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Trallala

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21.01.2009
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Trallala

„Trallala“, Tillmann steht vor der Spüle und wäscht das dreckige Geschirr ab. „Trallalalala…“
Sonntagmittag, irgendwas bei halb 1. Ich sitze auf der Küchenbank am Tisch und schlürfe meinen Kaffee. Und dieser Tillmann wäscht ab.
Tillmann gehört eigentlich nicht dazu. Er ist die Braut von Heiko, der vor einem dreiviertel Jahr sein Coming-Out gefeiert hat. Das hat niemanden wirklich gewundert. Man hat es geahnt. Es war abzusehen. Doch seitdem übertreibt es Heiko gehörig. Er lebt sein neuentdecktes Lebensgefühl nicht, er zelebriert es. Und mit Tillmann setzt er dem ganzen schwulen Gehabe die Krone auf.
„Trallalalala…“
Gestern haben wir das zweijährige Bestehen unserer Wohngemeinschaft gefeiert. Heiko, Olli und ich. Keine große Sache. Wir haben uns Pizza bestellt und uns am Küchentisch volllaufen lassen. Was man so macht, wenn man etwas feiert. Später kam Tillmann dazu, und Olli fragte ihn irgendwann, ob der ewige Analverkehr nicht schädlich für die Schließmuskelfunktion sei. Daraufhin rauschte Tillmann - ganz beleidigte Diva - in Heikos Zimmer ab. Und Heiko hinterher. So ist das, wenn man ne Braut zu einem Herrenabend einlädt.
„Trallalalala…“
Tillmann trägt eine äußerst knapp sitzende grüne Turnhose und ein ärmelloses gelbes Muskel-Shirt. Er ist barfuß. Seine dünnen, leicht o-förmigen Beine sind rasiert.
Ich zünde mir eine Zigarette an und huste.
Tillmann beginnt das Geschirr abzutrocknen. Er macht es schnell und geschickt. Der Stoff der Turnhose hat sich zwischen seine kleinen Pobacken gequetscht. Wenn er sich bückt, um die Töpfe in den Küchenschrank zu stapeln, kann ich die Umrisse seiner großen Eier erkennen. Ich sehe aus dem Fenster.
Olli kommt in die Küche geschlurft. Er sieht nicht gut aus. Er setzt sich neben mich auf die Bank und schenkt sich einen Kaffee ein. Tillmann wirbelt herum, poliert Gläser, hält sie gegen das Licht, haucht sie an, poliert nach und singt: „Trallalalala…“
Wir starren ihn an. Olli und ich.
Tillmann lässt das Wasser aus der Spüle und putzt das Nirosta-Blech mit schnellen, zackigen Bewegungen. Sein hagerer Hintern wackelt wie der einer bulimischen Sambatänzerin.
Olli zündet sich eine Zigarette an. „Wo is Heiko?“
„Pennt.“
Tillmann wischt die Spüle, den Wasserhahn, die Kacheln hinter dem Wasserhahn, die Arbeitsplatte. „Trallalalala…“
„Heiko hat doch gar nicht so viel gesoffen“, sagt Olli.
„Stimmt.“
Tillmann lässt den Lappen über die Schranktüren sausen.
„Kann halt nix ab“, sagt Olli.
Tillmann lässt den Lappen über die Innenseiten der Schranktüren sausen. Er streckt sich, steht auf Zehenspitzen, um die obere Kante zu erwischen. Er schwitzt.
„Sag mal Tilli, kannst du dir nicht mal ne andere Hose anziehen?“
Tillmann blickt herüber und schlägt die Augen auf. „Macht dich das nervös, Olli?“
„Ich finde es eher gewöhnlich.“
Tillmann erstarrt. Dann feuert er den Wischlappen zu Boden und rauscht – ganz beleidigte Diva – aus der Küche.
