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The Collector

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26.02.2004
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The Collector

„Ich kann mir auch nicht genau erklären, warum ich damit begonnen habe, was ich damit zu bezwecken suchte, welches Drängen mich bestrebte. In meiner Kindheit war ich nichts Besonderes, ich kam mir zumindest nicht so vor. Ich war glatter Durchschnitt, ich schwamm durch die Menge, unerkannt und unbemerkt – so, wie ich es wollte. Es störte mich nicht.

Wenn ich eine hübsche Frau sah, die von Männern umringt war, nahm ich sie wohl zur Kenntnis, schenkte ihr bewundernde Blicke und hin und wieder wünschte ich, so zu sein, wie sie. Aber ich war noch jung und darüber sollte man sich als Kind nun wirklich keine Gedanken machen.

Ich wurde älter, ich wurde größer, reifer und hübscher. Ich wurde sogar richtig schön. Ich sah mein Gesicht in einem Spiegel, wenn auch nur zufällig und lächelte. Ja, ich mochte, was ich sah. Und irgendwann wurde ich eine dieser Frauen, die ich oft heimlich beobachtet hatte.

Plötzlich war es „normal“ für mich, von Männern und ihren Blicken umringt zu sein, umschwärmt, geliebt, bewundert und von vielen Frauen auch gehasst. Es tat mir selbst so gut, ich begann das Gefühl zu lieben, es auszukosten, ich lebte es – es wurde ein Teil von mir und vervollständigte mich.

Und dann, ohne darüber nachzudenken, wurde ich ein Collector. Nicht zu sagen, dass ich keine Hobbies hatte oder habe, nein, das ist ganz sicher nicht wahr. Ich mache viele Dinge wirklich gerne. Ich liebe die Natur, Sport, Menschen, Kultur. Ich liebe die Welt, ich liebe es, mich zu unterhalten, egal mit wem. Egal, ob es nun ein Obdachloser auf der Straße ist, das Mädchen von der Trafik, ein Mann, der mit mir zusammen am Zebrastreifen auf das Grünwerden der Ampel wartet, ein Gefängniswärter oder der Briefträger – egal mit wem, ich rede. Manchmal wie ein Wasserfall.

Ich werde jetzt nicht so weit gehen und sagen, dass ich Seelen sammle. Nein, meine Lieben, das wäre doch wohl sehr stark übertrieben. Ich sammle Menschen. Ja, ich weiß, was ihr jetzt von mir denkt. Ihr denkt, ich bin verrückt – aber lasst mich zu Ende sprechen und fällt dann euer Urteil über mich.

Beziehungen – ja, jeder kennt Beziehungen. Ich habe ziemlich früh begonnen, mich darin zu üben. Es ist eine Kunst, wie die Kriegs- oder Kampfkunst. Wenn du die richtigen Waffen in den Händen hältst, dann musst du nur noch lernen, sie richtig zu führen. Und ich übte und übte, bis ich ein Meister wurde. Was? Wie viele Beziehungen ich hatte? Schätzchen, das sind unzählige, aber darauf kommt es ja auch nicht an. Wie ich die Männer kennen lernte? Ja, das ist schon viel interessanter.

Ich sitze also in einem kleinen Café in der City und beobachte. Ich beobachte Männer und Frauen, wie sie sich zueinander verhalten, ihre Gestik und Mimik, wie sie ihre Zuneigung ausdrücken und ich wähle. Ja, ich habe jeden meiner Männer gründlich ausgewählt. Ich habe regelrechte Mistkerle gewählt, Traummänner aber auch die Durchschnittlichen. Von jedem habe ich gelernt. Ihr findet das krank? Ich baue nur für die Zukunft vor, denn wenn ich so früh wie möglich lerne, mit Höhen und Tiefen, mit Rückschlägen und Erfolgen umzugehen, dann kann mich später nichts mehr aufhalten. Ich werde eine Göttin sein, ich werde mir einen Tempel bauen lassen, ich werde sie beten lassen.

