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- 19.07.2004
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That Life 7
April schrie auf. Es war ein fürchterlicher Schrei und zwei Sekunden später stand Julien in ihrem Zimmer.
„ Häschen, was ist los?“ Doch als sie ihn sah schrie sie noch mehr, warf mit den kleinen Figuren von ihrem Nachttisch nach ihm und schnappte hin und wieder keuchend nach Luft.
„ Quincy verschwinde! Du Monster!“ Julien starrte sie perplex an, versuchte ihr zu sagen das er nicht Quincy sei, doch April hörte ihm nicht zu.
„ Geh weg! Fass mich nicht an!“ Jaulte sie laut, mit der Schere in der Hand, die sie sich von ihrem Schreibtisch gegriffen hatte.
„ Ich bin nicht Quincy!“ Brüllte Julien, den Tränen nahe, wütend und doch hilflos.
Zur Tür herein gestürzt kamen die Eltern Markus und Elena, und Aprils Bruder Ben.
„ Was ist denn los? April!“ Elena eilte auf sie zu und entriss ihr die Schere. Sie schleuderte diese auf den Boden und schloss ihre Tochter in die Arme.
„ Das ist Quincy!“ Kreischte sie und deutete auf Julien. Der stand da, zitternd und mit tränenüberströmten Wangen.
„ ICH BIN NICHT QUINCY!“ Brüllte er mit zittriger Stimme durch den ganzen Raum und sah dann zu seinem Vater.
„ Dad, sie phantasiert! Verdammt ich bin nicht Quincy!“ Sagte er und seine Stimme wurde leiser und noch mehrere Tränen stiegen in sein Gesicht.
„ Doch! Doch, doch! Ich hab dich gesehen wie du zu mir ans Bett geschlichen bist!“ Elena starrte sie ungläubig an.
„ Das ist doch gar nicht wahr! April ich kam doch erst her als du geschrien hast.... Ich habe doch geschworen dich zu beschützen!“ Julien Stimme war ganz leise geworden. Es tat ihm so weh, dass sie das sagte. Er liebte sie doch so sehr und er würde ihr wirklich nichts tun.
„ Schatz, meinst du nicht, dass du das nur geträumt hast?“ Fragte Elena und wütend und hilflos entriss sich April ihr.
„ Jetzt glaubst du ihm auch noch! Jetzt glaubst du ihm!“ Schrie sie und begann zu weinen.
„ Nein Liebling... Ich habe doch nur gefragt...“ Elena versuchte sie zu greifen, doch ängstlich wich sie zurück.
„ Geh weg! Geh weg! Du bist ja für ihn!“ April fühlte sich allein gelassen von der Welt, sie fragte sich, warum denn auf einmal jeder gegen sie war. Es war unbegreiflich für sie, dass ihre eigene Mutter nicht zu ihr hielt. Sie wünschte sich in ein Loch in dem sie sich verstecken konnte.
„ April,“ meldetet sich Ben zu Wort, mit einem grandiosen Einfall.
„ Ich kann dir beweisen das es Julien ist!“
„ Achja?“ Fragte sie ungläubig und verschränkte die Arme.
„ Julien, ich darf doch mal,“ und mit einem Ruck zog er Juliens Boxershorts herunter.
„ Hey, was soll das?!“ Fragte Julien errötend und hielt seinen Schritt bedeckt. April zuckte kräftig zusammen und riss ihren Kopf zur Seite.
„ Sieh hin April!“ Er lief zu ihr und zog sie zu Julien. Sie schrie und wehrte sich, doch Ben ließ sich nicht beirren.
„ Guck mal auf die Innenseite seines rechten Schenkels! Guck hin!“ Er stand hinter ihr, hielt ihre Arme fest und erst nach längerem Zögern sah sie hin.
„ Ben, sie hat Angst. Warum tust du das?“ Fragte Julien, immer noch rot im Gesicht, sich jedoch nicht rührend. April entspannte sich, atmete auf.
„ Du... du bist nicht Quincy...“ sagte sie leise und er sah sie fragend an.
„ Woher...?“
„ Dein Muttermal Mann!“ sagte Ben und ließ sie los. Sie blieb regungslos stehen, sah dann ganz langsam zu Julien auf. Jetzt fasste er den Mut seine Shorts wieder hochzuziehen.
