The Harder They Come...
Die Bäder-Allee erstreckte sich ruhig in einem verregnetem Sonntagnachmittag, als ein grüner Bus einbog, um gemütlich die baumumrahmte Strasse entlangzufahren. Längs der Tür entlang prangte aufdringlich ein kunterbunt ausgemalter Slogan: "Der dumme August - Miete mich: 0173/234859".
Der Fahrer, gleichzeitig auch eigener Chef und Angestellter in einem, hatte sich schon in Schale geworfen und ihm fehlte nur noch seine rote Perücke, die neben ihm zerknautscht auf dem Beifahrersitz lag, in dessen Mulde ein ebenso zerknautschtes Softpack Marlboro lagerte. Der dumme August streckte seine zittrigen Finger aus, und steckte sich, ohne von der Strasse abzusehen, in meditativer Ruhe eine Zigarette an.
Ein Kindergeburtstag war angesagt. Neun von zehn Aufträgen waren Kindergeburtstage. Einer von zehn war eine etwas gehobenere Gesellschaft, die den dummen August als Gag einsetzten, wie ein extra unpassendes Geschenk zum Geburtstag, ein humorvoller Witz, der entweder von großer Freundschaft oder genau dem Gegenteil zeugt. Diese Veranstaltungen waren die reinste Demütigung. Der Auftritt von sich aus war schon zum Scheitern verurteilt, warteten doch alle Anwesenden nur auf einen Patzer, eine verirrte Kugel beim Jonglieren, die im besten Fall ein Teil des Buffets vom Tisch befreite, oder gar die Suppe über ein paar Gäste vergoss.
Kinder waren dem dummen August schon lieber. Aber besser nicht zu alt, da ab einem gewissen Zeitpunkt zynische Eigenschaften, besonders unter Jungs, hervortraten. Die allseits bekannte Zeichnung einer Rotznase, die dem Weihnachtsmann den falschen Bart vom Kinn zog.
Der dumme August fuhr nicht schnell, sondern rollte gemütlich die lange Strasse entlang, während die Regentropfen stumpf auf die Windschutzscheibe prasselten. Es war mehr ein ruhiges Nieseln, weswegen der Clown sich nicht um die Scheibenwischer bemühte, deren eklig schmieriges Geräusch er nicht ausstehen konnte. Leise, wie aus dem Hintergrund, dudelte das Radio vor sich hin, The Man in Me von Bob Dylan.
Beiläufig wagte er einen Blick in den Rückspiegel, um sein geschminktes Gesicht zu überprüfen. Das Gesicht war fast komplett mit weißer Schminke überdeckt, dabei kaschierte die Farbe leider nicht komplett seinen drei Tage Bart, sondern brachte unregelmäßig schwarze Stoppeln zum Vorschein. Mist, dachte der Clown als er seine Nase betrachtete. Er muss sich wohl unbewusst gekratzt haben, denn der obligatorisch runde Nasenpunkt lag verwischt über einen Teil des Gesichts. Das sah mehr nach einer blutigen Nase aus, als ein Anzeichen für Lustig-Sein. Seine tiefen und schwarzen Augenränder wollten sich partout nicht unter der Maskerade verstecken, wobei sich der Clown jetzt mehr wie das Klischee-Bild eines Serienkillers vorkam. Scheiß drauf, die Eltern des Geburtstagskindes hatten lange versucht über den Preis zu verhandeln, und der dumme August hatte sich mehr aus Langweile am Gespräch, als aus Geschäftstüchtigkeit, um den Preis senken lassen. Sollen sie doch mal sehen, was sie für ihr Billig-Produkt bekommen.
