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Trauerspiel
Diesmal hat sie angefangen.
Selten genug kann ich mir wirklich sicher sein, wer gerade das falsche Wort, die zweideutige Geste dem anderen ins Gesicht geschleudert hat, um einen gezielten Streit vom Zaun zu brechen.
Ich höre sie beide durch die geschlossene Schlafzimmertür.
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich sie vor mir: die Münder weit aufgerissen, gerötete Wangen, Hände, die sich in die Luft zwischen ihnen krallen. Von ihren Lippen strömen Worte, giftig und ätzend wie Säure und vernarbtes, zerstörtes Gewebe bleibt zurück, deutlich sichtbar für jene, die wissen wonach sie suchen müssen.
Ich kenne jede ihrer verletzten Stellen. Ich sehe jeden Tag die zu tiefen Linien im Gesicht meiner Mutter, den angewiderten Ausdruck in den Augen meines Vaters. Die von zuviel Alkohol aufgedunsene Haut, das ungewaschene Haar. Seit ich sie kenne, sind sie blind füreinander.
Ihre Stimmen werden lauter, schriller, bis sie fast an Hysterie grenzen. Jetzt schneiden sie gezielt in das Fleisch des anderen, reißen wie tollwütige Hunde große Stücke heraus um sich später daran zu laben. Manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass sie dabei ersticken während sie in qualvollen Zuckungen die unverdauten Vorwürfe und Schmähungen wieder hervorwürgen.
Nach mehr als achtzehn Jahren, kreisen sie immer noch um das gleiche Thema, wie Motten um das Licht. Was steht mir zu, was gehört dir?
Geld und Eigentumsverhältnisse als Spiegelbilder einer Ehe.
Und nie finden sie eine Lösung, als ob das Ende ihnen zu entsetzlich vorkäme. Als ob sie, wie ich, begriffen hätten, dass dies das einzige ist, was sie noch verbindet.
Ein Schlag gegen die Tür lässt die Wohnung erzittern und verzweifelt krieche ich unter die Decke. Ich will sie nicht hören, aber ihre Sätze dringen sogar bis hierher, tanzen in meinen Ohren, bis sie sich festsetzen. Drecksfotze, Hurenbock, Schlampe, Rattenficker.
Irgendwann habe ich begriffen: Sie machen sich taub, werfen mit Beleidigungen wie Kinder mit Knallfröschen zu Neujahr, teils aus verdrehter Schadenfreude, zum Teil aus Angst vor dem was als nächstes kommen mag.
Nach Stunden klingt schließlich ein klägliches Schluchzen durch die Wohnung, als sich die Tür zum Schlafzimmer öffnet. Ich stehe auf und trete in den leeren Flur hinaus, um nachzusehen, welche Scherben ich noch aufsammeln und vielleicht sogar wieder zusammenfügen kann. Soviel Hoffnung habe ich noch.
Meine Mutter sitzt zusammengesunken auf der Bettkante, die Hände über dem Gesicht, während mein Vater mit dem Rücken zu ihr im Türrahmen steht. Es ist ruhig und in der Stille können sie einander nicht ertragen.
Für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke und in seinen Augen leuchtet die Frage auf: Warum?
Ich kenne die Antwort, genau wie er, aber die Stille in mir wird größer und meine Stimme immer kleiner. Ich habe keine Worte, die ich ihm erwidern könnte und selbst wenn, sie nehmen mir die Luft zum Atmen.
Das Schweigen ist mein Gebet.