‚ Aber ich habe ihn doch gesehen...‘ Schwirrte es durch ihren Kopf. ‚ Ich habe doch gesehen wie er an mein Bett kam... Ich habe ihn doch sogar gerochen...‘ In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. Alle waren still und warteten, wie April jetzt reagieren würde.
Nach ein paar Minuten Schweigen kniete sich Julien langsam vor sie. Sie hob ihren Blick und sah ihn an. Er hob Stück für Stück seine Arme und legte sie dann, ohne sie aus den Augen zu lassen, auf ihre Schultern.
„ Ich würde dir nie so etwas antun Häschen.“ Sagte er leise und sie fiel ihm um den Hals.
Elena atmete erleichtert auf und öffnete den Mund um etwas zu sagen, hielt jedoch noch einige Sekunden inne.
„ Komm nun wieder ins Bett, April.“ Müde schüttelte April ihren Kopf. Elena sah mit fragendem Blick zu Julien und der nickte daraufhin.
„ Na gut. Ich gehe noch mit euch nach oben.“
Oben in Juliens Doppelbett deckte sie April zu und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann löschte sie das Licht und verschwand wieder unten im Schlafzimmer.
April blieb still auf dem Rücken liegen.
„ Bist du dir sicher, das du morgen mit willst?“ fragte Julien nach einer Weile und sie drehte sich zu ihm.
„ Ja ich gehe mit,“ sagte sie todernst.
Es musste einfach sein das sie ihn wieder sah und das sie sich klar machen konnte, dass sie sich verändert hatte. Und auch dass er sich verändert hatte. Sie war nicht mehr klein und schwach. Nein, das war sie nicht mehr.
„ Ich weiss das es wichtig ist, dass du dich ihm stellst, aber das hat Zeit.“ er rückte näher zu ihr und sie schüttelte den Kopf.
„ Nein es bleibt keine Zeit mehr Julien. Ich habe schon zu lange gewartet. Es muss jetzt sein.“
„ Und ich werde bei dir sein. Dir wird nichts passieren. Das schwöre ich.“
„ Es wird nichts passieren. Ich bin nicht mehr das kleine gutgläubige Mädchen von früher. In mir ist so viel Hass, Julien. Der überdeckt manchmal sogar meine Angst. So viel Hass der sich angestaut hat. Und wenn ich ihn jetzt sehe und sehe das es ihm schlecht geht, dann wird sich dieser Hass abbauen... das glaube ich jedenfalls.“ April liebte es mit Julien zu sprechen. Er war nicht bloß ein großer Bruder, er war so viel mehr für sie. Mit ihm konnte sie wirklich über alles reden, ohne sich zu schämen, ohne denken zu müssen das er sie falsch verstehen würde. Mit niemandem konnte sie so offen reden wie mit ihm. Das war eigentlich schon immer so gewesen. Seit April klein war. Trotz der 11 Jahre Altersunterschied.
Julien nickte.
„ Es wird Zeit ihn endlich zu sehen.“
„ Aber sobald du dich nicht wohlfühlst, sagst du mir bescheid und wir gehen, einverstanden?“ Sie drehte sich zu ihm.
„ Ich schaffe das!“ und dann sagten sie nichts mehr und schliefen bald darauf ein, bis zum nächsten Morgen um sechs. April lag schon einige Stunden wach im Bett, als Julien sich zu regen begann und aufstand.
„ Du kannst noch liegen bleiben,“ murmelte er leise als er sie sah und zog sich eine Hose über.
„ Ich kann eh nicht mehr schlafen,“ sie setzte sich auf, der Kopf war ganz leer. Wortlos zog sich Julien weiter an, die Socken, das Hemd. April spürte seine Nervosität, aber nicht nur seine. Das ganze Haus war voll davon. Und auch sie selbst war nervös. Sie spürte es im Magen, der wild rumorte und es fühlte sich so an, als müsse sie sich gleich übergeben. Jetzt begann sie sich zu fragen, ob es richtig gewesen war, ihn für einige Wochen noch hier in der Stadt wohnen zu lassen. Er hatte ja schließlich selbst gesagt, dass er ganz weit weg wollte, um ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Doch der Psychiater hatte anderes vorgeschlagen. Nachdem er erfuhr, dass Quincy drei Selbstmordversuche hinter sich hatte und ein seelisches Frack war, hatte er den Vorschlag gemacht, dass Quincy noch hier bleiben solle, sodass April erkennen konnte, dass er nicht mehr so war wie früher. Vielleicht hörten dann ihre Schlafstörungen auf und vielleicht ging es ihr dann besser. Quincy hatte sich Anfangs heftig gegen diesen Vorschlag gewehrt, doch dann konnte ihn sein Psychiater doch überreden. April hatte dem Ganzen zugesagt. Sie wollte es, war Neugierig darauf wie der Mensch, den sie damals so liebte und so vertraute und der es so schamlos ausgenutzt hatte, nun ging. Sie wollte sich selbst damit beweisen, dass nun alles anders war als damals. Sie hatte sich verändert. Sie würde ihm selbstsicher und kraftvoll entgegentreten.
