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The Show MUST go on

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24.06.2007
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The Show MUST go on

Noch eine Stunde. Er schloss die Tür hinter sich und blickte in den Raum, der vor ihm lag. Alles war in Dämmerlicht getaucht, ein Sessel stand in einer Ecke, neben einem Tisch mit Häppchen und Getränken. Die spärliche Einrichtung wirkte fehl am Platz, denn die Betonwände strahlten unheimliche Kühle aus, die jedes Gefühl eines ruhigen Abends vor dem heimischen Kamin – sollte es überhaupt aufgekommen sein – sofort wieder zunichte machte.
Er trug schwere Lederstiefel, und als er sich zum Sessel hin bewegte, hallten seine Schritte in der Stille. Klack, klack, klack. Es waren bedächtige, zögernde Schritte, und hätte sie jemand gehört, er hätte wohl vermutet, dass sie von jemandem stammen, der einen besonders schweren Weg vor sich hat.
Neben dem Sessel stand eine Gitarre – eine Fender Stratocaster – die eindeutige Spielspuren trug, nur die Saiten glänzten neu im fahlen Licht, dass eine Neonlampe ander Decke spendete. Er schenkte ihr wenig Beachtung, denn er wusste er würde an diesem Abend noch genug Zeit mit ihr verbringen, ob er nun wollte oder nicht. Früher hatte er vor den Auftritten immer gespielt, aber mittlerweile fühlten sich seine Finger so kraftlos an, er spürte von Zeit zu Zeit eine Taubheit, die seinen ganzen Körper befiel. Und seine Seele.
Er ließ sich in den Sessel fallen, er war schwerer geworden in den letzten Jahren. Er hatte aufgehört, auf sich zu achten.

Noch fünfzig Minuten. Er griff nach dem kleinen Tablett auf den Tisch neben sich und ließ eines der Brote in seinem Mund verschwinden. Es schmeckte pampig, jedenfalls empfand er es so, und er probierte ein weiteres, nur um angewidert festzustellen, dass es genau denselben Geschmack trug. Er öffnete eine Cola, obwohl er lieber Bier getrunken hätte. Er wusste aber, dass er sich keinen Rückfall in die Alkoholsucht erlauben konnte. Und so saß er, und kaute, und dachte nach.

Noch vierzig Minuten. Sein Blick fiel auf seine Hände, denn er war ein neues, kompliziertes Stück noch einmal in Kopf durchgegangen. Sie waren faltig, verhornt, und was ihm am schlimmsten erschien, sie waren alt. Kleine braune Flecken auf dem Handrücken und hervortretende Adern, und er wunderte sich, dass er sich darüber noch nie Gedanken gemacht hatte. Er trug viele Ringe an den Fingern, Modeschmuck, ein Ehering war nicht dabei. Er hatte eine Frau gehabt, doch sie war nicht die einzige gewesen, mit der er das Bett geteilt hatte. Und sie hatte das herausbekommen. „Junge Mädchen“ hatte er versucht ihr zu erklären „ und alle wollen nichts lieber als mit dir zu schlafen. Sie sind – höchstens Mitte zwanzig gewesen, und sie waren so…“ Seine Frau hatte ihn derart heftig geohrfeigt, dass er kleine Sterne gesehen hatte, als er die Augen schloss, alte Bekannte aus anderen Schock- und Rauschzuständen. Die Scheidung hatte ihn die Hälfte seines Vermögens gekostet, und obgleich er danach immer noch unanständig viel Geld besaß, brachte er es nie mehr fertig, sein Leben so zu genießen wie mit seiner Frau. Sie fehlte ihm. Zugegeben hätte er das natürlich nie, er scherzte lieber mit den Journalisten, anstatt über Privates zu sprechen.