Die Kippe brannte an Zeige- und Mittelfinger, ein Anzeichen dafür, dass nun das Maximale aus der Zigarette herausgezogen war. Also kurbelte der Clown kurz das Fenster herunter, schnippste die Kippe elegant gegen einen parkenden Mercedes, und steckte sich umgehend eine neue an. Moment...da müsste doch noch. Mit gelegentlich schnellen Blicken auf die Strasse, kruschte der dumme August unter seinem Sitz zwischen leeren Bierflaschen, zerknüllten Werbeprospekten und leeren McDonalds-Tüten, eine kleine Flasche Jägermeister hervor. Argwöhnisch betrachtete er ihren Inhalt, denn sie war schonmal geöffnet worden, und er wollte sicher gehen, dass sich keine Kippe in den Rest an Schnapps verirrt hatte. Gut, rein. Er kippte sich das Schlückchen auf einmal in die Kehle, was sofort ein beruhigend warmes Gefühl in seinem Rachen auslöste. Die leere Flasche landete mit einem hellen Klirren wieder an ihrem Ursprungsort.
The Harder They Come ertönte nun aus dem Radio. August drehte routiniert einen Tick lauter, um sich in die richtige Stimmung zu bringen. Er überlegte, ob er vielleicht noch an einer Tankstelle ein Päckchen Kaugummis erstehen sollte, um den Geruch von Alkohol zu verdecken. Scheiß drauf...scheiß drauf, scheiß drauf, scheiß drauf. Zu wenig bezahlt. Spontan stellte sich nun eine gute Laune beim dummen August ein, über dessen Grund er sich nicht eindeutig bewusst war. Cause as sure as the sun will shine / I'm gonna get my share now what's mine, sang der Clown spontan und ziemlich euphorisch mit. Er schlug dabei mit der Faust gegen das Dach des Busses, um seine Aussage zu untermauern.
Die gute Laune zerbrach allerdings wieder in enttäuschte Scherben, als er seinen Zielort erblicken konnte. Der Vater des Kindes stand vor der Haustür und signalisierte mit seinem gezückten Handy das Ärgerniss über die Verspätung. Der Clown guckte auf die analoge Uhr auf seinem Armaturenbrett und bemerkte die 30 Minuten Verzug. Pünktlichkeits-Faschist, dachte sich der dumme August und setzte sich lieblos mit einem Handgriff die Perücke auf. Sie hing schief, aber zu wenig bezahlt.
Er parkte den Bus etwas unglücklich schräg auf dem Bordstein und betrachtete sich das Haus seiner vorläufigen Bestimmung.
Mittelstands-Bonzen. Zwei Etagen, ein mit Holz umzäunter Vorgarten, Ranken schmückten die Hauswand. Direkt nebendran eine kleine Garage, dessen Tor kindlich bemalt wurde, wohl aus dem Grund, die Nachbarn auf das Vorhandensein eines Nachwuchses aufmerksam zu machen.
Er schaltete das Radio aus, zog den Schlüssel, und bemühte sich um umständlich aus dem Bus heraus. Er war nicht dick, sondern konnte nur einen kleinen Bierbauch präsentieren, auf den er ohne Scham schon ein wenig stolz war. Schwangere brüsten sich doch auch mit ihrer Rundung, warum sollte er das nicht dürfen?
Mit diesen Gedanken drückte er das Schließknöpchen seines Busses herunter (er hasste Zentralverriegelungen) und knallte einen Tick zu laut die Tür zu.
"Hatten wir sie bestellt?", fragte der Herr des Hauses mit einem vorwurfsvollem Ton nach.
"Ist das eine Fangfrage?", entgegnete der dumme August, wobei er eigentlich lieber ein knappes Mund zu geantwortet hätte.
"Naja, die Kinder warten schon." Sehr gut, der Meister hatte schon den Schwanz eingezogen, das wird ein leichtes Spiel, dachte sich der Clown.
Meister Vater begleitete ihn durch die Haustür ("Schuhe aus...hm...SIE TRAGEN JA GAR KEINE CLOWNS-SCHUHE!"), und führte ihn durch den Hausflur bis zum hinteren Garten, indem sie einen Pavillon aufgestellt hatten ("Und falls es regnet?"). Der dumme August zog sich nach seinem kurzzeitigen Socken-Intermezzo wieder die Schuhe an, und sondierte erstmal die Lage. Die Geburtstags-Party beherbergte die Eltern des Kindes, und eine handvoll Freunde des kleinen Rackers, wobei er das Alter der Kinder zwischen 7 und 10 Jahren schätzte. Die Mutter war gerade dabei ihrem Kind die Freude über die Geschenke zu bestärken, indem sie jedes Present mit Sätzen wie "Oh wie toll!" kommentierte. Der Racker sah nicht gerade wie ein Kind von Traurigkeit aus, und kleine Pausbacken zierten das rundliche Gesicht.