„ April,“ sie sah auf. Ihre Mutter stand im Zimmer, mit einem vorgetäuschten Lächeln und sah zu ihr.
„ Was ist?“ fragte sie langsam und nach einigen Minuten Schweigen.
„ Kommst du runter dich anziehen und dann frühstücken?“ Obwohl April beim Gedanken an Essen schlecht wurde nickte sie und aß später ein Brötchen. Und dann war es auch schon fast soweit.
Die Haustür wurde abgeschlossen und alle machten sich auf den Weg zum Wagen, der auf der Einfahrt stand.
„ Geht es dir gut, April?“ fragte Markus und lief neben ihr her. Er hielt seine Brille in der Hand und putzte sie, wie er es immer tat wenn er nervös war. Doch es machte die anderen um ihn herum nervös.
„ Ja Dad.“ sagte sie, doch ihre gekrümmte Haltung und ihr blasses Gesicht verrieten anderes.
„ Bist du sicher?“ er hielt sie zurück und sie sah ihn böse an.
„ Ja Dad!“ zischte sie und biss die Zähne zusammen.
„ So siehst du aber nicht aus.“ April wurde aggressiver und kochte vor Wut.
„ Mir geht’s gut Da...“ sie riss den Kopf beiseite und erbrach sich auf den Rasen. Das Brötchen war wieder draußen und schlagartig fühlte sie sich besser. Sie stellte sich wieder aufrecht.
„ Ich wollt’s einhalten bis im Wagen, weil da Tüten sind, aber nein!“ Sie zwinkerte und lief weiter zum Wagen. Jetzt ging es ihr wirklich viel besser. Sie saß zwischen Julien und Ben. Sie konnte regelrecht sehen, wie sich das Auto mit Angst füllte. Ben hatte schon den ganzen Morgen kein Ton gesagt, hatte April nur stumm beobachtet. Er hatte soviel Hass auf Quincy. April wusste dass Ben ihn am liebsten zusammenschlagen würde. Doch Elena und Markus wusste das auch und sie würden es auf jeden Fall verhindern. April wusste nicht so ganz, ob sie Quincy auch gern weh tun würde. Aber den Gedanken vertrieb sie schnell wieder. Ihr Psychiater hatte ihr gesagt, dass so etwas nichts bringt. Und Herr Pitt glaubte sie. Den mochte sie. Er war ein älterer, netter Mensch, so einer bei dem man gern war, dem man gern zuhörte und gerne etwas erzählte. Herr Pitt würde heute auch da sein. Und das beruhigte sie.
Und dann war es soweit. Die Familienkutsche hielt vor dem mehrstöckigen Hochhaus, auf der anderen Seite der Stadt. Schon von weitem sahen sie Herr Pitt und den Polizisten Martins, der Quincy damals verhaftet hatte. April konnte sich noch so gut an den Abend erinnern.
Nachdem sie es Julien erzählt hatte, dieses grausame Geheimnis zwischen ihr und Quincy, schnappte er sie und stürzte hinaus aus dem Zimmer, hin zur Küche, in der Elena saß und Zeitung laß.
‚ Mam!‘ Hatte Julien entsetzt, immer noch mit tränenüberströmten Gesicht gerufen und April abgesetzt.
‚ Was ist denn passiert?‘ fragte sie perplex, sah von ihm zu April und von April zu ihm.
‚ Häschen, bitte erzähl ihr was du mir eben erzählt hast, ja?‘ Er kniete sich neben sie und legte den Arm um sie. April schüttelte heftig den Kopf.
‚ Aber ich darf doch nicht!‘
‚ Doch April. Du hast es doch auch mir erzählt. Und Mamas dürfen alles wissen. Sie zählen nicht wenn du sagst dass du etwas nicht sagen darfst.‘ Sie betrachtete ihn einen Augenblick lang.