Ich begann also zu sammeln. Ich sammelte Männer, wie andere Briefmarken oder Schmetterlinge, Münzen oder Bilder. Ob ich sie umgebracht habe? Meine Güte, wer würde denn so weit gehen und die Männer, die er liebt, umbringen? Ihr versteht mich wohl nicht recht! Ich habe ihre Herzen gesammelt. Zu Beginn war es doch kompliziert, ich habe nicht immer gleich den wunden Punkt eines Mannes gefunden oder seine „Spezialität“. Nein, ich meine nicht im Bett – jeder Mann hat etwas Spezielles an sich, das man zu fördern oder zu ignorieren weiß, je nachdem, was man mit ihm vorhat. Ich habe sie nicht unter Drogen gesetzt!

Ich habe sie gefördert. Jeden Mann auf eine andere Art und Weise. Ich war Geliebte, Ehefrau, Freundin und Vertraute. Ich war Domina oder Hausfrau, Schulmädchen oder Anwältin. Ich war alles, was sich mein Mann von mir erwartete und wenn er mir dann verfallen war, wenn ich wusste, er liebt mich wirklich, aus dem tiefsten Grunde seines Herzens, dann hatte ich ihn. Die Achillesferse eines jeden Mannes sind seine Gefühle. Sie können sie nicht kontrollieren, sind schlechte Schauspieler und werden zu Welpen, wenn man sie nur richtig anpackt. Ja, das werden sie tatsächlich. Ob ich das nicht grausam finde?

Ich vergleiche es gerne mit einer Sozialstudie. Manche studieren Politik, Biologie, Medizin oder Kunst. Ich studiere Männer. Ob ich ein launischer Mensch bin? Ich bin ein verdammter Vulkan! Hin und wieder überrascht es mich doch, dass es so viele mit mir ausgehalten haben, aber wie gesagt, ich habe meine Hausaufgaben gemacht.

Zurück zu meinem Studium. Irgendwann habe ich dann bemerkt, dass mir jeder etwas von sich geben kann, etwas das ich brauche. Nein, kein Geld! Ihr denkt zu linear, zu seicht. Ich meine ein Stück Erfahrung. Genau das, was einen Menschen als solchen ausmacht. Es ist wundervoll, wie eine Droge, die dich auf Schwingen zum Himmel bringt. Es ist eine Sucht, die dich alles andere vergessen lässt, ein Gefühl, das du Tag und Nacht brauchst – für deinen Körper und deine Seele – es ist ein Gift. Ob es Macht ist?

Ja, Macht ist einer von vielen Faktoren. Es ist eine Gewissheit, einen Menschen in der Hand zu haben, jeden seiner Schritte kontrollieren zu können, zu wissen, was man sagen muss, damit man bekommt, was man will, was man braucht, erwartet und vor allem verdient! Ich habe so viel Scheiß über mich ergehen lassen, nein, ihr versteht nicht, ich hatte das Recht dazu, es zu tun! Ihr wisst nicht, was das für ein Gefühl ist, einmal so verletzt zu werden, dass dir die Seele brennt, alles in dir nach Rache schreit und dein Blut zu kochen beginnt. Ja, es ist mein verdammtes Recht gewesen! Jeden Tag werden so viele Frauen unterdrückt, wie Dreck behandelt, vergewaltigt oder geschlagen. Psychisch gequält, verletzt, gefangen gehalten oder umgebracht! Ich habe nur….