Es hatte aufgehört zu Nieseln und die Sonne trat hinter den Wolken hervor, was den Garten in ein warmes Licht tauchte. Juhu, der deutsche Vorgarten-Traum, dachte sich der dumme August und überlegte, mit welchen großartigen Tricks er anfangen sollte. Zu seinem Repertoire gehörte Jonglieren (allerdings nur mit 3 Bällen), verblüffende Kartentricks (2 an der Zahl) und eine Hinfall-Nummer: Sein absoluter Trumpf. Gelernte Clowns machen das ohne sich weh zu tun, aber der dumme Augist war dafür zu ungeschickt, störte sich aber nicht allzu sehr an den temporären Schmerzen. Und er hatte damit seinen Konkurrenten gegenüber einen entscheidenden Vorteil: Es sah einfach realer aus!
Er hatte sich schon oft seine Neider vorgestellt, die sich mit dem Wie macht er das bloß? beschäftigten, und Zuhause, wo sie keiner sehen konnte, im Akkord auf die Schnauze fielen. Sie würden nie dahinter kommen, sie verfolgten den falschen Ansatz.
Er lehnte ausführliche Ankündigungen prinzipiell ab, und rechnete mit der Spontanität seiner Kunden. Also stellte sich der dumme August mit einem kleinem Abstand zum Pavillion auf, und fing an mit seinen 3 Bällen zu jonglieren. Das registriete als erstes die anscheinend doch nicht so spontane Mutter.
"Ähm...Kinder! Der Clown hat schon angefangen, guckt mal!"
Die Kinder schauten sich für einen Moment recht desinteressiert das drei Ball Spektakel an, und widmeten sich dann wieder den Geschenken des Geburtstagskindes. Wer sollte es ihnen verübeln, dachte sich der Clown, schließlich konkurrieren hier drei Bälle gegen ein Arsenal elektrischer Spielzeug-Geräte, die laute TATÜ-TATA's von sich gaben, wenn man einen bestimmten Knopf drückte.
Die Mutter betrachtete kritisch die Performance von August, bis sie schließlich mürrisch bemerkte:
"Geht das nicht mit mehr Bällen?"
"Na klar geht das, ist aber höllisch schwer.", entgegnete der dumme August und probierte ein kleines Lächeln hervorzubringen, um die Antwort nicht allzu sarkastisch zurückzulassen. Die Mutter blickte befremdet auf einen Punkt in August's Gesicht. Jaah, das sind Raucherzähne, jahrelange Arbeit. Da guckst du, was?
Weil der erste Unterhaltungsanschlag nicht so zünden wollte, beschloss August nun zu den Kartentricks überzugehen. Besonders bedeutsam fächerte er seine Karten zu einem runden Fächer. Die Kinder zeigten Interesse und umringten den Clown. Yeah, Spontanität, Baby, ihr habt's drauf!
"Du, Geburtstagskind...", wollte August ansetzen, wurde aber von der Mutter unterbrochen:
"Sein Name ist Peter...", sie ungehobelter Penner, wollte sie wahrscheinlich hinzufügen.
Nochmal von vorne: "...Peterchen..."
"Peter! Mein Name ist Peter!", antwortete die Rotznase, und seine Kumpanen fingen an zu kichern. Shit, ein Rebell, dachte sich August, und nahm sich vor, mit mehr Vorsicht zu agieren. Das ganze ist ein heikles Spiel, wenn man mal die Kontrolle verloren hat, hüpfen einem die Bälger auf der Nase herum, und dann hat man das Spiel verloren. Worst Case.
"Peter...such' dir eine Karte aus, aber zeig' sie mir nicht. Präg' sie dir gut ein, und dann steckst du sie wieder hier in den Fächer zurück."
