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Träume
Träume
Erst war nichts. Entspannte, gelöste Dunkelheit. Dann kam ein leises Klicken aus der Ferne. Es war noch weit weg und dumpf. Bald wurde das Dunkel von leichten, farbigen Schleiern durchzogen.
Das Klicken kam näher und da waren auch noch andere Geräusche, Glucksen und Schmatzen. Die Farben wurden kräftiger, bunte Nebel und Geräusche. Der Nebel wurde heller, von einem gleißenden Licht durchdrungen, begleitet von der Flut des dumpfen, metallischen Klingens. Es wurde kalt. Der bunte Schleier löste sich langsam auf, umrahmte aber weiterhin den Rand ihres Gesichtsfeldes. Kaltes Metall strich über ihre Haut. Sie spürte, dass sie nackt war und lag. Da war nur das Licht, in das sich immer wieder Schatten schoben und wieder verschwanden. Sie gewöhnte sich an die Helligkeit und nahm verschwommen Konturen wahr. Da war Leben, das sie nicht sah. Sie wollte sich aufrichten, aber sie konnte nicht. Es war nicht die Kraft, die ihr fehlte. Auch der Wille war da, aber es schien, als ignorierte ihr Körper die Befehle des Geistes. Sie spürte die kalten Berührungen auf ihrer Haut. Langsam wurden die Umrisse deutlicher. Lampen hingen an metallenen Streben von einer seltsam farbig schimmernden Decke. Ganz klar wurde ihr Bild nicht, aber sie konnte erkennen. Auch die Geräusche klangen wie durch Watte. Sie bemerkte Bewegungen neben sich, unnatürlich langsam, auch Berührungen an den Beinen, merkwürdig taub. Sie hatte keine Angst. Sie wusste, dass die Angst da war, aber sie war ausgeschlossen. Sie hatte keine Macht. Es war unangenehm. Jetzt spürte sie einen leichten Schmerz in ihrem Innern. Sie sah jetzt mehr, trotz des Nebels: Gestalten, Gesichter. Augen sahen sie an. Nein, das waren keine Augen, keine Augen, wie sie sie kannte. Auch die Gestalten, die sich über sie beugten, waren fremd, kahle, große Köpfe mit bläulich schimmernder Haut, schlanke, grazile Körper, unbekleidete Oberkörper. Sie wollte dies nicht. Sie wollte nicht dort sein. Da war noch immer keine Angst. Sie sträubte sich gegen alles, was sie umgab, gegen die Berührungen und gegen die Schmerzen in ihrem Inneren. Sie wusste, dass es Schmerzen waren, nur verspürte sie keine Pein, nur eine seltsame Ablehnung, die nicht minder intensiv war. Eine Gestalt neben ihr wandte sich ab und sie sah diesen sonderbaren Körper, der von hinten fast wie der eines Kindes aussah, ein nackter Rücken und dünne Arme. Seltsame Auswüchse, wie kleine Zapfen standen hervor, und verliefen den Rücken hinab, wie zwei parallele Wirbelsäulen. Sie wollte nicht. Sie stieß ein leises Stöhnen hervor, das sich mit dem Glucksen dieser Kreaturen vermischte. Weitere Geschöpfe wurden aufmerksam und unruhig. Sie sah die großen kahlen Köpfe über sich, die Körper mit der seltsam blauen Haut und den Zapfen auf den Rücken, die sich zu bewegen schienen.
Sie spürte ihren Körper und gleichzeitig auch den heftiger werdenden Schmerz. Sie konnte sich bewegen, nur ganz leicht. Sie war gebunden. Ihr Stöhnen wurde lauter aber immer noch seltsam dumpf. Sie schrie. Die Wesen! Aufgeregt! Nein, sie wollte das nicht. Nicht hier sein. Sie zerrte und riss. Sie wollte sie nicht, diese Berührungen von dem Wesen mit der dürren Hand und den langen Fingern. „Nicht berühren! Nicht das Gesicht!” Die Schleier kamen wieder. Sie schrie und zerrte. Der Nebel kam, und der Schmerz. “Nein....!” Die Arme waren frei. Sie konnte schlagen. Wieder eine Berührung. “Lasst mich...! Weg!” Sie spürte die Berührung jetzt an der Schulter. “Nein..!” Sie wollte schlagen, aber ihre Hand wurde festgehalten.
