Trallala
„Trallala“, Tillmann steht vor der Spüle und wäscht das dreckige Geschirr ab. „Trallalalala…“
Sonntagmittag, irgendwas bei halb 1. Ich sitze auf der Küchenbank am Tisch und schlürfe meinen Kaffee. Und dieser Tillmann wäscht ab.
Tillmann gehört eigentlich nicht dazu. Er ist die Braut von Heiko, der vor einem dreiviertel Jahr sein Coming-Out gefeiert hat. Das hat niemanden wirklich gewundert. Man hat es geahnt. Es war abzusehen. Doch seitdem übertreibt es Heiko gehörig. Er lebt sein neuentdecktes Lebensgefühl nicht, er zelebriert es. Und mit Tillmann setzt er dem ganzen schwulen Gehabe die Krone auf.
„Trallalalala…“
Gestern haben wir das zweijährige Bestehen unserer Wohngemeinschaft gefeiert. Heiko, Olli und ich. Keine große Sache. Wir haben uns Pizza bestellt und uns am Küchentisch volllaufen lassen. Was man so macht, wenn man etwas feiert. Später kam Tillmann dazu, und Olli fragte ihn irgendwann, ob der ewige Analverkehr nicht schädlich für die Schließmuskelfunktion sei. Daraufhin rauschte Tillmann - ganz beleidigte Diva - in Heikos Zimmer ab. Und Heiko hinterher. So ist das, wenn man ne Braut zu einem Herrenabend einlädt.
„Trallalalala…“
Tillmann trägt eine äußerst knapp sitzende grüne Turnhose und ein ärmelloses gelbes Muskel-Shirt. Er ist barfuß. Seine dünnen, leicht o-förmigen Beine sind rasiert.
Ich zünde mir eine Zigarette an und huste.
Tillmann beginnt das Geschirr abzutrocknen. Er macht es schnell und geschickt. Der Stoff der Turnhose hat sich zwischen seine kleinen Pobacken gequetscht. Wenn er sich bückt, um die Töpfe in den Küchenschrank zu stapeln, kann ich die Umrisse seiner großen Eier erkennen. Ich sehe aus dem Fenster.
Olli kommt in die Küche geschlurft. Er sieht nicht gut aus. Er setzt sich neben mich auf die Bank und schenkt sich einen Kaffee ein. Tillmann wirbelt herum, poliert Gläser, hält sie gegen das Licht, haucht sie an, poliert nach und singt: „Trallalalala…“
Wir starren ihn an. Olli und ich.
Tillmann lässt das Wasser aus der Spüle und putzt das Nirosta-Blech mit schnellen, zackigen Bewegungen. Sein hagerer Hintern wackelt wie der einer bulimischen Sambatänzerin.
Olli zündet sich eine Zigarette an. „Wo is Heiko?“
„Pennt.“
Tillmann wischt die Spüle, den Wasserhahn, die Kacheln hinter dem Wasserhahn, die Arbeitsplatte. „Trallalalala…“
„Heiko hat doch gar nicht so viel gesoffen“, sagt Olli.
„Stimmt.“
Tillmann lässt den Lappen über die Schranktüren sausen.
„Kann halt nix ab“, sagt Olli.
Tillmann lässt den Lappen über die Innenseiten der Schranktüren sausen. Er streckt sich, steht auf Zehenspitzen, um die obere Kante zu erwischen. Er schwitzt.
„Sag mal Tilli, kannst du dir nicht mal ne andere Hose anziehen?“
Tillmann blickt herüber und schlägt die Augen auf. „Macht dich das nervös, Olli?“
„Ich finde es eher gewöhnlich.“
Tillmann erstarrt. Dann feuert er den Wischlappen zu Boden und rauscht – ganz beleidigte Diva – aus der Küche.
Wir sehen ihm nach. Olli und ich.
