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Traditionelle Heilung

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24.09.2008
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Traditionelle Heilung

Ich goss den Kaffee in den Filter. Ein herrlicher Geruch stieg auf, das Beste für mich am Morgen. Ich war alleine in unserem Campingbus, mein Mann war schon zeitig zum Fischen gegangen. Ich setzte mich mit dem dampfenden Kaffee an den Campingtisch und genoss den herrlichen Ausblick. Um mich herum dicke alte Bäume, völlig verwachsen. Es fehlte nur mehr Tarzan, der sich von einer Liane zur anderen schwang. Vor mir lagen der Strand und das Meer. Das Wasser war genauso blau wie der Himmel, so dass ich den Horizont kaum erkennen konnte. Ein Königsfischer stürzte sich ins Meer, um sich einen Fisch zu schnappen. Möwen rannten am Strand auf und ab. Es war nicht nötig, eine Musik im Radio zu finden, da die Vögel und Affen für mich komponierten.
Ich wollte mir mein Buch holen, als Thandi, eine Xhosa-Frau, die uns vor paar Wochen entdeckt hatte, vor mir stand. Sie wohnte mit ihrer Familie in einem Rondavel, in einem Dorf, das in der Nähe lag. Ihr Englisch war ebenso schlecht wie meines, doch wir verstanden einander. Sie war eine richtige Mammi, mit einem riesigen Hinterteil, auf dem bestimmt einige Kinder Platz genommen hatten, um eingewickelt herumgetragen zu werden, und einem dicken Busen. Sie stand barfuss vor mir. Wie sie das schafft, dachte ich, ich brauche meine Flip-Flops, um mich vor Dornen und Insekten zu schützen. Auf beiden Füßen trug sie silberne Reifen, die ich am Tag vorher gezählt hatte: Es waren fünfzehn an jedem Bein. Sie hatte einen grellen orangenen Midi-Rock an, bestickt mit farbigen Perlen. Auch ihr T-Shirt war ein buntes Perlenmeer. Um ihr Handgelenk hatte sie einen kleinen blauen Stoffbeutel gewickelt, der sehr wichtig für alle Xhosa-Frauen ist, denn nach Thandis Erzählungen rauchten alle Frauen Pfeife, und der Beutel enthielt den Tabak. Die Pfeifen sind lang, sehr lang und meistens mit Perlen oder Schnitzereien dekoriert.
„Guten Morgen Thandi, du bist aber heute zeitig hier.“, begrüßte ich sie. „Was ist in der Flasche auf deinem Kopf?“
Sie hatte wie immer einen roten Stoff einige Male um ihren Kopf gewickelt. Inmitten dieses Kunstwerkes steckte eine Ein-Liter-Colaflasche mit einem giftgrünen Inhalt.
„Morgen“, sagte sie lächelnd und nahm die Flasche vom Kopf. „Sie ist für dich.“
Sie stellte die Flasche auf den Tisch.
„Für mich, was ist das? Wie machst du das überhaupt?“
Ich platzierte die Colaflasche auf meinen Kopf, versuchte einen guten Mittelpunkt zu finden, doch sofort rutschte sie ab.
„Also, das ist wahrscheinlich jahrelanges Training, oder dein Kopf ist oben flach.“ Wir lachten beide.
„Willst du Tee?“
„Ja, bitte“, wir stiegen in den Campingbus, und ich ließ das Teewasser kochen.
„Nun, was ist das, hast du mir ein kaltes Getränk mitgebracht?“
Thandi nahm die Pfeife aus ihrem Mund.
„Nein, das ist ein Muti, ich habe es für dich gemischt. Du sagtest vor paar Tagen, dass du kein Kind bekommen kannst. Wenn du das trinkst, wirst du fruchtbar werden.“
Ich rührte fünf Löffel Zucker in ihren Tee, denn nur so schmeckte er ihr.
„Aber ich sagte dir doch, dass ich mich damit abgefunden habe, und wir deshalb unseren Lebensstil geändert haben.“
„Ja, du willst jetzt nur reisen, ich habe deine Wörter gehört, aber deine Augen zeigten mir, dass du ein Kind willst.“
„Meine Augen“, ich lachte, „meine Augen, also bitte, die haben überhaupt keine Ahnung.“
„Und du hast keine Ahnung, was dir fehlt: Kinder. Glaube mir und trinke mein Muti, es wird dich glücklich machen.“
Meine Gedanken kreisten: Niemals würde ich dieses giftgrüne Gemisch trinken.
„Danke“, hörte ich mich sagen, „das ist lieb von dir. Was enthält dieses Getränk, dieses Muti?“
Sie nahm ihren Tee mit nach draußen, und ich breitete eine Decke für sie aus, denn ich vertraute den dünnen Beinen meines Campingsessels überhaupt nicht.
„Das kann ich dir nicht genau erklären, es sind Teile eines Tieres, gewisse Baumrinden und Seewasser.“
„Welches Tier? Welcher Teil?“ Je länger ich dieses grässliche Grün anschaute, umso mehr ekelte es mich.
„Ich bin eine Sangoma, ich habe schon vielen Menschen geholfen. Willst du nicht gleich davon trinken?“
„Ich habe noch nicht gefrühstückt, ich muss zuerst was essen.“ Gut, dass mir das eingefallen war.
„Glaube mir, es hilft. In einem Monat bist du schwanger, trinke die Flasche heute aus. Ich bringe dir Morgen wieder neues Muti.“
Bitte nicht! schoss es mir durch den Kopf.
“Mach dir doch nicht so viele Umstände, ein Liter wird sicher genug sein.“
Ich nahm die Flasche und schüttelte sie leicht. Kleine Stückchen von irgendetwas wirbelten herum.
Thandi ging zum Campingtisch und strich über die Tischplatte.
„Du hast keine Kinder, aber einen schönen Tisch. Ich habe sechs Kinder und keinen Tisch. Wir sitzen am Boden und essen vom Boden.“ sagte sie nachdenklich.
Ich wusste nicht, was ich erwidern konnte und war froh, dass wir von einem Rudel Blue Face Affen abgelenkt wurden, die auf dem Dach des Busses herumsprangen.
„Danke für den Tee“, sagte Thandi. „Ich komme morgen wieder. Vergiss nicht, deine Medizin zu trinken.“
„Auf jeden Fall“, erwiderte ich lachend.
Ich öffnete die Flasche, ein penetranter Geruch nach Verwesung umringte mich. Trinken?
Wo soll ich denn das ausleeren, überlegte ich, da stirbt ja jedes Bodengewächs ab.