Wir sehen ihm nach. Olli und ich.
Olli schenkt Kaffee ein. „Meine Schwester heiratet nun doch diesen Dieter.“
„Den Masseur?“
„Nee, den Typen vom ADAC.“
„Der mit dem Glasauge?“
„Nee, das war der Masseur.“
„Ach…“
„Keine Ahnung, was sie an dem findet“, überlegt Olli.
„Tja…“
„Seine Schwester arbeitet beim STERN.“
„Wessen?“
„Na, die von dem ADAC-Typen.“
„Tatsächlich?“
„Jo.“
„Und deshalb heiratet sie ihn?“
„Kann ich mir nicht vorstellen.“
Ich zünde mir eine neue Zigarette an. Der Kaffee ist stark und gut. Tillmann hat ihn gekocht.
„Sie hatte schon immer einen seltsamen Männergeschmack“, sagt Olli.
„Wer?“
„Meine Schwester.“
„Seit wann arbeitet sie beim STERN?“
„Wer?“
„Deine Schwester.“
„Meine Schwester arbeitet bei ELEKTRO-WILLE. Die Schwester von dem ADAC-Typen arbeitet beim STERN.“
„Ach so…“
„Jo.“
Tillmann kommt in die Küche gerauscht. Er trägt einen roten Spitzen-BH, ein rotes Strumpfband und rote Nylons. Ansonsten trägt er nichts. Sein großer Schwanz baumelt kraftlos zwischen den kahlrasierten Schenkeln und scheint proportional nicht zum restlichen Körper zu gehören. Tillmann hat Lippenstift und Lidschatten aufgetragen und sich eine ordentliche Ladung Rusch auf die Wangen gepudert.
Wir starren ihn an. Olli und ich.
Tillmann stemmt seine Hände in die Hüften und stolziert durch die Küche. „Ist es das, was du willst, Olli?“ Er wirft seinen Kopf in den Nacken und bewegt sein Becken vor und zurück, dass sein gurkenähnliches Gemächt schlaff gegen die Bauchdecke klatscht. „Ist es das was du willst, Olli?“
Heiko kommt in die Küche gestürmt. Er trägt einen Leoparden-Tanga. „Himmel Tillmann, was tust du da?“
„Dein Mitbewohner da scheint auf Cross-Dresser zu stehen“, echauffiert sich Tillmann.
Klatsch, klatsch, klatsch… Tillmanns Penis saust auf und ab.
Heiko packt Tillmann am Arm. „Komm, lass uns wieder ins Zimmer gehen, Schätzchen.“
„Nein, nein, nein, Olli muss sich erst entschuldigen.“
Klatsch, klatsch, klatsch…
Wir starren die beiden an. Olli und ich. Nebeneinander auf der Küchenbank sitzend.
„Darling, beruhige dich“, fleht Heiko.
„Nein, nein, nein…“ Tillmann stampft mit den Füßen auf den Boden. „Olli muss sich entschuldigen.“
„Himmel Darling, wofür denn?“
„Er hat mich gewöhnlich genannt! Er hat mich gewöhnlich genannt!“
„Schätzchen, das hat er sicher nicht so gemeint.“
„Doch, doch, doch…! Hat er! Hat er!“
„Reg dich nicht so auf, Schätzchen, bitte…“
„Sag mal Tillmann, hast du noch alle Latten am Zaun?“ Olli hat das gesagt.
Tillmann und Heiko starren ihn an. Tillmann verschränkt die Arme vor der Brust. „Wie bitte?“
„Ob du noch alle Latten am Zaun hast. Du führst dich hier auf wie ein Idiot.“
„Habe ich es dir nicht gesagt…?!“, plärrt Tillmann los und rauscht – ganz beleidigte Diva – aus der Küche.
Heiko wirft uns einen verächtlichen Blick zu und rauscht hinterher.
Die Küchentür knallt ins Schloss. Dann ist es wieder still.
Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus.
„Fährt der nicht diesen roten Alpha-Spider?“, frage ich schließlich.
„Wer?“
„Na, der ADAC-Typ.“
„Nee, das war der Masseur.“
„Der mit dem Glasauge?“
„Jo“, sagt Olli.

