Toter Sand
Toter Sand
Laut knacken die Schädeldecken bei ihrer Zertrümmerung mit den dazugehörigen Köpfen, die auf dem Erdboden liegen, der ihre letzte Heimat geworden ist. Es ist nicht mehr als ein Fuß der sie zerquetscht, der sie zertrümmert, weil er sich seinen Weg bahnen muss. Dessen Besitzer stapft nun weiter voran, die Leichen unzähliger unter sich. Es ist sicher nicht schön hier zu laufen, aber auch nicht zu ändern. Der sandige Boden lässt keinen Untergrundbahnbau zu, Autos ertragen weder lange die Hitze noch würden sie durch diese Leichenberge hindurch kommen. Doch Jürgen A. , der Eigentümer des Fußes, muss diesen Weg zurücklegen, weil es sein Arbeitsweg ist, der Weg der sprichwörtlich mit Leichen gepflastert ist. Sein Ziel ist das große Versicherungsgebäude am Ende des Weges, welches einsam in der Wüste, seinen Platz hält, nicht ganz dazugehörig, fast gegenteilig zu seiner Umwelt. Es ist ein richtiges Hochhaus, das fast nur aus Fenstern zu bestehen scheint, in der sich die Sonnenstrahlen einfangen und widerspiegeln. Ringsherum ist nichts außer Sand, heißer staubiger Wüstensand, aus dem dieses Hochhaus wie eine große Glaspyramide herausragt. Schon so mancher Verdurstende sah von weitem das durch die Sonnenstrahlen glitzernde Gebäude und hielt es für eine Oase, für einen großen See, der seine Rettung darstellen würde.
Viele sagten sie sollten gehen. Besonders die jungen Männer waren fest davon überzeugt das Paradies zu finden. Aber es könnte auch eine Finte sein, erwiderten einige des Stammes. Ja, die Weißen könnten geschickt die Geschichte des Paradieses, des Ortes an dem es keinen Hunger mehr gibt, in Umlauf gebracht haben, damit sie sich aufmachen um das Märchen zu suchen und ihnen ihr kostbares Land überlassen.
A. hat durchsichtige Plastikbeutel über seine Schuhe gestülpt und kann somit bei jedem Arbeitsweg den er durch die mit Leichen gefüllte Straße geht, vermeiden seine Schuhe zu verunreinigen oder gar zu beschädigen. Eigentlich ist es keine Strasse im herkömmlichen Sinne, nicht einmal die Bezeichnung Feldweg wäre passend. Es gibt keinen Abgrenzung zum umliegenden Gelände, es ist alles der selbe rote Sand, der nur an dieser Stelle etwas festgetretener ist, was zumindest etwas, wenn auch nur mit viel Mühe, eine Begehung dieser zulässt. Seinen Anzug schütz Jürgen nur ungenügend mit einer Art roten Regenkappe, an dessen sich die Sonne einfängt und es noch unerträglicher für ihn werden lässt, als es ohnehin schon ist. Seine Haut, seine Organe, sein gesamter Körper sind für diese Art von Klima einfach nicht geschaffen, was ihn aber nicht davon abhält weiter seinen Weg zu gehen, seinen unaufhaltsamen Weg ins Versicherungsgebäude. Das wäre ja auch noch schöner sich von den paar Toten aufhalten zu lassen, die ihm fast absichtlich den Weg zu versperren scheinen.
