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Tränenlicht
Ein kurzes Blinzeln kann ich mir noch gewähren, sei es auch ein ganz winziges, menschenunwürdiges, wofür sich jeder andere zu schade wäre, wenn ich sonst schon nichts bekomme. Für mich ist es gut genug. Nur mal ein Blinzeln, vielleicht ein verstecktes.
Ein kurzes Lachen. Nicht meines. Das wäre schon fast alles was ich möchte. Doch der Wunsch erfüllt sich nicht - erfüllt sich nicht... Kann wohl nicht wünschen. So tausch ich ein paar Worte - mit mir, wem sonst. Niemand da.
Die Augen brennen. Eine Träne noch und...
Die Rauchschwaden durchziehen den Raum und umschleichen mich, als wollten sie nach mir greifen, mir die Seele aus dem Leib zerren, doch die hab´ ich im Regen verloren. Der Dunst spielt mit dem Licht der Kerze, will es erdrücken und so sehe ich zu, wie es langsam schwächer und schwächer wird, zittert und jappsend kapituliert. "Wie eine Kerze..."
Nur eine Träne noch und...
Verloren. Gescheitert - Unfähigkeit und Selbstmitleid. Hab mich wohl zu lang im Schmutz gesuhlt. Ganz langsam. Furchtbar langsam. Im Dreck atmet es sich schwer. Die gelbbraune Flüssigkeit in der eckigen Flasche vor mir ist alles was mir blieb, ein Trostspender, der nicht spricht, aber zuhört. Sonst alles verloren. Zuhören? Welch wundersame Gefühlsdroge. Welch Utopie. Ein liebevolles Ziel, besser als Vergessen - doch zu hoch gesteckt für Narren. Kleine Wellen durchziehen den durchsichtigen Behälter, dessen schwerer Grund mit Alkohol überdeckt ist, der sich die Wände emporhangelt, um in die Nase und dann in dem Mund zu kriechen, bevor er mir den Kopf schwer macht.
Zunächst nur einen ganz kleinen Schluck, einen winzigen; dann ein zweiter, ein dritter und noch ein letzter. Ich nehme ein nächstes Glas, das zehnte oder elfte - wer will es wissen? Ich nicht. Der gute Herr neben mir auch nicht. Und sie? Nunja, sie ohnehin nicht. Was will sie schon wissen? Wie soll sie auch - kennt mich nicht, sieht mich nicht, erfreut wohl jeden.
Säß ich zu Haus, so würd ich die Vorhänge schließen, damit es dunkelt - auch trübe Augen können leuchten. Vielleicht tausend mal schöner, als andere, die sowieso nichts sehen. Laßt mich ihre Augen sehen. Wieder jammer ich, kann wohl nur das, klagen und jammern. Nichts Heldenhaftes - wer hat je einen Narren mit Schwert gesehen?
Eine Träne könnte ich noch weinen und... Das wag´ ich nicht!
Meine Hand zittert und so greift sie nach dem Glas. Zur Betäubung. Nur dazu. Es geht schon viel zu lange so. Woche für Woche. Keine Fassade, keine Zustimmung, kein Lächeln. So ist es wieder die Suche nach Erfüllung, die mich treibt - jede Woche, nur einen Tag. Dazwischen nur grausiges Ertragen und Flehen, daß es bald vorbei ist. Die Zeit rennt. Soviel habe ich nicht. Am besten man hält die Zeiger an. Erst den großen und dann den kleinen.
Es ist als klopfe ich jeden Tag an tausend Türen, die verschlossen sind - auf der Suche nach jemanden, der ständig den Ort wechselt, von Tag zu Tag. Rastlos von Stunde zu Stunde - eine endlose Suche. Nicht nach Vergebung, oder Akzeptanz, was kümmert mich die Welt? Nur nach Erfüllung in den Zeiten, wenn der Narr nicht lacht, nicht spielt als wär er fröhlich, oder sogar glücklich. Narren dürfen nicht weinen. Trotzdem bin ich Narr - dazu geboren, zur Belustigung und keiner versteht. Keiner versteht - nur eine und die sitzt hinter Türen. Hinter tausend Türen. Eine Träne noch...