Noch dreißig Minuten. Er rieb sich die Augen. Diese verdammte Müdigkeit, diese gottverdammte Erschöpfung. Er hasste sie, und noch mehr hasste er dass er keinen Weg fand sie zu bekämpfen. In seinem letzten Urlaub hatte er einen Herzinfarkt bekommen, als man ihn gebeten hatte, auf der Hotelbühne zu spielen, also war er nicht mehr verreist. Er verbrachte seiner Ansicht nach ohnehin genug Zeit auf der Strasse, die Meilen verbrannten unter den Rädern seines Busses. Und er verbrannte innerlich, nein, er brannte aus. Er löste sich auf, das spürte er. Wurde transparent. Noch einmal rieb er sich die Augen. Er gestand sich ein, dass er gerne Drogen genommen hätte, doch er wusste dass keiner sie ihm besorgen würde – viele wurden bezahlt, um auf ihn Acht zu geben und ihm vorzulügen, sie machten sich Sorgen. Das ließ ihn unwillkürlich an falsche Freunde denken, die er in seinem Leben gesammelt hatte wie andere Briefmarken. Er konnte Menschen schlecht einschätzen, und deswegen vertraute er selten den richtigen.

Noch zwanzig Minuten. Er stand auf und ging ein wenig in der umfunktionierten Umkleidekabine umher, nur dem Hall seiner eigenen Schritte lauschend. Wenn keine Konzerte stattfanden, spielten in diesem Stadion große Mannschaften, doch am heutigen Abend sollte er einer der Helden sein. Die Gitarre Schwert und Schild zugleich. Wie hatte er den Ruhm genossen, damals. Mittlerweile war seine Bekanntheit ihm nur noch lästig, er zog sich am liebsten auf seinen Landsitz zurück. Ein altes Herrenhaus, mit von Holzbalken durchzogenen Wänden und unzählbaren Zimmern, von denen die meisten nicht bewohnt waren, die Möbel von weißen Planen verdeckt, die der Luftzug sanft bewegte.

Noch zehn Minuten. Riefen sie? Fast meinte er, bis in die Tiefe seiner Umkleide hinunter die Stimmen der zahllosen jungen und alten Fans zu hören, die nach ihm und seinen Bandkollegen verlangten. Ob sie, der Schlagzeuger, der Bassist und der Sänger, wohl seine Gedanken teilten? Waren sie auch so – müde? Fast wollte er zu ihnen, sie darauf ansprechen. Er war sich aber auch bewusst, dass das so kurz vor dem Auftritt nicht ging, mitten in der Tour, in der Zeit kurz danach. Und dann folgte die nächste. Und dann die übernächste.

Noch fünf Minuten. Er musste gehen. Er hatte keine Lust, er spürte kein Lampenfieber, keine Nervosität, nur den Wunsch, in der Dunkelheit zu bleiben. Scheinwerferlichtscheu war er geworden.

Noch drei Minuten. Er griff nach seiner Gitarre, legte sich den schwarzen Ledergurt um die Schulter und stieß die Tür auf. Sein exzentrischer roter Samtmantel flatterte durch die Luft.
Im Vorbeigehen klopfte ihm der Sänger auf die Schulter und rannte vor ihm auf die Bühne. Er wusste, die Leute würden schreien, klatschen, jubeln. Ihm bedurfte Stille.

Der Vorhang hob sich. Er lächelte, sein faltiges Gesicht zur Fratze verzerrt, und schlug ein neues, hartes Riff an.

Vielleicht, dachte er sich, sollte er nach dem Konzert mal wieder einen Bourbon trinken.

Irgendwo musste doch welcher zu finden sein.

 

Hallo JoHap,

Textlich größtenteils sauber. Kleine, nicht wirklich gravierende Fehler hie und da.

Stimmungstechnisch schwankt die kg manchmal. Du wechselst wirklich gute, mit schwer klischeebeladenen Bildern ab.

Den letzten Satz

"Und einer konnte schließlich nicht schaden"

würde ich weglassen. Schau es dir nochmal an. Du deutest schon im vorangegangenen Absatz eine gewisse Instabilität die Trunksucht betreffend an und mit diesem (entschuldige) Klischeesatz gewinnst du nichts mehr daraus.

So, bin eh schon ruhig. Hat mir größtenteils ausgezeichnet gefallen und ich habe die Geschichte wirklich gern gelesen.

Lev

 

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