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Tiefer, Münchhausen!
Tiefer, Münchhausen!
Tiefer,
Auf dem großen viereckigen Tisch stand ein weißer Suppenteller. Die schwarze Tischplatte glänzte, da sie sehr gewissenhaft poliert war. Der Suppenteller befand sich genau in der Mitte des Tisches. Der Teller zeigte keinen Makel.
Er stand in der Küche, es war Winter, es war am Abend und er blickte hinaus. Schnee bedeckte die ansonsten schwarze Landschaft. Auf der Horizontlinie fuhr ein Auto entlang, dessen zwei Scheinwerfer die Dunkelheit durchbrachen. Man konnte der Fensterscheibe ansehen, wie kalt es draußen war. Er sah sein Spiegelbild in der Fensterscheibe.
Plötzlich erwacht das Spiegelbild zu eigenem Leben. Unheimlich grinst es ihn an. Dann streckt es den Arm aus, ergreift ihn und zieht ihn an sich – durch die Scheibe hindurch.
Der Suppenteller indes, stand weiter auf der schwarzen Tischplatte und glänzte.
Er erwachte und hatte geträumt. Dann drehte er sich um, setzte sich, zog den Suppenteller an sich. Schaute man genau hin, so sah man im Spiegel des Tellers, wie das Spiegelbild im Fenster Grimassen zog.
Münchhausen,
Auf der Tischplatte heute, eine Flasche mit 0,33l Apfelschorle. In der Flasche, perlten die kleinen Kügelchen, die durch die Kohlensäure erzeugt werden, nach oben. Auf einer dieser Kugeln reitet Münchhausen, in spiralförmigen Wellen in die Höhe.
Die Apfelschorle hat eine goldene Farbe. Wenn man die Sache pessimistisch sieht, so ist es Urin.
Münchhausen hat den Hals der Flasche erreicht. Nun wird er ausgestoßen, dabei verwandelt sich der Flaschenhals in einen Vulkan. Als reite er auf Lava, so verlässt er die Flasche, dabei verwandelt sich die goldene Apfelschorle zu Magma. Münchhausen scheißt auf die Gefahr und bleibt tapfer auf der Kugel sitzen.
Münchhausen hat es überlebt, sitzt in seinem Ohrensessel und erzählt es seinen Enkelkindern.
Münchhausen hat es nicht überlebt, da er in der heißen Lava verglühte. Mann kann zwar auf einer Kugel reiten, in der Hitze verglüht man jedoch.
Münchhausen hat es zwar überlebt, jedoch nicht erlebt.
Realität,
Fallender Schnee versiebt den Raum zu einem undurchsichtigen Kontinuum. Da konnte er nicht mehr hindurchblicken. Also ging er zum Fernseher und schaute sich die Nachrichten an. Das lenkte ihn ab. Es erschreckte ihn, wie da in anderen Ländern gekämpft wurde.
Das Jesus am Kreuz gestorben ist, und die Juden unter dem Hakenkreuz vergast worden sind, zeigte man in der sich anschließenden Dokumentationsreihe.
Er ging in die Küche, dort stand noch immer der weiße, makellose Suppenteller. Die Suppe war kalt geworden.
Als würde er beobachtet, so pirschte er sich langsam, erst an den Tisch, dann an den Teller heran. Er streckte seine Arme aus, und seine unschuldigen Hände ergriffen den Teller.
Wenn er jetzt nicht mehr loslassen würde, so hätte er es geschafft – vorläufig zumindest. Da knallte er den Suppenteller mit einem großen Wurf an die Wand, traf aber die Fensterscheibe, welche zersplitterte. Da wurde es augenblicklich eisig, denn die Kälte klirrte in die Küche hinein.
Er spulte zurück und stellte den Suppenteller in den Schrank, zu den anderen.