Mitglied
- Beitritt
- 11.09.2024
- Beiträge
- 10
Tränen auf verregnetem Waldboden
Entweder die Bäume hatten sich bewegt, oder der Ausweg war näher gekommen.
Die Stunden, die er in diesem Wald verbracht hatte, kamen ihm wie Tage vor.
„Manchmal gelangst du auf Abwege“, hatte Mutter einmal gesagt.
Auch zur Mittagszeit war es im Wald so dunkel, war es so dicht, dass man die Pfade nur schwer erkennen konnte.
Er stand oft still, suchte zuerst mit den Augen und dann mit den Beinen nach einer Lösung.
Er lief und lief und lief, bis er an eine Stelle kam, an der die Bäume anders aussahen.
Innerlich atmete er auf: Der Ausweg war näher gekommen. Das spürte er!
„Manchmal glaubst du nicht an dich“, hatte Vater einmal gesagt.
Die Blätter, die am Morgen noch frisch und grün leuchteten, waren verfault.
Es waren andere Bäume, dachte er. Andere Bäume mit anderen Blättern.
Er müsste nur zurücklaufen und dann würde er wieder zu den frischen Blättern kommen.
Dieser Gedanke gab ihm Sicherheit und trieb ihn weiter voran.
Innerlich atmete er auf: Der Ausweg war näher gekommen. Das fühlte er!
„Manchmal träumst du zu viel“, hatte Mutter einmal gesagt.
Obwohl seine Beine vor Erschöpfung zitterten, trieb ihn der Drang weiterzugehen.
Waren am Morgen noch Tiere zu hören, rauschte mittlerweile nur noch der Regen.
Schon zum Sonnenuntergang würde er in einer Stube sitzen,
den Wald hinter sich gelassen haben und alle Fenster fest zusperren.
Innerlich atmete er auf: Der Ausweg war näher gekommen. Das sah er jetzt!
Das Rauschen des Windes war zu einem Peitschen geworden, und er hatte zu rennen begonnen.
Dabei lief er immer wieder gegen Bäume, stolperte über Wurzeln oder rutschte auf dem moosigen Boden aus.
Aber er war jetzt nah an seinem Ziel, war nah am Ausweg. Er dachte nicht mehr an Mutter und Vater.
Innerlich atmete er auf: Der Ausweg war jetzt greifbar!
„Manchmal muss ich einfach ich selbst sein!“, schrie er.
Tränen liefen über seine Wangen. Aus dem linken Auge liefen Tränen der Freude und des Glücks.
Aus dem rechten Auge liefen Tränen der Trauer und der Sorge.
An seinem Kinn liefen sie zusammen und tropften auf den schon kalten Waldboden,
der nicht zwischen Tränen und Regen unterscheiden konnte.
Als er endlich den Ausweg erreichte, musste er feststellen,
dass sich lediglich die Bäume bewegt hatten. Der Pfad vor ihm war schwer zu erkennen.
„Manchmal gelangst du auf Abwege“, hatte Mutter einmal gesagt.