Thandi erschien täglich mit einer neuen grünen Flasche auf dem Kopf. Sie streichelte über meine Haare und versicherte mir, dass ich viele Kinder haben würde.
„Wer hat dir eigentlich das Rezept für dieses Muti gegeben, Thandi? Gibt es ein Medizin- oder Rezeptbuch dafür? Wo hast du das her?“ fragte ich sie.
„Ich träume es. Wenn mich etwas beunruhigt, frage ich abends meine Ahnen, sie erscheinen in meinen Traum und geben mir die Anweisungen.“
„Ist ja großartig, dass du mit deinen Ahnen so kommunizieren kannst. Bitte braue nichts mehr für mich, ich glaube, ich habe genug davon getrunken“, log ich.
Es nützte nichts, Thandi kam wieder. Beim Ausleeren der Flaschen fiel mir immer das Lied ‚Ten green bottles hanging on the wall’ ein. Diese Melodie und der scharfe Geruch verfolgten mich Tag für Tag.
Als wir uns eines Morgens entschieden, unser Camp abzubrechen, um weiterzufahren, schenkte ich Thandi unseren Campingtisch. Sie weinte Freudentränen. Eine Stunde später tanzte sie förmlich heran. Auf dem Kopf balancierte sie einen riesigen Karton mit zwölf Flaschen giftgrünem Muti.
„Zwillinge sollen es werden!!“ wünschte sie mir zum Abschied.

 