Dann diese Stimme. Winden, drehen, loskommen. Die Stimme rief ihren Namen. Sie trieb davon, aus einem Nebel in einen anderen, der sich gleich darauf begann sich aufzulösen. Die Berührungen waren zärtlich, die Stimme jetzt beruhigend. Etwas wischte das undurchdringliche Grau aus ihrem Kopf. Ein Wirbel und aufsteigende Übelkeit. Sie spürte, wie ihr Bewusstsein langsam die Oberhand gewann. Sie tauchte auf und spürte ihren Körper, Berührungen, warm und zärtlich. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Augen öffnen konnte. Wieder verschwommene Schemen, Konturen, die schärfer wurden.
Er hatte sich über sie gebeugt. Ihr Atem ging schwer, ihr Herz raste. “Schatz, bist du da? Du hast geträumt.” „Ja“, stammelte sie, „geträumt.“ Ihre Stimme klang schwach. Er lächelte mit sorgenvoller Miene und strich ihr eine Haarsträhne aus dem schweißnassen Gesicht. Es war ein Traum. Sie war wieder da. Sie war wieder in ihrem Schlafzimmer, in dem sie eingeschlafen war, in ihrem Bett, weich und warm. Vertraute Geborgenheit und er war da. Es war immer noch Nacht. Die Fensterflügel waren angelehnt und die Vorhänge zurückgezogen. Auf dem Himmel leuchteten Millionen Sterne wie Diamanten auf schwarzem Samt. Eine dünne Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, deren diffuser Schein den Raum in graues Zwielicht tauchte. Es war die Stille der Nacht, die es ihr so schwer machte, die Realität wieder anzunehmen.
Sie griff hinter sich und stopfte ihr Kissen auf, drehte sich auf die Seite und schmiegte sich an seine Schulter. „Es war wieder derselbe Traum“, sagte sie und hatte Mühe, ihre Stimme normal klingen zu lassen und den Drang zum Weinen zu unterdrücken. „Ich will das nicht mehr.“ Ganz sachte zog er sie näher an sich. „Vielleicht solltest du zu einem Arzt gehen. Träume haben oft etwas zu bedeuten.“ Ihr Blick glitt über die Möbel und zu den Bildern an den Wänden. Alles wirkte in diesem Halbdunkel auf sonderbare Weise geheimnisvoll. „Nein“, sagte sie mit müder Stimme und doch so, als sei jetzt die Erkenntnis ganz klar. „Es ist das Haus. Ich denke, dass die Träume etwas mit diesem Haus zu tun haben.“ Er richtete sich etwas auf und sah sie direkt an. „Schatz, das ist Unsinn. Ein Haus ist doch nur.......“ „Doch, ich glaube irgend etwas ist mit diesem Haus. Deine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass sie als junge Frau ebensolche Träume hatte, und jetzt habe ich sie auch. Das ist doch merkwürdig, oder?“ Sie sah ihm tief in die Augen, so, als ob sie ihn zur Einsicht zwingen könnte. Aber er lächelte nur auf diese wohlwollende Art, wie man Kinder anlächelt, wenn sie einem die tollsten Abenteuergeschichten erzählen. „Es gibt die verrücktesten Zufälle. Vielleicht hast du Mutters Erzählungen auch zu sehr angenommen, so dass dein Unterbewusstsein jetzt ähnliche Träume hervorbringt. Wir sollten das besser morgen besprechen. Wenn wir nicht noch etwas Ruhe finden, erwartet uns ein harter Tag.“
Sie nickte leicht, aber ihr Gesicht drückte Sorge aus. „Ich habe Angst, einzuschlafen.“ Sie lauschte in die Nacht und betrachtete weiterhin den Himmel. „OK. Ich werde dir ein leichtes Beruhigungsmittel aus dem Bad holen und du wirst dann bald wieder einschlafen. Ich bleibe noch eine Weile wach, und wenn ich merke, dass du unruhig wirst, werde ich dich wieder wecken.“ Er nahm ihren Kopf behutsam in beide Hände, küsste sie sanft, schlug die Decke zurück und schwang sich aus dem Bett.
Als er ihr den Rücken zukehrte und auf die Tür zuging, brach die Panik mit Urgewalt über sie herein. Sie schrie. Das Herz schien auszusetzen, um dann gleich mit aller Macht sämtliche Stoffe, die der Körper in Panik bildet, durch ihre Adern zu pressen.
Das Mondlicht war heller geworden und zum ersten Mal bemerkte sie auf seinem nackten Rücken die ganz schwachen Pigmentflecke, die sich in zwei Reihen von den Schulterblättern hinab fortsetzten. Sie schienen sich zu bewegen.