- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Tiefe Wunden
Als er die Augen öffnete, war er umgeben von Chaos und Lärm. Seine Lider zuckten, die Augen waren weit geöffnet, das konnte er deutlich spüren und doch sah er nur dunkle Schemen und randlose Formen. Wilde Schreie und ein dumpfes Pochen klangen dumpf in seinem Kopf. Er versuchte seinen Körper zu bewegen, seinen Kopf zu drehen, doch nichts passierte. Eine Kälte fraß sich durch seine Glieder und lähmte seine Muskeln. In seinem von dunklen Farben verschwommenem Blickfeld tauchte plötzlich eine Kopfform auf.
„Verdammt. Wieso ist er wieder aufgewacht?“, schrie die Person fast hysterisch und verschwand sofort wieder aus seinem Blickfeld. Er wollte sich verständlich machen, ihm sagen, dass er Hilfe brauchte, doch konnte er keinen einzigen Ton herausbringen.
„Ich habe ihm bereits die volle Dosis verpasst, Doktor“, hörte er eine andere Person außerhalb seines Blickfeldes rufen. Noch immer konnte er seinen Kopf nicht bewegen.
„Sehen sie zu, dass sie irgendwo noch was auftreiben. Wir müssen diesen Granatsplitter aus seinem Bauch herausziehen und ich will verdammt noch mal nicht, dass er währenddessen aufwacht, verstanden?“, brüllte jemand erneut.
Fürchterliche Geräusche drangen jetzt wieder an sein Ohr, Schmerzensschreie, wie er sie noch nie gehört hatte. Wild und unbändig zeugten sie von Quallen unermesslichen Ausmaßes. Dunkle Schatten zischten wie Raben im dunklen Nachthimmel an seinem Blickfeld vorbei. Hinter all diesen furchtbaren Geräuschen vernahm er immer wieder dumpfe Schläge, die seine Glieder bis ins Mark erschütterten.
Wieder erschien eine Person in seinem Blickfeld und griff nach seinen Augen.
„Los spritzen sie das Zeug schon. Lange macht er es sonst nicht mehr.“
Langsam wurde er sich seiner Situation bewusst. Sein Verstand wollte ihm alles erklären, ihn zurückholen. Er war ein Teil des Ganzen, gehörte hierher.
„Hören sie, halten sie noch ein bisschen durch, wir haben es gleich geschafft.“
In seiner Erinnerung sah er seine Kameraden, wie sie neben ihm im dunklen Matsch lagen. Einige hatten sich in die Hose gemacht, waren verwundet, weinten. Trommelfeuer, Explosionen, Schreie überall.
„Das Mittel schlägt nicht an, wir ziehen den Splitter so raus“, rief der dunkle Schatten plötzlich wieder an seiner Seite.
Er sah die Granate kommen, wollte seine Freunde warnen, doch er war zu langsam. Licht und Schmerz wehten ihn davon in eine andere Welt.
„Hoffen wir, dass es gut geht“, war das Letzte, was er hörte, bevor ihm endgültig die Augen zufielen. Ihn überkam ein Wunsch nach Schlaf, tiefem, wärmenden Schlaf.
Grelles Licht blendete ihn, als er die Augen langsam öffnete. Er führte behutsam eine Hand vor seine Augen, um die Quelle des gleißenden Lichtes auszumachen, als er plötzlich eine Stimme hörte:
„Bleib doch liegen, ich hole uns nur schnell eine Kleinigkeit aus der Küche“, sagte eine Frau in seiner Nähe.
Er konnte sie im Gegenlicht nur schemenhaft erkennen. Sie zog große, weite Vorhänge zur Seite, welche das Licht einer anbrechenden Morgensonne durch riesige vor ihm liegende Fenster hereinfluten ließen. Als die Vorhänge zur Seite geschoben waren, ging sie davon.
Nach einer kurzen Zeit hatte er sich an das Licht der Sonne gewöhnt. Langsam senkte er seine Hand und schaute sich um. Er lag in einem großen Bett. Der Raum, in dem es stand, war schmucklos, weiße Wände und eine offen stehende Tür.
Behutsam strich er mit seinen Händen über die weißen Laken. Wärme drang durch den Stoff zu seinen Fingern hervor. Er strich weiter über den feinen Stoff und nahm dessen angenehme Beschaffenheit wahr. Sanft zur Seite rollend, sich flach ausstreckend, genoss er den einzigartigen Geruch, der ihn in diesem warmen Bett umgab. Vereinzelt drangen entfernte Geräusche aus einem benachbarten Raum zu ihm vor. Gedämpftes Klippern und Klirren, Geräusche wie in Watte gepackt. Die wärmende Sonne auf seinem Körper und die angenehme Ruhe ließen seine Augen beinahe zufallen.
„Geschlafen wird jetzt nicht mehr, ich habe uns Frühstück gemacht“, sagte die Frau nun vor dem Bett stehend. Sie lächelte. In ihren Händen hielt sie ein großes Tablett.
Nachdem er sich im Bett aufgesetzt hatte, platzierte sie das Tablett neben ihm. Vorsichtig zog sie das Laken zur Seite und setzte sich mit angewinkelten Beinen behutsam auf seine Füße.
„Damit dir nicht kalt wird“, sagte sie und griff dabei nach der großen Kanne auf dem Tablett, aus welcher sie dampfenden Kaffee in zwei weiße Tassen goss.
„Pass bitte auf, der Kaffee ist noch sehr heiß.“ Sie nahm sich eine Tasse, hielt sie mit ihren Händen fest umschlossen und sah ihn an.
„Hast du gut geschlafen?“, fragte sie ihn, als sie die Tasse langsam zum Mund führte und leicht daran nippte. Er konnte sehen wie kleine Dampfschwaden aus der Kaffeetasse um ihre Nase tänzelten.
Mit fragendem Blick schaute er noch einmal auf das Bett, dann sah er sie an.
„Ich denke schon“, antwortete er leise.
„Das ist schön.“
Die Frau nahm ein Croissant von dem Tablett und biss ein kleines Stück ab. Auf kleinen Tellern lagen außerdem Brötchen, Marmelade und frisches Obst. Er griff nach der übrig gebliebenen Tasse und führte sie an seinen Mund. Ebenfalls nippend trank er einen kleinen Schluck Kaffee. Er hatte die richtige Temperatur, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Eine wohlige Wärme breitete sich in seinem Inneren aus.
Schweigend genossen beide ihren Kaffee. Er spürte wie seine Füße unter dem Schutz ihrer übereinander geschlagenen Beine eine angenehme Wärme erhielten. Die Frau stellte die Tasse wieder auf das Tablett und rutschte in einer sanften Bewegung an seine Seite und ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken.
„Was ist das?“, fragte die Frau und zeigte auf seinen Bauch der unter dem Hemd leicht hervorschaute.
„Eine Narbe“, antwortete er selbst verwirrt und strich vorsichtig mit den Fingern über den vernarbten Hautstreifen. Als er sein Hemd hochgezogen hatte, sah er, dass die Narbe quer über seinen ganzen Bauch verlief.
„Was ist dir passiert?“, fragte sie ihn leise, während sich ihre Haare auf seiner Schulter weiter verteilten. Mit behutsamen Bewegungen strich sie mit ihrer Hand über seinen Bauch. Er antwortete nicht, schaute weiter auf die Narbe.
„Ich werde dir helfen zu vergessen“, sagte sie. „Schließ die Augen.“