Wenn man den Tod als Möglichkeit wegstreicht, hatten sie keine Wahl. Natürlich hätten sie dort bleiben können, dort wo es Wasser gab und wo ihr Stamm schon seit Jahrhunderten verweilte. Aber kein noch großer Krug voller Wasser kann deinen Magen füllen. Füllen kann er ihn schon, aber er kann nicht viel damit anfangen. Wenn du lange Zeit so tust als könntest du die Natur ignorieren und dich scheinbar nur von Wasser ernähren, so wird sich dieser aufblähen, er wird eine beträchtliche Größe annehmen, ebenso wie die Schmerzen, die er dann wie kleine Blitze auf deinen Körper verteilt. So ging es natürlich einigen des Stammes, vornehmlich Kindern, deren Immunsysteme noch empfindlicher waren, als die ohnehin schon stark gebeutelten ihrer Eltern. So lagen viele in ihren kleinen Holzhütten, die aussahen als könnte sie jeder noch so kleine Windstoß davon wehen, mitten umgeben von Wüste, heißem, staubigem Sand. Sie lagen und schrieen, schrieen so lange und unüberhörbar, dass sie die Bedenken ihrer Mütter zersprengten. Sie zersprengten mit der Zeit ihre Sorgen vor dem Ungewissen, ihren Stolz über ihre Heimat und riesiges Misstrauen gegenüber den Legenden des neuen Landes, welches sie erreichen wollten. Es gab kein anderes Thema mehr, seitdem ihr Land aufgeteilt wurde, sie in dieses kleine Stück Wüste gezwängt wurden, welches nur ein Bruchteil ihres ehemaligen Landes ausmachte. Zu dieser Zeit hatte auch der Hunger angefangen. Hier gab es keine Überlebenschance für ihr gezüchtetes Vieh, noch war etwas von den wild lebenden Tieren übrig, deren sich die weißen aus ihrer Liebe zum Schiessen heraus zugewandt hatten.
Da es schon lange keine wild lebenden Tiere mehr in dieser Umgebung gibt, werden die vielen Leichen auf dieser fast endlos erscheinenden Strasse zum Versicherungsgebäude nicht entfernt, sie müssen langsam vor sich hin verwesen.
Keine Zeit war mehr zum Diskutieren, der Weg würde beschwerlich werden, sie mussten ihre Kräfte sparen, wo doch von vorne herein allen klar gewesen war, dass sie gehen würden. Sie hatten keine Wahl.
Jürgen A. betritt das Hochhaus, den Kollos von Rhodos in der Wüste, mit Schweißflecken auf seinem Anzug. Kein Wunder bei der Hitze. Seinen ersten Arbeitskollegen den er erblickt, begrüßt er auf die altbekannte Tradition innerhalb der Firma, er erhebt den rechten Arm und spreizt den Daumen und Zeigefinger ab. Die Firma versichert hauptsächlich die Großgrundbesitzer innerhalb der Umgebung. Auch wenn es keine sehr bevölkerte Umgebung ist, so sitz doch einigen Grundbesitzern die Angst im Nacken, die Angst vor wilden Tieren und vor rebellierenden Negerstämmen. Diese Angst ist viel Geld wert, viel Geld für Versicherungsbeamte versteht sich.
Schreiende Kinder die nicht aufhören wollen zu schreien, die das Herausbrüllen ihrer Schmerzen nicht beenden können. Sie liegen, zusammengekauert durch ihre Qualen, zittern am ganzen Körper und ziehen sich fluchtartig zusammen wenn der Schmerz des ausgemergelten Körpers wieder zuschlägt. Ein großer Bauch ziert ihren Körper, er lässt sie noch dünner wirken. Ihre Knochen scheinen sich fast durch die schwarze Haut zu bohren, weil keine Muskeln, kein Fettschicht da sind, die sie aufhalten könnte. Welche Mutter würde anders handeln? Wer würde diesen Anblick vermehrt durch seinen eigenes Leid und Entbehrungen lange ertragen?