Vergewaltigung? Ob das etwas damit zu tun hat? Ja, du Klugscheißer. Du sitzt hier mit deinem selbstzufriedenen, hämischen Grinsen und glaubst, hier Gott spielen zu können! Ja, du hast vielleicht Jus studiert und sitzt hier, fett von Völlerei, Gefräßigkeit – du verkörperst alle Sünden dieser Welt und glaubst, über mich richten zu können! Deine Frau sitzt zu Hause und heult sich ihre Augen aus dem Kopf, weil du sie nicht beachtest, lieber zu Huren rennst und Krankheiten verbreitest. Weil du deine Kinder schlägst und nichts als deine Arbeit im Kopf hast, du widerst mich an! Verflucht, ich bin vergewaltigt worden und habe mir geschworen, mich an der Welt zu rächen, schlimmer, als ihr es euch jemals vorstellen könnt! Ihr glaubt, ihr habt mich jetzt? Ihr glaubt, ich habe mich verraten? Was soll ich verraten haben? Ja, ich war mit allen 34 Männern zusammen und alle haben sich umgebracht! Und? Ich habe sie nicht dazu überredet, ich habe ihnen nichts getan, ich habe sie nur behandelt, wie Götter, ihnen die Füße geküsst und sie glücklich gemacht. Und als sie schwach wurden, viel zu schwach für mich, da habe ich sie getreten und sie gequält, sie beschimpft und sie fertig gemacht, wie diese feigen Schweine es verdient hatten. Ich bin ein Collector und es gibt niemanden auf der Welt, der sich nicht sammeln lässt, nichts und niemanden. Ich habe nur den ersten Schritt gemacht, aber es werden weitere folgen. Ihr könnt mich auf einem Scheiterhaufen verbrennen, mich ein Leben lang wegsperren, mich auf dem elektrischen Stuhl festbinden oder mir eine Giftspritze geben. Aber ich schwöre euch, ich bin nicht allein. Ich schwöre, da draußen gibt es noch Tausende wie mich, die sich langsam an die Herrschaft drängen. Ihr werdet es nicht merken, ihr werdet es erst sehen, wenn ihr selbst im 8. Stockwerk eines Hochhauses steht und euch aus blinder Wut und Liebe, in einem Moment, in dem ihr euch nach dieser Frau verzehrt, in die Welt dort hinunterstürzt. Sie wird hinter euch stehen und das sagen, was ich immer gesagt habe, verdammte 34 Mal!

Wenn du mich wirklich liebst, dann stirbst du auch für mich…“

 

Für den Kritikerkreis geschrieben von Woltochinon

Betrachtungen zu paul johnson,

The Collector


„Was machen wir denn nun mit der Patientin?“, überlegte die Ärztin.
Dr. Wenda N. Kritiæ studierte verärgert die Untersuchungspapiere. Da haben wir eine selbstgefällige Frau, die sich als >richtig schön< beschreibt. Sie wird >von vielen Frauen auch gehasst<, doch das stört sie überhaupt nicht, gibt ihr nicht zu denken. Sie steigert sich in eine Rächer-Rolle hinein, rechtfertigt sich durch die von ihr beobachtete Unterdrückung der Frauen. Sie hasst, dass diese >wie Dreck behandelt< werden.
Die Ärztin schaltete das Diktiergerät ein: 27.10. 2004, Nachtrag zum Ergebnis der Voruntersuchung nach eingehender mentaler Begutachtung der Patientin.
Stabile Persönlichkeit, Abhängigkeit von Dominanzverhalten. Eine Neurose ist nicht feststellbar, ihr abnormes Verhalten scheint aus dem Nichts entstanden zu sein, wird rückwirkend sanktioniert. Die Anfänge ihrer Motivation für die beschriebenen Taten bleiben bislang ungeklärt.
Unglaubhaft ist ihre angebliche Fähigkeit, Männer ausnahmslos zum Selbstmord treiben zu können (wenn sie nur ein Jahr für die Persönlichkeitsalteration der Männer benötigt, gibt es ein zeitliches Problem). Auch ihr selbstgefälliger Vergleich mit einer >Göttin< lässt Zweifel über die Wahrheit ihrer Aussagen aufkommen. Dies wird unterstützt durch ihre Rezeption es gäbe eine Art `Rächer-Bewegung´: >Ich schwöre, da draußen gibt es noch Tausende wie mich, die sich langsam an die Herrschaft drängen.<
Leichte Anzeichen von Selbstzweifel erscheinen nur temporär, sehr begrenzt (s. Zitate), eher als vorgetäuschtes Hinterfragen der Lebensweise, die zu einer Art Psychopathie führt.
Zitate:
>Hin und wieder überrascht es mich doch, dass es so viele mit mir ausgehalten haben.<
>Es ist eine Sucht, die dich alles andere vergessen lässt, ein Gefühl, das du Tag und Nacht brauchst – für deinen Körper und deine Seele – es ist ein Gift.<
Da die Selbstherrlichkeit schwelgende Frau gewissermaßen aus einer unanfechtbaren Position heraus operiert (s. Zitate), ist die Prognose einer Verhaltensänderung selbst bei intensiver psychiatrischer Betreuung schwer zu bewerkstelligen.
Zitate:
>Es ist eine Gewissheit, einen Menschen in der Hand zu haben, jeden seiner Schritte kontrollieren zu können, zu wissen, was man sagen muss, damit man bekommt, was man will, was man braucht, erwartet und vor allem verdient!<
Um diese Kontrolle zu erreichen, begibt sich die >Göttin< gewissermaßen in die Niederungen des armseligen männlich-menschlichen Daseins:
>Ich war Geliebte, Ehefrau, Freundin und Vertraute. Ich war Domina oder Hausfrau, Schulmädchen oder Anwältin ...<
Als vorläufige Maßnahme wird folgende Medikamentengabe empfohlen ... ... ...

