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Tony

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08.11.2004
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Tony

Was ich euch jetzt sage, kann ich höchstens flüstern. Ich bin eingeklemmt zwischen Befürchtungen, sitze hier unter der Treppe versteckt, während Menschen mit Kameras und Waffen durch das weitläufige Haus streifen. Wenn ihr meine, zwischen die Zeilen geworfenen Sätze hören wollt, so müsst ihr ganz nah kommen, auf dass mein Mund fast euer Ohr berühre.

Seit ich mich zurückerinnern kann, hieß es, bei den Natangas wohne ein Drache. Wenn man acht ist und den Sommer immer bei ihnen verbringt, glaubt man das auch. Das Haus der Natangas ist wirklich groß, eigentlich sind es zwei Häuser. Das eine, das ältere ist bei einem Erdbeben bis auf die Keller zusammengefallen und das neue hat man einfach darüber gebaut. In der Flucht an Kellerräumen könnte sich so manches seltsame Wesen versteckt halten.

Versteckt, ja, bis jemand sich verplappert. Ich, zum Beispiel.

Aber irgendwie war es nicht real. In der Phantasie eines Kindes schon, doch nicht mehr als der Osterhase oder das Christkind. Umso schockierender war es für mich, als wir (ich, der kleine Peter Natanga und seine noch kleinere Schwester) eines Tages beschlossen den Gerüchten ein Ende zu setzen und in die weitesten Winkel des Kellers vordrangen. Drei Kinder, denen das Regenwetter den Spielplatz verwehrt, die sich auf die Suche nach etwas machen, von dem sie nicht wissen, ob es wirklich da ist. Der Keller machte Angst (macht er heute –leer, aber auch nicht- auch noch), aber jeder möchte vor den anderen mutig dastehen und der Teddy, den Nicki unter ihrem Pulli versteckt hält (der uns verteidigen sollte, falls es zu einem Kampf käme) macht Mut. Vorbei an den noch vertrauten Türen, hinter denen Einmachgläser und Werkzeuge ein staubiges Leben führen. Plötzlich ging der Boden in nackten Beton über und der Gang macht einen scharfen Linksknick. Ich war weiter weg von der Treppe, als jemals zuvor. Wir schreiteten weiter in der absoluten Gewissheit mehrere Kilometer tief im Erdreich zu sein.
Über die Ecke schauten die beschuppten Beine eines Drachen hervor. Einfach so. Ein Schock. Diesen Anblick werde ich nie vergessen, er hat sich in mein Hirn eingebrannt wie meine Hochzeit oder der Autounfall. Dieser geheimnisvolle Keller, Peter und Nicki hinter mir und um die Ecke liegen klauenbewährte Drachenbeine. Wir haben alle angefangen zu schreien. Gleichzeitig, dass machte es nachher leichter für jeden von uns, als der wirklich Mutige dazustehen. Drauf erhob sich der Drache zu seiner vollen Größe und musterte uns ruhig.
„Oh“, sagte er mit rußig dunkler Stimme, von unserem Geschrei überhaupt nicht beeindruckt, „Kinder.“ Ich war sicher, er würde uns fressen. Doch er stand nur einfach weiter da und schaute uns an.
„Ein echter Drache!“, brachte Nicki hervor, nicht lauter als ein Flüstern. Der Drache verdrehte die Augen und schickte sich an, in die Tiefen des Kellers zu verschwinden.
„Wieso hast du dich hingelegt?“, fragte Nicki, in deren Welt Sich-Hinlegen allabendlich ein Kampf gegen die Eltern war, weiter und ich setzte hinzu: „Es sah aus, als wärst du tot.“
Der Drache guckte zutiefst traurig, so traurig, dass es mir fast das junge Herz brach: „Ja“, sagte er und es klang, als müsste er dieses Wort aus einem dunklen Schacht hervorziehen.

So etwas kommt vor. Man kann einfach nicht die Klappe halten, erzählt es irgendjemanden und der erzählt es weiter und auf einmal sind Presse und Polizei hier. Und Tony muss fliehen.

Herrn und Frau Natanga schien die Anwesenheit des Drachen nicht weiter zu stören. Auch nicht die Tatsache, dass wir es nun auch wussten. Sie bläuten uns nur ein, es niemanden sonst zu sagen. Wir verbrachten jetzt fast jeden Tag unten beim Drachen. Der wurde nämlich richtig zutraulich. Wir zähmten ihn, er machte uns wild. Tagsüber (ob es regnete oder nicht) balgten wir rum, nachts flogen wir auf seinem Rücken um die Stadt. Wir piesackten ihn, er setzte uns auf den Schrank und ließ uns nicht mehr runter. Nachts schien das Feuer in ihm durch seine Augen so hell, dass man hätte lesen können (aber er mochte eigentlich keine Bücher, es sei denn es ging darum um Drachen). In seiner Gegenwart fühlten wir uns beschützt und auf seltsame Weise schien es, als seinen wir es, die ihn wärmten und nicht umgekehrt.

