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Totgesagte

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19.01.2004
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Totgesagte

Totgesagte(Version 3)

Der Regen des Vormittags hatte einem malerischen Frühlingshimmel Platz gemacht. Seine Wattewölkchen auf blauem Grund spiegelten sich jetzt fröhlich in den Pfützen des Sandweges. Leuchtendes Grün spross an allen bis noch vor einigen Tagen kahlen Sträuchern und Bäumen längs des Pfades. In ihren Ästen gurrten und balzten wollüstige Tauben um die Wette. Und so erwachte überall auf dem Friedhof das Leben mit frisch gestärkter Kraft.

Eine Gruppe dunkel gekleideter Menschen stand abseits um ein bunt geschmücktes Grab. Ihnen zugewandt hielt der bezahlte Redner seinen Nekrolog über einen Menschen, den er nie zuvor gesehen hatte. Insgeheim grübelte er bereits über die Siegchancen von „Letzter Nagel“ im morgigen Pferderennen nach und berechnete die damit verbundene Vervielfachung seines jetzigen Honorars.

Athaniel hörte beiläufig seine Gedanken. Er hörte auch die Gedanken der meisten anderen Anwesenden, weniger nahe Verwandte des Betrauerten, wie sie die morgens mit der Post erhaltenen Rechnungen durchgingen, Reisespläne entwarfen und sich Sorgen über eingeschaltete Bügeleisen machten. Und er vernahm auf seine Art auch die gedankenlose Leere im Innern der Mutter und des Vaters, die im stillen Kummer am Grab ihres Sohnes standen. Das berührte ihn jedoch alles nur ganz nebenbei. Er war hier wegen Stephen. Und der stand direkt neben ihm im Schatten einer kleinen Akazie mit tief hängenden Ästen, wie man sie auf Friedhöfen im allgemeinen erwartete.

Ein etwa fünfjähriges Mädchen löste für einen kurzen Augenblick seine Aufmerksamkeit vom schwarzen Loch im Boden. Sie sah direkt zur Akazie und Athaniel darunter. Dieser tat, als wäre er abgelenkt, und drehte er den Kopf weg. Daraufhin streckte sie ihm die Zunge raus und feixte schelmisch. Aus irgendeinem Grund mochten ihn Kinder nicht, und Athaniel war dazu übergegangen, sie lieber zu ignorieren. Die Mutter des Kindes stieß es an, und seine Aufmerksamkeit wanderte zurück auf das Loch im Boden. Nur das Mädchen hatte die beiden Gestalten unterhalb des gedrungenen Baumes sehen können.

»Was ist los? Wo bin ich?«, fragte Stephen noch leicht benommen vom langen Sturz.
»Heiliger Boden trägt unsere Füße«, antwortete Athaniel gelassen. »Dies ist Gottes Acker, wie ihr Menschen so schön sagt. Dort drüben findet gerade eine Beerdigung statt, mein Freund – deine, genauer gesagt.«
Längst hatte er sich an die anfängliche Begriffsstutzigkeit Neutoter gewöhnt.
»Oh! Dann hat ’s also geklappt!«, sagte Stephen und schien zufrieden.
»Was hattest du denn erwartet? Immerhin war das Haus fünfzehn Meter hoch. Den Abdruck auf den Gehwegplatten wird man in elf Jahren noch sehen können.«
Es besserte ihre Stimmung, wenn die Selbstmörder erfuhren, dass etwas Bleibendes ihren Tod überdauerte. Das zumindest war die Erfahrung, die Athaniel in langjährigen Beobachtungen gemacht hatte.
»Wer sind all die Leute? Ich kenn’ ja nur die Hälfte davon. Und wo wir schon mal dabei sind: Wer bist du eigentlich, zum Teufel?«
»Bitte nicht fluchen! Ich bin Athaniel,«, sagte Athaniel, »dein Wächter über den Wechsel...«
»Wechsel wohin?«
»Lass mich bitte ausreden! ...über den Wechsel ins Himmelreich, in das Paradies, welches Gott für euch nach dem Tod bereitstellt.«
»Ich komm’ in den Himmel? Aber eigentlich bin, äh, war ich überhaupt nicht gläubig. Also, ich meine: In-die-Kirche-gehen, abends beten und so. Hab’ ich alles nie gemacht.«
»Das ist gar nicht so bedeutend. Die Lehren eures Glaubens sollten ursprünglich auch nicht darin bestehen, euch angepasstes, dogmatisches Verhalten beizubringen. Gott wollte immer nur eure Liebe – die Liebe zu ihm und allem, was er schuf. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, führtest du ein gutes Leben. Warst meistens freundlich und nett. Nicht voreingenommen. Hast niemanden getötet. Im Prinzip haben dich alle gemocht.«
»Und, äh, das reicht aus? Also, ich hab’ da nie so drüber nachgedacht, aber...«
»Es geht um das Maß an Leid, welches du der Erde brachtest. Oder besser noch, dass Verhältnis zwischen Leid und Mitleid. Diese Waage neigt sich zu deinen Gunsten. Außerdem warst du Organspender, das gibt Pluspunkte.«
»Dann bist du ein Engel?«
»Ein vielleicht etwas grober Sammelbegriff. Ich bin Athaniel, einer der elfhundert Malachim und dein persönlicher Wächter des Übergangs. Und frage mich bitte bloß nicht nach den Flügeln!«
»Hatte ich gar nicht vor.«
»Äh, gut, dann komme nun bitte mit mir.«
»Und ich bin jetzt ein Geist, oder was? Aber warum trag’ ich dann normale Klamotten?... Und du einen italienischen Seidenanzug!?«
»Reine Einbildung! Wir müssen jetzt los. Siehst du den weißen Tunnel? Das ist unser Zeichen...«
»Weshalb darf ich eigentlich in den Himmel? Ich dachte immer, dass Selbstmördern dieser Weg versperrt wäre.«
»Nun ja, das ist lange her. Die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage hat sich die – wenn man so sagen will – Spanne des vorstellbaren Bösen enorm erweitert und man braucht da unten...« Athaniel zeigte verstohlen Richtung Boden. »... deutlich mehr Platz als früher. Deshalb gibt es seit einiger Zeit neue Richtlinien, in denen Selbstmord als eher geringes Verbrechen eingestuft wird. Manch einer in der Geschichte wäre damit besser beraten gewesen. Und mit der praktischen Handhabung nahm man es noch nie so genau. Und jetzt bitte... «