 
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Guten Tag, machaczek!

Deine Geschichte ist witzig und sehr angenehm zu lesen. Die Dialoge zwischen Olli und dem Erzähler mochte ich besonders, die sind staubtrocken und lebensnah und erinnerten mich an einen Sketch, der früher oft im Radio kam, er hieß: "Männer reden über ihre Gefühle". Da kamen auch Dialoge wie:
"Ich hab das Gefühl, der neue GTI ist besser als sein Ruf."
"Jo, das Gefühl hab ich auch."
Und ein Frauenchor seufzte dann immer ganz gerührt: "Ooooooh ...!"

Klar könnte man sagen, die Geschichte beinhalte schwulenfeindliche Elemente. Aber letztlich geht es ja um das Problem Frau beim Herrenabend, in dem Fall wären es frauenfeindliche Tendenzen, allerdings solche, die mir aus der Seele sprechen. Oder es geht um das Problem "Neues Gesicht in eingeschworener Gruppe", wobwi schnell klar wird: Tillmann paßt nicht. Heiko wird sich bald entscheiden müssen.
Tillmann hat sich für den Herrenabend disqualifiziert, indem er nach dem Analverkehrspruch beleidigt rausrannte. Er hätte auch elegant kontern können, zu dem alten Spruch kann einem ja schon was einfallen. Mit einer anderen, gelasseneren Reaktion hätte er das große Bierflaschenheben und Zuprosten ausgelöst.
Und am Morgen nach einer Party verkaterten Männern in der Küche trällernd und gläserpolierend daherzukommen ist frech.
Okay, Tillmann hat geputzt, während alle anderen noch matschig waren. Er hat sicher nicht darüber nachgedacht, daß sein Geträllere den Männern auf die Nerven gehen könnte. Für ihn wars vielleicht nur gute Laune! Er hat auch den guten Kaffee gekocht, den die anderen trinken, ohne sich zu bedanken. Olli hätte das mit der Hose nicht sagen müssen. Zum Erzähler hätte er das nicht gesagt (der hätte aber auch nicht trallala gesungen). Es ist ungerecht, wie sie ihn behandeln, ganz klar. Wären sie netter gewesen oder hätten ihn einfach machen lassen, hätte er den Idiotenauftritt vielleicht gar nicht nötig gehabt. Andererseits hatte er ja schon in der Nacht sein Coming-Out als Mimose, das provoziert. Wie sich herausstellt, hat er sogar ziemlich einen an der Klatsche. Heiko hat Glück, daß seine beiden Mitbewohner so stoisch sind, die werden noch da sitzen, wenn Tillmann längst Geschichte ist.

Ich bin aber auf der falschen Seite, das sehe ich ganz deutlich. Der arme Tillmann, wer weiß, was für eine schwere Kindheit er hatte! Warum interessiert mich das schon wieder nicht? Vielleicht sollte ich mich schämen gehen.

Auf jeden Fall sehr gern gelesen.

Freundliche Grüße und willkommen hier,
Makita.

P.S.

Rouge heißt das, Du ... Mann!

Zwischen Wort und ... gehört immer ein Abstand.

 

mannomann, wir wischen uns gerade die lachtränen ab.
olli und ich.
danach holen wir uns einen prosecco und für tilli neues ruuusch.
lg,
jutta

 

Hallo machaczek,

das ist aber ein netter Happen. Erinnert an diese Schwulencomics, von…wie heißt er doch gleich … Ralf König!
Deswegen finde ich es auch nicht schwulenfeindlich, überhaupt nicht. Man könnte die Charaktere austauschen und statt Tillmann eine blöde, zickige Freundin da stehen haben, die allen mit ihrem Gewische und Gesinge auf die Nerven geht.
Ich fand es sehr plastisch, kann man sich hervorragend als Filmchen / Theaterstück vorstellen.
Nur den Titel finde ich ein bisschen doof.
Aber da ich selber Titellegastheniker bin, fällt mir auch nichts Besseres ein.