‚ Was...?‘ Elena stand vor den beiden, sprachlos und starrte sie an.
‚ Der Quincy.‘ brachte sie hervor und stoppte, sah zu Julien. Es war ihr peinlich es zu sagen, doch sie wusste nicht genau warum. Sie glaubte, etwas Falsches gemacht zu haben, und sie wollte Elena doch nicht auch zum Weinen bringen. Julien nickte ihr leicht lächelnd zu und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie sah wieder zu Elena.
‚ Der hat mir weh getan da,‘ ganz sanft deutete sie zwischen ihren Schritt und zog das zitternde Fingerchen dann schnell wieder zurück... Elenas Blick versteinerte, ihr Herz schien stehen zu bleiben. Sie musste heftig nach Luft schnappen und sank dann schließlich auf die Knie.
‚ Er.... er hat dir an der Muschi weh getan?‘ Und als April zu nicken begann, brach Elena lauthals in Tränen aus und riss sie an sich. Hilflos und nicht wissend was zu tun weinte April mit. Julien hechtete zum Telefon.
‚ Quincy hat mich aber immer noch lieb. Und ich darf es eigentlich keinem sagen. Du darfst es nicht weitersagen, ja?‘ Elena wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht und sah sie an.
‚ Wann war das?‘
‚ Als du und Daddy letztens weg warst.‘ Sagte sie leise, erschöpft und auch erleichtert. Es tat aus irgendeinem Grund gut endlich darüber zu reden. Sie hatte es gehasst ihre Mutter zu belügen.
‚ Schatz, du hättest ruhig gleich zu mir kommen können. Aber... Jetzt wird alles wieder gut. Quincy wird dir nie wieder etwas tun.‘ Sie streichelte Aprils Wange.
‚ Ich weiss, das hat er mir versprochen.‘ April lächelte sanft.
‚ Er wird ausziehen. Du musst ihn nie wieder sehen.‘ Aprils Augen weiteten sich. Sie konnte sich ein Leben ohne Quincy nicht vorstellen. Er war ja schließlich immer da gewesen. Sie brauchte ihn doch, auch wenn sie etwas Angst vor ihm hatte.
‚ Aber... ich habe keine Angst vor Quincy. Er darf doch nicht gehen.‘ Alles war so seltsam für sie. Elena sah sie verstört an.
‚ Nein Schatz. Quincy kann und wird nicht bleiben!‘ sagte se und starrte April an.
‚ Aber Mam! Dann ist Quincy...‘ und da trat er in die Küche.
‚ Was ist mit mir Engelchen?‘ Sie zuckte zusammen, lächelte und streckte die Arme nach ihm aus.
‚ Quincy!‘ Er trat lächelnd weiter vor, doch bevor er ihre kleinen Händchen erreichen konnte, stellte sich ihm Julien in den weg und ohne jegliche Vorwarnung schlug er zu. Und das nicht zu schwach. Julien war immer ein ruhiger Mensch, Gewalt lehnte er ab, doch plötzlich sah er rot. Wie konnte sein Zwillingsbruder das nur getan haben? Wie konnte ein Mensch denn dazu fähig sein? Die Antwort würde Julien wahrscheinlich nie erfahren.
Quincy war viel zu überrascht um Juliens wutentbrannten Schlägen etwas entgegen zu setzen.
‚ Nein! Julien!‘ Aprils Augen füllte sich mit Tränen und sie schrie. Schrie wegen ihres Bruder, den sie liebte und gleichzeitig fürchtete.
Kurz darauf traf die Polizei ein und nahmen Quincy mit. Das letzte, was April von ihm hörte war; ‚ Mäuschen, es tut mir so leid!‘ Er ließ sich widerstandslos mitnehmen und sagte bereitwillig aus, sodass April eine Aussage vor Gericht erspart blieb.
Sie schluckte schwer und erwachte wieder aus ihrer Erinnerung. Ihre ganze Familie saß noch im Wagen, obwohl sie längst da waren und beobachteten sie.
„ Was ist? Worauf wartet ihr?“ Fragte se, mit total aggressiver Stimme und doch zitternden Knien.
„ Wir sind da Häschen.“ Sagte Julien leise und versuchte krampfhaft seine Stimme ruhig zu halten. Doch das bemerkte April natürlich.