»Ich meine, ich bin ja dankbar für eure Entscheidung, aber...«
Oh nein! Athaniel rollte mit den Augen. Es gab immer ein Aber!
»Äh, du brauchst dafür nicht dankbar zu sein. Immerhin hast du dein Leben geführt, und nicht wir. Dafür erwartet dich jetzt ewiges Glück. Nur nicht hier auf Erden, wenn du verstehst.«
»Na ja, ich will ja auch nicht zu genau nachhaken, aber wann hat man schon mal die Gelegenheit mit einem echten Fachmann über Religion, Wahrheit und dergleichen zu sprechen? Einige Sachen waren mir nie ganz klar...«
»Meinst du vielleicht die Ungereimtheiten im Alten Testament? Darauf werde ich öfters angesprochen. Da gab es wohl eine Reihe von Übersetzungsfehlern. Vieles ist auch einfach weggelassen worden im Laufe der Zeit. Wir sollten jetzt wirklich...«
»Ich dachte da eher an euer Bewertungssystem. Manches scheint mir nicht ganz schlüssig: Wenn du von Leid sprichst, wie ist das dann zum Beispiel mit dem Leid, das ich meinen Eltern zugefügt habe?«
»Ach Gott! Du willst es aber genau wissen. Also schön: das gab natürlich Abzüge, aber man muss dabei gegenrechnen, dass du selbst vorher nicht minder gelitten hast. Immerhin glaubtest du, das Mädchen zu lieben. Und Gott weiß, dass unerwiderte Liebe eine der schlimmsten Qualen überhaupt sein kann. Zumindest, wenn man keine echten Probleme hat.«
»Hannah! Wegen ihr... Gott! Beinahe hätt’ ich sie vergessen!«
»Siehst du, ein wenig religiös bist du ja doch.«
»Weshalb hat mich Gott so leiden lassen? Ich meine, warum musste ich mich in Hannah verlieben, aber sie sich nicht in mich? Das scheint mir ein klein wenig unfair.«
»Nun lasse Gott da bitte raus. Er gab euch alles, um klarzukommen in der Welt. Was ihr hier...«
»Aber du hast doch selbst gesagt, dass ich sie...«
»Ich sagte: du glaubtest sie zu lieben. Aber du tatest es nicht wirklich.«
»Nun komm’ mir nicht so. Du redest ja schon wie Hannah. Wen ich geliebt hab’ und wen nicht, kannst du getrost mir überlassen.«
»Gut. Aber diese Diskussion ist angesichts des Augenblicks wirklich hinfällig. Wir müssen jetzt gehen.«
»Äh... Ich danke dir für deine Mühe, aber ich kann nicht mitkommen.«
»Tja... So etwas ahnte ich schon. Was planst du zu tun? Als rastlose Seele ewig auf Erden herumspuken?«

»Zuerst muss ich etwas herausfinden. Mach’s gut!«, sagte Stephen abschließend, dann sprang er ungeschickt davon. Er hatte noch Probleme mit der Körperlosigkeit. Athaniel schüttelte seinen Kopf. Diese Menschen taten wirklich die verrücktesten Dinge und beriefen sich dabei aus irgendeinem Grund immer auf die Liebe.
Der Schützling des Engels hatte unterdessen die ihn beweinende Gruppe erreicht. Aus Film und Fernsehen war er längst darauf vorbereitet, dass ihn niemand sah – bis auf seine kleine Nichte, die ihn interessiert dabei beobachtete, wie er die Schar der Trauernden genauer untersuchte. Athaniel schlenderte hinterher. Er spürte, dass die Geschichte noch komplizierter werden mochte. Auf jeden Fall würde sie länger dauern.

»Was hoffst du zu sehen?«
»Nicht zu sehen. Zu finden! Ich suche Hannah. Weißt du, wo sie ist?«
»Ich bin für die Toten da. Die Lebenden treffe ich so gut wie nie.«
Stephen sprang umher, wenn man bei ihm in diesem Zustand davon sprechen konnte. Der Redner beendete seinen letzten Satz. Die üblichen Rituale des Blumenwurfs und der handvoll Erde wurden unter großem Tränenfluss vollzogen. Dann räumte sich langsam das Gräberfeld, und zurück blieben die beiden Unsichtbaren und ein hagerer, kleiner Mann mit einer großen Schaufel in der Hand. Er begann, das Loch mit der frischer Erde aufzufüllen. Aprilregen setzte von neuem ein. Er fiel aus dunklen Wolkengebirgen, die ihre kleinen Geschwister von deren Platz vertrieben hatten. Dem dürren Mann wurde es schließlich zuviel, und er beschloss, sich in seinen Geräteschuppen zurückzuziehen, wo er noch irgendwo eine Flasche Scotch gefangen hielt.

»Sie war nicht hier!«, sagte Stephen deprimiert und versuchte vergeblich, sich auf seinen Grabstein zu setzen. Dicke Tropfen fielen durch ihn hindurch.
»Vielleicht war sie verhindert?«
»Verhindert um zu meiner Beerdigung zu gehen? Ich glaube nicht. Wir waren zu gut miteinander befreundet – jedenfalls dachte ich das.«
»Vielleicht konnte sie nicht kommen, weil sie es einfach zu sehr schmerzt, was du getan hast.«
»Der Punkt ist, dass sie nicht gekommen ist. Jetzt hat alles keinen Sinn mehr.«
»Mein Freund, du bist tot!«, sagte der Engel energisch und zeigte auf das halb gefüllte Grab mit dem Sarg darin, »Dort unten liegt dein Leichnam. Meinst du nicht, dass du jetzt andere Sorgen haben solltest? Also, bei näherer Betrachtung hast du jetzt überhaupt keine Sorgen mehr. Freue dich doch auf die Ewigkeit.«
»Quatsch, Ewigkeit. Tolles Ding! Ich für meinen Teil fühle mich nicht sonderlich erlöst. Wenn Hannah nicht kommt, brauche ich auch kein endlos haltendes Paradies.«
»Hast du das alles nur getan, um Hannah auf deiner Beisetzung zu sehen? Das scheint mir ein wenig übertrieben. «
»Im Prinzip: ja. Aber ich wollte nicht sterben! «
»Und dazu springst du von einem Hochhaus?«
»Okay, ich wollte schon sterben. Aber glaube mir, ich weiß, dass ich wieder zurückkehren kann.«
»Du meinst von den Toten auferstehen? Das kann niemand!«
»Jesus konnte das!“
»Ja, aber Jesus war Gottes Sohn!«
»Also, wenn es Gott wirklich gibt, und er Adam erschaffen hat – also auch Adams Vater in gewissem Sinne war –, bin ich dann als Nachfahre Adams nicht in der gleichen gewissen Weise Gottes Enkel?«
»Nun... Ja, aber...«
»Also kann ich das auch! Es ist nur eine Frage des Willens, wie überhaupt fast alles. Nur die Liebe nicht, denn wir können nicht entscheiden, wer uns liebt.«
»Jetzt fange mit mir bitte keine Grundsatzdiskussion an. Gut! Generell ist es möglich, aber ich sage dir gleich, dass es auch Probleme dabei gibt.«
»Das hätte ich schon geschafft. Aber nun ist das sowieso hinfällig.«
»Das war dein Plan?«
»Verstehst du denn nicht? Sie hätte dann einsehen müssen, dass sie mich liebt. Mein Ableben sollte es ihr beweisen. Die Menschen fangen an, über solche Dinge nachzudenken, wenn der Tod in ihrer Nähe zuschlägt.«
»Manche hören damit auch auf.« Das und ein weiteres Kopfschütteln waren das einzige, was Athaniel dazu einfiel. Er verstand manchmal die Menschen selbst nach fünftausend Jahren noch nicht.
»Nun, wer weiß? Eine Frage sei mir dennoch gestattet: Wenn du das von Anfang an vorhattest, wieso hast du dich dann zum Springen entschieden? Ich denke dabei an die vielen Knochenbrüche, geschweige denn an...«
»Ja, ich muss zugeben, an dieser Stelle des Plans habe ich nicht wirklich überlegt. Aber trotzdem fühle ich, dass ich den Tod überwinden kann... Oder besser gesagt: ich fühlte es. Aber sie ist ja nicht hier. Schicke mich meinetwegen in Himmel oder Hölle. Es ist mir egal.«
»Also erstens: ich schicke dich nicht, sondern begleite dich nur beim Übertritt in die andere Welt. Und zweitens sollte es dir nicht egal sein.«
»Ist es aber!«
»Sollte es aber nicht!«

