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Trübsichtfolie
Die Aufregung hat sich gelegt, neue Skandale und Sensationen prasseln auf uns ein. Außerdem kann es nicht sein, dass der Chef mit den Ganoven unter einer Decke steckt, nur weil er Albaner ist. Fehlt noch die Deko mit Vamps und einem rubinroten Maserati.
Doch um die Geschichte zu Ende zu bringen: Der Überfall war inszeniert, das Blut Lebensmittelfarbe und die Geldbündel alte französische Franc – auch wenn man damit noch in der Elfenbeinküste einkaufen könnte.
Okay, ich hätte mehr Worte machen können, das ganze Tamtam zu schildern im Sinne einer Kurzgeschichte, doch von dieser Sorte gibt es schon Millionen.
Mir hat jedenfalls keiner was getan. Ich lebe in einer verbrechensfreien Zone.
Leider hab ich trotzdem ein paar Probleme: Haarausfall mit Tonsurbildung, Ernährungsschäden, ein Nachbar mit Laubbläser, Stühlerücken wie bei ‚Jerusalem’, der Karriere wegen und die verdammte Singelei.
Das verunsichert mich, verdirbt mir den Tag; niemand nimmt mich wahr, wie ich bin – ich selbst gerate ins Zweifeln.
Frau Kerners Miene ist unterteilt in drei Zonen: eine geringschätzige, eine spöttische und eine amüsierte. Nicht, dass sie unverhohlen zuschauen würde, doch mit schrägem Blick und hochgezogenen Brauen verfolgt sie diskret meine Bemühungen, ein paar fliegende Blätter in eine Klarsichthülle zu bugsieren. Es wölbt sich und verwirft sich, zum Verrücktwerden. Ich werde immer rappeliger, dann kapituliere ich.
„Frau Kerner“, sage ich, „hätten Sie einen Moment?“ Hilflos strecke ich ihr die beiden Sachen entgegen und bemühe mich um einen zerknirschten Blick. Sie lässt sich ihren Triumph nicht anmerken und sagt mit dunklem Timbre: „Aber natürlich, Herr Kollege“, obwohl ich es in diesem Leben nie nie schaffen werde, je zu ihrem Kollegen zu werden.
Sie erhebt sich nicht so unauffällig wie andere, sondern beugt sich erst weit vor, damit ich ´was zum Gucken habe.
Ich drehe meinen Sessel seitwärts, jetzt steht sie vor mir. Nimmt die Folie in beide Hände und hält sie mir straff entgegen. Himbeere analysiere ich, und Wärme. Ja, auch Wärme ist ein Duft – der Urduft der Mutter aller Frauen. Die Wärme wird zu Hitze, überall steife Nippel mit großen braunen Höfen. Und schwarze Dreiecke. Meine Brille beschlägt.
„Sie dürfen nicht wackeln“, sagt Frau Kerner.
„Ja, nein, natürlich nicht.“ Die Vision ist weg.
„Entschuldigen Sie bitte“, sage ich, lege die Seiten auf den Tisch und reiße mir die Krawatte vom Hals, öffne auch die beiden oberen Knöpfe. Als ich die Schriftstücke wieder aufnehme, segeln zwei Seiten zu Boden. Ich knie mich vor Frau Kerner und registriere einmalige Beine, wunderbare Schenkel. Mit den verlorenen Papieren komme ich nach oben und nehme wieder Platz. Ich muss tief durchatmen. „Tut mir leid“, sage ich, „das war ungeschickt.“
Sie schaut mich sehr direkt an: „Das will nichts heißen. Ich hab gestern beim Spülen Bruch gemacht. Und die Terrine war ein Erbstück!“
'Ach, sicher sehr wertvoll?', will ich sagen und verschlucke mich. Ich habe ihre Brüste vor meiner Nase, doch wir erzählen Familiäres. Keine Ahnung, warum mich das erregt.
„Wollen wir noch mal?“ Frau Kerners Stimme – aber nein, das bilde ich mir ein. Da ist nichts Ordinäres. Sie stellt sich breitbeinig in Positur, ich führe die Papiere ein, nur ein Eselsohr bleibt hängen. Vielleicht bring ich jetzt den Witz mit der Gleitcreme.
Letzter Versuch. „Halten Sie mal bisschen straffer“, sage ich forsch.
Ich habe die Hände nicht frei, mir die Augen zu reiben, also blinzle ich angestrengt auf ihren waagerechten Schlitz und fädle meine Sachen ein. Frau Kerner hält ein wenig dagegen; und als ich schon halb drin bin, vollendet sie mit einem kräftigen Schubs unser Tun. Ich kneife die Augen zu, ziehe die Nase kraus und sauge die Luft übermäßig laut durch die freigelegten Zahnreihen. „Herr Steiner, was ist Ihnen?“ höre ich ihre dunkle Stimme.
Mir ist meine Unbeherrschtheit peinlich, doch das Glücksmoment überwiegt.