The Big Payback
Donnerstag elf Uhr vormittags. Ich stehe an der Supermarktkasse meines Lieblingsdiscounters und warte darauf, dass die Dame vor mir endlich dieses rote Kassendings hinter ihren Einkauf legt.
Dann beginnt es. Nicht der Zeitpunkt, um meine Ware auf das Band zu legen, nein, ein Duell beginnt. Genauer gesagt: Ein Blickduell. Natürlich nehme ich die Herausforderung an und starre zurück.
Keine Ahnung, ob das immer nur mir passiert, aber mittlerweile fühle ich mich verfolgt. Verfolgt von den großen Augenpaaren, die auf den verhältnismäßig kleinen Köpfen angebracht wurden. Starre Blicke. Durchdringende Augen. Egal ob sie mich aus Kinderwägen, an der Hand oder auf dem Arm ihrer Eltern verfolgen, das Duell nehme ich immer auf.
Ich habe das Gefühl diesmal kann ich es schaffen. Diesmal bringe ich den Jungen vor mir an der Kasse zum Lachen oder wenigstens zum Blinzeln, aber auch er scheint eine knallharte Nummer zu sein. Er hat seine Mutter an der Hand. Der Knirps geht mir nicht einmal bis zur Hüfte und doch spüre ich das sein Selbstvertrauen bis weit über den Supermarkt und dessen Parkplatz hinausragt. Vielleicht liegt das an seinem Trainer. Noch immer starren wir uns an. Vielleicht sollte ich nächstes mal auch meine Mutter mitbringen.
Ich starte meine erste Attacke: Ich lächle. Dabei ziehe ich die Mundwinkel langsam hoch und gleichmässig mit den Mundwinkeln weite ich meine Augen, dabei zeige ich nur leicht meine extra fein geputzten Zähne. Dieses Millionendollarlächeln habe ich in letzter Zeit zweimal täglich vor meinem Badezimmerspiegel geübt. Aber schon wird mein erster Angriff von dem Kind mit einem Kopfschütteln pariert. Harte Nuss.
Er holt auch direkt ohne Verschnaufpause zum Gegenschlag aus. Auch er macht große Augen, doch er zieht seine Mundwinkel nach unten. Oho. Ich weiß, dass wenn das Kind anfängt zu weinen und damit seinen Finishermove auspackt schon alles vorbei sein wird. Ist mir schon öfters passiert, aber das machen nur die Hinterlistigsten aller Knirpse. Ich versuche zu retten was noch zu retten ist und blase meine Backen auf und ziehe meine Ohren lang. Der Affe ist mein zweiter perfektionierter Trick und es klappt, denn der Junge hört sofort auf mit seinem Spiel. Aber immer noch kein Lächeln. Noch nicht mal ein Blinzeln.
Wir starren uns weiter an, während ich mechanisch meinen Einkaufskorb achtlos über das Band verteile. Es gibt einfach im Moment wichtigeres für mich als darauf zu achten Eier und Buttermilch vorsichtig aufs Band zu legen.
Plötzlich entsteht eine völlig neue Situation. Der Junge hebt seine Arme und die Mutter reagiert sofort. Sie nimmt ihn hoch und schon ist er mit mir auf Augenhöhe. Perplex über diese neue Kampfsituation, bin ich ganz starr vor Schreck. Doch der Junge schaut mir immer noch tief in die Augen und holt aus. Ich wurde bei meinen Duellen noch nie so überrascht, wie von diesem kleinen Mann. Mit weit geöffnetem Mund prustet mir der Kleine eine Rotzfahne mit einem lauten „Haaaaatschi’’ entgegen, welche sofort ihr Ziel in meinem Gesicht findet. Jeder Fussballspieler der schon einmal sich nasal auf dem Platz erleichtert hat, wäre stolz auf dieses kleine Lama.
Verloren. Ich habe die Augen zu gemacht. Ich konnte nicht anders, denn das war sogar für mich zu viel. Mit meinem Ärmel schmier ich mir den Glibber aus dem Gesicht und bekomme vom Rest der Schlange nur mitleidige Blicke. Währenddessen macht sich der Junge aus dem Staub und die Mutter, die die ganze Sache natürlich noch peinlicher berührt hatte, ebenfalls.
Paybackpunkte? Nein, danke.