In diesem Moment knarrte das eiserne Gittertor in der östlichen Friedhofsmauer geradezu aufdringlich laut. Die eintretende kleine Gestalt im schwarzen Mantel hielt ihr Gesicht verborgen unter einem großen Schirm. Sie nahm unsicher einen der vielen Wege, die sich vor ihr auftaten, und näherte sich nur zögerlich, als sie das gesuchte Grab entdeckte. Stephen stand auf und sah sie mit großen, durchscheinenden Augen an. Er sagte kein Wort, doch Athaniel wusste, dass es sich bei dem verspäteten Trauergast um Hannah handeln musste.
»Sie ist gekommen!«, jubelte Stephen für alle Lebenden unhörbar.
»Bist du nun glücklich?«
»Noch nicht ganz!«

Hannah stand jetzt vor dem tiefen Erdloch und flüsterte leise Worte. Dabei rannen ihr salzige Tränen über die Wangen und vermengten sich mit den Regentropfen. Athaniel vermochte ihre Gedanken zu lesen und erkannte, dass sie liebevoll von Stephen sprachen, wenn auch nicht so, wie der erhoffte. Aber der unsterbliche Engel musste einräumen, dass er sich damit vielleicht irrte, denn über derart komplizierte Dinge wie Liebe unter Menschen besaß er nur theoretisches Wissen.
Stephen näherte sich Hannah und versuchte, ihre Schultern zu fassen. Dann machte er einen metaphysischen letzten Atemzug und sprang in sein Grab.
»Ich danke dir für deine Hilfe, aber jetzt brauche ich dich nicht mehr. Ich glaube ein Abschiedsgruß ist trotz allem angebracht.«
»Höre auf mich! Auferstehung ist nicht so einfach, wie du es dir vorstellst. Man muss viele Dinge beachten...«
»Ich werde es schon schaffen. Auf Wiedersehen!«, unterbrach ihn Stephen und legte sich flach in den Sarg, so dass er in Deckung mit seinem ehemaligen Körper geriet. Athaniel war gespannt. Vielleicht gelang diesem entschlossenen jungen Mann das Kunststück.

Einige Augenblicke geschah nichts, doch der Engel spürte die geistigen Anstrengungen. Und plötzlich rumpelte es ganz leise im schweren Eichensarg. Bei Gott, Stephen schien es wirklich geschafft zu haben! Athaniel musste ihm Respekt zollen, denn nicht viele waren damit erfolgreich gewesen.
Die Scharniere des Sarges ächzten und knarrten aufgrund der hineingeratenen Sandkörner. Erde versackte in wachsenden Löcher und hinterließ auf dem frisch geworfenen Haufen kleine Kegelmulden. Hannah stand wie versteinert da. Stephen drückte einen Arm aus dem Spalt, um den Deckel besser öffnen zu können. Dann klappte die obere Deckelhälfte zur Seite, und Stephen lag im Freien. Schwarzer Sand fiel in sein fahles Leichengesicht. Hannah einen Meter über ihm war bereits zur Salzsäule erstarrt. Ihre Augen schienen viel größer, als er sie in Erinnerung hatte. Stephen stand auf und breitete seine Arme aus, um seine Liebste ans nicht schlagende Herz zu drücken.

»Hannah. Ich kehre vom Tod zurück. Ich habe die letzte Schwelle zweimal übertreten nur um bei dir zu sein. Ich... «
Plötzlich schrie Hannah und erlöste sich damit selbst aus ihrem Wachkoma. Sie griff zur Schippe des alten Mannes. Mit einem einzigen Schlag köpfte sie Stephen, denn auch sie hatte in Film und Fernsehen erfahren, wie mit Zombies umzugehen war. Dann lief sie weinend davon.
»... Dinge, wie zum Beispiel, dass lebende Menschen im allgemeinen nicht sehr positiv auf umherwandelnde Leichen reagieren«, sagte Athaniel, der alles beobachtet hatte. Stephens kopfloser Körper fiel zurück in den Sarg. Seine Seele blieb enttäuscht stehen.
»Na gut! Die Sache mit Hannah hab’ ich jetzt verstanden. Wie sieht’s denn im Himmel genau aus?«


Die ältere, zweite, überarbeitete (und reichlich andere) Version gibt's hier (steht weiter unten)

 

Hallo Hagen,

durch die anschauliche und stimmungsvolle Sprache zu Beginn des Textes (vor allem die Beschreibung des Frühlings ist dir gelungen) konnte ich mich leicht in deine einfühlsame Friefhofsgeschichte hineinfinden, und es hat Spaß gemacht, sie zu lesen. Der Dialog ist dir gelungen, ich habe ihn mit regem Interesse verfolgt. Der Inhalt kam bei mir mit einer gewissen Überzeugungskraft an. Ich konnte die Hoffnung deines Protagonisten, Hannah, seine unerfüllte Liebe, zu finden, nachvollziehen, und es gefiel mir gut, wie du alles hast enden lassen. Hannahs Reaktion auf Stephans Auferstehung ist verständlich (obwohl ich zugeben muss ... ein wenig weit hergeholt ist die Auferstehung schon ...); der Schlusssatz der Geschichte ist zum Schmunzeln. Würde die Geschichte mal verfilmt werden, wäre es sicherlich eine Tragikkomödie.