„Wir heißt du eigentlich, Drache?“, fragte ich eines Tages.
„Tony“, meinte der Drache und reichte mir eine Klaue, die zweimal so groß war wie mein Kopf.

Auf der Brust hatte Tony eine Narbe, die über seinem Herz anfing, um das Sonnengeflecht herum ging und erst da endete, wo bei Menschen der Blinddarm ist.
„Man hat dich verletzt, Drache“, bemerkte Peter und fuhr den dunklen Strich mit seinem Zeigefinger entlang.
„Das ist lange her“, sagte Tony kurz angebunden und schloss sich im Fahrradraum ein, wie immer, wenn er schlechte Laune hatte.
Während die Tür noch knallte, sah ich oben auf der Treppe Frau Natanga stehen. Wusste sie genaueres? Nun ja, sie war eine Erwachsene und Erwachsene wissen immer alles. Wir liefen auf sie zu und löcherten sie, wie ein Vampir den Hals einer Jungfrau.
Sie erzählte uns dann auch, was es mit der Narbe auf sich hat. „Tony kommt aus einer anderen Welt. Er hütete auf seiner Burg den Flammenstein. Das ist ein mächtiger, magischer Gegenstand, der wertvollste, den ein Drache besitzen kann und er macht, dass sie Feuer speien. Aber er war allein. Er flog deswegen lange Runden über das Land, auf der Suche nach einer Gefährtin, die er dann auch fand. Er holte sich eine hübsche liebe Wassernymphe auf seine Burg. Doch eines Tages verriet sie den Menschen im Dorf von dem Stein und sie kamen mit Äxten, Fackeln und Sensen, brachen in seine Burg ein und nahmen den Stein. Tony tat ihnen nichts an, obwohl er könnte und sie ihn angriffen, denn unter ihnen war auch seine Nymphe, und die hätte er um keinen Preis verletzen wollen. Sie aber ging mit der Menge fort und lebte von nun an bei einem Menschenmann. Seitdem konnte es Tony nicht in seiner Welt aushalten und so kam er zu uns.“

Abends im Bett dachte ich lange darüber nach, was Peters Mutter gesagt hat und je länger ich nachdachte, desto wütender wurde ich. Am nächsten Tag stürmte ich in den Keller mit dem festen Vorhaben, Tony zur Rede zur stellen.
„Du Versager!“ Er blickt verwundert von einem alten Holzauto auf, mit dem er spielte und das er wohl hier unten irgendwo gefunden hat.
„Du lässt dir von einer Nymphe den Stein klauen, ziehst dich dann hierher zurück und jammerst hier faul vor dich hin! So habe ich mir einen Drachen nicht vorgestellt; das ist Verrat an dir selbst!“
Tony legte das Spielzeug beiseite und meinte: „Glaubst du etwa diese Nymphe hätte mir irgendetwas nehmen können, was ich ihr nicht auch so gegeben hätte? Glaubst du man kann einen Drachen mit Waffen und Gewalt zu etwas zwingen?“
Ich wusste es nicht.
„Mit den Zauberdingen ist es so: Man kann sie nur geschenkt bekommen. Wer sie sich nimmt, dem bringen sie nur Unglück.“
Das sagte Tony und das sah ich ein. Doch ich merkte ihm an, dass ihm anstatt des Unglücks der Nymphe lieber gewesen wäre, wenn sie ihm das nicht angetan hätte.

Ein andermal schlich ich mich runter, aber ohne ein Geräusch zu machen, ich wollte ihn erschrecken. Die Stufen herunterkletternd, hörte ich Musik und durch den Türspalt sah ich Tony tanzen. Es war kein richtiger Tanz, Drachen tanzen nicht, eher so eine Art rituelle Bewegung. Doch merkwürdigste waren seine Augen. Er tanzte zwar, sein schweißglänzender Körper war in pulsierenden Rhythmus, doch seine Augen tanzten nicht mit. Sie blickten stumpf und kalt in die Leere, als gehörten sie gar nicht zu diesem Drachen. Ich ging wieder hoch und fragte Herrn Natanga. Er schaltete den Fernseher aus und horchte. Als er glaubte die Musik auch selber zu vernehmen, meinte er: „Drachen führen diesen Tanz auf, um den Stein am Glühen zu halten. Aber bei Tony ist er eigentlich sinnlos, er hat den Stein ja eh nicht mehr.“ Da tat mir diese verzweifelte Geste, dieses Greifen nach Vergangenem leid und ich verspürte den dringenden Wunsch, Tony zu helfen.

