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Träume schenken
Es war ganz still. Thomas und seine Frau Katharina saßen sich gegenüber am Esstisch. Zwei Stühle waren leer. Sie hatte Spagetti mit Tomatensoße gekocht, was er besonders gerne mochte. Eigentlich empfand er diese Mahlzeit immer als langweilig, aber das war bevor er ihre gegessen hatte. Es war auch die Art und Weise, wie sie sie zubereitete. Ihre eigene Kreation nannte sie es, wahrscheinlich nur irgendein Gewürz, welches sie hinzu mischte und ihm nicht verraten wollte. Vielleicht waren es aber auch nicht die Zutaten, nicht der Geschmack, sondern eine alte Empfindung, die er einmal hatte, niemals vergessen wollte und die immer kam, wenn er ihre Spagetti mit Tomatensoße aß.
Doch nun war es anders. Das Gefühl, die Erinnerung oder was auch immer es war, kam nicht. Er fand keinen Geschmack. Leer. Tot. Verschwunden. Er könnte sich einfach nur von der Luft ernähren, nichts würde sich ändern. In ihm gab es keinen Hunger und auch keine Sättigung. Und so saß er schweigend da und stocherte in seiner Mahlzeit herum. Katharina tat dasselbe.
Sie sprachen nicht miteinander, hatten sie schon seit Tagen nicht mehr. Es gab keine Worte, die nicht verletzend wären und somit auch keine die Trost spendeten. Man hörte nur das Kratzen der Gabeln in den Keramikschüsseln und es war wie ein Wecker, der ihnen helfen, sie aus ihren Gedanken und zueinander treiben wollte, um sich gegenüber zu öffnen. Doch keiner hatte die Kraft, den Mut etwas zu sagen, dass nicht sogar alles noch schlimmer machen könnte. Ihre Köpfe blieben auf ihre Schüsseln gerichtet, als könnten sie die Spagetti fortstarren, um diesen quälenden Moment zu beenden. Beide wollten einfach nur alleine sein.
Die Lampe über ihnen, deren Schirm mit bunten, von kleinen unpräzisen Händen geschaffenen Malereien verziert war, leuchtete nur noch halb so stark. Eine der beiden Glühbirnen war erloschen. Sie spendete nun mehr Dunkelheit als Licht. Eine Dunkelheit, die überall lag, überall kam und überall hin folgte.
Katharina sah über die beiden leeren Stühle hinweg zu ihrem Mann und fragte sich, mit wem sie all die Jahre verheiratet war. Er war ihr plötzlich so fremd, als kannte sie die Person vor sich überhaupt nicht, erst jetzt in dieser Stille wurde es ihr klar. Hatte ihn der Schmerz zu einem anderen Menschen gemacht? Gab es nun keine Gemeinsamkeiten mehr zwischen ihnen? Sie waren so voneinander abgeschirmt und in sich gekehrt, wie zwei Passanten, die am Bahngleis aneinander vorbei gingen. Und die Gleichgültigkeit ließ das Interesse über den anderen als unwichtige Information zurück. Wo waren die Tage, an denen sie noch kämpften und auf das Wohl des anderen achteten? Durch die Niederlage der Angst in Schall und Rauch verwandelt? Oder vergessen, wie die Erinnerung an ihr Wertvollstes? Das was ihr Alles, ihr Sinn und Antrieb und nun seit fünf Monaten verschwunden war. Wo war sie nur? Katharina konnte nicht einmal an ihren Namen denken, ohne das ihr Herz zerbrach. Immer wieder zerbrach, bis sie eines Tages selbst nur noch Scherben wäre. Sie musste weinen, aber nicht vor Thomas. Sie wollte alleine weinen und sah, Ablenkung suchend, auf die Uhr. Dann stand sie auf und wand ihrem Mann den Rücken zu. Eine Träne rann ihre Wange hinab: "Ich hol den Kleinen von der Schule ab." Sie ging zur Tür hinaus.
Thomas sah ihr nach und wusste, dass er sie, egal was er tat, niemals wieder wirklich glücklich machen konnte. So gerne wollte er helfen, doch wie er glaubte sie nicht mehr an die Hoffnung. Es gab keine Fantasie mehr, die so etwas zuließ. Sie waren zu alt, um an solch einen Traum noch zu glauben. Anfangs war es noch so, doch dann kam die Realität und zerschlug es mit seinen berechneten Möglichkeiten. Wenn er doch nur Träume schenken könnte.
Langsam ging sein Blick durchs Zimmer. Im Hintergrund war das sanfte Ticken der Uhr zu hören. Tick Tack. Er sah auf den leeren Stuhl ihm gegenüber, auf den zu seiner Linken, dann zu seiner Rechten, dort blieb er eine Weile. Tick Tack die Uhr schlug immer weiter, wie das Herz, das nicht im Stande ist zurück zu blicken. Es zählt nur der nächste Schlag. Vorsichtig kämpfte sich ein leichtes Lächeln einen Weg auf seinen Mund. Eine Art schmerzliche Zufriedenheit. Nicht vollkommen, nur unterschwellig, aber stark genug um ihm die Kraft zu geben, für jene da zu sein, die noch träumen konnten. Und mit einem mal hörte er beim Essen von Spagetti mit Tomatensoße wieder das Lachen seiner beiden Kinder.