Auch das Gespräch über Religion, Leben nach dem Tod, In-die-Kirche-gehen, etc., fand ich sehr aufschlussreich mit den Antworten, die Stephen bekommt – Antworten auf Fragen, die sich wohl viele von uns stellen.
Nur eine Sache erscheint mir etwas unlogisch:

Außerdem warst du Vegetarier, das gibt Pluspunkte
Warum bekommen Vegetarier Pluspunkte? Waren Jesus' Jünger damals nicht auch Fischer? Oder zählt Fischverzehr nicht zu Fleischgenuss? :D

Ein paar Fehleranmerkungen noch:

Dass zumindest war die Erfahrung, die Athaniel gemacht hatte in langjährigen Beobachtungen
Das
Wenn du von Leid sprichst, wie ist das dann zum Beispiel mit dem Leid, dass ich meinen Eltern zugefügt habe?“
das
Immerhin glaubtest du, dass Mädchen zu lieben
das

Hab mich gut unterhalten. Der Titel passt. :thumbsup: Werde die Geschichte gleich mal in den Empfehlungsthread setzen.

Viele Grüße,

Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke Michael

Fehler erkannt und beerdigt :D

Die Geschichte beruht auf einem meiner Träume. Somit ist die Vegetariergeschichte durchaus autobiographisch zusehen, und stellt soetwas wie eine Selbstbeweihräucherung da (um mal bei der gleichen Metaphorik zu bleiben) ist aber für alle unbeteiligten nicht allzu ernst zunehmen.

Wenn ihrs gut findet, find ichs auch gut :)

PS:Als sogenannter Ovolo-Lacto-Vegetarier (Eier-Milch-Gemüse) ess ich nichts was mal soetwas wie ein Nervensystem besessen hat, also auch kein Fisch. :dozey:

 

Hi Hagen,

na das ist doch genau was für mich.

Witzig und lebendig über die Toten geschrieben.
Ein Engel, der nicht mit gesalbten biblischen Worten spricht. Eben alles zu seiner Zeit. Heute redet man anders. Auch Engel passen sich an.
Himmliche Gesetze werden geändert. Selbstmörder kommen nicht mehr ins Fegefeuer. Der freie Wille ist und bleibt. Das Kind, dessen Sinne noch offen sind.
Der Tod, der keiner ist.
Super, du hast alles reingebracht, (oder fast) was man als sterblicher so gerne wissen möchte.
Wenn man sich dessen wirklich sicher sein könnte, wäre das Leben so viel einfacher. (Obwohl, ich bin mir sicher.)
Was natürlich nicht bedeutet, das man sich umbringen sollte. Das Leben hat ja seinen Sinn.
Das der Tote wieder zum Leben erwacht, ist natürlich an den Haaren herbeigezogen. Es sei denn er war Scheintot. Das gibts aber glaube ich heute nicht mehr. So schnell wird man nicht beerdigt.
Doch passt dieser Pointe zu deiner hurmorvollen Geschichte, die ich wirklich köstlich finde.
Schön, das Michael sie in die Empfehlung setzt. Glückwunsch.

glg, coleratio

 

Hi Hagen,
um es direkt vorwegzunehmen: mir hat deine Geschichte auch gefallen. Hier wäre besonders der Engel hervorzuheben. Man hatte immer das Gefühl, als versuche er Stephen seine Gestalt, bzw. sein Wesen so herüberzubringen, wie sich ein Mensch einen Engel vorstellt, aber doch gelang es ihm nie; aber was soll man auch erwarten, wenn man jahrelang immer wieder das selbe machen muss; auch als Engel *g*
Also: Rundum gelungen! Bitte mehr davon!

Aber eine Sache noch: Die weißen Wattewölkchenhaufen auf blauem Grund...also bitte...;)

Grüße...
morti

 

Hi Hagen,

auch ich bin begeistert! Super, Dein Dialog der Beiden; hat Spaß gemacht, sich in das Gespräch hineinzuversetzen. Und mir als echter Splatter-Fan hat natürlich auch das Ende gefallen. Eine Geschichte, die eine sehr interessante Sichtweise offenbart; Gratulation!
Ich habe wirklich keine Sekunde bereut. Es war eine story genau nach meinem Geschmack. Unrealistisch und trotzdem realistisch dargestellt.

Zwei Kleinigkeiten hab ich dann doch noch:

Und frage mich bitte bloß nicht wegen den Flügeln!
... wegen der Flügel!
„Oh man!
"Oh Mann!

Hat wirklich echt Spaß gemacht, Deine Geschichte zu lesen!!!

Liebe Grüße! Salem

 

Danke bisher nochmal allen :) das gibt einen Kraft für ein Leben nach ...den KG-abenden

@Salem

Fehler eingesehen und ausgebessert. Da steckt selbst nach tausendmaligem Lesen noch der Fehlerteufel drinne. ts ts ts ;)

Hagen

 

Hallo Hagen!

Ich bin über den Empfehlungsthread hier gelandet und muss sagen, deine Geschichte hat sich ihren Platz dort verdient! Eine tolle Geschichte, kurzweilig, und sehr unterhaltsam! Alle Erklärungen über das "Leben nach dem Tod" erhalten durch deinen Dialog und die Sprache eine glaubwürdige Wirklichkeit. Selbst Stephens schließlich misslungene Rückkehr ins Leben.
Das "Schlussbild" hast du sehr skurril gemalt, es gefällt mir die Vorstellung, wie Hannah davon läuft, während Stephens Seele sich von seinem Körper trennt, der ins Grab zurückplumpst. Dadurch erhält auch der Schlusssatz eine beinahe unheimliche Witzigkeit.

Gratuliere, die Geschichte ist dir echt gelungen. Einige Fehler sind nach wie vor drinnen. Wenn dir was dran liegt, such ich sie dir gerne raus.

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Hagen,
eine rundum tolle Geschichte ist Dir hier gelungen.
Die Unterhaltung zwischen Athaniel und Stephen fand ich besonders schön, weil Athaniel nicht in geschwollenen Sätzen redet, wie man es vermuten würde. Scheinbar gehen auch Engel mit der Zeit. Die Beschreibung des Frühlings hat mir auch sehr gefallen, bis auf die Wattewölkchen auf blauem Grund. Die passen irgendwie nicht in dein schön gemaltes Wortbild. Dort wirken sie eher wie ein Comic. Anders kann ich es leider nicht erklären.
Mehr kann ich dazu nicht sagen: einfach faszinierend. :thumbsup:
Liebe Grüße, Susie :)

 

@Barbara
Sorry, hatte dich ganz vergessen :Pfeif: Danke, für die netten Worte.
Wie gesagt hat sich das alles so beim Schreiben ergeben, obwohl ich recht konzeptlos angefangen hatte.

