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Trauerspiel

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15.05.2006
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Trauerspiel

Diesmal hat sie angefangen.

Selten genug kann ich mir wirklich sicher sein, wer gerade das falsche Wort, die zweideutige Geste dem anderen ins Gesicht geschleudert hat, um einen gezielten Streit vom Zaun zu brechen.

Ich höre sie beide durch die geschlossene Schlafzimmertür.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich sie vor mir: die Münder weit aufgerissen, gerötete Wangen, Hände, die sich in die Luft zwischen ihnen krallen. Von ihren Lippen strömen Worte, giftig und ätzend wie Säure und vernarbtes, zerstörtes Gewebe bleibt zurück, deutlich sichtbar für jene, die wissen wonach sie suchen müssen.

Ich kenne jede ihrer verletzten Stellen. Ich sehe jeden Tag die zu tiefen Linien im Gesicht meiner Mutter, den angewiderten Ausdruck in den Augen meines Vaters. Die von zuviel Alkohol aufgedunsene Haut, das ungewaschene Haar. Seit ich sie kenne, sind sie blind füreinander.

Ihre Stimmen werden lauter, schriller, bis sie fast an Hysterie grenzen. Jetzt schneiden sie gezielt in das Fleisch des anderen, reißen wie tollwütige Hunde große Stücke heraus um sich später daran zu laben. Manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass sie dabei ersticken während sie in qualvollen Zuckungen die unverdauten Vorwürfe und Schmähungen wieder hervorwürgen.

Nach mehr als achtzehn Jahren, kreisen sie immer noch um das gleiche Thema, wie Motten um das Licht. Was steht mir zu, was gehört dir?
Geld und Eigentumsverhältnisse als Spiegelbilder einer Ehe.

Und nie finden sie eine Lösung, als ob das Ende ihnen zu entsetzlich vorkäme. Als ob sie, wie ich, begriffen hätten, dass dies das einzige ist, was sie noch verbindet.

Ein Schlag gegen die Tür lässt die Wohnung erzittern und verzweifelt krieche ich unter die Decke. Ich will sie nicht hören, aber ihre Sätze dringen sogar bis hierher, tanzen in meinen Ohren, bis sie sich festsetzen. Drecksfotze, Hurenbock, Schlampe, Rattenficker.

Irgendwann habe ich begriffen: Sie machen sich taub, werfen mit Beleidigungen wie Kinder mit Knallfröschen zu Neujahr, teils aus verdrehter Schadenfreude, zum Teil aus Angst vor dem was als nächstes kommen mag.

Nach Stunden klingt schließlich ein klägliches Schluchzen durch die Wohnung, als sich die Tür zum Schlafzimmer öffnet. Ich stehe auf und trete in den leeren Flur hinaus, um nachzusehen, welche Scherben ich noch aufsammeln und vielleicht sogar wieder zusammenfügen kann. Soviel Hoffnung habe ich noch.

Meine Mutter sitzt zusammengesunken auf der Bettkante, die Hände über dem Gesicht, während mein Vater mit dem Rücken zu ihr im Türrahmen steht. Es ist ruhig und in der Stille können sie einander nicht ertragen.

Für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke und in seinen Augen leuchtet die Frage auf: Warum?

Ich kenne die Antwort, genau wie er, aber die Stille in mir wird größer und meine Stimme immer kleiner. Ich habe keine Worte, die ich ihm erwidern könnte und selbst wenn, sie nehmen mir die Luft zum Atmen.

Das Schweigen ist mein Gebet.

 

Willkommen black,

hier auf kd.de. Dein Erstlingswerk ist wort- und bildgewaltig und gefällt mir gut bis sehr gut, die Athmo ist dicht gezeichnet, wenn auch manchmal auf dem schmalen Grad zum Klischee tänzelnd, doch als Gesamtwerk ist es rund und gelungen, in all der geschilderten Tristesse und Hoffnungslosigkeit.

Du hast Talent und Geschmack, eine gute Mischung um gute, eindringliche Geschichten zu erzählen.

Gern gelesen,
C. Seltsem

 

Hallo C.,

Vielen Dank für Dein Lob, ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich hoffe nur, dass es mir gelingt auch in Zukunft dieses Niveau beibehalten zu können...

Lg, black_hair

 

Hallo black_hair!

Bereits der gut gewählte erste Satz hat mich auf den Rest der Geschichte neugierig gemacht, und ich wurde nicht enttäuscht. Wie meinem Vorkritiker, gefällt auch mir Dein Schreibstil, der die beschriebene Situation lebendig werden lässt. Kompliment!

Anmerkung zum Inhalt:

Jetzt schneiden sie gezielt in das Fleisch des anderen, reißen wie tollwütige Hunde große Stücke heraus um sich später daran zu laben.
In diesem Satz stört mich das Wort später, da sich die beiden Kontrahenten bei ihren Streitereien ziemlich verausgaben und wohl eher im Moment der verbalen Attacken Genugtuung empfinden.


Lieben Gruß
Antonia

 

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