Wenn ich vorhin meinte, ihr müsste nahe komme, um mich zu verstehen, dann müsst ihr jetzt nicht nur mit euren Ohren, sondern auch mit eurem Herzen nahe kommen. Was ich jetzt erzähle, habe ich nicht mit meinen Augen gesehen und ich weiß nicht, ob ich es überhaupt weitererzählen darf. Denn seitdem schlich ich mich immer wieder lautlos in die Keller, in der Hoffnung, Tony wieder tanzen zu sehen. Und eines Tages hatte ich Glück, aber er tanzte nicht allein. Neben ihm in der Luft schwebte eine blonde Elfe und tanzte mit ihm.

Ein Drache und eine Elfe. Er schwer, sie leicht. Er Echse, sie Vogel. Beides Traumwesen. Ein seltsamer Tanz.

„Ach, Elfe“, sprach Tony, „Ich wünschte, ich könnte so schwerelos tanzen wie du.“
„Du kannst es, Drache“, klang ihre glockenreine Stimme, „Du kannst es. Ich werde die Schwere für einen Augenblick von dir nehmen.“ Mit diesen Worten lies sie etwas Elfenstaub auf ihn herabrieseln und über ihre auf seiner Brust liegende Hand floss etwas, das aussah wie flüssiges Feuer, von ihm weg.
Und jetzt tanzten sie wieder, aber nicht wie zwei entgegengesetzte, tote Pole, sondern wie zwei absolut gleiche und doch auf schöpferische Weise verschiedene Wesen, in einem lebendigen Tanz miteinander vereint. Und Tonys Augen leuchteten.

Ich habe Tony nie so befreit und so glücklich gesehen.

Aber wir wurden älter und wenn man einen Drachen zu Hause (oder im Haus des besten Freundes) hat, dann ist der auf einmal nicht mehr so interessant. Ich weiß nicht mehr, wer es zuerst erzählte, Peter oder ich (der Nicki traue ich mehr Selbstbeherrschung zu), aber jetzt sind sie hier und wollen Tony holen. Hätte Geld dafür geben können, wenn man die Story richtig vermarktet hätte, spricht ein dunkler Teil in mir. Doch der ganze Rest macht sich Vorwürfe. Ich verstecke mich – vor Tonys gerechter Wut? – vor der Meute?

Ich weiß, dass er es schaffen wird, dass er flieht.
Drachen finden immer einen Weg.
Ich wünsche dir alles Gute, Tony.

 

Hi Monty,

;) Die Idee zu deiner Geschichte gefällt mir, sie ist ziemlich originell. Leider leider muss ich an der Umsetzung mäkeln - tut mir leid. :shy:

Prinzipiell muss ich sagen, dass vieles an deiner Geschichte einfach ein bisschen zu kurz abgehandelt ist, so dass man gar nicht recht in das Geschehen eintauchen kann.
Dazu gehört zum Beispiel die Szene, als die Kinder das erste Mal auf den Drachen treffen. Hier könntest du eine dichte Stimmung aufbauen, das ganze zum Beispiel mit einer wörtlichen Rede einleiten ("Heute gehen wir den Drachen suchen"), beschreiben, wie die Kinder das zusammen packen, was Kinder halt so glauben, für eine Expedition zu brauchen (Taschenlampe, Schokolade als Notvorrat, Holzschwert für den Drachen, Lieblingsteddy) und sich dann auf den Weg machen. Statt einfach zu schreiben: hinter dem Keller war der Gang und dann war da der Drache, könntest du beschreiben, wie sie zwischen den Einmacgläsern umherwandern, dann diese Tür entdecken, sie vorsichtig aufziehen, niesen, weil es staubt, nach dem Lichtschalter suchen oder eine Taschenlampe anmachen und dann - da - gerade am Rande des Lichtscheins dieses Glitzern von Schuppen, und war da nicht auch ein schnaufender Atem...? Wenn du Spannung erzeugst, ist es auch viel realistischer, wenn die Kinder losschreien. Vielleicht wollen sie ja auch weglaufen, aber sind ganz starr vor Schreck, oder so.

Dann könntest du an der Stelle den Drachen vielleicht noch ein bisschen sprechen lassen, ihn versichern lassen, dass er den Kindern nichts tut und er nur seine Ruhe will. So kommt der Übergang zu Herrn und Frau Natanga sehr abrupt.

Den Übergang zu der Erzählung von Frau Natanga würde ich noch ein bisschen ausbauen. Vielleicht löchern die lieben Kleinen den Drachen, bis er genervt schnauft: "Fragt doch eure Mutter!" Und die Mutter erklärt: "Ja wisst ihr, er schämt sich entsetzlich, das zu erzählen, aber..."