Hallo huberta,

dein Text liest sich wie der Bestandteil eines längeren Textes. Das kann an den vielen Informationen liegen, die du erst nachträglich einschiebst oder daran, dass Personen auftauchen, die bei mir offenbar als bekannt vorausgesetzt werden.
Die nachträglichen Informationen sind deshalb ärgerlich, weil sie mich ohne Spannungsnotwendigkeit verladen. Gleich zu Beginn führst du mich auf einen Campingplatz, ich denke an Großstädterferien- oder Wochenendglück, wundere mich über Tarzan und darüber, was der am Ostseestrand zu suchen hat und wie man darüber auf eine Liane kommen kann, wenn man vom Strand aufs Meer schaut und einen Königsfischer sieht. Möwen am Strand und plötzlich Affen. Dabei weiß ich noch nicht mal, wo ich bin, schließlich habe ich nicht in dein Profil geschaut und selbst dann würde ich mich, da ich ja Autorin nicht mit Erzählerin gleichsetze, nicht zwangsläufig an Südafrika denken.
Natürlich zweifle ich langsam an Ost- oder Nordsee, es könnte natürlich noch Gibralta sein, schließlich gibt es da Affen und sicherlich auch einen Campingplatz, als Thandi kommt, einzige Vorstellung: eine Xhosa-Frau. Aber was ist eine Xhosa-Frau? Vielleicht bin ich in einer SF-Geschichte gelandet und es ist irgendein Fantasiewesen wie die Borg? Oder eben irgendein Naturvolk. Allgemeinbildung weiß auch nicht alles.
So geht es weiter. Sie bringt eine Flüssigkeit und erst hinterher erfahre ich von einem Gespräch über die Probleme, Kinder zu bekommen, das damit in Zusammenhang steht.
Darunter leidet nicht nur das Lesevergnügen, weil ich ständig Informationen erst nachgereicht bekomme, die ich vorher hätte haben müssen, sondern darunter leidet auch der Fluss der Geschichte und die Beantwortung der Frage, warum diese Geschichte erzählt wird. Was ist für dich das interessante Moment darin? Was fasziniert dich daran so, dass du uns davon berichten willst und was glaubst du, ist für Leser daran von Interesse?
Ebenfalls leidet darunter die Atmosphäre, die Region, in der das spielt wird nicht eingefangen. Bis auf die Affen und Thandi, könnte das Ganze auch auf einem Zeltplatz in Niedersachsen spielen, durchgeknallte Esoteriker, die sich mit solchen Heilmitteln aufdrängen könnte es selbst dort geben.
Die Geschichte selbst erzählt dann von Lügen nach westeuropäischem Verständnis, vielleicht von Höflichkeit nach dem anderer Regionen. Lieber das obskure Mittel täglich wegkippen, als Grenzen zu setzen, als höflich, dankbar, aber energisch abzulehnen (die Versuche sind ja eher zaghaft). Ob es sich aber dort, wo die Geschichte wirklich spielt, einfach nicht gehört, sich solcher Mühe zu erwehren, kann ich nicht beurteilen, auch, weil es der Geschichte nicht gelingt, mich dorthin mitzunehmen und mir die Region wirklich vorzustellen. Ich bekomme lediglich das Gefühl, die Erzählerin ist nicht ganz so vorurteilsfrei, wie sie es vorgibt zu sein, die kulturelle Differenz stößt bei ihr auf Grenzen, die sich auch auf die Akzeptanz auswirken, trotz gemeinsamen Lachens und der täglichen Besuche. Durch das Ende entsteht sogar das ungute Gefühl, ein bisschen macht sich die Geschichte über das Bemühen von Tandi lustig, die Xhosa-Frau wird nicht ernst genommen, ihre Versuche zu helfen, werden belächelt, eben weil die Erzählerin nicht die Wahrheit sagt und die Aussage der Geschichte genau darin stecken bleibt, das Muti lediglich als anekdotisches Kuriosum zu betrachten, als wäre dies der einzige Erzählzweck. Ich nehme an, das war nicht dein Motiv, gerade deshalb weise ich darauf hin, dass durch die Erzählweise der Eindruck entsteht.
Technisch sind die Sätze etwas uniform, da sie sehr häufig wirklich das klassische SPO einhalten, ohne die Reihenfolge zu variieren. Auch die Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede stimmt manchmal nicht.

„Guten Morgen Thandi, du bist aber heute zeitig hier.“, begrüßte ich sie
kein Punkt innerhalb der Anführungszeichen
„Meine Augen“, ich lachte, „meine Auge
Entweder: Augen", lachte ich oder Augen." Ich lachte. "Also bitte

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Sim,

Vielen Dank für deine ausführliche Kritik und Zeit die du dir genommen hast um meine Kurzgeschichte zu lesen. Die Denkanstöße werden mir beim Überarbeiten der Geschichte sehr helfen. Ich glaube es war falsch, dass ich die Geschichte hier einstellte, da sie ein Teil einer Sammlung von meinem Leben in Süd Afrika ist. Dein Kommentar zeigt mir deutlich, dass die KG 'alleine' keinen Sinn macht.
Nochmals herzlichen Dank
Gruß Huberta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Huberta,

mich hat Deine Geschichte berührt und Du hast es geschafft, dass ich mich innerhalb weniger Lesesekunden an den Ort des Geschehens hineinfühlen konnte.
Da ich Südafrika mehrfach bereist habe, fiel es mir leicht. Deshalb kann ich mich auch noch gut an die dort herrschenden gesellschaftlichen Regeln erinnern, bei denen es als geradezu als ein "Verbrechen" gilt, Gastgeschenke abzulehnen.