„ Das weiss ich,“ sie drehte sich zu Ben. Der stieg wortlos aus und blieb an der Tür stehen, so wie ein Chauffeur, der einem Prominenten die Tür aufhielt. Ziemlich rasch stieg April aus und sah sich ungeduldig um. Julien kam an ihre Seite und legte den Arm um sie.
„ Er ist noch nicht da,“ sagte Herr Pitt, als sie alle bei ihm standen und Aprils Körper verspannte sich.
„ Er wird in drei oder mehr Minuten hier eintreffen. In der Zwischenzeit können wir nach oben gehen und uns schon einmal etwas entspannen.“ Meinte er und ging voran. Sie nahmen den Aufzug und stiegen im vierten Stock heraus.
Die Wohnung, die sie betraten war noch fast leer. Hier fühlte man sich nicht sonderlich wohl.
„ Wie fühlst du dich, April?“ fragte Pitt und sie sah zu ihm.
Sie wollte etwas erwidern, etwas Aggressives, so etwas wie;‘ Raten sie mal,‘ oder, ‚ Wie soll es mir schon gehen? Super natürlich! Gibt ja keinen Grund aufgeregt zu sein.‘ Doch sie sagte gar nichts. Sie hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl sicher zu sein. Sie spürte wie Juliens Hand über ihren Kopf streichelte und sie nahm Abstand von ihm. Das wollte sie jetzt nicht, das machte sie nur noch nervöser. Sie kam sich vor wie ein kleines, gestörtes Etwas, als sie durch die Wohnung schlich und sich umsah. Sie wusste überhaupt nicht warum sie die Wohnung sehen wollte, doch sie verließ das Wohnzimmer in dem sie sich befanden und ging in einen anderen. Sie wollte jetzt nicht bei den anderen sein. Sie musste damit allein fertig werden. Die würden ihr sowieso nicht helfen können, das war ihre Meinung. Niemand konnte das. Sie war stark. Und jetzt laut: „ Ich bin stark,“ sagte sie immer wieder, ganz leise zu sich und es half.
Das Klingeln an der Tür drang verzögert an ihr Ohr, wollte erst gar nicht herein, sie wollte ihn nicht hören. Ganze langsam nahm sie wahr das es nun soweit war. Ja, der Augenblick war gekommen. Sie schluckte, blieb jedoch noch ruhig. Sechs Jahre waren nun vergangen, in denen sie gehofft hatte, ihn nie mehr wieder zu sehen und doch hatte sie gehofft ihn wieder zu sehen, es war so ein Zwiespalt. Sie wollte sich beweisen, dass sie nich mehr klein und hilflos war. Sie stand in der Küche, ihr kleines Täschen in beiden Händen, so wie den Teddybär von Quincy damals...
„ April.“ Pitts Stimme ertönte von weit weg. Sie starrte gegen die Spüle und regte sich nicht. ‚ Jetzt komm schon, dreh dich um.‘ Sagte sie zu sich selbst. ‚ Dreh-Dich-Um!‘ Dann drehte sie sich um und sah ihn an. Plötzlich kam sie sich so klein vor. Winzig.
„ Ja?“ fragte sie, mit hoher, leerer Stimme und schleuderte im nächsten Moment ihre Tasche in die Ecke. ‚ Nein.‘ Schrie es in ihrem Inneren. ‚ Nein, du,‘
„ hast keine Angst.“ flüsterte sie weiter und presste die Augen für einen kleinen Moment zusammen.
„ Gut so. Sag es noch einmal.“ Sagte er und da hatte seine Stimme wieder diese beruhigende Wirkung.
„ Ich habe keine Angst.“ sagte sie und sah ihn an. Er lächelte lobend und sie ging auf ihn zu. Er legte seinen Hand auf ihre Schulter und da fühlte sie sich stark. Sie glaubte zu wachsen. Ohne auch nur eine Sekunde zu Zögern trat sie hinaus.
Sie war auf alles gefasst, doch als sie zu den anderen trat musste sie erst ein zweites Mal hinsehen, bevor sie ihn erkannte. ‚ Was... was soll das denn?‘ Schoss es ihr durch den Kopf und sie blieb stehen.
