihn aus seinen Gedanken. „Hier haben Massa was gegen Schmerzen. Davon werden gut schlafen bis Hilfe kommt.“
Entsetz sah Peters den Pfeil aus seiner Munitionstasche in Tetes Hand! „Oh mein Gott, Tete. Nein!!“ „Keine Angst Massa, Tete haben nur ganz wenig von Narkosemittel genommen. Manfred werden gut schlafen.“ Noch bevor Peters etwas sagen konnte, hatte Tete ihm gutmütig lächelnd den Pfeil mit dem tödlichen Schlangengift in den Arm gestochen.
Die aufgehende Sonne Namibias war das letzte, was Manfred Peters von Afrika sah.