@Kürbiselfe

Ja, diesmal war deine Wahl besser :D .
Danke für das Lob, ich find die auch ziemlich gut (auch die Wolken).
So langsam glaube ich zu verstehen, was dir gut gefällt. Wenn du eindringliche Beschreibungen magst, dann schau am besten bei Das Ende des Weges mal rein.

mfg hagen

PS: Hoffentlich hat das jetzt keiner gesehen :cool: , denn Selbstempfehlungen kommen wohl normaler Weise nicht so gut

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hagen,

stilistisch nicht so dufte:

Der Regen des Vormittags war gewichen und hatte einem wunderschönen Frühlingshimmel Platz gemacht. Die weißen Wattewölkchenhaufen auf blauem Grund spiegelten sich fröhlich in den großen Pfützen des Sandweges. Wildes Grün spross an allen vom langen Winter gekahlten Sträuchern längs des Pfades. Das Leben auf dem Friedhof erwachte mit frisch gestärkter Kraft.
Eine Gruppe dunkelgekleideter Menschen stand abseits um ein bunt geschmücktes Grab

Würde vorschlagen, etwas auszumisten ...

Inhaltlich: Schöner Humor, wie immer ;), besonders hat mir das gefallen:

„Also, wenn es Gott wirklich gibt, und er Adam erschaffen hat – also auch Adams Vater in gewissem Sinne war –, bin ich dann als Nachfahre Adams nicht in der gleichen gewissen Weise Gottes Enkel?“
„Nun... Ja... aber...“
:D

Fazit: Gerne gelesen!

Kurz und knapp.

LG

Dante_1

P.S.: Ich habs gesehen, bitte entfernen! :D (Schon okay ...)

 

Hallo!
Amüsant-morbide Geschichte. Das der letzte Satz wie aus einem Drehbuch wirkt finde ich gut! Überhaupt könnte ich mir die Geschichte gut als Kurzfilm vorstellen. Der Vegetariersatz hat mich im Übrigen auch gestört. Den würd ich wirklich rausnehmen.
Gruß Fabian

 

Hallo an alle,

...die bis hier her gelesen haben :) Und erstmal danke für eure Kritiken, die ja doch sehr positiv waren.
Ich habe mich dazu entschlossen im Rahmen einer Ausschreibung auf www.storyolympiade.de , diesen Text gründlich auszumisten, zu raffen, straffen, paffen(?) und ihn dann erst noch mal hier und später dort reinzustellen.
Vielleicht könnt ihr ja dann erneut ein kurzes Auge(seltsame Rdw :)) raufwerfen. Danke

@Dante
Der Abschnitt fliegt vielleicht im Ganzen raus, wird aber auf jeden fall nochmal überarbeitet (im Sinne unserer Schneller-Einstieg-Diskusion :cool: )

@Fabianchen

Der Vegetariersatz hat mich im Übrigen auch gestört
Der soll euch Fleischfresser auch stören :) Schlechtes Gewissen bekommen? ;)

mfg
Hagen

 

Ne, diesmal machts eigentlich schon Sinn, das der Anfang drinbleibt, wegen der Atmosphäre und so, verstehste? ;) Nur die vielen Adjektive etc. stören etwas den Erzählfluss ...

Grüüße

Dante_1

 

Hallo Lukas und Angua(höre ich da etwa Pratchett im Namen klingen?)

schnell noch eine Antwort:

@Angua
Schön, dass es dir gefallen hat :D Ließ doch bitte dann die zweite Version(kommend irgendwann bald) auf Fehler hin und schicke sie mir (natürlich nur, wenn du Lust hast)

@Lukas
Na eigentlich mag ich diesen Abschnitt auch, doch wenn ich es da einreichen will, hätte ich doch lieber einen schnelleren Einstieg. Ich versuche dennoch (unser beider Lieblings)satz dort einzubinden.

Der geführte Dialog ist eher so eine Art Schreiblaune meinerseits gewesen, als dass er gezielt entwickelt wurde. Und ich fürchte, dass sieht man ihm auch an.

Bei den Benennung hast du mich echt erwischt: Das (nach Tolkien klingende) "Mithrindrar" ist eine reine Ausgeburt meiner Fantasie. Für die zweite Version der Geschichte werde ich aber etwas Nachforschung betreiben und eine adäquate Bezeichnung verwenden :)

mgh Hagen

 

Totgesagte (Version 2)

Unter dem verdrehten Körper des Mannes am Boden bildete sich langsam ein roter See, der die aus den Ritzen der Gehwegplatten sprießenden Grasbüschel in dickflüssigem Blut ertränkte. Es entstanden kleine Inseln mit verträumten Buchten und abgelegenen Stränden. Ein frischer Aprilwind kräuselte sanft die Oberfläche dieses malerischen Miniatur-Naherholungsgebietes.
Niel trat von hinten an seine Zielperson heran und legte beruhigend seine Hände auf ihre Schulter.
»Komm! Du solltest das nicht allzu genau betrachten«, sagte er mit seiner sonoren, wohlklingenden Menschenstimme.
»...«, war die stumme Antwort Stephens. Er ließ sich von den fremden Händen durch eine unauffällige Tür in der Wand nebenan führen. Es war eine von diesen Türen, die es überall in und an jedem Gebäude der Welt gibt: grau lackiert, mit schnörkellosem, schwarzen Plastikgriff und krisseliger Sichtscheibe im oberen Drittel, hinter der einem die verbotenen Geheimnisse des Universums undeutlich und düster entgegenleuchten.