So zogen sie los. Ihre Kinder hatten sie sich wie Gepäck auf ihren Rücken gespannt mit Riemen die aus Rindersehnen gefertigt waren. Wenn es eine Falle war? Es war sicher eine Seifenblase der sie nachjagten. Wieso war die Geschichte Vom Ort ohne Hunger erst jetzt aufgetreten? Es war nicht mehr zurückzufolgen wer sie als erster erzählt oder gehört hatte, sie hätte von jedem stammen können. Es wurde von grünen Wiesen berichtet, die sich ins endlose zogen und an denen hunderte von Kühen gleichzeitig weiden könnten. Auch an Bäumen sollte es nicht mangeln, was schattige Plätze und viel Holz für den Bau von Hütten versprach. Sie würden damit sogar endlich richtige Häuser bauen anfertigen, die sicher auch von Nöten sein würden, da das Klima ein viel gemäßigteres sein sollte, als sie es sonst gewohnt waren. Es klang für die meisten wie träumerische Wünsche eines Kindes und es schien im ersten Moment nichts Unwahrscheinlicheres als diesen Ort zu geben. Doch eine geringe Anzahl an Wahlmöglichkeiten kann Unmögliches Wahrscheinlich aussehen lassen, kann Risiko wie ein Gewinn erscheinen lassen. Doch es musste eine Lüge sein, geschickt eingesetzt durch die Weißen die gekommen waren um sich ihr Land anzueignen, sich ihrer zu entledigen. Das geheimnisvolle Paradies erschien wie eine große Phatamorgana, etwas unklar, glitzernd aber reichlich mit Wasser und Leben gefüllt, als sie loszogen. Die Männer übernahmen das Tragen der Wasserkrüge, da sie kein Vieh mehr besaßen, welches diese Aufgabe erledigt hätte. Der riesige Tross von Menschen setzte sich in Bewegung, hunderte an der Zahl, ließen sie nur leere Holzhütten zurück, da sie alles auf ihren Schultern trugen, was sie noch besaßen.
Sie gingen südlich, so wie die noch junge Sage es berichtete und kamen trotz körperlicher Schwäche am Anfang sehr zügig vorwärts. Eines Tages, es war noch früh am Morgen, begegnete A. den Wanderern auf seinem Weg zur Arbeit als sie gerade ihr Lager abbrachen, welches sie für die Nacht gebaut hatten. Er beachtete sie nicht.
Sie hatten es tatsächlich geschafft! Sie waren angekommen, sie wussten es als sie mit ihren schwachen Augen einen riesengroßen See sahen. Das Sonnenlicht spiegelte sich in ihm. Sie mussten nur noch einige hundert Meter hinter sich bringen und sie hätten es tatsächlich geschafft. Doch es ging nicht. Einige Mütter meinten sie könnten keinen Schritt mehr laufen, sie würden es sich dort nicht mehr hinschleppen können. Deshalb liefen einige der Jüngeren Männer vor, sie strotzten augenblicklich wieder vor Energie als sie sich dem Ziel so nahe fühlten. Die zurückgebliebenen hatten sich mit einem müden Lächeln in den Sand gesetzt. Sie waren zu entkräftet um ihren Sieg, ihre einmalige Leistung feiern zu können. Sie warfen sich einander nur freudige, heitere wenn auch schwache Blicke zu. Nur eine Handvoll der jungen Männer kam wieder zurück, die meisten waren umgefallen als sie es sahen und waren nicht einmal mehr zum weinen fähig gewesen. Die anderen erzählten von der Spiegelung des Hochhauses durch die vielen Glasfenster. Das Paradies war nicht da, es war nur Sonnenlicht, Sonnenlicht das sie umbringen würde. Kein Weiterkommen war nun noch möglich gewesen. Es erschien sinnlos, auch konnten ihre Beine sie nicht mehr tragen, die Enttäuschung hatte sie gelähmt. Viele wachten den nächsten Morgen nicht mehr auf, die anderen taten es ihnen die nächsten Tage gleich. Es war ein stummer Tod, ein Leiden das in sich gekehrt stattzufinden schien. Die Sonne fiel unbarmherzig auf sie hinab, als es vorbei war, als der letzte starb und die Leichen den Weg pflasterten.
Jürgen A. ist endlich in seinem kleinen Büro im dritten Obergeschoß angekommen und berechnet angestrengt die Mehrkosten die ihn die vielen Plastiktüten für den Schutz seiner Schuhe machen würde und wie er sie vielleicht von der Steuer absetzten könnte.