Olli schenkt Kaffee ein. „Meine Schwester heiratet nun doch diesen Dieter.“
„Den Masseur?“
„Nee, den Typen vom ADAC.“
„Der mit dem Glasauge?“
„Nee, das war der Masseur.“
„Ach…“
„Keine Ahnung, was sie an dem findet“, überlegt Olli.
„Tja…“
„Seine Schwester arbeitet beim STERN.“
„Wessen?“
„Na, die von dem ADAC-Typen.“
„Tatsächlich?“
„Jo.“
„Und deshalb heiratet sie ihn?“
„Kann ich mir nicht vorstellen.“
Ich zünde mir eine neue Zigarette an. Der Kaffee ist stark und gut. Tillmann hat ihn gekocht.
„Sie hatte schon immer einen seltsamen Männergeschmack“, sagt Olli.
„Wer?“
„Meine Schwester.“
„Seit wann arbeitet sie beim STERN?“
„Wer?“
„Deine Schwester.“
„Meine Schwester arbeitet bei ELEKTRO-WILLE. Die Schwester von dem ADAC-Typen arbeitet beim STERN.“
„Ach so…“
„Jo.“
Tillmann kommt in die Küche gerauscht. Er trägt einen roten Spitzen-BH, ein rotes Strumpfband und rote Nylons. Ansonsten trägt er nichts. Sein großer Schwanz baumelt kraftlos zwischen den kahlrasierten Schenkeln und scheint proportional nicht zum restlichen Körper zu gehören. Tillmann hat Lippenstift und Lidschatten aufgetragen und sich eine ordentliche Ladung Rusch auf die Wangen gepudert.
Wir starren ihn an. Olli und ich.
Tillmann stemmt seine Hände in die Hüften und stolziert durch die Küche. „Ist es das, was du willst, Olli?“ Er wirft seinen Kopf in den Nacken und bewegt sein Becken vor und zurück, dass sein gurkenähnliches Gemächt schlaff gegen die Bauchdecke klatscht. „Ist es das was du willst, Olli?“
Heiko kommt in die Küche gestürmt. Er trägt einen Leoparden-Tanga. „Himmel Tillmann, was tust du da?“
„Dein Mitbewohner da scheint auf Cross-Dresser zu stehen“, echauffiert sich Tillmann.
Klatsch, klatsch, klatsch… Tillmanns Penis saust auf und ab.
Heiko packt Tillmann am Arm. „Komm, lass uns wieder ins Zimmer gehen, Schätzchen.“
„Nein, nein, nein, Olli muss sich erst entschuldigen.“
Klatsch, klatsch, klatsch…
Wir starren die beiden an. Olli und ich. Nebeneinander auf der Küchenbank sitzend.
„Darling, beruhige dich“, fleht Heiko.
„Nein, nein, nein…“ Tillmann stampft mit den Füßen auf den Boden. „Olli muss sich entschuldigen.“
„Himmel Darling, wofür denn?“
„Er hat mich gewöhnlich genannt! Er hat mich gewöhnlich genannt!“
„Schätzchen, das hat er sicher nicht so gemeint.“
„Doch, doch, doch…! Hat er! Hat er!“
„Reg dich nicht so auf, Schätzchen, bitte…“
„Sag mal Tillmann, hast du noch alle Latten am Zaun?“ Olli hat das gesagt.
Tillmann und Heiko starren ihn an. Tillmann verschränkt die Arme vor der Brust. „Wie bitte?“
„Ob du noch alle Latten am Zaun hast. Du führst dich hier auf wie ein Idiot.“
„Habe ich es dir nicht gesagt…?!“, plärrt Tillmann los und rauscht – ganz beleidigte Diva – aus der Küche.
Heiko wirft uns einen verächtlichen Blick zu und rauscht hinterher.
Die Küchentür knallt ins Schloss. Dann ist es wieder still.
Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus.
„Fährt der nicht diesen roten Alpha-Spider?“, frage ich schließlich.
„Wer?“
„Na, der ADAC-Typ.“
„Nee, das war der Masseur.“
„Der mit dem Glasauge?“
„Jo“, sagt Olli.