Hinter dieser lag jedoch ein sich bis zum Horizont erstreckender, wunderschöner Wildblumengarten. Mit »Wo bin ich?« fand Stephen seine Sprache wieder.
»Dies, mein Freund, ist die Zwischenwelt Floreat astrum«
»Noch nie im Leben davon gehört!«
»Sie ist ja auch nicht für die Lebenden bestimmt.«
»Oh! Soll das heißen, ich bin... ?«
»Ja, du bist.«
Niel mochte Selbstmörder. Menschen, die den eigenen Tod herbeigeführt hatten, waren danach meist viel umgänglicher und einsichtiger.
»Schön, hat’s also doch geklappt.«
»Was hattest du denn erwartet? Immerhin war das Haus fünfzehn Meter hoch. Den Abdruck auf den Gehwegplatten wird man in zehn Jahren noch sehen können.«
Nach Niels langjähriger Erfahrung besserte es ihre Stimmung, wenn Suizidale erfuhren, dass etwas Bleibendes ihren Tod überdauerte.
»OK, und wer zum Teufel bist du eigentlich?«
»Bitte nicht fluchen! Ich bin Athaniel«, sagte Niel, », dein Wächter über den Wechsel...«
»Wechsel wohin?«
»Lass mich bitte ausreden. ...über den Wechsel ins Himmelreich, ins Paradies, welches Gott für euch nach dem Tod bereitstellt.«
»Athaniel, hmm?«
»Du darfst mich Niel nennen, wenn du willst. Der andere Name klingt so förmlich.«
»Dann bist du ein Engel, Niel?«
»Ein vielleicht etwas grober Sammelbegriff. Ich bin Athaniel aus der Art der Malachim und einer der elfhundert die Wächter des Übergangs. Frage mich jetzt bitte bloß nicht nach den Flügeln!«
»Hatte ich gar nicht vor.«
»Äh, gut.«
»Und ich bin jetzt ein Geist, oder was? Aber warum trag’ ich dann normale Klamotten?... Und du einen italienischen Seidenanzug!?«
»Reine Einbildung! «
»Himmel, sagst du? Weshalb eigentlich? Ich dachte immer, dass der für Selbstmördern verboten wäre.«
»Nun ja, das ist lange her. Die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage hat sich die – wenn man so sagen will – Spanne des vorstellbaren Bösen enorm erweitert und man braucht da unten...» Niel zeigte verstohlen Richtung Boden. »... deutlich mehr Platz als früher. Deshalb gibt es seit einiger Zeit neue Richtlinien, in denen Selbstmord als eher geringes Verbrechen eingestuft wird. Manch einer in der Geschichte wäre deshalb mit dem Freitod besser beraten gewesen. Und in der praktischen Handhabung nahm man es sowieso nie so genau.«
»Interessant. Dabei bin ich nicht mal getauft worden? Was sagt denn der Papst dazu?
»Was weiß ich? Die kirchlichen Lehren sind mittlerweile etwas, na ja, abgehoben. Sie sollten ursprünglich nicht nur daraus bestehen, euch angepasstes, dogmatisches Verhalten beizubringen. Gott will nur eure Liebe – zu ihm und alles, was er geschaffen hat. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, führtest du ein gutes Leben: warst zwar nie wirklich freundlich, aber wenigstens auch nicht voreingenommen; hast niemanden getötet; und so weiter. Im Prinzip haben dich alle gemocht, wenn sie dich erst mal besser kannten.«
»Das reicht aus?«
»Es geht um das Maß an Leid, welches du der Erde brachtest. Oder besser noch: das Verhältnis zwischen Leid und Mitleid. Diese Waage neigt sich zu deinen Gunsten. Außerdem warst du Blutspender, das gibt Pluspunkte.«
»Und was soll ich jetzt hier in dieser Zwischenwelt?«
»Dich auf das Jenseits vorbereiten, ein wenig akklimatisieren – sozusagen.«
Stephen kickte energisch einer metaphysischen Butterblume den Kopf weg.
»Genug akkli-dingsbumst! Ich meine, ich bin ja dankbar für eure Entscheidung, aber...«
Fast unmerklich zuckte der Engel zusammen. Da war es wieder, das schlimme Wort. Es gab immer ein Aber.
»...ich muss wieder zurück!«
»Das ist nicht zu empfehlen.«
»Darfst du das entscheiden, oder ich?«
»Äh, na ja, du selbstverständlich, aber in Anbetracht meiner langen Erfahrung...«
»Ja, ja! Ich möchte zurück auf die Erde. Sofort, bitte.«
»Ist schon gut. Schau dich nur um, wir sind bereits da.«

»Und wo sind wir jetzt? Noch so eine bescheuerte Zwischenwelt?«
Athaniel blieb gelassen.
»Nein, mein Freund. Heiliger Boden trägt unsere Füße. Dies ist Gottes Acker, wie ihr Menschen so schön sagt.«
Aus der eben noch wilden Wiese war eine gutgepflegte Parkgrabanlage geworden, bestückt mit allerlei gestutzten Strauch- und Baumgewächsen und umfasst von einer bröckelnden Ziegelsteinmauer, die ihre besten Zeiten bereits hinter sich hatte – so, wie die meisten hier.
»Dort drüben findet gerade eine Beerdigung statt, mein Freund – deine genauer gesagt. Ich nahm an, dass du hierher wolltest.«
»Jupp. Woher wusstest du...«
»Ich sagte doch: jahrelange Erfahrung und dazu noch etwas Telepathie. Immerhin bist du nicht mein erster...«
»Dort drüben ist meine Beerdigung?« Stephen warf einen kritischen Blick in die gezeigte Richtung.
»Wer ist denn das da alles? Davon kenn’ ich ja nur die Hälfte.«
Eine Gruppe dunkelgekleideter Menschen stand abseits um ein bunt geschmücktes Grab. Ihnen zugewandt hielt ein bezahlte Redner den vorbereiteten Nekrolog und überlegte insgeheim auf welches Pferd er das gerade verdiente Geld morgen wetten würde. Der Engel konnte seine Gedanken hören.
Er hörte auch die, der anderen nicht so nahen Verwandten Stephens, wie sie die morgens mit der Post erhaltenen Rechnungen durchgingen, Reisepläne entwarfen und sich Sorgen über eingeschaltete Bügeleisen machten. Und er hörte den stillen Kummer im Innern der Mutter und des Vaters. Aber all das berührte ihn nur beiläufig. Er war ausschließlich wegen Stephen hier.
Ein etwa fünfjähriges Mädchen löste für einen Moment seine Aufmerksamkeit vom schwarzen Loch im Boden und drehte den Kopf. Sie sah zu den beiden Besuchern und lächelte Niel an. Er grinste zurück. Nur kleine Kinder und halbschlaue Haustiere konnten Stephen und ihn gerade sehen.
»Das ist Nora, meine Nichte.«, Stephen winkte dem Mädchen lächelnd zu. Sie streckte ihm die Zunge raus.
»Aus irgendeinem Grund hasst sie mich schon, seit sie ein Baby war«, sagte er und lächelte stur weiter. Die Mutter stieß das Mädchen an, und ihre Aufmerksamkeit wanderte zurück auf das Loch im Boden.
»Niedliche Kleine«, antwortete Niel. Er mochte Kinder.
»Dieses Biest? Versteh ich gar nicht. Das sagen immer alle. Sogar Hannah fand... Hannah! Wegen ihr...! Gott! Beinahe hätt’ ich sie vergessen!«
»Siehst du, ein klein wenig religiös bist du ja doch.» Niel lächelte ob dieses für ihn gelungenen Scherzes und überlegte dann kurz.
«Hannah? Oh ja, darüber bin ich informiert. Die Sache zwischen euch ist nicht grade gut für dich gelaufen.«
»Danke, wusste ich auch schon.«
»Du warst immerhin ziemlich fest davon überzeugt, sie zu lieben. Leider sah Hannah das etwas anders. Aber besser unglücklich geliebt zu haben, als...«
»Blödsinn! Weshalb hat mich Gott so leiden lassen? Ich meine, warum musste ich mich in Hannah verlieben, aber sie sich nicht in mich? Das erscheint mir reichlich unfair.«
»Lasse Gott da bitte raus. Er gab euch alles, um klarzukommen in der Welt. Was ihr hier...«
»Aber du hast doch selbst gesagt, dass ich sie lie... «
»Ich sagte: du warst davon überzeugt sie zu lieben. Aber du tatest es nicht wirklich.«
»Nun komm’ mir nicht so. Du redest ja schon wie Hannah. Wen ich geliebt hab’ und wen nicht, kannst du getrost mir überlassen.«
»Gut. Aber diese Diskussion ist angesichts deines jetzigen Zustands wirklich hinfällig. Wir sollten wieder gehen. Du hast gesehen, was du wolltest, oder nicht?«
»Um ehrlich zu sein: nein. Danke für deine Mühe und so, aber ich kann nicht mehr mitkommen.«
»Was planst du zu tun? Als rastlose Seele ewig auf Erden herumspuken?«
»Zuerst muss ich etwas herausfinden. Mach’s gut!«, sagte Stephen abschließend, dann sprang er ungeschickt davon. Springen ohne Körper ist ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Niel schüttelte seinen Engelskopf. Diese Menschen taten wirklich die verrücktesten Dinge und beriefen sich dabei aus irgendeinem Grund immer auf die Liebe.