DAS sollte ihr Bruder sein? Der, vor dem sie sich so viele Jahre gefürchtet hatte? ‚ Nein das... das muss eine Verwechslung sein... Das...‘
‚ Das ist sie?‘ er trat einen Schritt zurück und wäre am liebsten weggelaufen. DAS war seine kleine Avi? Seine Schwester? Er trat noch einen Schritt zurück. Er wollte hier raus Sie war so hübsch geworden. Und wegen ihm war sie gehindert ein normales Leben zu führen... Er hatte so etwas Schönes zerstört. ‚ Oh Gott... Bitte bring mich weg von hier. Ich sehe ihre‘
‚ Angst? Er hat Angst?‘ Sie starrte ihn ungläubig an. Wieso hatte er denn Angst?
Er war so anders. ‚ Mein Gott.‘ Früher... er glich Julien bis aufs kleinste Detail. Die strahlenden Augen, das volle Haar, eine kräftige Statur. Jetzt besaß er gar nichts mehr davon. Er war ja nur noch Haut und ein paar Knochen. Die Augen so trübe, es gruselte einem bei diesem Anblick. Auf dem Kopf zierten noch ein paar kurze Stoppeln den Schädel. Es war geradezu lachhaft. Seine Hose war zu groß, das sah man gleich. Sein Hemd verwaschen und dreckig. Die Arme widerlich entstellt.
Die anderen Personen im Raum blieben stumm stehen und ließen alles geschehen. Elena betrachtete ihren Sohn mit immer schwerer werdendem Herzen und laufenden Tränen. ‚ Mein Baby...‘ dachte sie im Stummen und schluchzte weiter. Obwohl ihr Sohn etwas so Schreckliches getan hatte, hatte sie ihn vermisst- auf jeden Fall ihren früheren Sohn, bevor das alles geschah. Sie hatte von den Selbstmordversuchen mitbekommen und sie hatte irgendwie geglaubt, das Quincy Rauschgift konsumiert hatte, als es geschah. Das Gericht glaubte ihm nicht, deswegen kam er ins Gefängnis. Sie betrachtete ihn ganz genau. Er sah aus wie eine wandelnde Leiche. So blass und mit so knochigen Armen. Das war ihr Junge. Ihr Quincy. Sie konnte ihm ansehen das er litt. Das konnte eine Mutter einfach sehen. Sie wollte auf ihn zugehen, doch sie verharrte. Auch Quincy warf nun ihr einen Blick zu. Seine Körperhaltung krümmte sich, er zwirbelte mit den Händen an seinem T-Shirt, sah so aus wie ein kleines Kind das sich vor seiner Mutter schämte und hoffte sie würde nicht all zu Sauer sein. Seine Augen flimmerten und als er zu weinen begann konnte Elena nicht mehr. Sie ging auf ihn zu und legte erst zaghaft ihre Hand auf seine Schulter, dann umarmte sie ihn.
„ Es tut mir leid Mama,“ sagte er ganz leise, sodass es die anderen kaum verstehen konnte und legte seine Arme um sie.
Julien betrachtete das Ganze mit großen Missfallen. Er konnte Quincy nicht verzeihen. Dafür hatte er viel zu viel zerstört. Zum Glück- so fand er- sah er nun nicht mehr so aus wie Quincy. Er legte den Arm um April. Sie sah verwirrt zu ihrer Mutter und ihrem Bruder und wusste nicht, was sie tun sollte. Irgendwie tat er ihr Leid, doch er war es schließlich, der ihr das angetan hatte.
„ Was halten sie davon, wenn wir alle Platz nehmen?“ fragte Pitt und die Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn. Er deutete auf die große Couch hinter ihnen.
„ Das ist schon einmal ein guter Anfang gewesen.“ Sagte er du nahm in einem Sessel Platz. Nur Julien und Herr Martins blieben stehen. Quincy setzte sich vorsichtig auf einen Stuhl gegenüber der Couch.
Was sie nun zu reden begannen, war für April nicht mehr wichtig. Sie hatte keine Lust zuzuhören. Sie kostete lieber den Erfolg aus. Den Erfolg, dass er nun Angst vor ihr hatte, dass es ihm schlecht ging, dass sie jetzt stark war und ihre Angst besiegt hatte. Und das würde ihr so schnell niemand mehr nehmen. Es war ein schönes Gefühl. Und sie glaubte, dass er wegrennen würde, würde sie auf ihn zukommen. Das waren gute Leute da in dem Gefängnis.
Dieses Gefühl hielt an, auch als sie wieder mit dem Fahrstuhl hinunter fuhren und auch als sie im Auto saßen und nach Hause fuhren.
Und da war es die erste Nacht seit ein paar Jahren, in der sie alleine in ihrem Zimmer schlief.