Als würde seine Zukunft davon abhängen, dachte der kleine Peter erstmal eine Weile nach. Spannungsgeladen legte er sich den Zeigefinger auf sein Kinn, um die Konzentration zu steigern. Keine einfache Angelegenheit, die ultimative Karte zu finden. Der dumme August wurde ungeduldig.
Verdammt "Jetzt nimm schon endlich eine..." beschissene "...Karte, der Trick funktioniert mit allen, kannst du mir glauben!"
Trotzig nahm sich Peter eine Karte, und der Clown probierte den entrüsteten Blick der Mutter zu meiden.
Schnell nahm sich August wieder die Karte zurück, um den Vorgang zu beschleunigen. Er spickte aber nicht, das würde gegen den Ehrenkodex der Kartenkunst verstossen, sondern mischte die Karten scheinbar wild durcheinander. Die unterste Karte blieb an ihrem Platz, und als er den Stapel mit der Rückseite präsentierte, sah er sich Peter's Wahl an: Herz Bube. Okay. Jetzt kommt die geheimnisvolle Nummer.
"Ich werde nun mittels meiner telepathischen Fähigkeiten deine gewählte Karte ausfindig machen!"
Die Kinder machten große Augen.
Peter: "Was ist telepathisch?"
"Das heisst, ich kann deine Gedanken lesen!"
"Was denke ich gerade?"
Scheiße. Der kleine Racker ist nicht auf den Kopf gefallen.
"Bleiben wir bei den Karten, Peter."
Die Mutter lächelte kurz, cool, die Situation scheint sich zu entspannen.
"Deine gesuchte Karte ist...HERZ BUBE!!!", verkündete der dumme August feierlich.
"Nö...", entgegnete der kleine Peter nüchtern, und konnte dabei einen triumphierenden Unterton nicht verbergen.
Verdammt. Verarscht mich der kleine? Hab' ich beim Mischen die Karte erwischt? August musste überlegen, ob Peter derart verschlagen war, um einen Clown auf seiner Geburtstagsparty auffliegen zu lassen. Das gewinnende Grinsen in Peters Gesicht bestätigte diese Annahme. Um aus der heiklen Situation zu entfliehen, beschloss der dumme August seinen Trumpf auszuspielen: Free Fall: Voll auf die Schnauze.
Er drehte sich um die eigene Achse und simulierte einen über-die-eigenen-Füße-Stolperer, hatte die Rechnung aber ohne den Grill gemacht, den wohl der Vater während seiner zirkusreifen Performance aufgebaut hatte. Schützend warf er seine Hand gegen den kommenden Grill, verbrannte sich die Hand, und nahm den Grill mit zu Boden. Die Kohle breitete sich über seinem Gesicht aus, von deren er sich unter Schmerzensschreien schnell befreite, und betrachtete mit Tränen im Gesicht das Grillmuster auf seiner Handfläche.
Die Kinder waren schockiert, ein kleines Mädchen fing an zu weinen, der Vater kam mit einem Eimer Wasser aus dem Haus gelaufen, den er wie als Zugabe über den dummen August schüttete.
"Mein Gott..." stammelte die Mutter.
"Verlassen sie umgehend unser Haus...sie...sie...betrunkener Dilettant!" schrie der Vater empört.
Ohne sich groß um seine Brandwunden und Schmerzen zu kümmern, marschierte August schnellen Schrittes zu seinem Bus. Jede Sekunde Anwesenheit mehr, hätte den Peinlichkeitsfaktor exponenziert. Wer weiß, dachte sich August, am Ende rufen sie noch die Polizei.
Gepeinigt startete er sein Gefährt, und das Radio erklang:
I can see clearly now, the rain is gone,
I can see all obstacles in my way
Gone are the dark clouds that had me blind
It’s gonna be a bright (bright), bright (bright)
Sun-Shiny day.
Mit einem erheitertem Grinsen im Gesicht schlug er zur Bestätigung gegen das Dach, und machte sich auf den Heimweg, durch die Allee, an den Bäumen vorbei. Sein letzter Gedanke zu diesem Vorfall galt seinen Konkurrenten, die er schon zuhause mit einem Grill vor sich sah. Falscher Ansatz, Jungs.