Der vor kurzem Verschiedene hatte unterdessen die ihn beweinende Gruppe erreicht. Aus Film und Fernsehen war er längst darauf vorbereitet, dass ihn niemand bis auf seine kleine Nichte sah. Sie beobachtete ihn interessiert, wie er die Schar der Trauernden genauer untersuchte. Niel schlenderte hinterher. Er spürte, dass die Geschichte noch komplizierter werden mochte. Auf jeden Fall würde sie dauern.
»Was hoffst du zu sehen?«
»Nicht zu sehen. Zu finden! Ich suche Hannah. Weißt du, wo sie ist?«
»Ich bin für die Toten da. Die Lebenden treffe ich so gut wie nie.«
Der Redner beendete gerade seinen letzten Satz. Die üblichen Rituale des Blumenwurfs und der Handvoll Erde wurden unter großem Tränenfluss vollzogen. Dann räumte sich langsam das Gräberfeld, und zurück blieben die beiden Unsichtbaren und ein hagerer, kleiner Mann mit einer großen Schaufel in der Hand. Er begann das Loch mit frischer Erde aufzufüllen. Aprilregen setzte ein. Er fiel aus dunklen Wolkengebirgen hoch oben am physikalischen Himmel. Dem dürren Mann wurde es offensichtlich zuviel, und er beschloss sich in seinen Geräteschuppen zurückzuziehen, wo er noch irgendwo eine Flasche Scotch gefangen hielt, wie Niel nebenbei erfuhr.
»Sie war nicht hier!« Stephen sah deprimiert aus. Vergeblich versuchte er sich auf seinen Grabstein zu setzen. Dicke Tropfen fielen durch ihn hindurch.
»Vielleicht war sie verhindert.«
»Verhindert um zu meiner Beerdigung zu gehen? Ich glaube nicht. Wir waren zu gut miteinander befreundet – jedenfalls dachte ich das.«
»Vielleicht konnte sie nicht kommen, weil sie es einfach zu sehr schmerzt, was du getan hast.«
»Der Punkt ist, dass sie nicht gekommen ist! Jetzt hat alles keinen Sinn mehr.«
»Mein Freund, du bist tot!« Der Engel wurde nun energisch und zeigte auf das halb gefüllte Grab mit dem Sarg darin.
»Dort unten liegt dein Leichnam. Meinst du nicht, dass du andere Sorgen haben solltest. Also, bei näherer Betrachtung hast du jetzt überhaupt keine Sorgen mehr. Freue dich doch auf die Ewigkeit.«
»Quatsch, Ewigkeit. Tolles Ding! Ich für meinen Teil fühle mich nicht sonderlich erlöst. Wenn Hannah nicht kommt, brauche ich auch kein ewig dämliches Paradies.«
»Hast du das alles nur getan, um Hannah auf deiner Beisetzung zu sehen? Das scheint mir ein wenig übertrieben.«
»Im Prinzip: ja. Aber ich wollte nicht sterben.«
»Und dazu springst du von einem Hochhaus?«
»OK. Ich wollte schon sterben. Aber glaube mir, ich weiß, dass ich wieder zurückkehren kann.«
»Du meinst von den Toten auferstehen? Das kann niemand!«
»Jesus konnte das!«
»Ja, aber Jesus war Gottes Sohn!«
»Also Gott erschafft Adam, ist somit im Prinzip sein Vater, und Adam ist wiederum der Stammvater aller Menschen, dann bin ich also als Adams Ur-Irgendwas-Enkel Gottes Zweimal-Ur-Irgendwas-Enkelsohn. Und Sohn ist Sohn, ganz egal was davor steht!
»Nun ja, aber...«
»Also kann ich das auch! Es ist nur eine Frage des Willens, wie überhaupt fast alles – bis auf die Liebe.«
»Bitte keine Grundsatzdiskussionen. Also gut! Generell ist es möglich, aber ich sage dir gleich, dass es auch Probleme dabei gibt.«
»Das hätt’ ich schon geschafft.«
»Für Hannah auferstehen? Das war dein Plan?«
»Hätt’ schon geklappt. Sie hätte dann einsehen müssen, dass sie mich liebt. Die Menschen fangen an über viele Dinge nachzudenken, wenn der Tod in ihrer Nähe zuschlägt.«
»Manche hören damit auch auf.« Das und ein weiteres Kopfschütteln waren das einzige, was Athaniel dazu einfiel.
»Nun, wer weiß? Eine Frage sei mir dennoch gestattet: Wenn du das von Anfang an vorhattest, wieso hast du dich dann zum Springen entschieden? Ich denke dabei an die vielen Knochenbrüche, geschweige denn an...«
»Ja, ich muss zugeben, an dieser Stelle des Plans habe ich nicht wirklich überlegt. Egal! Hannah ist jedenfalls nicht hier! Schicke mich meinetwegen in Himmel oder Hölle. Is’ mir jetzt alles egal.«
»Also erstens: ich schicke dich nicht, sondern begleite dich nur beim Wechsel. Und zweitens: sollte es dir nicht egal sein.«
»Ist es aber!«
»Sollte es aber nicht!«