Gruß, Sammamish

 

Hallo machazcek,

also, das ist heute schon die zweite KG von Dir, die mir echt gut gefällt.
Diese hat mir sogar besonders viel Spass gemacht, habe Tränen gelacht. Echt klasse! Da ist Dir ja ein toller Einstand in dieses Forum gelungen.
Hoffentlich lieferst Du in nächster Zeit noch mehr von der Sorte ab, würde mich freuen.

LG
Giraffe.

 

Hallo machazcek

Jo, habe ich fast nichts hinzuzufügen. Obwohl du im letzten Abschnitt - ab Tills zweitem Auftritt mit neuem Outfit - natürlich tief in die Klischeekiste greifst, fängst du das Ganze wieder mit dem herrlich trockenen Humor und der trägen Kater-Stimmung aus dem ersten Teil ab.

Gefälliger Schwank in einem Akt.

Mein Stolperer:

„Meine Schwester arbeitet bei ELEKTRO-WILLE. Die Schwester von dem ADAC-Typen arbeitet beim STERN.“
„Ach so…“
„Jo.“
Tillmann kommt in die Küche gerauscht. Er trägt einen roten Spitzen-BH, ein rotes Strumpfband und rote Nylons. Ansonsten trägt er nichts.[...]
Tillmann hat Lippenstift und Lidschatten aufgetragen und sich eine ordentliche Ladung Rusch auf die Wangen gepudert.
Der vorgängige Dialog liest sich dermassen flott, dass ich staunte, wie schnell sich Till umziehen und auch noch in Maske werfen konnte. Da wünschte ich mir eine kleine Kunstpause. Einen Absatz oder einen Zwischensatz mit "mehr Länge".
"Ich sehe dem Zigarettenrauch nach in Richtung Decke, Olli blies Kringel und muste husten."
[Absatz]
Tillmann kommt in die Küche gerauscht.
(oder so.)

Fazit:Hat mir gefallen und die neue Wortschöpfung "Cross-Dressing" beschert.
Gruss.dot

 

Liebe(r) Makita, Jutta, sammamish, Giraffe & dotlash!

Vielen Dank für eure Rückmeldungen!
Mein oller Kumpel Michi aus Kiel brachte mich auf die Idee, dass ich mal ein paar meiner Geschichten in dieses Forum stellen könnte, um auszuloten, wie die Resonanz ist. Und ehrlich, ich bin überwältigt! Die Sachen scheinen ja recht gut anzukommen.
Ich war zunächst unsicher, ob ich "Trallala" ins Forum stellen soll, weil ich befürchtete, dass die Geschichte als schwulenfeindlich oder sexistisch oder pornografisch (wegen dem >klatsch klatsch klatsch ...<) angesehen werden könnte. Ich war mir nicht sicher, wo die Grenzen liegen. Doch meine Bedenken scheinen unbegründet gewesen zu sein. Es liegt wohl auch daran, weil ich weder schwulenfeindlich noch außergewöhnlich sexistisch bin.
Makita, wir haben uns fast nass gemacht, als wir deine "Kritik" zu dieser Geschichte gelesen haben. Einfach köstlich. Und JA JA JA JA JA, es heißt Rouge und nicht Ruuusch (... Jutta, hat der Prosecco geschmeckt?); ich habe es jetzt verinnerlicht, genauso wie die Tatsache, dass zwischen einem Wort und ... eine Leerzeile gehört (wusste ich wirklich nicht).
Sammamish, dass dich die Geschichte an ein Theaterstück erinnert, freut mich. Da ich ein leidenschaftlicher Dialogeschreiber bin, habe ich schon ein paarmal daran gedacht, aber mir fehlte bisher eine Idee dazu. Ist dieses vielleicht eine?
Dotslash, danke auch für deine Rückmeldung. Ich habe die Story noch einmal gelesen und finde, dass Tillmann genug Zeit hat, um sich aus der Turnhose und dem Muskel-Shirt zu schälen und in die Dessous zu steigen. Hm ... naja, er muss sich schon beeilen, aber doch ja, er könnte es schaffen.
Den Begriff "Cross-Dresser" gibt es tatsächlich. Habe ich aus den Weiten des Internets gefischt.

Lieben Gruß
Machaczek

 

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