Ich zahle und gehe. Sie weitersuchen. Die Münzen rollen über den Tresen, wie kleine Wagenräder, die herrenlos vorangetrieben werden. Man stellt mir ein Bein, so daß ich stürze. Alle lachen. Der Narr hat sich lächerlich gemacht. Volksbelustigung - ein guter Dienst, aber brotlos, wie mein Leben ohnehin. Kann ohne sie nicht weinen. Würd ich sie finden, würd ich die letzte Träne weinen - ganz allein für sie. Ich verlasse das Lokal.
Der Gang, der sich bis zur Treppe nach unten zum dunklen Flur schlängelt, ist wieder besetzt mit lustigen Gesellen, die gemeinsam ihre Nasen rümpfen, bevor sie nach mir spucken und lachen. Ihre Parolen machen mich müde - ich kann nicht mehr. Sie haben mir ein lachendes Gesicht auf den Rücken gemalt. Rote Farbe. Geht nicht ab. Die Last trag ich nicht länger und ich hoffe man läßt mich eines Tages rasten, so daß ich mich nicht beschwere oder gar auflehne, sondern gemeinsam mit ihnen lache. Die Parolen berühren mich nicht mehr, als die kalte Hand, die ich suche, sie sind fern und nicht zu fassen. Ich gehe die Treppe hinab, setze vorsichtig wankend einen Fuß vor den anderen und lege mein getrübtes Augenmerk auf die Stufen. Dreizehn Stufen. Habe sie jede Woche gezählt. Dreizehn Stufen, keine dazugekommen. Ich trete auf der Stelle. So starre ich auf die Lampe, die verlassen an der Decke hängt und sich nicht rührt, weil sie mit eisernen Schrauben befestigt ist und sonne mich in ihrem Schein. Trag Schatten im Herzen. Würd so gerne Sonne sehn und geben. Ich erblicke zwei Augen die gierig nach mir schauen, die nur noch von einem perfiden Grinsen überdeckt werden. Das ganze Gesicht strahlt und der Mund zieht sich durch den ganzen Flur. Ich lächle kurz und willige ein, bevor ich mich dann fallen lasse und die Stufen hinab stürze. Applaus erklingt und ein bewunderndes Pfeifen, ein Lachen folgt. In einer dunklen Ecke fängt mich eine Wand und ich wünschte ich wäre an ihr zerschellt, dann hätte man die Reste meines Körpers hinausgetragen und das Herz in den Regen fliegen lassen. "Plitsch-Platsch" würde es machen und ich würde an den herabfallenden Wasserschnüren in den Himmel klettern - bis zum Mond oder noch weiter. Bis ich meine Seele gefunden hätte - bei ihr. Die Narrenkappe hängt mir ins Gesicht, verdeckt die Augen, die verängstigt blinzeln und der Ton der kleinen Schellen summt noch in den Ohren nach, so daß ich den Beifall nicht mehr höre. Ich könnte die Zähne vor Wut aufeinander schlagen lassen, doch der Mund formt ein hübsches, freundliches Lächeln, das der Welt entgegenstrahlt; ein riesen Spaß. Ich richte mich auf und warte auf das nächste Unglück...kann nicht weinen, zu verbittert.
Ich trete vor die Tür in die Nacht und glaube auf der Straße zu frieren. Vielleicht liegt das am Regen, der mich ganz durchnässt? Ich weiß es nicht. Habe ohnehin nie wirklich etwas gewußt, obwohl ich dachte mehr zu wissen. Eigentlich weiß ich noch viel weniger als die anderen - Gedanken machen alles zunichte. Kann nur noch denken...nichts weiter. Mach alles zunichte.