In diesem Moment knarrte das eiserne Gittertor am östlichen Friedhofsrand geradezu aufdringlich laut. Die eintretende Gestalt im schwarzen Mantel hielt ihr Gesicht verborgen unter einem großen Schirm. Sie nahm unsicher einen der vielen Wege und näherte sich nur zögerlich, als sie das gesuchte Grab entdeckte. Stephen stand auf und sah sie mit großen, durchscheinenden Augen an. Er sagte kein Wort, doch Niel wusste, dass es sich bei dem verspäteten Trauergast um Hannah handeln musste.
»Sie ist gekommen!«, jubelte Stephen für alle Lebenden unhörbar.
»Bist du nun glücklich?«
»Noch nicht ganz.«
Hannah stand jetzt vor dem tiefen Erdloch und flüsterte leise Worte. Dabei rannen ihr salzige Tränen über die Wangen und vermengten sich mit den Regentropfen. Niel vermochte auch ihre Gedanken zu lesen und erkannte, dass sie liebevoll von Stephen sprachen, wenn auch nicht so, wie der erhoffte. Aber der Engel musste einräumen, dass er sich damit vielleicht irrte, denn über derart komplizierte Dinge wie Liebe unter Menschen besaß er nur theoretisches Wissen.
Stephen näherte sich Hannah und versuchte ihre Schultern zu fassen. Dann zog er einen nicht existenten letzten Atem ein und sprang in sein Grab.
»Danke für deine Hilfe Niel, aber jetzt brauche ich dich nicht mehr. Ich glaube ein ‚Auf Wiedersehen’ ist trotzdem angebracht.«
»Höre auf mich! Auferstehung ist nicht so einfach, wie du es dir vorstellst. Man muss viele Dinge beachten...«
»Ich werde es schon schaffen. Also, tschüß!«
Stephen legte sich flach in den Sarg, so dass er in Deckung mit seinem ehemaligen Körper geriet. Niel war gespannt. Vielleicht gelang diesem entschlossenen jungen, ehemaligen Mann das Kunststück.
Einige Augenblicke geschah nichts, doch der Engel spürte die geistigen Anstrengungen in er Holzkiste. Und plötzlich rumpelte es ganz leise im schweren Eichensarg. Bei Gott, Stephen schien es wirklich geschafft zu haben! Niel musste ihm Respekt zollen, denn nicht viele waren bisher damit erfolgreich gewesen.
Die Scharniere des Sarges stöhnten aufgrund der hineingeratenen Sandkörner einen dumpfen Ton. Erde versackte in wachsenden Löcher und hinterließ auf dem frisch geworfenen Haufen kleine Kegelmulden. Hannah stand wie versteinert da. Stephen drückte einen Arm aus dem Spalt, um den Deckel besser öffnen zu können. Sand fiel in sein gelblich fahles Gesicht. Dann klappte die obere Deckelhälfte zur Seite, und der frisch Verstorbene lag im Freien. Hannah einen Meter über ihm war bereits zur Salzsäule erstarrt. Stephen stand auf und breitete seine Arme aus, um seine Liebste ans nicht schlagende Herz zu drücken.
»Hannah. Ich kehre vom Tod zurück. Ich hab’ die letzte Schwelle zweimal übertreten nur, um bei dir zu sein. Ich... «
Plötzlich schrie Hannah und erlöste sich damit selbst aus ihrem Wachkoma. Sie griff zur Schippe des alten Mannes. Mit einem einzigen Schlag köpfte sie Stephen, denn auch sie hatte in Film und Fernsehen erfahren, wie mit Zombies umzugehen war. Dann lief sie weinend davon.
»... Dinge, wie zum Beispiel, dass lebende Menschen im allgemeinen nicht sehr positiv auf umherwandelnde Leichen reagieren.«, grinste der Engel. Stephens kopfloser Körper fiel zurück in den Sarg. Seine Seele blieb enttäuscht stehen.
»Na gut! Die Sache mit Hannah hab’ ich jetzt verstanden. Wie sieht’s denn im Himmel genau aus?«

 

Konnte es einfach nicht lassen und gleich mal losgebastelt

Diese Version hat einen, wie ich hoffe, schnelleren Einstieg, auch sind hier die Dialoge umgestellt und gerafft worden, so dass sie insgesamt nicht mehr ganz so chaotisch daher kommen

Viel Spass, und schreibt mir mal wieder :)
Hagen

 
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Tja Hagen, und hier liegt die Betonung auf "tja", ;) auch wenn ich gerne das Gegenteil schreiben würde, ich finde die erste Version besser, um nicht zu sagen: viel besser, erfrischender, die Dialoge sitzen, der Ablauf ist flüssiger etc. Klassischer Fall von Verschlimmbesserung, viel Mühe für die Katz. :dozey:

Die neue Version wirkt jetzt starrer und mehr konstruiert, ich habe noch mal die erste zum Vergleich gelesen, und die neue ist einfach schlechter, der Einstieg mit der Tür und dann die Reise ins Zwischenreich, alles Plunder, den du getrost wieder über Bord werfen kannst. Auch die Dialoge sind jetzt nicht mehr so lustig, vor allem meine Lieblingsstelle mit Abraham äh Adam.

Also: Such dir einen schönen, traurigen, atmosphärischen Einstieg, da darfst du auch gerne Klischees bedienen, die du ja im zweiten Absatz direkt über Bord wirfst. Regen und Bäume und Gräber, DAS will ich lesen, wenns um ne Beerdigung geht!

Ist natürlich - wie immer - nur meine bescheidene Meinung. :shy:

Grüße

Dante_1

 
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Au, jetzt verzieh ich mich erstmal in meine Heul-Ecke :crying:

Echt? Ich hatte gehofft, die Geschichte etwas geglättet und besser strukturiert zu haben. Mal sehen was die anderen sagen, aber du hast mich jetzt echt verunsichert.

Das mit dem Friedhof und den Gräbern is n echtes Argument :hmm:

 

Hallo Angua

Heute bekomm ich wohl nur Prügel im Forum ;)

Ok, wenn sich jetzt nochmal ein dritter mit dieser Meinung meldet, gibts noch ne Version, die dann wieder näher an der ersten liegt(die definitiv - da führt nichts dran vorbei - noch verändert werden muss)

Tja, leider war Ver 2 fiel zu lang, für meine Zwecke, und im Zuge der Kürzaktionen, sind dann wohl auch die Dialoge etwas knapper gemacht worden. Das werd ich wohl rückgängig machen.

Noch ne Frage: Der Dialog-Teil mit den Erklärungen über den Himmel ist der ok so, oder war der nun auch zu glatt?

mfg
Hagen

 

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