Die Interaktion der beiden Frauen wird zu Beginn durch fortwährende Verständigungsversuche getragen. Diese soziale Komponente hat mir zunächst gefallen.

Nun zu den Punkten, die mir beim Weiterlesen negativ aufgefallen sind:
Ich fand im Text leider nicht mal ansatzweise einen Hinweis auf einen inneren Zwiespalt der Protagonistin.
Das, was bei mir ankam, war, dass sie trotz ihrer (geheuchelten) Freundlichkeit die Afrikanerin insgeheim belächelte und sie ohne jegliches schlechtes Gewissen hinterging. Auf der einen Seite lese ich heraus, dass sie sich über den täglichen Besuch der Afrikanerin freute, auf der anderen ist da eine Überheblichkeit spürbar, die ein Missbehagen in mir hervorrief.

So sympathisch und zugewandt die Prot. zunächst auf den ersten Blick erscheint, (als sie Versuche startet, die Flasche auf ihrem Kopf zu balancieren, etc.), desto mehr verliert sie im weiteren Geschehen.
Die tägliche Arbeit und Mühe, die sich die Afrikanerin macht, um der Frau mit ihrem Gebräu zu helfen, wird in keiner Form gewürdigt. Auch deren Offenbarung, dass sie viele Kinder habe, aber für diese keinen Tisch besitzt, wird von der Prot. übergangen, indem sie dankbar für die Ablenkung ist, die ihr die lärmenden Affen bescheren. Außer zum Schluss, als sie der Afrikanerin einen Campingtisch schenkt. Doch diese Gutmenschen-Geste macht es eigentlich nur noch schlimmer, weil die Prot. damit nur das eigene, schlechte Gewissen beruhigen will. Sie denkt bis zum Schluss nur an sich selbst und ist unfähig, sich tatsächlich empathisch und fair zu verhalten.
Was ich somit vermisse, ist einerseits die fehlende Achtung gegenüber der Afrikanerin und andererseits die Unfähigkeit der westl. Frau, ihr arrogantes Verhalten zu reflektieren. Mich hätte es angesprochen, wenn sie sich mindestens 1x dazu durchgerungen hätte, sich selbst zu hinterfragen. Ihre Gedanken dazu fehlen mir. Ich verstehe einerseits ihr Anliegen, die Afrikanerin nicht kränken zu wollen und deshalb unehrlich ist. Es gibt, wie bereits oben erwähnt, in Afrika kaum einen schlimmeren Fauxpas, als ein Geschenk abzulehnen. Das hätte sie auch nicht zu tun brauchen! Aber ihren innern Widerstreit, den vermisse ich gänzlich. Daraus hätte die Tiefe entstehen können, die ich mir beim Weiterlesen erhoffte.
Vielleicht werde ich aber der Protagonistin auch nicht gerecht - eventuell ist tatsächlich ein innerer Zwiespalt vorhanden, der jedoch von Dir nicht herausgearbeitet wurde? Doch so lässt mich Dein Text etwas ratlos zurück und ist deshalb für mich unrund. Ich glaube, es würde der Geschichte guttun, wenn Du Dich nochmal daran machst. ;)

Zum Abschluss noch ein paar Hinweise.
Zu:
"Ich wollte mir mein Buch holen, als Thandi, eine Xhosa-Frau, die uns vor paar Wochen entdeckt hatte, vor mir stand."
-rausnehmen und in einem nächsten Satz einbauen, der evtl. auch Umgebung und Ort der Begegnung treffender beschreiben kann.

Desweiteren fiel mir auf, dass ich zu Beginn Absätze vermisst habe, die mich am flüssigen Lesen hinderten. Später wird es dann wesentlich besser!

Ich hoffe, dass Dich meine Reflexion nicht allzusehr geschockt hat. Insgesamt erlebe ich Deinen Erzählstil als mitreißend.:)

Liebe Grüße
Sua Sponte

 

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