Frau Dr. Wenda N. Kritiæ wusste, dass sie noch gerne einen bestimmten Gesichtspunkt analysiert hätte. Was hatte sie vorhin gestört? Ach ja, die Männer. Waren die wirklich so einfach `konstruiert´, konnte man einfach so an ihren `Stellschrauben´ drehen, um sie in ihren Untergang zu führen? Die Patientin gibt sich ja schon Mühe, ihre Kompetenz glaubhaft darzustellen. Aber Abhängigkeit bis zum Selbstmord? Eine gewisse suggestive Kraft kann man dieser von der Patientin immer wieder geäußerten Aufforderung nicht absprechen: >Wenn du mich wirklich liebst, dann stirbst du auch für mich…<. Doch eigentlich geht es doch hier nicht um ein den Beschützerinstinkt ansprechendes >für mich< sondern eher um ein abschreckendes `wegen mir´. Wer ist es wert, dass man für ihn stürbe, ohne altruistisches Motiv, ist ein Abhängigkeitsmodus vorstellbar der...
Das Telefon klingelte.
„Dr. Kritiæ, hallo.“
„Hallo Wenda, ich bin´s, Clark. Hab mein neues Kabriolett endlich bekommen, wie wär´s mit einer kleinen Spritztour heute abend?“
„Äh ... ach weißt du, lieber nicht.“ Die Ärztin hatte keine Lust mit einem Mann unterwegs zu sein, dessen offensichtliches Anliegen darin bestand, ihr, wenn immer es möglich war, ins Dekolletee zu starren. „Ich habe noch sooo viele Berichte zu tippen, will auch noch im Kurzgeschichten-Forum etwas schreiben.“ „Ja, du und dein Hobby, na, vielleicht ein anderes Mal.“ „Vielleicht, tschüß!“
Natürlich war Clark sauer, das war deutlich zu hören gewesen - ach was, wenn schon! Hmm ... er dachte wirklich, der Sportwagen zieht bei mir. Es gibt sicher genug Frauen, die auf so etwas abfahren - und natürlich auch mit so etwas - ... hmm also doch nicht nur die Männer...?


Hallo Paul,

soweit zum Inhaltshintergrund Deines Textes.
Anzumerken wäre noch (ich will es kurz machen), dass es keinen offensichtlichen Grund für eine englische Überschrift gibt.
Vor dem Schlusssatz fände ich einen Doppelpunkt passender als ein Ausrufezeichen.
„Hobbies“ kann man ruhig wie ein deutsches Wort in den Plural setzen, es handelt sich schließlich um ein eingedeutschtes Wort.
Die direkte Ansprache des Lesers muss immer mit Bedacht gewählt werden, im vorliegendem Fall halte ich sie für ein passendes Stilmittel, die Darstellung der Aggressivität der Protagonistin wird dadurch verstärkt, vielleicht auch die Reflektion über eigenes Tun.

Tschüß... Woltochinon

 

Diese Geschichte wurde im Kritikerkreis vorgestellt.
Wir würden uns über weitere Anmerkungen zu diesem Text freuen.

Das Kritikerteam.

 

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