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Tote Fische

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06.12.2019
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Tote Fische

Ich achte auf meine Atmung, nur auf die Atmung. Einatmen, ausatmen. Das Geschrei von Mama ignoriere ich. Mein erster Tag auf Arbeit lief nicht gut. Deshalb sitze ich mittags schon wieder zu Hause auf dem Sofa und sehe fern. Neben Mama, die tobt. Dass diese Angelegenheit mit dem Abfall rausgekommen ist, war ja schon meine Schuld, irgendwie. Aber muss sie sich gleich derart aufregen? Und alles nur wegen der Sache mit dem Cabrio. Weshalb ich in die Fabrik geschickt wurde, als Strafe.

Mama hat mich morgens in der Nähe des Werktors abgesetzt und gesagt, ich soll bis zum Eingang laufen, damit niemand sieht, wie sie mich bringt. Als ich aussteigen wollte, gab sie mir ein paar Ratschläge. Hör gut zu, was man dir erklärt, und bring dich ein, aber mach’ nicht noch mehr Fehler. Lauter solchen Stuss halt. Dann hat sie mich am Handgelenk gepackt und mit kalten Augen fixiert: „Und lass dich nicht von der Gewerkschaft anquatschen. Das sind unsere Feinde!“ Ich habe nicht verstanden, was sie meinte. Aber weil ich zuhören sollte, habe ich genickt. Endlich hat sie mich losgelassen, und ich bin zur Fabrik gegangen. Mama ist weitergefahren, um die Ecke, zu ihrem Büro.

Drinnen hat mich die Empfangsdame ganz kühl abgefertigt. Ich habe meinen Namen gesagt, sie hat ihn in ihrer Liste nachgeschlagen, als wüsste sie nicht, wer ich bin. Mama hatte wohl schon deswegen telefoniert. Dann hat sie mich zum Vorarbeiter in der Produktion gebracht. Der guckte mich gar nicht wirklich an, schielte nur komisch zu Boden. Gibt’s an mir nichts zu sehen? Er blieb immer höflich, aber wenn er mir sagte, was ich tun sollte, grinste er.

Zuerst sollte ich Verpackungen sortieren und leere Behälter wegräumen. Langweilig. Überall an den Behältern und den Maschinen waren gelbe Warnzeichen, keine Ahnung wieso. Anscheinend ist das mit der chemischen Produktion total heikel, deshalb zeigen sie einem zur Abschreckung Flüssigkeiten, die ins Auge spritzen und Hände verätzten, und Landschaften mit toten Bäumen und Fischen.

Als ich mit dem Sortieren fertig war, hat mir der Vorarbeiter einen Eimer mit Lappen in die Hand gedrückt und mich zu einem leeren Becken geführt. Das sollte ich durchwischen, bevor es wieder gefüllt wird. Bin ich etwa die Putzfrau? Er hat mir Handschuhe gegeben, die musste ich anziehen, damit bloß nichts von dem Zeug im Eimer an die Haut kommt. Da habe ich die Schilder mit den verätzten Händen begriffen.

Ich habe also brav durchgewischt, bis überall gelbe Schlieren am Boden und den Wänden waren. Aber die verdunsteten rasch, und es roch nach alten Socken und Großmutters Kölnischwasser. Der Vorarbeiter hat nicht gesagt, was ich mit dem Eimer tun soll, wenn ich fertig bin. Der war noch ziemlich voll. Ich habe ihn in einer Ecke des Beckens stehenlassen, und das war wohl nicht richtig. Aber ich putze sonst ja nie. Jedenfalls hat später die Brühe, die ins Becken lief, irgendwie mit dem Eimerinhalt reagiert. Wenn man keinen Eimer stehenlassen darf, dann sollen sie halt überall noch ein blödes Warnschild mit Eimer hinkleben!

Ich atme ein, und wieder aus. Mama kratzt sich am Unterarm, die Haut ist schon blutig. Sie hatte sich gerade beruhigt, aber jetzt tickt sie wieder aus. Sie kreischt irgendwas von Umweltstrafe und Bankrott. Ich wollte ihr meine Achtsamkeitsübungen zeigen, weil sie oft so zappelig ist. Aber das muss gerade nicht sein, denn Mama ist ganz achtsam wegen der Nachrichtensendung, die gleich im Fernsehen läuft.

Es dauerte jedenfalls nicht lange, nachdem das Zeug erst ins Becken gelaufen und danach samt Eimerinhalt wieder abgelassen war, da hastete jemand durch die Halle zum Vorarbeiter und rief ihm etwas zu. Dann rannten beide weg. Nach einer Weile kam eine Durchsage über Lautsprecher, und alle mussten die Halle verlassen. Mir wurde mulmig, und ich ahnte schon, dass es Ärger geben würde.

Draußen stand ein Polizeiauto. Lastwagen vom technischen Hilfswerk waren auch da, und Leute in Schutzanzügen liefen herum. Die Polizisten sperrten das Gelände mit rotweißem Band ab. Da bog auch schon Mamas schwarzer Mercedes um die Ecke. Sie zerrte mich ins Auto, und wir fuhren heim.