Der Regen bricht tröpfchenweise über mich herein. Käme er mit einem Mal, wäre alles vorbei. Alles wäre vorbei und ich hätte sie nie gefunden. Der Narr hat sie verloren - aus Dummheit oder weil er Narr ist - oder beides? Ich belustige aus Dummheit wohl - anders kann es nicht sein. Ich fand sie im Regen, kaum Sonne in Sicht. Es regnet, doch finden kann ich sie nicht. Tränenmeer vom Himmel, kein guter Tag zum traurig sein. Alle wollen lachen. Ich tanze ein klein wenig über das Straßenpflaster in dem ich mich spiegele und einen gefühlslosen, verstörten Idioten entdecke, springe in die Luft und schlage die Hacken aneinander und veralbere mich selbst. Mache mich etwas lächerlich - den Leuten gefällt es. Besser als getreten werden. Sofern man nicht noch getreten wird, wenn man aus Gutmütigkeit belustigt - Menschentugend, die Illusion der Dankbarkeit. Die Laternen leuchten in die Unendlichkeit, das Rampenlicht ist überall. Des Narren Glöckchen schallen durch die Stadt und verfolgen ihn bei seiner Flucht nach einem dunklem Fleckchen Erde der Zweisamkeit. Ewig währt das Narrentum. Wann leb ich wieder? Wann bin ich frei von Sehnsucht? Vielleicht kann der Regen die Tränen trocknen? Oder der Wind zumindest das Lachen verwehen. Ich komme an eine Pfütze. Sie ist schmutzig, aber mir gefällt sie besser als jene, die mich auf den Grund blicken lassen und rufen ich solle hinabsteigen, mich den Fluten hingeben, um in ihnen zu ertrinken. Wer weiß...vielleicht würd ich gern einmal ertrinken? Ertrinken in Sonnenfluten wäre nicht schlecht. Mit warmen Lippen und ihrer Hand an der Wange. Einsam blicke ich auf die Ränder des Wassers, bevor die trüben Augen ins Zentrum wandern. Tropfen schlagen ein, große und schwere Tropfen, sie sind schwarz, manchmal sogar grau, aber nicht weiß - weiß sind sie bestimmt nicht. Dabei würde ich gern mal weiße Tropfen sehen. Wer fragt mich was? Wer spricht zu mir? Wer bringt mich zum weinen? Eine letzte Träne kann ich noch vergießen, sie ist mein letztes Aufgebot. Bis dahin Zynismus. Keine Frage des Charakters, nur des Überlebens. Der Himmel grollt und will mich mahnen, für Haß ist es zu spät. Ewig währt das Narrentum. Als ich an das Ufer eines Flusses gelange, sich über mir die Äste einer Weide biegen, deren Blätter verstohlen im Regen tanzen, denke ich an das Schicksal der einzelnen Tropfen, die im Wolkenbruch aufgeh´n und erblicke eine hölzerne Bank, die sich nach Leben sehnt, so daß ich mich zu ihr geselle. Ich sehe nach oben und suche die Sterne, doch sie sind verschwunden. Wolkenbruch - Tränenlicht. Eine letzte Träne will sich noch ergießen. Endlich bin ich allein mit mir und setze mich - ich hasse die Einsamkeit. Doch kann ohne sie nicht leben. Narrenleben - Heldentod. Wie könnte man am besten sterben? Närrisch vielleicht? Oder ganz still daheim - ich wüßt´ was besseres. Zu zweit würde mir zusagen, Wange an Wange, letzte Träne, nichts großes, höchstes Glück. Der Uferstreifen macht mich etwas fröhlicher, kleine Freude, besonderes Glück. Erinnerung! Wer will mich halten? Ich schließe die Augen. Lache nicht, bin nicht ernst, kenn´ mich selber nicht. Sie weiß wer ich bin und peitscht mir zärtlich Wasser ins Gesicht. Ich bin glücklich. Hoffentlich regnet es die ganze Nacht. Die leblos grellen, endlos langen Tage kann sie allein vergessen machen - besser könnte es nie sein. Hier wäre sie jetzt, ganz durchnäßt wie ich und ebenso hilflos - ein Närrin vielleicht? Ich würd sie ganz fest halten, mit ihr den Regen forttrösten und mich an ihrem Lächeln erfreuen - ehrlich, ohne Schellenläuten und Applaus. Ein wenig traurig vielleicht. Ihr hinge eine Haarsträhne schwer und kalt ins Gesicht, die ich sanft wegstreichen würde. Wir wären glücklich, ganz still für uns, nicht heimlich. Wir wären nichts besonderes, doch hätten einander. Das ist mehr als genug. So ließ ich meine Hand ganz vorsichtig über ihr Gesicht wandern und legte sie auf ihre Lippen. Sie würde nichts sagen, verstände es auch so. Meine Augen würden um Erlösung flehen und ich ließe der aller letzten Träne freien Lauf, so daß sie mein Gesicht herabkriechen könnte, um sich mit den Regentropfen zu vermischen. Ein kurzes Lächeln, kein Wort - nur Verständnis. Sie küßte sie liebevoll fort und so könnte ich sterben, alle anderen wären fern. Hielte sie noch fest in den Armen, spürte ihr Herz, Wange an Wange, letzte Träne, nichts großes, höchstes Glück - frei von jeder Not.