Auch ist nicht so ganz klar, woher Herr und Frau Natanga so viel über Drachen wissen. Hat Tony es ihnen erzählt? Wenn ja, würde ich das vielleicht mal erwähnen.

Ich würde auch am Schluss noch etwas feilen. Einfach nur zu sagen: wir wurden älter und irgendwer hat sich verplappert, ist ein bisschen wenig. Vielleicht kannst du deinen Prot ein bisschen grübeln lassen (vielleicht habe ich letzte Woche doch über den Durs getrunken, ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich erzählt habe - war es vielleicht das? Oder hat vielleicht Peter in seinem Leichtsinn etwas verraten...)

Die Abschnitte, die in der Gegenwart spielen, solltest du auch noch deutlicher machen - vielleicht kursiv...?

Noch ein bisschen direkt am Text:

Ich bin eingeklemmt zwischen Handlungsblöcken

Den Ausdruck finde ich seltsam, als stecke er in einem Text drin...

es sind eigentlich zwei Häuser.

hier würde ich nur wegen der schöneren Lesbarkeit umstellen: eigentlich sind es zwei Häuser
Zu dem dann folgenden Abschnitt hab ich ja schon was gesagt.

Herrn und Frau Natanga schien das nicht weiter zu stören.

Hier hängt der Bezug schief. Es liest sich so, als würde es Herrn und Frau Natanga nicht stören, dass die presse da ist.

Wir verbrachten jetzt fast jeden Tag unten beim Drachen. Der wurde nämlich richtig zutraulich. Wir balgten herum und nachts flogen wir auf seinem Rücken aus.

Dieser Freundschaft würde ich auch mehr als nur zwei Zeilen gönnen

Ein andermal schlich ich mich runter, aber ohne ein Geräusch zu machen, ich wollte ihn erschrecken.

Warum sollte Tony erschrecken, er weiß doch, dass die Kinder ihn besuchen kommen. Vielleicht wäre es besser, wenn dein prot ihn mit irgendetwas überraschen will.

Ich ging wieder hoch und fragte Herrn Natanga

"Leise, damit er nicht merkte, dass ich ihn beobachtet hatte, schlich ich die Kellertreppe wieder hinauf. Herr naanga stand in der Küche und hatte sich gerade ein Bier geöffnet. Er lachte, als er mein verwundertes Gesicht sah. 'Was ist denn mit dir los?' fragte er. 'Tony tanzt unten im Keller', erwiderte ich..." Nur mal so ein Beispiel, was man aus so einer Szene machen kann ;) Nicht böse gemeint, aber ich finde es schade, dass du das Potential des Textes nicht ausschöpfst.

Tja, tut mir leid, so eine Hammerkritik. Aber, um ehrlich zu sein, mir gefällt dieser Text auf jeden Fall schon viel besser, als der Flammenmann. :) Trotzdem wäre es schön, wenn du ihn ein bisschen ausbauen würdest. Das Potential hat er.

Liebe Krittelgrüße, ;)

Ronja

 

Hey!

Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Muss jetzt gleich zur Uni, aber sobald ich zurück bin, kümmer ich mich um deinen (passenden und begrechtigten) Kommentar.

Einen schönen Mittwoch,
Monty

 

Hey Monty Schwarz,

ich habe eingentlich nichts Kreatives mehr zu sagen, da ist mir die Ronja wieder zuvorgekommen. Die Idee hat auf jeden Fall eine bessere Umsetzung verdient. Auch so fand ich die Geschichte schon gut, aber da steckt noch eine Menge Potential drin, und ich würde mich freuen, wenn du es herauskitzeln würdest.

gruß
vita
:bounce:

 

Guten Abend,

Hier die überarbeitete Version. Der überarbeitete Autor wird sich jetzt ins Bett legen.

LG,
Monty

 

Hallo überarbeiteter Autor ;) ,


Ja, hat mir schon besser gefallen.
Trotzdem kommt mir das alles noch ein bisschen zu kurz vor... Sorry. Wegen mir könnte die Szene, wo sie den Drachen treffen, viel länger, viel atmosphärischer sein... ich weiß nur nicht, wie ich dir das beschreiben soll... am liebsten würde ich sie selber schreiben, damit du einen Vergleich hast, aber das wäre wohl Plagiat. :)
Noch lässt mich das Geschehen immer noch ein bisschen außen vor...

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hi Felsenkatze!


Gut zu hören, dass es besser wurde :) Auch wenn es laut dir noch weiter verändert werden könnte ...

Wegen dem anderen: ein außergewöhnliches Angebot. Hmmh. Keine Ahnung. Ich werde drüber nachdenken und schicke dir die Antwort über Private Nachricht.


Lieben Gruß,
Monty

 

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