War echt ein mieser Tag heute. Arbeit ist eine Strafe, da hat Mama recht. Und Strafe ist irgendwie schon okay, weil ich ja ihr Cabrio geschrottet habe. Aber arbeiten, bis das Auto abbezahlt ist, wie normale Leute? Nicht wirklich. Wie lange dauert sowas eigentlich, drei Monate? Hallo, es war ein Versehen! Ich habe den Führerschein doch erst seit zwei Wochen. Und kann ich wissen, dass der Typ seine Vorfahrt auch wirklich haben will? Mann, echt jetzt. Flippt Mama aus, obwohl ich beim Händler gleich ein neues Cabrio bestellt habe. Passt ihr die Farbe nicht, oder was?

Einatmen, ausatmen. Da, sie bringen es gleich als Erstes in den Nachrichten: Fabrik entsorgt Chemieabfall ins Meer, Nordsee bei Wilhelmshaven färbt sich gelb. Mir fallen die toten Fische auf den Warnschildern ein. Mama sollte wirklich mehr auf ihre Atmung achten, die ist ziemlich unregelmäßig. Jetzt halten sie auch noch dem Vorarbeiter von heute Morgen ein Mikrofon hin. Aber der zuckt nur mit den Schultern und kriegt die Lippen nicht auseinander. Ist vielleicht auch besser so. Wenn die mich interviewen würden, könnte ich das aufklären. Meiner Mama gehört schließlich die Fabrik! Vielleicht werde ich sogar bekannt und mache später was mit Umweltschutz und so. Eigentlich nicht schlecht für den ersten Tag auf Arbeit. Moment, es klingelt an der Tür.

 

Lieber @till_w ,

wenn ich das richtig sehe, ist dies dein erster Beitrag im Forum. Daher wünsche ich dir viel Spaß hier.

Insgesamt finde ich deinen ersten eingestellten Text recht kurzweilig und amüsant, wobei er mich jetzt auch nicht hat lauthals auflachen lachen. Ich finde ihn auch durch die vagen, generellen Angaben kafkaesk, oder zumindest wie das, was ich für kafkaesk halte.

Dadurch, dass du im Vagen bleibst, wirft der Text auch einige Fragen auf. Zum Beispiel frage ich mich, was genau in dem Eimer war und was eigentlich passiert ist. Diese unbeantworteten Fragen lenken von dem Ziel des Textes ab und hemmen m.E. auch den Lesefluss. Alles in allem finde ich den Text noch nicht pointiert, noch nicht böse genug, ohne genau sagen zu können, wie das zu ändern wäre.

In sprachlicher Hinsicht bin ich über diese Passage gestolpert:

deshalb zeigen sie einem zur Abschreckung Flüssigkeiten, die ins Auge spritzen und Hände verätzten, und Landschaften mit toten Bäumen und Fischen.

Sie zeigen einem Flüssigkeiten, die ins Auge spritzen? Ich sehe bildlich einen Mann vor mir, der einem anderen Mann einen Behälter mit Flüssigkeit zeigt, die einem theoretisch ins Auge gespritzt werden kann, aber stimmt das nicht für jede Flüssigkeit? Ich glaube, es käme deutlicher durch, wenn du es so formuliertest.

"deshalb zeigen sie einem zur Abschreckung Fotos von verätzten Händen und Augen, die mit der Flüssigkeit in Berührung kommen sind."

LG,

HL

 

Hallo @till_w

passend zu einem aktuellen thread im Forum: Wenn Du im Präsens schreibst, dann wird für vorhergehende Handlungen der Perfekt verwendet. Du springst etwas zu beliebig durch die Zeitformen.

Mein erster Tag auf Arbeit lief nicht gut.
Hier sollte es besser lauten: Mein erster Tag auf Arbeit ist nicht gut gelaufen." Das würde auch echter nach Monolog klingen.
Mama hat mich morgens in der Nähe des Werktors abgesetzt und gesagt, ich soll solle bis zum Eingang laufen,
Da kommt der Konunktiv I hin. Die einfache Erklärung: indirektes Zitat.
Dann hat sie mich zum Vorarbeiter in der Produktion gebracht. Der guckte mich gar nicht wirklich an, schielte nur komisch zu Boden. Gibt’s an mir nichts zu sehen? Er blieb immer höflich, aber wenn er mir sagte, was ich tun sollte, grinste er.
Da haste drei Zeitformen drin: Perfekt, Präteritum, Präsens, Präteritum.
Und danach geht es weiter so.
Du wechselst nach Gefühl, aber es gibt Regeln, die durchaus sinnvoll sind. Natürlich kann man die Regeln dehnen. Zum Beispiel könntest Du die Geschichte auf zwei Zeitebenen verteilen. Präsens für die Jetzt-Handlung und Präteritum für den Vorfall am Morgen. Dann solltest Du die Ebenen scharf trennen – eventuell der Präsensteil als Rahmen, der den Anfang und das Ende verbindet.

Zum Inhalt möchte ich nur anmerken, dass eine Satire besser funktioniert, wenn man sich vorstellen kann, dass eine Geschichte wirklich so passieren könnte. Die Prämisse, reicher Schnösel muss zur Strafe in Mamas Fabrik arbeiten und offenbart seine Blödheit, funktioniert für mich nur begrenzt.

Schönen Gruß
Kellerkind

 

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